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Siebentes Kapitel.

Hochmuth kommt zu Falle.

 

Ich befand mich in einem düsteren, unfreundlichen Zimmer mit drei hohen schmalen Fenstern. Cora zog sich schleunigst voller Furcht vor den Folgen ihrer That zurück. In einer Nische am anderen Ende des Zimmers vor einer Kiste von schwarzem Eichenholz saß der Mann, den ich suchte. Der Gipfelpunkt meines Lebens war gekommen. Alles, was ich mir einstudirt hatte, war vergessen; das vorherrschendste Gefühl in meinem Herzen war Verachtung, kalte, unergründlich tiefe Verachtung. Um ihm mein Antlitz deutlich zu zeigen, nahm ich den Hut ab und schritt in meiner hochmüthigsten Weise auf ihn zu.

Als er den Kopf herumwandte, sah ich, daß seine Stimmung schwärzer war, als das Eichenholz der Kiste vor ihm. Vielleicht befanden sich düstere Erinnerungszeichen darin. Hastig warf er den schweren Deckel herunter, als ich mit gemessenen Schritten näher trat.

»Ah, Miß Valence, die junge Malerin. Ich fürchtete schon, daß London Sie nicht wiedersehen würde. Denn heutzutage bedarf man, um lohnenden Erfolg in den schönen Künsten zu erwerben, entweder des Genius oder der Mode, jedenfalls mehr der letzteren. Darf ich Sie in das Gesellschaftszimmer führen? Ich habe nicht oft die Ehre, hier Besuche zu empfangen. Aber Sie kennen ja meine tiefe Ergebenheit gegen junge Damen, Miß Valence.« Und er streckte mir seine feine Hand entgegen.

»Lepardo Della Croce, mein Name ist nicht Valence. Ich bin Clara Vaughan, das einzige Kind des Mannes, den Sie in seinem Schlafe ermordet haben.«

Er wurde nicht blaß, sondern erdfahl. Sein leichter Gesprächston wich sofort. Meine dunklen Augen schmetterten ihn nieder, wie gebrochen sank er auf einen Stuhl. Eine Minute lang wagte er nicht, mich anzublicken; ein Zittern ergriff jede Fiber seines Körpers. Es war jedoch nicht Scham, die ihn überwältigte, sondern Bestürzung.

Plötzlich sprang er empor, und seine Augen begegneten den meinen. Da sah ich, daß seine Pupillen sich einander näherten, wie mein Onkel es beschrieben hatte. Ich sprach kein Wort, und fest ruhte mein Blick auf ihm. Jeder Nerv, jede Muskel meines Körpers war straff und fest gespannt. Ihm muß ich als die verkörperte Rache erschienen sein.

Endlich sprach er sehr langsam und mit zitternder Stimme:

»Sie haben kein Recht, mich nach Ihren englischen Begriffen zu richten. Sie verstehen mich nicht.«

»Ich richte Sie nicht. Gott allein soll Sie richten und bestrafen. Sie mordeten mit kaltem Blute einen Mann, der Ihnen nie ein Unrecht zufügte.«

»Kein Unrecht!« rief er in aufloderndem Triumph; »war es kein Unrecht, mir meine liebliche Braut und mein reiches Erbe zu stehlen, das edelste Blut Corsika's durch eine falsche Heirath zu schänden, und mich mit der Faust zu Boden zu schlagen! Selbst Eure Nation von Polizisten würde dies für einen Angriff halten.«

»Der Mann, an dessen Lager Sie sich während seines Schlafes geschlichen haben, hatte Sie niemals gesehen und nie Etwas von Ihnen gehört. Er war niemals in Corsika.«

»Was?« Seine Zähne schlugen aufeinander wie eine schlechtgenietete Feuerzange, er konnte sie nicht wieder trennen.

»Es ist die Wahrheit. Ich bedaure, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie vergeblich zur Hölle fahren werden. Sie konnten nicht einmal den rechten Mann ermorden.«

»Erklären Sie sich deutlicher.«

»Als Feigling, der Sie sind, haben Sie sich heimlich und verborgen herumgeschlichen, Ihren ganzen Verstand aufgeboten, einen Schlag zu thun, wie ihn ein schwaches Kind hätte ausführen können, sich hinter alten Kleidern, Betten und Hausgeräth versteckt, und, als Sie fortgingen, frohlockten Sie – worüber? – über den Mord des unrechten Mannes.«

»Wär's möglich?«

»Nicht allein das. Dem Manne, welchen Sie zu tödten beabsichtigt, haben Sie zu Reichthum und einer hohen Stellung verholfen. Er kam in den Besitz der Güter seines Halbbruders und ist jetzt reich und glücklich; die Kinder, welche Sie raubten, werden im Verein mit ihm über Ihre Vendetta lachen.«

»Halten Sie ein.«

»Katzen und Hunde können Sie lebendig transchiren, wenn ein Weib sie Ihnen festgebunden hat, und die armen Thiere Ihnen die Hände lecken wollen. Aber für mitternächtigen Mord, mag Ihr Opfer noch so fest schlafen, haben Sie nicht Nervenstärke genug. Sie zittern und beben so, daß Sie einen blonden Mann nicht von einem dunkeln unterscheiden können. Das ist doch gescheidt, nicht wahr? Und noch dazu für einen Professor.«

Ich sah, daß mein Hohn ihn wie eine Knute umschwirrte, deßhalb fuhr ich in demselben Tone fort:

»Natürlich war von Ihnen nicht zu erwarten, daß Sie sich Ihrem Feinde wie ein Mann gegenüberstellen würden. Wären Sie selbst ein würdiges Exemplar Ihrer heimtückischen Race, so würden Sie das nicht gekonnt haben. Sie hatten dazu den kräftigen Schlag der englischen Faust noch zu gut im Gedächtniß. Es freut mich, Sie läppisch nach Ihrem Dolche greifen zu sehen. Wer kann sagen, ob Sie nicht vielleicht Narr genug sind, ein wenig Selbstachtung zu zeigen?«

Ein schwarzer Schein zeigte sich unter seiner Haut, als wenn sein Herz ein Tintenfisch gewesen wäre. Hätte ich meine Blicke von ihm abgewendet, so würde er mich erstochen haben. Er sank gegen die eichene Kiste zurück. Meine Tollheit stieg mit meinem Triumph.

»Nein. Sie wagen es nicht, weil ich nicht schlafe. Nun, Lepardo Della Croce, ich will es Ihnen leicht machen. Wenn Sie tapfer genug waren, einen weißhaarigen Mann bei seinem Mittagsessen zu erschießen und einen Gentleman in seinem Bette zu erdolchen, so werden Sie doch sicherlich Muth genug besitzen, ein junges Mädchen hier auf dem Sopha zu erstechen. Ich will mich nicht bewegen, und ich fordere Sie dazu heraus.«

Ruhig lag ich in der Sophaecke und beobachtete ihn, aber so, als sei er es kaum werth. Er konnte seine Augen nicht von den meinen abwenden. Er glich einer Ratte vor dem Blick einer Schlange, während seine Hand unaufhörlich das Heft seines Dolches umklammerte.

»Was kann ich noch thun, um Sie zu ermuthigen? Würden Sie vorziehen, sich hinter der Gardine zu verstecken?«

Ich warf den Fenstervorhang über die Sophaecke, doch ohne ihn aus den Augen zu lassen. So ruhig ich blieb, muß ich dennoch toll gewesen sein, so verächtlich mit meinem Leben zu spielen. Darauf erhob ich mich, strich mein Haar zurück und wendete mich wie gelangweilt ab.

»Ich fürchte, Ihre Mordlust ist von den Qualen armseliger Hunde und Katzen übersättigt. Oder finden Sie nur bei kaltem Blute Geschmack am Morden? Aber ich bin Ihrer müde, Sie zeigen so wenig Mannigfaltigkeit. Wir werden Sie mit der Bemerkung ›Rimbecco‹ nach Corsika zurücksenden.«

Er sprang mit den Zähnen knirschend und den Dolch schwingend wie rasend auf mich zu. Ich sah ihm noch zu rechter Zeit in das Gesicht, während ich beide Arme schlaff herabhängen ließ. Hätte ich sie erhoben oder das geringste Zeichen von Furcht gegeben, so würde mein Leben dem meines Vaters auf der Stelle gefolgt sein.

»Ja,« sagte ich, als er innehielt, während der Dolch kaum eine Elle von mir entfernt war, »ein recht kühner Versuch, wenn man in Betracht zieht, was Sie sind, aber doch verlorene Mühe. Ich scheine übrigens das passende Wort getroffen zu haben. Gestatten Sie mir, den angenehmen Ausdruck ›Rimbecco‹ zu wiederholen.«

Ich sah, wie ich ihn reizte, aber sein Arm sank machtlos herab. Er blickte mich sogar demüthig an.

»Clara Vaughan –«

»Haben Sie die Güte, mich geziemend anzureden.«

»Miß Vaughan, Sie müssen einen mächtigen Grund haben, sich den Tod zu wünschen.« Er versuchte, mich durchdringend anzusehen.

»Sie sind vollständig im Irrthum. Es ist nur meine Verachtung eines erbärmlichen Feiglings und Mörders.«

»Ihnen gegenüber will ich keinen Versuch machen, mich zu rechtfertigen. Sie würden mich nicht verstehen können. Unsere Ideen gehen vollständig auseinander.«

»Das erlaube ich mir zu hoffen. Kommen Sie nicht in meine Nähe, wenn ich bitten darf.«

»Wenn ich Ihnen unwissentlich ein Leid zufügte, so will ich thun, was in meinen Kräften steht, um Sie zu versöhnen. Was schlagen Sie vor?«

»Sie in Mitleid für Ihre Verworfenheit und Feigheit frei ausgehen zu lassen. Wir verachten Sie zu sehr, um Sie anders zu behandeln.«

Dies schien ihn mehr in Erstaunen zu setzen, als alles Vorhergegangene. Es war klar, daß er mir nicht glauben konnte. Ein langes Schweigen folgte. Als ich den schlauen Schuft ansah, mußte ich ihn unwillkürlich mit seinem edlen Opfer vergleichen oder vielmehr kontrastiren. Ich dachte an den tiefen Gram und das Elend, welche durch seine gemeine Rache hervorgerufen worden. Ich dachte an seine brutale Grausamkeit gegen die armen Geschöpfe, die Gott in unsere Macht gegeben hat; und eine Rachsucht gleich der seinen bewegte mein kummervolles Herz. Sie war fortwährend darin vorhanden gewesen, aber ein größerer Einfluß hatte sie unterdrückt. Da er mich aufmerksam beobachtete, sah er den Wechsel im Ausdruck meiner Züge, und sobald die kalte Geringschätzung einer zornigen Wallung wich, war meine Macht über ihn geschwunden. Er ließ es mich aber nicht merken. Ich glaube bestimmt, daß er mich ungehindert hätte fortgehen lassen, wann und wohin es mir beliebte, und er nicht gewagt haben würde, mir zu folgen, wenn ich ihn bis zuletzt mit keinem anderen Gefühl als dem der Verachtung betrachtet hätte.

»Verstehe ich recht,« sagte er endlich, »daß Sie beabsichtigen, Nichts gegen mich zu unternehmen?«

»Wir halten es nicht der Mühe werth, Sie zu hängen. Für solches Verbrechen würde jede andere Strafe ein Hohn und ein Scherz sein. Sie haben einen guten und edlen Mann erschlagen, der so tapfer war, wie Sie feige sind. Durch denselben Schlag zerstörten Sie das Leben seiner Gattin, die noch einige Jahre siechte und vor Gram starb. Sie Beide waren von Gott geliebt, und Er wird sie zu seiner Zeit rächen. Nur Eins verlangen wir – daß Sie dieses Land sofort verlassen und einen feierlichen Eid ablegen, es nie wieder betreten zu wollen. Eine gute Seite besitzen Sie, wie ich höre – Sie halten Ihr gegebenes Wort.«

»Und wenn ich mich weigere, was dann?«

»Dann sterben Sie den Tod des Mörders. Wir haben stärkere Beweise, als Sie sich träumen lassen.«

Er hatte jetzt seine Geistesgegenwart und seine höhnische Weise wieder gewonnen. Sein Plan war fertig.

»Welch' tapfere junge Dame Sie doch sind, so ganz allein hierher zu kommen, und wo Sie solche geringe Meinung von dem armen Professor hegten!«

»Gerade aus diesem Grunde verschmähte ich Vorsichtsmaßregeln.«

Ein düsterer Strahl loderte aus der Tiefe seines schwarzen Auges empor.

»Sie müssen mich in der That gering schätzen, hierher zu kommen, ohne es Jemand zu sagen!«

»Natürlich. Aber ich hatte nicht früher die Absicht zu kommen, als bis der Geist meines Vaters mich leitete.«

Mit einem Schauder blickte er im Zimmer umher. Lily irrte sich nicht, als sie ihn abergläubisch nannte. Doch versuchte er das Grauen durch Spott zu verscheuchen.

»Und hat der gute, von Gott geliebte Papa es auch übernommen, Sie wieder fort zu geleiten?«

Da er sah, daß ich es verschmähte, ihm zu antworten, fuhr er fort: »Sie haben viel anmuthigen und äußerst würdevollen Hohn entfaltet. Jetzt will ich Ihnen dagegen ein wenig Geringschätzung bezeigen. Sie hatten die Güte, mir mitzutheilen, wenn mein Gedächtniß mich nicht trügt, daß Sie vortreffliche Beweise gegen mich besäßen. Ich will Ihnen noch einige dazu verschaffen, von denen Sie vielleicht Nichts ahnen. Treten Sie näher und untersuchen Sie diese Kiste.«

Er hob den Deckel der eichenen Kiste auf und stützte ihn. Für den Augenblick die Vorsicht vergessend, begann ich den Inhalt mit den Blicken zu verschlingen. Es waren nicht viele Dinge darin, aber alle waren merkwürdig. Mir erschienen sie wie Theater-Requisiten oder Maskengarderobe. Einige der Sachen waren verblichen und fleckig, manche waren mit einem silbernen Kreuz geziert. Mein Blick haftete an einem paar Stiefeln; auf der Sohle des einen bemerkte ich ein eingelegtes Metallkreuz. Ich näherte mich noch mehr, um es deutlicher zu sehen, als Etwas über meinen Kopf fiel. Ehe ich errathen konnte, was es war, hatte es mich von Kopf bis zu den Füßen umschlungen; im Rücken war es wie durch eine Schraube fest angezogen, und obwohl ich für ein Mädchen keineswegs schwach bin, konnte ich meine Arme so wenig bewegen, wie eine umwickelte Mumie. Ebensowenig konnte ich mit den Füßen stoßen, obwohl ich als Kind schon in dieser Kunst berühmt war. Hätte ich einen Fuß erhoben, so wäre ich kopfüber in die Kiste gestürzt, die groß genug war, um mir als Wohnraum zu dienen. Nur schreien konnte ich und that es, trotz meiner Tapferkeit, und nicht allein vor Furcht, sondern vor Schmerz, denn meine Brust war entsetzlich eingeschnürt. Ehe ich aber dreimal aufschreien konnte, lag ein Tuch über meinem Munde, das mir im Nacken fest zusammengeknüpft ward. So stand ich hülflos gefesselt im Hintergrunde der eichengetäfelten Nische. Ein leises Lachen drang in mein Ohr, aber die Hand auf meinem Rückgrat lockerte ihren Griff nicht im Geringsten. Durch eine heftige Anstrengung wendete ich den Kopf und sah dem Dämon in's Auge.

»Sehr hübsch sehen Sie aus, wirklich hübsch; ich muß einen Kuß haben trotz all ihrer Entrüstung, ehe ich mit Ihnen zu Ende bin. Ein ganz ähnlicher Anzug wird von irgend einem Tartarenstamm getragen. Habe ich Ihre stolze gerade Nase verletzt? Dann bitte ich ganz gehorsamst um Verzeihung. Ich möchte sie um Alles in der Welt nicht beschädigen, sie drückt so viel Verachtung aus. Nehmen Sie sich in Acht, Kind, Ihre Augenwimpern kommen durch das Garn.«

Ja, erniedrigendes Geständniß! Ich, für deren stolze Geringschätzung die Welt zu klein gewesen, war hülflos in einem Antimakassar Stoffüberzug für Möbellehnen, die den eigentlichen Bezug der Polster vor der Berührung mit dem Haar der Benutzer bzw. dem Fett, das dieses enthält, schützen sollen. gefangen, wie eine Mücke in einem Schmetterlingsfänger. Das Sopha, auf dem ich in so erhabener Ruhe zurückgelehnt und meinen Feind verhöhnt hatte, war mit einem sehr starken und langen Filetüberzug bedeckt. Diesen hatte er doppelt genommen und über mein stolzes Haupt geworfen. Ich habe nicht die Geduld, seine erbärmlichen Spottreden zu berichten. Genug, daß er, ohne mich zu befreien, nach Cora schellte, deren Augen gierig erglänzten, als sie sah, wie das Cordis von meiner Brust gelöst in dem Filet hing. Ihr Gebieter erlaubte ihr, es, für den Augenblick wenigstens, an sich zu nehmen. Zum Dank dafür war sie gewiß bereit, mich jederzeit zu erstechen, wenn ihr Herr es ihr befehlen würde. Auf seine Weisung band sie meine Knöchel zusammen, während er meine Arme von Neuem festschnürte und die Binde über meine blutenden Lippen anzog. Ich schloß die Augen und betete. Dann machte ich mich darauf gefaßt, wie schon so manche Vaughan von der Hand eines brutalen Feindes getödtet zu werden. Mein letzter Gedanke galt Conrad, dann schwanden mir die Sinne.



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