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Neuntes Kapitel.

Ein gewagter Ausweg.

 

Als ich erwachte, stahl sich die Morgendämmerung schwach durch die versperrten Fenster. Oh! Wie sehnte ich mich nach einem Luftzug, selbst nach einem solchen, wie London ihn gewährt! Von der verdorbenen Luft schmerzte mir der Kopf und meine Augen waren geschwollen. Meine Hände, Arme und selbst Schultern waren steif in Folge der übergroßen Anstrengung. Als ich so voller Mattigkeit den so mühsam erarbeiteten Mauerstein betrachtete und den Zustand meiner zarten Hände bedauerte, war ich geneigt, es aufzugeben, bis ich an Alles dachte, was auf dem Spiel stand: Mein armer Onkel befand sich durch meine verwegene Tollheit in tödtlicher Gefahr; Conrad war, wie der Mörder mir zu verstehen gegeben, ebenfalls in bedenklicher Lage; auch für mein Leben mußte ich fürchten. Es konnte eine Woche währen, ehe jenes Ungeheuer zurückkehrte, und ich war überzeugt, daß ich nicht länger als drei Tage in dieser Giftatmosphäre leben könne. Ich litt an einer so entsetzlichen Beklemmung, daß ich auf jeden Fall ein Fenster zu zerbrechen beschloß. Den Versuch hatte ich schon am Abend gemacht, doch waren sie mir zu hoch und ich hatte keinen Stock, denn die Stangen, auf denen das unglückliche Meerschwein ruhte, vermochte ich nicht zu berühren. Jetzt besaß ich ein gutes Wurfgeschoß, und nach einigen durch die dichten Eisenstäbe vereitelten Versuchen schleuderte ich den Ziegel durch das Glas. Derselbe hob den Sack etwas, und ich gewann mehr Licht und einen frischen Lufthauch. Die Trübung des Glases, welche durch die giftigen Dünste hervorgerufen war, klärte sich sogar im Umkreis der zerbrochenen Stelle ein wenig.

Cora schlief unzweifelhaft noch ganz fest und der Krach störte sie nicht. So begann ich meine Thätigkeit von Neuem und arbeitete unverdrossen bis zur Frühstückszeit. Wenn ich nur gegen Mittag hinaus gelangte, so konnte ich den Zug benutzen, der um zwei Uhr abging! Als ich meine Kerkermeisterin erwartete, verbarg ich die sieben Steine, welche ich herausbekommen (je größer die Oeffnung wurde, desto schneller konnte ich arbeiten) unter dem Meerschwein und befestigte meine Bettdecke über dem Loche in der Mauer. Nachdem ich mich einigermaßen an der Milch erquickt hatte (essen konnte ich in der Pesthöhle nicht), ging ich wieder an meine Arbeit und bereitete mich zu einem Angriff auf die zweite Reihe Mauersteine vor. Mit Hülfe des Steines hatte ich den Bankhaken aus dem Secirtisch gezogen und er leistete mir als Hammer und zugleich als Hebel vorzügliche Dienste. Mit frischer Hoffnung begann ich.

Oh, grausame Enttäuschung! Die Steine der zweiten Reihe verband ein Cement, der fester war, als die Mauersteine selber. Höchst wahrscheinlich bildeten sie die äußere Wand, zu der Lepardo die neunzöllige Schicht Strecker hinzugefügt hatte. Ich war völlig verzagt; auch mein geliebtes Messer, das seine unwürdigen Dienste bisher mit dem Heldenmuth eines Märtyrers geleistet, brach jetzt kurz am Heft ab, und ich war nun ganz hoffnungslos und hülflos. Und wie stolz war ich auf meine Thaten gewesen! Nun blieb mir Nichts weiter übrig, als in einen Thränenstrom auszubrechen. Es geschah mir schon recht, weil ich das theure Messer meines Vaters so unerhört gemißbraucht hatte.

Ich weinte wohl eine Viertelstunde lang ehe mir klar wurde, welch großes Kind ich war. Nun begann ich mit Thränen in den geschwollenen Augen und mit Schluchzen, das mir heftige Brustschmerzen verursachte, abermals längs den Wänden meines Gefängnisses herumzutasten und zu suchen. Es war etwas mehr Licht vorhanden, als bisher. Dies verdankte ich theils der Stellung der Sonne, theils der Lage des Steines, welcher den Sack etwas vom Fenster zurückgeschoben hatte. Gerade jenem Fenster gegenüber auf einem Gesims lag ein alter gallicht aussehender Pinguin und daneben erspähte ich die Ecke einer kleinen Schachtel, die von Werg und mottenzerfressenen Federn fast bedeckt war. Als ich eifrig danach griff, sah ich, daß es ein Feuerzeug war. Aber ach! wie leicht! Mit zitternden Händen öffnete ich es. Nur drei starke Streichhölzer fand ich darin. Das kostbare Blau haftete aber noch an ihnen. Welchen Nutzen jedoch konnten sie, selbst wenn sie sich trocken genug zum Zünden erwiesen, für mich haben?

»Allen Nutzen der Welt,« sprach die Hoffnung auf die Thür deutend, »wärest Du so gescheidt gewesen, Clara, die Thür mit dem Messer anzugreifen ehe es zerbrach, so hättest Du sie um diese Zeit schon durchbohrt haben können. Das ist jetzt freilich unmöglich, aber warum willst Du sie nicht niederbrennen?«

Jedenfalls wollte ich es versuchen, das heißt, wenn die Streichhölzer zünden würden. Am Abend hatte ich auf dem Boden in der Nähe des Krokodils einen Lichtstumpf gefunden. Also jetzt an's Werk. Ich brauchte nicht zu befürchten, daß die alte Cora den Rauch riechen würde, denn sie brachte den ganzen Vormittag, wie ich recht gut wußte, in einer kleinen Kapelle zu, die sie sich ganz oben im Hause errichtet hatte. Der Gefahr des Erstickens setzte ich mich freilich aus, es war jedoch noch besser, an Holzrauch als an diesen giftigen Dünsten zu sterben.

Um das Holz, welches hart und fest war, besser zum Brennen geeignet zu machen, schabte ich vom Boden aufwärts fächerförmige Linien mit Hülfe meiner Messerklinge hinein. Diese flachen Rillen rieb ich mit einem von meiner Kerze abgeschnittenen Stückchen Talg ein. Als dies geschehen war, zerbrach ich mit so wenig Geräusch wie möglich noch einige Fensterscheiben, um dem Feuer mehr Luft zuströmen zu lassen. Dann raffte ich so viel Wolle und Werg, wie ich erreichen konnte, nebst einem Stoß Papier zusammen und netzte es, obgleich mir übel davon wurde, mit dem ranzigen Fett des Meerschweines. Nun schickte ich mich mit klopfendem Herzen an, die Streichhölzchen zu probiren, von denen Alles abhing. Ich war so vorsichtig gewesen, sie auf meiner Brust zu erwärmen und ich hoffte, daß sie dadurch ein wenig getrocknet seien. Das erste leuchtete, als ich damit über das Sandpapier strich, einen Augenblick auf, versagte jedoch; das zweite entzündete sich knisternd, die Flamme erlosch indessen, ohne das Holzstäbchen zu ergreifen. Das dritte – ich war so erregt, daß ich nicht wagte, es anzustreichen, sondern mit Zittern darauf hinblickte. Nicht einmal zu athmen getraute ich mir, aus Furcht, der Phosphor möge davon feucht werden. Drei Menschenleben hingen vielleicht von dem Betragen dieses Streichhölzchens ab! Mit einem verzweifelten Entschluß strich ich es endlich an – eine kräftige blaue Flamme schlug empor, und mein Licht war im Nu angezündet. Von meiner hohlen Hand beschirmt trug ich es im Zimmer herum, um nach irgend welchen Dingen zu suchen, die mir vielleicht nützlich sein konnten. Ha! eine wichtige Entdeckung! Hinter einer großen Katze fand ich eine Flasche mit Naphta, welches vermuthlich zum Absengen der Haare bestimmt war. Nun brauchte ich nicht mehr zu zweifeln, daß ich im Stande sein würde, die Thür niederzubrennen. Die einzige Furcht war die, daß ich auch mich selber verbrennen würde. Deßhalb gebrauchte ich das Naphta äußerst vorsichtig und behielt den größten Theil als ein letztes Hülfsmittel zurück.

Den Erfolg Gott anheim gebend, stellte ich meine Kerze sorgsam an die Thür gerade unter die Stelle, wo die von mir eingekratzten Linien ineinander liefen. Sofort züngelte die Flamme daran hinauf, das Naphta loderte prasselnd und zischend empor, und das blaue Licht zeigte alle Schrecknisse des Raumes in geisterhaftem Schimmer. Das Naphta war im Augenblick verbrannt; es schien wie Schießpulver zu zerstieben. Aus vorsichtiger Entfernung goß ich mehr dazu, und bald hatte ich die Freude, eine richtige Flamme zu sehen. Die Talgmassen brannten jetzt, und das Holz begann zu glimmen. Einige Mal glaubte ich, von dem Rauch ersticken zu müssen, bis er in einer Wolke den Fenstern zuströmte und unter den Säcken hinausdrang.

Als das Feuer immer größer und größer wurde, legte ich mich, um die wenig noch vorhandene Luft athmen zu können, auf den Boden am äußersten Ende des Zimmers nieder, wo der lose Mörtel umhergestreut war. Ich fühlte mein Herz gegen die Pflastersteine pochen, und mein Athem wurde infolge der Furcht sowohl wie durch den Rauch immer kürzer. Verlor ich jetzt das Bewußtsein, oder mißglückte es mir trotz voller Besinnung, das Feuer zu löschen, so würde Nichts wieder von Clara Vaughan gehört werden; nicht einmal so viel würde von mir übrig geblieben sein, um eine gerichtliche Untersuchung über meinen Tod anzustellen. Ich mußte schmählich in dem Fett des fürchterlichen Meerschweines verbrennen, während das Krokodil und die übrigen grinsenden Bestien, die in dem Feuerschein so grauenhaft aussahen, mir Gesichter schnitten. Jetzt war es sicherlich Zeit, die höchste Zeit, das Feuer zu löschen, das heißt, wenn ich es konnte. Wenn es erst auf der anderen Seite der Thür überhand nahm, so hatte ich keine Hoffnung mehr, es mit meinen geringen Hülfsmitteln zu ersticken.

Ich war schon so in Angst, daß ich es kaum lange genug brennen ließ. Es sah sehr schön aus, wie die Flammen immer heller mit ihren biegsamen Zungen die für sie bereiteten Einschnitte hinaufleckten und ihre Strahlen einem aufbrechenden goldgelben Crocus glichen. Jetzt röthete sich das schwarze Holz, eine starke Hitze verbreitete sich, und das Feuer begann zu prasseln und zu knattern. Nun warf ich meine doppelt zusammengelegte Bettdecke mitten darauf und preßte mein Kopfkissen darüber. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es mir, die Flammen zu dämpfen und ein grauer Qualm trat an ihre Stelle. Ich entfernte die versengte Decke und ließ die Gluth ruhig um sich greifen.

Der Verkohlungsprozeß ging wohl eine Viertelstunde lang ganz artig vor sich, und der Geruch erinnerte mich an Freudenfeuer und Bratkartoffeln. Ich arbeitete mit dem Bankhaken munter darauf los, bis ich sah, daß ein großes Stück der Thür einem heftigen Angriff weichen würde. Deßhalb trat ich zurück, rannte mit meiner Ferse kräftig dagegen an, und unter einem Sprühregen von Funken und Staub flog ein großes Dreieck hinaus.

Auf die Gefahr hin, in Brand zu gerathen, obgleich ich mich möglichst zusammenschmiegte, zwängte ich mich durch das Loch in der Thür und sah mich der alten Cora gegenüber.

Sprachlos vor Schreck fiel sie auf die Stufen zurück und wälzte sich wie in Krämpfen. Ich glaubte, ihre schwarzen Augen würden aus den Höhlen springen. So wenig Zeit ich übrig hatte, konnte ich sie doch nicht so verlassen. Ich lief nach dem Pumpentrog und holte Wasser, mit dem ich zuerst das Feuer löschte und dann die Krämpfe der armen Cora beruhigte. Ich kann ihre Ausrufungen nicht wiederholen; sie würden unseren Ohren zu gottlos klingen. Die mildesten indessen waren die folgenden, welche in unserer Sprache schwach wiedergegeben etwa lauteten:

»Heilige Madonna, barmherzige Mutter Maria, nimm Dein segensreiches Herz zurück! Nimm es um des Gottes willen, der Dich geliebt, und zertrete den Leib der Sünderin, welche es stahl. Du kommst durch die Flammen der Hölle, um es zu holen, Du heilige Mutter Gottes, sieh', ich halte es Dir entgegen.«

Ich nahm mein Cordis mit Vergnügen an mich, und überließ es der alten Dame jetzt, wo keine Gefahr mehr vorhanden war, ihre fünf Sinne in Ruhe wieder zu sammeln; denn ich durfte keine Minute mehr versäumen.

Als ich Mrs. Shelfers Haus betrat, schlug die Thurmuhr auf dem Platze Zwölf. Um Zwei mußte ich auf dem Bahnhofe sein, sonst hätte ich ebensogut in meinem Kerker bleiben können. Obgleich der Rauch den eckelhaften Geruch etwas verringert hatte, unterbrach ich die kleine Frau in ihrer Anrede – »Himmel, Miß Vaughan, wo in aller Welt sind Sie gewesen? Mr. Chumps, der Schlächter –« mit dem Zuruf: »Sofort ein Bad, so viel Wasser Sie im Hause haben! Meine Kleider, die ich Ihnen hinauswerfen will, verbrennen Sie im Garten.«



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