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Der Ringkampf.
In zwanzig Minuten war ich vom Kopf bis zu den Füßen umgekleidet und so sauber, wie nur irgend ein Mädchen in Gloucestershire. Meine Augen strahlten von Energie, und mein triefendes Haar floß in Wellen herab wie ein von Fichten beschatteter Bergstrom. Ich hatte keine Zeit, Mrs. Shelfer, die vor Aufregung und Staunen wie gelähmt war, ein Wort von dem, was mir zugestoßen oder was ich beabsichtigte, mitzutheilen. Ich legte nur hastig einen anderen Mantel und Hut an, hüllte auch Mrs. Shelfer in ihr kleines grünes Umschlagetuch, stülpte ihr den Alltagshut auf, zog sie zum Hause hinaus und schloß die Thür zu; denn Mrs. Fletcher war, nachdem sie lange auf mich gewartet, in ihrer Besorgniß zu Ann Maples gegangen, um sich mit derselben zu berathen. Wenn Mrs. Shelfer's bester Hut zweiundzwanzig Jahre alt war, so mußte ihr anderer vierundvierzig zählen; jedenfalls schien er so alt zu sein, wie sie selber.
Patty trippelte voll gespannter Erwartung, was zunächst kommen würde, neben mir her. Ihre dünnen Lippen bewegten sich zitternd und ihr Mienenspiel glich einem Kaleidoskop. Jedes Mal jedoch, wenn ich sie ansah, wendete sie ihre Augen mit einem Blick voller Grauen von mir ab und gen Himmel. Dann noch schneller weitertrottend, murmelte sie:
»Ja, ja, Miß Vaughan. Ganz recht, meine Beste. Keine Zeit zu verlieren.«
»Aber, Mrs. Shelfer, haben Sie eine Vermuthung, wohin wir gehen?«
»Oh, ich weiß es recht gut – habe es schon gleich gewußt. Ja, ja, mich soll Einer nur in Frieden lassen. Patty Shelfer ist nicht von gestern. War es nicht erst Dienstag vor acht Tagen –«
»Wenn Sie es richtig errathen, will ich es Ihnen sagen.«
»Nun, wir gehen sicherlich zu Charley. Miß Vaughan, um Charley's Meinung zu hören. Sehr klug von Ihnen, und es thun fast alle Leute, besonders wenn sie Geld haben. Aber wie Sie nur wissen, daß er da –«
»Wo?«
»Nun, sicherlich bei dem großen Ringkampf. Er wollte mich sogar mitnehmen; und solches Anerbieten hat er mir nicht gemacht – nächsten Austerntag 5. August. werden es fünfzehn Jahre. Nein, nein, sagte ich, wo Miß Vaughan fort ist und höchst wahrscheinlich zwischen den Leichenräubern –«
Hier warf sie mir einen blitzschnellen Seitenblick zu, um zu sehen, ob sie das Richtige getroffen habe. Sofort begriff ich Alles, wonach ich nicht der Mühe werth gehalten, zu fragen. Ich wußte jetzt, warum sie so zitterte, vor der Berührung meiner Hand zurückschreckte, mich kaum anzublicken wagte und die Augen so scheu von mir abwendete. Sie hielt mich für heimlich ermordet und das neben ihr hinschreitende Wesen für meinen Geist, der gekommen sei, um ein Begräbniß zu verlangen. Ich konnte mir nicht die Zeit nehmen, ihre Ansicht zu widerlegen, aber ich brach in ein anhaltendes Lachen aus.
»Sein Großvater war nämlich ein Todtengräber, Miß, und unser Charley weiß den Spaten vortrefflich zu führen.«
»Mrs. Shelfer, wir sind gleich an Ort und Stelle, Hören Sie, was ich Ihnen jetzt sage. Nicht Ihren Mann will ich sprechen, sondern den Pächter Huxtable, den Sie vor Ihrer Thür gesehen haben. Es handelt sich um Leben und Tod, sonst würde mich Nichts bewogen haben, diesen Tumult aufzusuchen. Unzweifelhaft sind viele sehr achtbare Männer darunter, aber es ist kein passender Platz für eine Dame. Der Pächter weiß das und hat nie gewagt, mich dazu aufzufordern, obgleich seine Frau und Tochter es aus Unwissenheit gethan haben. Es ist jetzt genau zwölf ein halb Uhr. Spätestens in einer Viertelstunde muß ich mit dem Devonshirer Preiskämpfer sprechen, ja, ihn sogar mit mir von hier fort nehmen. An die Polizei will ich mich nicht mehr wenden; von ihr habe ich mehr als zu viel gesehen. Ihr Mann ist hier und gehört wie Sie sagen, zum Committee. Ich überlasse Ihnen die Ausführung meines Auftrages. Gehen Sie sofort hinein und suchen Sie ihn. Halt, hier ist reichlich Geld.«
In ihrem maßlosen Staunen wagte sie sogar, mich anzusehen. Sie fürchtete sich indessen, das Geld zu nehmen, obgleich ihre Augen beim Anblick desselben blitzten, denn ich bot ihr mehr Gold als Silber.
»Kommen Sie gleich wieder zu mir heraus, ich werde mich nicht von der Stelle bewegen. Sagen Sie, daß ich, wenn der Pächter den Wettkampf durch mich verlieren sollte, Alles bezahlen und das Geld für einen zweiten geben wolle.«
Zum ersten Mal gehorchte die kleine Frau mir ohne weitere Erörterung. Sie drängte sich durch den Eingang des riesigen Zeltes, oder wie es genannt werden mag, und wurde bereitwillig eingelassen, als sie den Namen ihres Mannes nannte. Ich blieb zurück, aber mit einem so starken Bewußtsein der Nothwendigkeit meines Vorhabens, daß meine Scham sich in Stolz verwandelte. Die Augen Vieler der umstehenden Gaffer waren schon auf mich gerichtet. In zwei bis drei Minuten kam die arme Patty zurück und zwar mit Mr. Shelfer selbst, der stets seit seinem unfreiwilligen Bade den höchsten und zartesten Respekt für mich an den Tag gelegt hatte. Er ging jetzt sogar so weit, die Pfeife aus dem Munde zu nehmen.
»Es thut mir leid, Miß Vaughan, wirklich sehr leid. Wir dürfen die Männer aber jetzt nicht unterbrechen. Es würde uns das Leben kosten, und die Leute würden die Schiedsrichter dazu todtschlagen. Es ist Fall gegen Fall, bedenken Sie das, Miß Vaughan, Fall gegen Fall!« Dabei standen ihm die Schweißperlen auf der Stirn, und er wollte wieder forteilen.
»Was meinen Sie?« fragte ich, denn trotz meiner Eile fühlte ich mich von Interesse ergriffen. Wie konnte ich anders, da ich den Pächter so lieb hatte?
»Nun, der große nordische Kämpfer hat den ersten Wurf durch einen ganz widerrechtlichen Schlag gewonnen, einen ganz gemeinen Kniff sage ich, und meine Augen sind ziemlich scharf. Trotzdem ließ das Schiedsgericht es gelten, und Sie hätten John Huxtable's Gesicht sehen müssen! Es war so grau wie ein Schleifstein. Er wußte nämlich, daß es eine Ungerechtigkeit war. Und darauf hätten Sie sehen müssen, wie er auf den zweiten Angriff losging. ›Ich hätte gewinnen können,‹ hörte ich ihn sagen, ›ich hätte es mit Leichtigkeit können, ich wollte nur den Abraham nicht versuchen, und ich will's auch nicht thun, wenn ich es irgend hindern kann.‹ Niemand von uns wußte, was er meinte, aber er ging wieder darauf los, und dreimal warf er den Sam Richardson über seine Schulter, und ich habe noch Niemand schöner auf die Sägspähne fallen sehen. Die Schiedsrichter wollten's aber nicht gelten lassen, bis er ihn vorwärts ganz herumwarf, wie man eine Erdscholle mit einem Spaten aufwirft; und dagegen konnten sie Nichts machen. Und jetzt soll es gerade zum letzten Mal losgehen. Wenn Sie ihn also sprechen müssen, so bleibt Ihnen Nichts übrig, als mit hineinzukommen. Vielleicht versucht er Abraham, wenn er Sie sieht. Ah! Sie haben sich gepackt!«
Ein stürmisches Rufen drinnen zeigte irgend eine Krisis an. Mr. Shelfer zog mich in seiner Begeisterung ohne sich seines Thuns bewußt zu sein, mit fort, so sehr ich mich sträubte, einen solchen Platz zu betreten. Kaum war ich innen, so wurde ich von der Menschenmasse vorwärts gerissen, und das Schauspiel war großartig und aufregend.
Im Mittelpunkt einer von Stricken begrenzten und von zahllosen, in gespannter Erwartung glühenden Gesichtern umgebenen Arena standen zwei mächtige Gestalten – die stärksten Männer Englands und vielleicht der ganzen Welt. Ein loses Wams aus festestem Leinen vom Halse weit zurückgeschlagen, mit kurzen Aermeln und vorn offen zeigte den stämmigen, breiten Nacken, die kräftig gewölbte Brust und die Sehnen des ausgestreckten Armes. Beinkleider von starkem Drillich, die mit einem Gurt um den Leib und an den Knieen mit Riemen befestigt waren, umschlossen die riesigen Glieder so knapp und doch bequem, daß jede Muskel und Sehne hervortrat. Die mit Sägespähnen befleckten dünnen weißen Strümpfe wölbten und dehnten sich über den vorspringenden Muskeln der gewaltigen Waden und der breiten Schienbeine.
Wie das Hurrahrufen angezeigt, hatten sich Beide gefaßt oder gepackt, ein Vorgang, der mit großer Ueberlegung und erst nach vielen Finten ausgeführt wird, indem Jeder sucht, den besten Griff zu erlangen. Wo ich mich befand und was mit mir vorging, war mir sofort ganz gleichgültig; so ungetheilt wurde mein Interesse von dieser seltenen und großartigen Probe herrlicher Stärke, geschulter Gewandtheit und wetteifernden männlichen Muthes gefangen genommen.
In taktmäßigem Schritt bewegten sie sich rings um den Kreis herum, auf Armeslänge von einander entfernt, in vorsichtiger Haltung die Kraft zum Angriff oder Pariren erwägend. Mit der Linken hielt Jeder das Wams des Anderen zwischen Hals und Schulter gepackt, den rechten Arm hatten Beide leicht gebogen, und wie ein die Flügel regender Schmetterling zuckte Jedem die Handfläche. Keiner wagte die Pupille von der des Andern abzuwenden, denn, waren sie auch nicht gleich gebaut, so kannte doch Jeder des Gegners Kraft. Der nordische Kämpe war mindestens drei Zoll höher als der Sohn Devon's, ebenso breitschultrig und von gleich vollem Gliederbau, aber nicht so gedrungen und stramm in den Gelenken, nicht ganz so stämmig von Hüften und Lenden. Er konnte aber weiter reichen und machte sich diesen Vortheil möglichst zu Nutz. Auf der Brust trug er die Spur eines Griffes, der aussah, als rühre er von einer Bärentatze her, und sein zwar schönes und männliches Antlitz hatte einen ziemlich wilden und feindseligen Ausdruck.
Der Pächter lächelte – ein treuherziges aber gespanntes Lächeln. Zum ersten Mal war er einem Manne begegnet, der ihm an Kraft fast gleich kam, und von einer einzigen Bewegung seiner Ferse hingen wenigstens vierhundert Pfund ab, und, was ihm mehr als vier Millionen galt, der Ruhm seiner Heimath. Ueber ihnen hing das Ehrenzeichen, der Gürtel des Kämpen, nicht vom Norden oder Westen, sondern von England und der Welt.
Plötzlich, ehe ich sehen konnte, wie es geschehen, hielten sie sich zum entscheidenden Kampfe umklammert. Brust gegen Brust und Schenkel an Schenkel zerrten, stießen und keuchten sie. Obgleich ich Nichts von der Kunst verstand, sah ich, daß der Nordländer den besten Griff gewonnen hatte, und als sein Riesenarm meinen Freund umschlang, zitterte ich vom Kopf bis zu den Füßen. Auch die Partei des Nordländers sah es und ein lautes Hurrah erscholl. Darauf erfolgte tiefe Stille und jedes Auge verrieth Spannung. Obgleich riesige Arme ihn umklammerten und Titanenbeine sich gegen ihn stemmten, rührte er sich nicht von der Stelle – John Huxtable stand wie ein Mauerpfeiler. Er versuchte nicht, den Anderen zu werfen, in seiner Lage durfte er es nicht. Er war aber entschlossen, zu stehen, und er stand aus Leibeskräften. Vergeblich zerrte, bog, stieß, hob und arbeitete der Riese, bis ihm die Augen aus dem Kopfe zu treten drohten. Er erlangte Nichts weiter, als daß aus den breiten Devonshirer Waden Wulste und Buckel hervorquollen und der Griff sich noch fester spannte, der die nordischen Rippen zu zerbrechen drohte. Eben so gut hätte eine Schlange einen Eichbaum, den sie umringelt, zu entwurzeln vermocht.
Wie diese Probe großer Standhaftigkeit immer länger und länger währte, erhob sich ein Beifallssturm von Freund und Feind, von Norden, Osten und Westen. Selbst ich konnte mich nicht enthalten, mit den schwachen Händen zu klatschen. Die Prüfung war indessen ihrem Ende nahe. Die Kräfte des Angreifers ließen nach; ich hörte, wie er unter der furchtbaren Anstrengung nach Athem rang. Durch große Geschicklichkeit hatte er jenen Griff erlernt und mit Sicherheit durch denselben zu siegen erwartet, da er ihm noch nie fehlgeschlagen hatte. Der Pächter war ihm jedoch zu zähe. Letzterer wartete seine Zeit ab und seine Kräfte wuchsen, während die des Andern erlahmten. Endlich hob er diesen vom Boden empor und warf ihn flach auf den Rücken, so platt, wie nur je ein Eierkuchen in der Pfanne gelegen. Ein donnernder Applaus erfolgte, und ich konnte mich kaum enthalten, in das Rufen einzustimmen.
Mit Erstaunen bemerkte der Pächter mich, als er sich nach allen Seiten verbeugte, und inmitten des Tumults und Lärmens, wodurch das Zeltdach so erschüttert ward, daß es gleich einem Lerchenfittig flatterte, rannte er geradewegs auf mich zu. Doch plötzlich blieb er stehen, denn er dachte jetzt erst an seine übel zugerichtete äußere Erscheinung, und er würde erröthet sein, wenn er nicht schon feuerroth gewesen wäre. Durch solche Thorheit ließ ich mich nicht beirren. Ich rief ihn bei seinem Namen, ergriff seine Hand und gratulirte ihm von ganzem Herzen.
»Aber, Pächter, ich brauche Ihre Hülfe ohne Verzug, es handelt sich um Leben und Tod.« Beany Dawe und die Kinder kamen heran, aber ich nahm mir nur Zeit, Sally zu küssen, dann schob ich sie sämmtlich bei Seite. »Wenn Sie Ihr Versprechen noch im Gedächtniß haben, so machen Sie sich sofort zu einer Reise bereit und kommen Sie schleunigst in meine Wohnung. Wir müssen London um zwei Uhr verlassen, meinem Onkel das Leben zu retten.«
Mr. Huxtable sah sehr bestürzt aus, und sein Verständniß zeigte sich für einen Augenblick wankender als seine Beine. Inzwischen kam Sally wieder heran, ergriff meine Hand und richtete eine stumme Bitte an mich, wenn auch nicht sie, doch wenigstens ihr Kostüm einiger Beachtung zu würdigen, das eine Zusammenstellung von Violet, Indigoblau, Grün, Gelb, Orange und Roth bildete. Ich konnte sie nur abermals küssen.
»Oh, bitte, kommen Sie, Pächter Huxtable, kommen Sie sofort, ich beschwöre Sie darum. Sonst muß ich allein und hülflos abreisen.«
»Das sollen Sie nicht, mein Kindchen, oder Sie können den Jan Huxtable einen großen Lümmel schelten.«
»Mit Verlaub, Sir, ich soll Ihnen sagen, daß die Schiedsrichter es für keinen gültigen Fall erkannt haben, und Sie müßten sich noch einmal stellen.«
Der Mann richtete seinen Auftrag mit beschämter Miene aus. Selbst er wußte es besser. In meiner Hast war mir ein ominöses Lärmen und Zischen entgangen, das von einer Gruppe Männer auf den Bänken drüben herrührte.
Das Antlitz des Pächters werde ich niemals vergessen. Es wurde, als er die Wahrheit langsam erfaßte, majestätisch von ehrlicher Entrüstung. Der Grimm eines starken Mannes über Betrug und falsches Spiel thronte erhaben auf seiner Stirn.
»Um der Kinder willen,« stotterte er endlich, »nur um der armen Kinder willen – sonst würde ich es nimmermehr thun, verdammt, wenn ich es thäte, Miß Clara. Man kommt sich selber wie ein Schuft und Spitzbube vor.«
Mit aller Kraft seiner mächtigen Stimme, daß jede Falte des Zeltes zitterte und jedes Herz angstvoll bebte, rief er sodann:
»Männer von London, wenn ihr Männer seid, bei Euch kann Niemand auf gerechte Sache zählen. Das kommt nur von Eurem Wettschwindel auf ein Sport, von dem Ihr Nichts versteht. Ihr habt mir fünfhundert Pfund geboten, ehe ich hierherkam, um dem Nordländer meinen Rücken zu verkaufen. Er ist ein braver Kerl und der beste Ringkämpfer, den ich je angetroffen habe. Aber Ihr seid Spitzbuben und feige Memmen, und kein ehrliches Sport kann bei Euch gedeihen. Euren verdammten Gürtel will ich nicht, er wäre eine Schande für meine Familie und soll nicht neben dem Devonshirer und Cornwaller Leder hängen. Aber Euren Mann will ich noch einmal zu Boden werfen und noch Sechs von Euch dazu, wenns gewünscht wird.«
Dann bat er mich, als echter Gentleman, der er war, um Entschuldigung, daß er sich von seinem gerechten Zorn hatte fortreißen lassen und Aller Augen waren auf mich gelenkt, da ich neben ihm stand.
»Aengstigen Sie sich nicht wegen der Zeit, Miß Clara, ich lasse Sie nicht zwei Minuten warten. Diesmal gebe ich ihm Abrahams Schnürband. Sie haben mich dazu getrieben, da wir keinen Augenblick versäumen dürfen.«
Stolz trat er in die Arena zurück und der nordische Riese stellte sich ihm etwas beschämt gegenüber. Diesmal fand keinerlei Vorspiel statt. Mit dem Rufe an das Publikum: »Nun, Ihr Londoner, seht her, ob dies ein Wurf ist,« stürzte er stracks auf seinen Gegner zu, packte ihn mit einem eigenthümlichen Griff um den Leib und wirbelte ihn in solcher Art über seine linke Schulter, daß er sich im Kreise drehte und im nächsten Moment starr und steif auf dem Rücken lag. Er schien allerdings todt zu sein, und ein Dutzend Wundärzte stürzten unter dem entsetzten Schweigen der Menge herbei, einige trafen schon Vorkehrungen zu einem Aderlaß, als der Pächter sie bei Seite schob. Er wußte, daß der arme Mann nur von der Erschütterung des Rückgrats betäubt war. Traurig über den Besiegten gebeugt, sprach er mit Thränen in den ehrlichen Augen:
»Ich würde es nicht gethan haben, Junge, wahrlich, Du kannst es mir glauben, wenn sie mich nicht dazu gezwungen hätten. Und auch Du hast Nichts dagegen gesagt. Es ist ganz ordnungsmäßig zugegangen, es thut mir so schrecklich weh. Den Kunstgriff hat ein tüchtigerer Mann als ich erfunden und er wird ›Abraham Cann's Schnürband‹ genannt. Ich will ihn Dir zeigen, wenn wir uns wieder einmal begegnen. Nun nimm den Gürtel, Mann, da hast Du ihn,« (er sprang empor und riß ihn mit sehr geringem Respekt herunter) »ich trete ihn an Dich ab. Sie scheinen ja Alle zu wünschen, daß Du ihn kriegst, und Du bist auch brav genug, ihn zu verdienen. Und ich will nicht mehr ringen; Jan Huxtable's Zeit ist vorüber. Deine Hand alter Bursche. Wir Beide treffen nicht wieder zusammen; Du müßtest denn in unsere Gegend kommen. Wir haben jetzt Keinen, der Dich schlagen könnte, da ich den Ringkampf aufgegeben habe und für immer. Wir haben guten Cider und Speck auf Tossil's Barton. Schlage ein wie ein Mann, und keine Feindschaft um dieses kleine Mengdöwer.«
Er wollte vielleicht Handgemenge und Manoveuvre zusammen ausdrücken. Sam Richardson, der allmählich wieder zu sich gekommen, streckte seine große ganz bleiche, feuchte Hand aus, und John Huxtable erfaßte sie zärtlich, während ein so stürmischer Jubel losbrach, daß ich glaubte, das Zelt würde über uns zusammenstürzen. Selbst in Shelfer's scharfem Auge glänzte eine Thräne. Beany Dawe's dithyrambische Feierlichkeit zerstob in alle Winde, und er sang und tanzte Cassandra und Chor in einer Person, doch ohne Versmaß und Takt, während Sally Huxtable ihre sämmtlichen Regenbogenfarben durch einen Thränenstrom verwischte.
Hunderte von Pfeifen, selbst die des stoischen Shelfer, wurden in dem Gedränge zerbrochen, das den Pächter umringte. Er aber zertheilte die Menge, wie ich Weidenruthen zur Seite biegen würde, und kam sofort zu mir. Ob durch seine Hülfe oder die Sympathie der Menge, weiß ich nicht genau zu sagen, aber ehe ich mich dessen versah, saß ich in einer Droschke, Sally neben mir und Mrs. Shelfer auf dem Bock, während sich des Pächters Gesicht am Fenster zeigte.
»In zwanzig Minuten, Miß, bin ich dort und bereit, mit Ihnen zu gehen, wohin Sie wollen. Es ist noch nicht ganz ein Uhr. Ich muß mich, ehe ich mit Ihnen reise, Miß, erst anständig kleiden und mir das Geld für die Kinder auszahlen lassen, das heißt, wenn die Londoner ehrlich genug sind, um zu bezahlen. Jan Huxtable bekommt London nicht wieder zu sehen.«
Unter den Hurrahrufen Tausender fuhren wir im Galopp nach der Albert-Straße.