Hugo Bettauer
Der Kampf um Wien
Hugo Bettauer

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31. Kapitel

In der Falle.

Schwere, drückende Beklemmung überfiel Hilde. Was hatte das alles nur zu bedeuten? Warum ließ Ralph sie mit diesem fremden Menschen so lange allein? Instinktiv öffnete sie ihre Tasche, um seinen Brief nochmals zu lesen. Der Brief war nicht da! Und sie glaubte doch ganz sicher zu wissen, daß sie ihn in das Täschchen getan.

Eine, zwei, drei bange Minuten vergingen. Die Türe flog auf, herein trat Baron Morolt, gefolgt von einem Schutzmann und den Kellnern.

»Ja«, schrie der Baron laut, »das ist das Frauenzimmer, das mir meine Brieftasche gestohlen!«

Hilde sprang auf, starrte entgeistert auf die Menschen.

Der Schutzmann ging auf sie zu.

»Kommen Sie nur ruhig mit aufs Kommissariat! Na wird's?«

Wie eine Bildsäule mit ausgestreckten Armen stand Hilde da. Hörte, wie die Kellner eine Flut von Schimpfworten über sie ergossen, wie der Freund Ralphs immer wieder schrie: »So eine Dirne, mir die Brieftasche zu stehlen!« Fühlte sich von fremden, derben Fäusten gepackt, spürte wie im Traum, daß Hände an ihrer Bluse herumtasteten, Knöpfe öffneten, bis irgend jemand schrie:

»Da ist ja die Brieftasche, unter dem Hemd hat das Luder sie versteckt!«

Dann fiel sie röchelnd um, wäre zu Boden gestürzt, wenn der Schutzmann sie nicht aufgefangen hätte. Und als sie zu sich kam, saß sie in einem nach Tabak, Not, Elend und Kummer riechenden Raum und vor ihr stand der Schutzmann, ein Herr in Beamtenuniform, und der Baron Morolt.

Der Beamte sah sie mitleidig an, sagte aber strenge:

»Sie haben sich erholt, spielen Sie uns nun keine Komödie vor und gestehen Sie alles ein.«

»Was soll ich gestehen? Was ist geschehen? Um Himmelswillen, lassen Sie mich doch nach Hause zu meiner Mutter gehen!«

Der Polizeikommissär zuckte die Achseln.

»Also bitte, Herr Baron, wiederholen Sie Ihre Aussage.«

Der Baron räusperte sich und sprach, während seine Augen unter dem starren Blick Hildes unruhig flackerten.

»Als ich heute kurz nach sechs Uhr durch die Kärntnerstraße ging, begegnete ich dieser Frauensperson hier, die sofort heftig mit mir zu kokettieren begann. Da sie einen sehr anständigen, sogar respektablen Eindruck auf mich machte, sprach ich sie an, ging in ihrer Gesellschaft gegen den Ring zu, und begab mich auf ihre Aufforderung mit ihr in ein Separee des Restaurants Hopfner. Sie wurde dort sehr zärtlich, erlaubte mir jede Freiheit, setzte sich hierauf auf meinen Schoß und hat wohl bei dieser oder noch einer intimeren Gelegenheit meine Brieftasche mit dem Inhalt von mehr als einer Million Kronen entwendet. Ich bemerkte den Diebstahl sehr bald, tat aber nichts dergleichen, um Szenen zu vermeiden, sondern entfernte mich unter dem Vorwand, telephonieren zu wollen, holte einen Schutzmann, der mit mir ging und das Mädel für verhaftet erklärte. Der Pikkolo war es, der zuerst bemerkte, wie sich unter ihrer Bluse ein viereckiger Gegenstand abhob. Er riß ein paar Knöpfe auf und richtig befand sich an dem Busen des Mädchens meine Brieftasche.«

Hilde fiel es während dieser Worte wie Schuppen von den Augen. Ahnungen von einem furchtbaren Komplott überkamen sie, sie erhob sich und schrie gellend dem Baron ins Gesicht:

»Lügner, Schurke, Verbrecher, der Sie sind! Herr Kommissär, mein Name ist Hilde Wehningen, ich lebe mit meiner Mutter, einer geborenen Gräfin Boos, in der Kreuzgasse, bin Beamtin der Firma Brüder Krause. Ein lieber, guter Freund schickte mir einen Brief, in dem er mich bat, zu einer wichtigen Besprechung zu kommen. Ich tat dies und wurde dort nicht von ihm, sondern von diesem Menschen erwartet, der sich als Freund des betreffenden Herrn vorstellte und mich bat, mit ihm bei Hopfner auf seinen Freund zu warten. Was dann geschehen ist, weiß ich nicht, weiß nicht, wie diese Brieftasche zu mir gekommen ist. Aber eines weiß ich, Herr Kommissär, es liegt hier ein ungeheures Verbrechen vor, das aus unbekannten Gründen gegen mich verübt werden soll.«

»Lauter Märchen«, sagte lächelnd der Baron. »Übrigens, das Mädchen soll Ihnen Namen und Adresse ihres Freundes geben!«

Der Kommissar nickte. Hilde aber erschrak.

Es kam ihr zum Bewußtsein, daß sie die Adresse gar nicht kannte, nur wußte, daß er einmal erzählt habe, er wohne in der Lothringerstraße. Der Kommissär nahm diese ihre lückenhaften Angaben zu Protokoll. Auch den Brief konnte sie nicht vorweisen, da er sich nicht in ihrer Tasche befand.

»Sie werden jetzt abgeführt. Ich schicke einen Detektiv nach der Lothringerstraße, um nach diesem angeblichen Patrick Ralph zu suchen. Das weitere wird sich ja zeigen.«

Ein Schutzmann packte Hilde am Arm und führte sie, die wieder einer Ohnmacht nahe war, ab, während der Baron Morolt noch mit dem Polizeikommissär sprach.

»Ich bitte, Herr Polizeikommissär, habe ich noch weiter mit der Sache zu tun? Sehr peinlich, die ganze Geschichte. Bin verheiratet, und wenn meine Frau in Berlin erfährt, daß ich – na, da hätte ich lieber das Geld verschmerzt.«

Der Polizeikommissär lachte.

»Wir werden das schon recht diskret machen, Herr Baron. Für alle Fälle muß ich Sie ja um Ihre Adresse bitten, aber da das Frauenzimmer so gewissermaßen in flagranti erwischt wurde und wahrscheinlich ein Geständnis ablegen wird, so ist es sicher, daß Ihre Person ganz im Hintergrund bleiben kann.«

Der Baron gab nun seine Visitenkarte ab und nannte als Adresse seines Wiener Absteigequartiers ein Haus in Hietzing, worauf er sich entfernen konnte.


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