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Erstes Kapitel.

Wieder ein Brief von Sally.

 

Auf meine ernstlichen Vorstellungen gab mein Onkel den Vorsatz auf, die Pächter eigens zusammen zu berufen, und meine Einführung sollte bei dem nahebevorstehenden Johannimahl stattfinden. Die Londoner Sachwalter hatten ein Dokument ausgefertigt, in welchem die Thatsachen berichtet und mir als der Erbin meines Vaters die sämmtlichen Güter zugesichert waren. Mein Onkel wünschte außerdem, mir sein ganzes bewegliches Eigenthum mit Ausnahme von 10,000 Pfund zu verschreiben, welche er seinen Kindern, falls dieselben jemals gefunden würden, reserviren wollte, um sie in den Stand zu setzen, ihre Rechte in Corsika festzustellen. Wenn der Sohn im Besitz seiner Erbschaft war, sollte die Tochter das Geld erhalten, und ihr Bruder die Kosten zurückerstatten. Hiervon wollte ich Nichts hören; es wäre mir wie ein Raub meinerseits erschienen. Durch seine Klugheit und Sparsamkeit hatte mein Onkel während seiner neunjährigen Verwaltung mehr denn 50,000 Pfund aus dem Ertrage der Güter erworben; aber auch den Werth der letzteren mindestens um den gleichen Betrag erhöht, indem er die von meinem Vater begonnenen Verbesserungen in tüchtigster Weise ausgeführt hatte. Das Ganze galt jetzt für das am besten verwaltete Besitzthum in Gloucestershire.

Als er in so höchst ehrenhafter Weise auf seine ihm gesetzlich zustehenden Rechte verzichtete, wäre es mir darum schrecklich schäbig und einer Vaughan durchaus unwürdig erschienen, hätte ich ihm noch die rückständigen Pachtsummen angerechnet. Ich bat ihn, das ganze Geld seinen armen Kindern zu lassen und stellte nur das unnöthige Verlangen an ihn, die Scheinheilige mit keinem Heller zu bedenken. Dann drang ich noch in ihn, seine Vormundschaft und Verwaltung, wenn seine Gesundheit es gestatte, bis zu meiner Großjährigkeit, also noch zwei und ein halbes Jahr, fortzuführen. Da er bemerkte, wie ernstlich ich es wünschte, gab er mir das Versprechen mit einem melancholischen Lächeln, indem er hinzufügte, daß er hoffe, seine Kinder vor Ablauf dieser Zeit zu finden, wenn er sie überhaupt noch sehen solle.

Als die Pächtermahlzeit vorüber war, führte mich mein Onkel, der wie gewöhnlich nicht daran theilgenommen, in die große alte Halle. So schwach er war, betrat er den Raum mit einer Anmuth und Würde, welche man selbst bei Fürsten nicht oft findet. Das Abendessen, wie die Pächter es nannten, hatte um sechs Uhr begonnen, und jetzt schien die Abendsonne durch das westliche Fenster und stahl sich zwischen halbausgebildeten Trauben und Weinblättern in die offene Eingangsthür, den Fußboden mit einem Blättermuster bedeckend. Die ganze Halle war mit Rosen geschmückt, keine andere Blume war vorhanden. Wer hätte letztere aber vermißt, wo jede irgend bekannte Rosenart vertreten war? Selbst die helle, gelbe korsikanische Felsenrose fehlte nicht, die Blüthe jener Sinnpflanze, deren sämmtliche Blumen sterben, wenn ihr eine einzige geraubt wird. Von undenklichen Zeiten her hatte sich noch die feudale Sitte der Huldigung durch die Rose in unserer Familie erhalten.

Als wir eintraten, erhoben sich alle Gäste, was mich etwas nervös machte, obgleich ich jeden der Anwesenden von meiner Kindheit an kannte. Dann sprach mein Onkel, auf mich gestützt, einige anspruchslose, schlichte Worte. Was er sagte, war längst bekannt und in jedem Hause des Dorfes gründlich besprochen. Als er geendet, führte er mich zu dem großen Staats-Sessel von schwarzem Eichenholz, und überreichte mir eine Rose. Dann brachte er meine Gesundheit aus. Als ich die Rose, eine herrliche, halberschlossene Moosrose, dem Gebrauche gemäß küßte und an meiner Brust befestigte, erscholl ein solches Hoch, ein so echt englisches Hurrahrufen, daß es vom jenseitigen Ufer des fernen Severn's zurückgehallt sein muß. Im ersten Augenblick war ich ganz erschreckt, dann brach ich in Thränen aus bei dem Gedanken, wessen Stuhl ich einnahm und wessen Andenken aus diesem kräftigen Hochruf wiederhallte. Es war nicht allein die Gerechtigkeitsliebe oder die Theilnahme für ein hülfloses Mädchen, das jene biederen Gemüther bewegte, sondern auch die Erinnerung an denjenigen, der so freundlich, bescheiden, gütig und gerecht, mit einem Wort ein Gentleman gewesen.

Aber als sie Einer nach dem Andern zu mir kamen, um Erlaubniß baten, mir die Hand reichen zu dürfen, und mir von ganzem Herzen Glück und ein langes Leben wünschten, ersah ich, daß ich in einer Beziehung Recht hatte; ich kannte sie besser als mein Onkel. Anstatt ihm, wie er erwartet, kalt und unhöflich zu begegnen, erdrückten sie ihn fast durch ihre Bewunderung und Lobeserhebungen. Aber bei dem Allen darf ich nicht verweilen, meine Geschichte eilt und ihr Pfad führt nicht durch Rosen.

Annie Franks, die noch bei uns war, und entschlossen war, zu bleiben, bis sie alle Ritterromane beendet hatte, und die wir so lieb gewonnen, daß wir wünschten, dieselben möchten für immer dauern, Annie Franks brachte mir am darauf folgenden Tage zwei Briefe, die sich in »der guten Gesellschaft« seltsam ausnahmen. Den Einen erkannte ich sofort als von Tossil's Barton kommend, obgleich die Namenszüge erstaunlich und die Bleistiftlinien ausgelöscht waren. Der Andere, ein von weit weniger Ehrgeiz und Fleiß zeugendes Werk, war mir vollständig fremd. Deßhalb griff ich zuerst danach; trotzdem will ich diesen Brief zuletzt besprechen, da er die stürmische Aera eröffnet.

Das Geplauder der lieben Sally will ich nicht ganz auftischen. Wäre es selbst für Andere so interessant wie für mich, so habe ich weder Raum noch Zeit für ländliche Tändeleien, wie Idyllen von Timothy Badcock, und nicht einmal für die regelrechten Jamben Ebenezer Dawe's. Um gerecht und genau zu sein, will ich den Brief aber doch nicht gänzlich übergehen. Die Adresse war merkwürdig. Der Pächter befürchtete stets, nicht deutlich genug zu sein, denn er glaubte, daß die Briefe in ganz England wie in dem Kirchspiel Trentisoe abgeliefert würden, wo alle, außer denen für den Pastor und den Pächter in Tossil's Barton, beim Peter Will, dem besuchtesten Schenklokal, in das Fenster gestellt wurden, und zwar so, daß sie auf dem Kopf standen. Die Idee war sinnreich und originell; sie entstammte dem königlichen Postjungen, dem Mrs. Huxtable einen Schlag an den Kopf gegeben hatte. Die Namen würden verkehrt herum von Niemand gelesen werden, als von dem Besitzer des Namens und folglich auch des Briefes. Ob die Erfindung eine gute ist, weiß ich wegen mangelnder Erfahrung nicht zu sagen; nur so viel spricht dafür, daß Niemand sich die Mühe machen wird, der keinen Brief erwartet, er sei denn ein besonderes Genie, und vor einem solchen ist Trentisoe ganz sicher.

Auf dem vorliegenden »papiernen Geschreibsel« waren außer den ausführlichsten Namens- und Ortsangaben und einer langen Beschreibung meiner Person noch folgende Drohungen zu lesen:

»Dieser Brief soll nicht von unterst zu oberst in einer Schenke aufgestellt werden. Sie ist nun wieder in ihrem eigenen Hause, Gott sei gelobt, und zum Henker mit denen, die sie hinausgejagt, sage ich. Also seid auf Eurer Hut, daß Ihr ihn sicher dort abliefert. Es ist eine Menge Geld darin, Joe kann es gern wissen, und in Gloucestershire wohnt ein Mann, der mich recht gut kennt, Namens Thomas Henwood. Nehmt Euch in Acht, sage ich. Ich nehme es mit Jedem von Euch auf. John Huxtable. Diesmal sein Name, kein Kreuz. Gott erhalte die Königin.«

So hatte der Pächter also wirklich schreiben gelernt, obgleich seine Kunst bis jetzt nur noch in den engsten Grenzen blieb. Von dem Obigen hatte er natürlich Nichts außer seinem Namen geschrieben. Der war aber sein eigen und machte ihm alle Ehre, trotzdem er beinahe einen Kreis beschrieb.

Nach den wärmsten Glückwünschen, und einer an die zurückgesandten fünf Pfund Zinsen geknüpften entrüsteten Anfrage vom Vater, ob ich ihn für einen Juden hielte, verschiedenen Anekdoten und einigen Berichten über die auf dem Markt in Ilfracombe verkaufte Butter fuhr Sally fort:

»Und nun, liebe Miß Clara, muß ich Ihnen etwas erzählen, das würden Sie in Ihrem ganzen Leben nicht rathen – Vater reist nach der Stadt London, und ich, Jack und Beany Dawe kommen mit. Keiner von uns hat, seit es bestimmt ist, auch nur so viel schlafen können, als wenn ein Schwein zweimal grunzt, ausgenommen Vater, der schläft immer ohne sich umzudrehen. Ich will Ihnen Alles erzählen, aber Sie dürfen es nicht weitererzählen, Miß Clara, weil gar zu viel Geld darauf steht, und, wie wir hören, haben sie es in eine Londoner Zeitung geschrieben, was sie auch hätten bleiben lassen können. Zwei große Edelleute, wohl die größten im Lande, haben untereinander auf Vater und einen gewaltigen Kerl von Ringkämpfer, den sie den Kämpen des Nordens nennen, gewettet. Da hat nämlich irgend ein hoher Lord aus dem Norden bei einer Mittagsgesellschaft – Sprecher-Mahl nannten sie es ja wohl, weil sie am nächsten Tage ein Taubstummen-Mahl hatten – den Sam Richardson als den stärksten Mann auf der ganzen Welt herausstreichen wollen. Nun hat unser Sir Arthur für Devonshire gesprochen und einen Berg Goldstücke darauf gewettet, daß er in Devonshire einen besseren Mann finden wolle. Was nun weiter festgesetzt wurde, das weiß ich nicht und ebenso wenig Vater oder Mutter, aber sie haben Vater aufgefordert, daß er diesen starken Nordländer um die Zeit der großen Ausstellung zum Ringkampf herausfordern solle, auf dreimal Werfen, und von jeder Seite sind zweihundert Pfund ausgesetzt. Das macht also vierhundert Pfund für uns, wenn Vater gewinnt, und dazu werden ihm noch alle Kosten ersetzt. Wie die Leute sagen, erlaubt die andere Partei kein Stoßen, er muß also wohl eine zarte Haut haben. Vater ist aber auch nicht daran gelegen, ihm etwas zu Leide zu thun, wenn er es hindern kann. Mutter will nicht gern, daß Vater hinreist, er aber sagt, er sei wegen der Ehre von unserem alten Devonshire dazu verpflichtet, die Leute müßten sonst glauben, daß kein Mann hier als Muster aufgestellt werden könne.

»Liebe Miß, wenn er das Geld nach Hause bringt, so komme ich zur Miß Bowdon in der Boutport-Straße, und unser Jack soll täglich in eine nur sechs Meilen entfernte Schule gehen. Dann wird er die Augen wohl hoffentlich etwas höher erheben, als zu Tabby Badcock. Denken Sie nur, Miß Clara, Sie werdens kaum glauben, aber am letzten Dienstag komme ich wirklich darüber zu, wie sie im Schuppen bei den Schweinen unseren Jack küßt. Und nach allem Guten, was sie bei Ihnen gelernt haben müßte! Jack rannte so roth wie eine Runkelrübe davon, aber sie, die unverschämte Dirne, stand so unschuldig da, wie ein Oelgötze. Ich sagte kein Wort, aber ehe sie es sich versah, hatte ich ihren Kopf in einen zur Hand stehenden Eimer mit Kälbermagen gesteckt, den wir zum Käsemachen gebrauchen. Ich hätte Ihnen gegönnt, sie zu sehen, Miß. Wie hat sie geschrieen, und gerochen hat sie eine ganze Woche danach. Bis zum Sonntag war Jack wenigstens kurirt. Mutter kam über dem Lärm heraus, aber sie sah, daß Tabby es verdient hatte, und sie machte sich Nichts aus dem verschütteten Lab.

Ich hoffe, Tabby hat jetzt ihre Stellung im Leben mit ihren Schafsaugen erkannt und wird sich nicht einfallen lassen, Jemand aus meiner Familie fangen zu wollen.

»Liebe Miß Clara, Vater wollte Mutter gern mit haben, sie aber sagte nein; ›bei all die vielen jungen Ferkel (sie hätte ›bei all denen‹ sagen müssen, nicht wahr, Miß?) und wo die braune Kuh täglich erwartet, und Suke gar keinen Kopf hat, und dazu alle Kinder und die kleine Clara (jetzt nennt sie sie schon Clara, Miß), woran denkst Du nur eigentlich, Pächter?‹ Darauf reibt Vater sich die Nase, Sie wissen doch noch Miß, wie er es immer thut, und sagt: ›Einer muß mit, London ist solch ein schlimmer Ort.‹ Mutter blickte darauf scharf nach ihm hin und sagte ganz patzig: ›Nimm Deine Tochter mit, Pächter Huxtable, wenn Du Dich respektabel halten willst.‹ Und so reise ich denn mit, aber ich wollte Jack nicht allein hier zurück lassen mit Tabby Badcock, jetzt, wo die schlaue Katze wieder schön mit ihm thun kann. Außerdem wollte ich, daß er sich selber ein Messer auswählen soll, das ich ihm versprochen habe, wenn er sich nicht mehr von Tabby küssen lassen will, ein Messer mit sieben Klingen und einem Korkzieher, wie er mal eins in Coom gesehen hat, und achtzehn Pence habe ich dafür angesetzt. Auch Beany Dawe muß mitgehen, um uns Bescheid zu zeigen und darauf zu sehen, daß wir uns nicht betrügen lassen, weil sein Vater selber mal in London war und ihm alles Mögliche erzählt hat, was er dort sah.

»Wissen Sie, Miß, daß Vater sich jetzt einübt – ›trainirt‹ nennt man es jawohl – wie ein Pferd. Neunmal den Tag läuft er mit unserem besten Bett auf dem Rücken den Breakneck-Berg herauf und herunter und er trinkt weder Cider, noch Bier oder Gin und Wasser.

Mutter sagt, er ist kaum noch zu kennen, solche klare Haut hat er bekommen. Aber er sagt, die Hand zittere ihm noch von der Zeit her, als ich ihn schreiben lehrte, und, Miß, Sie sollten nur sehen, wie er sich dabei anstellt. Ich kann ihn weder dazu bringen, den Daumen richtig zu halten noch den Zeigefinger, und den Ellbogen bewegt er genau so wie Tabby; aber trotz alledem glaube ich doch, daß er es noch lernen wird, besonders, wenn er das Ringkämpfen aufgiebt, was er auch geschworen hat, wenn er den Mann aus Cumberland zu Boden geworfen, und bei Bibel und Gesangbuch bleiben wird.

»Bitte Miß, nehmen Sie es nicht für ungut, wir möchten Sie aber fragen, ob Sie dem großen Ringkampf wohl zuschauen würden. Vater sagt nein, es schicke sich nicht für Sie, und das wäre der schlimmste Nachtheil der Vornehmheit. Mutter aber findet nichts Böses dabei, und sie glaubt bestimmt, daß Vater seine Sache noch zweimal so gut machen würde, wenn Sie dort wären. Sie sollten den besten Platz neben den beiden Richtern haben, aber ich befürchte doch, daß es zu dreist von uns ist. Sie haben aber noch nie einen Ringkampf gesehen, Miß, und ich glaube bestimmt, Sie würden Freude daran haben. Er findet am nächsten Sonnabend über acht Tage auf dem Copenhagener Felde statt. Bitte, liebe Miß Clara, kommen Sie, es würde Ihnen gewiß gefallen, und Sie bekämen Vater, mich, Jack und Beany Dawe zu sehen.«

Die weiteren Ueberredungen Sally's brauche ich nicht zu berichten. Der zweite Brief war anderer Art:

» Geehrte Miß – Balak und ich, wir haben nach vieler Mühe und Arbeit bei Tag und bei Nacht und mit Aufgebung unseres Berufes endlich den Gewissen entdeckt. Persönliche Unterredung wäre wünschenswerth und je eher, je lieber. Ein Mehreres dem Papier anzuvertrauen halten nicht für gerathen

Ihre

gehorsamsten Diener
Balaam und Balak

Nachschrift. Balak sagt, eine kluge junge Dame würde bestimmt wissen, was recht ist, aber um allen Zufällen vorzubeugen, mit Verlaub, ein wenig von dem Baaren wäre erwünscht. Wir Beide haben zahlreiche Familie, und es hat bedeutend viel mehr Bier gekostet, als unser sonstiger Beruf. Niemand kann es auch nur ahnen, der es sich nicht versucht hat, und meistentheils schlechtes Bier. Für mich und meinen Compagnon zeichne

Balaam.«



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