Hugo Bettauer
Der Kampf um Wien
Hugo Bettauer

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62. Kapitel

Hochzeitsglocken.

Die kommenden Tage waren ein Taumel in Freude und Glück. Es war ein wenig schwer, Frau Wehningen von all dem, was geschehen, zu überzeugen, als es aber doch so weit war, begann die arme Frau mit dem Bleistift in der Hand ununterbrochen die höchsten Ziffern mit 70.000 zu multiplizieren, wobei sie zu phantastischen Resultaten kam, denen sie absolut verständnislos gegenüberstand. Bis sie irgendwie und irgendwo vernommen hatte, daß der Dollar auch einmal sinken könne, ja, daß sogar immerhin die Möglichkeit bestände, ihn wieder wie im Jahre 1914 für fünf Kronen zu kaufen. Ralph gab sich die größte Mühe, ihr klar zu machen, daß dies für ihn, der ja wieder in Amerika leben werde, ganz gleichgültig sei. Klagend beharrte sie darauf:

»Eine Million Dollars sind heute siebzig Milliarden, und wenn daraus nur fünf Millionen werden, so bedeutet dies eben einen ungeheuren Vermögensverlust.«

Schließlich aber, als sie sah, wie Ralph ihre Tochter mit den kostbarsten Geschenken überhäufte, begann sie sich doch zu beruhigen.

Ralph war mit Hilde übereingekommen, ihr ständiges Heim in New York aufzuschlagen. Von dort aus würden sie die Welt bereisen, immer wieder nach Wien kommen, aber ihre Heimat sollte das junge, aufwärtsstrebende Amerika sein.

Hilde hatte in Wien zu Bitteres erlebt, um, wie Ralphs verstorbene Mutter, mit allen Fasern an dieser Stadt zu hängen.

»Es graut mir von Wien«, sagte sie einmal, »ich will, wenn ich nicht muß, die Entwicklungen, die sich hier vollziehen werden, nicht miterleben. Ich würde hier unseres Reichtums nie ganz froh werden können. Neid und Haß liegen in der Wiener Luft, die Atmosphäre ist vergiftet, jeder, der nichts hat, ballt die Faust gegen den, der etwas besitzt, und der, der etwas hat, schleudert denen, die mehr besitzen, seinen Fluch nach. Ich glaube, daß jedem dahinrollenden Automobil ungezählte Verwünschungen folgen. Einer nennt den anderen Schieber, dabei ist doch die Zahl derer, die auf ehrliche Weise ihrem ehrlichen Erwerb nachgehen, recht gering.«

Ralph aber lebte nur seiner Liebe, war mit allem, was Hilde vorschlug und sagte, einverstanden und hatte nur den einen Wunsch, ihr jede Stunde eine neue Freude zu bereiten. Und so plünderte er die Läden der Juweliere, entdeckte durch Mittelspersonen Perlenschnüre von phantastischer Pracht, und wanderte mit seiner Braut unverdrossen von einem Modesalon zum anderen, weil ihm nichts schön und kostbar genug war. Bis Hilde ihm weitere Einkäufe energisch untersagte.

Nach und nach begannen die enormen Geldausgaben des Amerikaners aufzufallen, irgendwie verbreitete sich das Gerücht, daß Ralph O'Flanagan wieder der reiche Mann geworden sei, Amerikaner, die von drüben kamen, erklärten überhaupt die ganze Geschichte mit dem angeblichen Stiefbruder für einen Witz, und eines Tages stand es in einer Wiener Zeitung, daß Ralph, wahrscheinlich um die Parasiten los zu werden, ganz Wien geblufft habe und nach wie vor der reichste Mann der Welt sei.

Und schon rührten sich wieder die Sendlinge der Vereine, kamen Bettelbriefe, erfolgten von allen Seiten Einladungen, gab der Präsidialist seine Karte ab.

All dies bewog aber Ralph nur, seine Trauung zu beschleunigen und Österreich so bald als möglich zu verlassen. Er wollte seine Braut unter keiner Bedingung in den Dunstkreis einer verlogenen Welt ziehen, nur mit dem alten Holub, mit seinen Freunden Kriegel und Korn machte er sie bekannt, verbrachte mit ihr in diesem kleinen Kreis manch behaglichen Abend.

Es entstand die Frage, was mit Hildes Mutter und Sam geschehen sollte. Hilde hatte ihre Mutter lieb, aber stand ihr doch nicht so nahe, daß sie sie nicht hätte entbehren können. Und Frau Wehningen selbst fürchtete die Seereise, hatte vage Vorstellungen, daß man in New York durchaus nicht vor Überfällen durch Indianer sicher wäre. Hingegen war ihr der Gedanke, allein in behaglichen Verhältnissen in Wien zu bleiben, um so sympathischer, als sie ja wußte, daß Hilde alljährlich nach Europa kommen würde.

Anders stand die Sache mit Sam. Der Neger liebte nach wie vor seine Lintschi und außerdem durfte er sie gar nicht verlassen, weil sie ihm in absehbarer Zeit ein nicht ganz schwarzes, sondern mehr schokoladebraunes Mulattenbaby schenken wollte. Die beiden mit nach Amerika nehmen, war ausgeschlossen, weil dort die weiße Frau eines Negers unter dem Haß und der Verachtung der Bevölkerung ein unerträgliches Dasein führen würde.

Schließlich fand Ralph eine Kombination, die allen Schwierigkeiten mit einem Schlag ein Ende bereitete. Er kaufte abermals ein prachtvolles Automobil und Sam wurde wieder sein Chauffeur. Nach der Abreise Ralphs sollte der Wagen Sam gehören, der dann einen Taxameter aufmontieren und als Besitzer eines Autotaxis von besonderer Schönheit und Güte ein gemachter Mann sein und Lintschi heiraten würde. Das schwarz-weiße Paar sollte dann zu Frau Wehningen, deren Wohnung geräumig genug war, übersiedeln, Lintschi die Wirtschaft führen, so daß Frau Wehningen nicht allein wäre, sondern in Gesellschaft zuverlässiger, braver Menschen, und Sam mit seiner Frau ein Heim hätte.

Als auch diese Frage glücklich gelöst war, ging Ralph daran, sich mit Hilde trauen zu lassen.

Leichter gesagt, als getan. Ralph hatte nur seinen Paß, aber keinen Taufschein. Man erklärte ihm, daß dieser erst beschafft werden müßte. Und dann wäre ein Aufgebot in den amerikanischen Zeitungen notwendig, kurzum, es könne keine Rede davon sein, vor Ablauf von zwei bis drei Monaten zu heiraten. Die amerikanische Gesandtschaft, an die sich Ralph wandte und die, wie alle amerikanischen Botschaften und Gesandtschaften, berühmt dafür ist, daß sie jeder Intervention, jeder Hilfeleistung für ihre Bürger aus dem Weg geht, lehnte auch diesmal ein Eingreifen ab.

Ralph war wütend. Er wollte noch den März in Italien verbringen, dann mit Hilde Paris und London besuchen, im Mai in New York ein Haus bauen lassen, nach den Bergen fahren und im Herbst das neue Haus beziehen. Und nun sah er, daß bureaukratische Widerwärtigkeiten seine Pläne stören wollten.

Auf Anraten seiner Freunde wandte sich Ralph diesmal, da Eitelhof verreist war, an einen der hervorragendsten Wiener Rechtsanwälte, Dr. Hugo Schönborn, einen geistvollen und amüsanten Causeur, dessen Kanzlei berühmt dafür war, durch geschickte Interventionen außergerichtlicher Art die größten Erfolge zu erzielen.

Dr. Schönborn lachte, als ihm Ralph seinen Fall vortrug.

»Ich wußte nicht«, sagte er, »daß es naive Krösusse gibt! Glauben Sie wirklich, daß für Menschen mit viel Geld hierzulande oder anderswo bureaukratische Hindernisse existieren? Ein mit Gold beladener Esel kann nicht nur die höchste Mauer übersteigen, sondern auch Akten, die ihm im Wege stehen, auffressen. Nun, wir werden den Esel in Bewegung setzen. Sagen Sie einmal, verehrter Herr O'Flanagan, befindet sich im Direktorium oder Verwaltungsrat Ihres Trustes niemand, der direkte Verbindungen mit dem auswärtigen Amt in Washington hat?«

Ralph dachte nur einen Augenblick nach.

»Natürlich, der Kongreßabgeordnete Houston gehört dem Board of Directors der ›American Wood und Forest-Trust-Company‹ an. Da jetzt der Kongreß in Washington tagt, wird er sicher dort sein.«

»Also schön, dann geben wir eine dringende Depesche an diesen Herrn auf. Vielleicht sind Sie so freundlich und helfen mir bei der englischen Textierung.«

Nach einer Viertelstunde ging folgendes Kabeltelegramm an den ehrenwerten Kongreßmann Houston in Washington ab:

»Wünsche sofort eine junge Wiener Dame namens Hilde Wehningen hier in Wien zu heiraten. Veranlasset Foreign Office per Kabel amerikanische Legation in Wien zu beauftragen, alle Schwierigkeiten zu beseitigen, so daß Montag, 5.  März, Trauung stattfinden kann. Mit Dank für Bemühungen Ralph O'Flanagan.« Folgte die genaue Adresse.

Und es waren noch keine achtundvierzig Stunden vergangen, als der amerikanische Gesandte von Washington den kurzen und bündigen Auftrag erhielt, die Trauung Ralph O'Flanagans am 5. März unter allen Umständen zu ermöglichen. Worauf der Gesandte einen Besuch beim Wiener Auswärtigen Amt am Ballplatz machte. Zehn Minuten später fuhr der Minister für Äußeres zum Minister für Inneres, weitere zehn Minuten später dieser zum Landeshauptmann, dann dieser zum Bürgermeister, und damit war die Angelegenheit erledigt.

Ralph O'Flanagan erhielt die Aufforderung, sich nach Dispens von jedem Aufgebot mit Hilde Wehningen am 5. März in Begleitung seiner Trauzeugen im neuen Wiener Rathaus pünktlich um vier Uhr nachmittags einzufinden, »behufs Eheschließung mit Fräulein Hilde Wehningen.«


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