Hugo Bettauer
Der Kampf um Wien
Hugo Bettauer

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42. Kapitel

Wiener Sportleben.

Mister Underwood kaufte aus Leibeskräften Bilder. Zuerst hatte er allerdings eine herbe Enttäuschung erfahren. An der Hand des Baedekers besichtigte er eines Tages das Kunsthistorische Museum, schenkte besonders den Bildern, die mit einem Stern im Baedeker versehen sind, sein Augenmerk und ließ sich dann zum Kustos führen. Da dieser englisch sprach, ging die Konversation flott von statten.

»Well, ich möchte gerne diesem armen Land helfen und notleidende Künstler unterstützen. Ich habe mir euere Bilder angeschaut und einige gefallen mir sehr gut. Also, wenn man mir einen anständigen Preis macht, bin ich bereit« – er nahm nun den Baedeker zu Hilfe – »die Madonna im Grünen von Rafael, Jo von Corregio und diese Bilder da von Rembrandt, Van Dyck, Dürer und Breughel, von Tizian und Velasquez zu kaufen. Besonders die von Van Dyck, weil ich den früher im Metropolitan Opernhaus oft singen gehört habe. Also nennen Sie mir einen soliden Preis in Dollars.«

Der Kustos glaubte zuerst, es mit einem Irrsinnigen zu tun zu haben, bis er sich überzeugte, daß es nur ein Amerikaner sei. Er wurde hierauf sackgrob und schmiß Mister Underwood einfach hinaus.

Von da an hatte Underwood eine unwiderstehliche Abneigung gegen ganz Österreich, und er schrieb der »New York Times« einen Brief, in dem er die Wiener als habgieriges, faules Volk schilderte, dem nicht zu helfen sei. Amerika möge seine Hände von Österreich lassen und sich hüten, jemals wieder gute Dollars nach Wien zu schicken. Da der Herausgeber der »New York Times« ein Deutscher namens Ochs ist, das Blatt also durchaus deutschfeindlich, erschien der Brief in großer Aufmachung und unter dem Titel:

»Was ein hervorragender Amerikaner über Österreich zu sagen hat!«

Das Mißgeschick in der Gemäldegalerie hielt aber Herrn Underwood nicht ab, an die tausend Gemälde anderwärts zu kaufen. Er entdeckte ein Bildergeschäft auf dem Opernring, das Kitsch in allen Dimensionen, in Öl und Wasser, auf Leinwand und Papier zu allen Preisen verkaufte, und er machte dort große Abschlüsse. Charmion befürchtete eine neuerliche Blamage und brachte mit Hilfe Ralphs, der dabei die Unterstützung seiner Freunde fand, ihren Vater mit den besten Wiener Malern in Verbindung, die auf diese Weise ihren sogenannten Ateliermist los wurden . . . Bei dieser Gelegenheit lernte Ralph den sehr in Mode befindlichen Maler Sonnenbein, den ganz famosen Jehuda Steinep, den kleinen, aber hoch begabten Wiesel, den Barden und geistvollen Karikaturisten Horniker, den Porträtisten schöner Frauen Maus, von dem die Fama behauptete, daß jeder seiner künstlerischen Erfolge zu einer Niederlage des Modells wurde, und viele andere Künstler kennen und schätzen.

Eines Tages erklärte Charmion kurz und bündig:

»Ralph, ich halt' es nicht mehr aus! Hab' nun seit sechs Wochen keinen Football gesehen! Gibt es hier dergleichen nicht?«

Ralph informierte sich und konnte ihr berichten, daß der Fußballsport in Wien seit einem Jahrzehnt fast amerikanische Dimensionen angenommen habe. Anfangs war man ihm mit einem gewissen Mißtrauen begegnet, die damals schon Erwachsenen wollten, konservativ, wie man in Wien ist, von dem neumodischen Zeugs nichts wissen, würdevolle Männer erklärten diesen Sport für verrohend und sprachen die Befürchtung aus, er würde die Muskeln auf Kosten des Geistes zur Entwicklung bringen.

Aber die Jugend, die glücklicherweise die Weisheit der Alten prinzipiell mißachtet, warf sich mit Enthusiasmus auf den Lederball, gründete einen Klub nach dem anderen, beteiligte sich an internationalen Konkurrenzen und heute spielen die kleinen Buben, statt Marken zu tauschen und zu würfeln, auf jedem freien Rasenstück Fußball, auch wenn der Ball nur eine selbstverfertigte Kugel aus alten Fetzen wäre.

Daß nationalistische und konfessionelle Strömungen auch im Sportleben Eingang fanden, war betrüblich, aber anderseits auch aneifernd und fördernd, und als vor einiger Zeit der jüdisch-nationale Sportklub »Hakoah« ausgerechnet einen vom Papst gestifteten Ehrenpokal erstritt, lachte ganz Wien.

Am letzten Sonntag des Jänner fuhr nun Ralph mit Charmion und ihrem Vater nach Favoriten zum Wettspiel »Amateure gegen Hertha«. Frau Underwood blieb zu Hause, erstens weil es eben Sonntag war, zweitens, weil sie bei ihren Kirchenbesuchen die Bekanntschaft eines jungen, hübschen, stramm gebauten Missionärs gemacht hatte, der sie bekehren wollte und viele Stunden bei ihr im Hotel verbrachte. Daß er bei solchen Gelegenheiten zum Tee zwanzig bis dreißig Sandwiches zu verzehren pflegte, war erklärlich, da die fortgesetzten Versuche, aus einer presbyterianischen Amerikanerin eine gutgläubige Katholikin zu machen, an seinen Kräften zehrten.

In Favoriten erlitt das Auto des Amerikaners eine kleine Panne, und während Herr Underwood es sich nicht nehmen ließ, dem Chauffeur bei Behebung des Defektes zu helfen, schlenderte Ralph mit Charmion durch die engen, verwahrlosten Seitengassen, um einen Blick in ein ihm bisher unbekannt gebliebenes Stadtviertel zu tun.

Das Bild, das sich ihm hier bot, war allerdings ein wesentlich anderes, als jenes, das er in der Inneren Stadt oder in dem bürgerlich-wohlanständigen Währing zu sehen gewohnt war. Schlecht gekleidete Männer, oft noch in der alten, zerfransten Uniform steckend, dürftige, im Wachstum zurückgebliebene Kinder, abgehärmte Frauen, die um Jahrzehnte älter erschienen als sie waren, gingen an den beiden elegant gekleideten Menschen vorüber, warfen ihnen neid- und haßerfüllte Blicke zu.

Ralph seufzte tief auf. Nun war er zwei Monate in Wien, in dieser Zeit hatten sich die Verhältnisse hier bedeutend verschlimmert, die Arbeitslosigkeit nahm zu, die Hoffnung auf Besserung schwand – und er, er hatte nichts tun, nur in einzelnen Fällen eingreifen können, sah aber noch immer keine Möglichkeit für die große, rettende Tat.

Trotz der Kälte war der Sportplatz mit mehr als zwanzigtausend Menschen dicht gefüllt. Die Sportleidenschaft war auch in Wien groß genug, um alle räumlichen Hindernisse zu überwinden, die hohen Entreepreise schreckten nicht ab, in Frost und Sturm standen die Menschen umher und jubelten ihren Lieblingen begeistert zu.

Bei den Amateuren standen zwei Ungarn, Kaiman und Jenö Konrad, beide dem Beruf nach Bankbeamte, beide heimatlos, da die Horthyregierung sie nicht in ihr Vaterland zurückließ. Kaiman Konrad groß, aber schmächtig und beim Spiel von imponierender Kaltblütigkeit. Sein Bruder Jenö klein, beweglich, temperamentvoller, sein Spiel fast wissenschaftlich und methodisch durchdacht. Als der kleine, fast zarte, aber in seinen Bewegungen unheimlich flinke Cutti in Aktion trat, brauste ihm der Jubel aus zwanzigtausend Kehlen entgegen. Da der schon im Lied besungene Uridil jetzt nicht in Wien weilt, ist Cutti der populärste Spieler, der Liebling der Wiener.

Bei Hertha genießt der große Ostricek mit dem hellen, hübschen und offenen Gesicht die größte Popularität. Er gilt als der beste Torhüter Österreichs, ist der erklärte Liebling der Frauen und wenn es ihm geschieht, daß er den Ball passieren läßt, erklingt ein bedauerndes »Uijeh« aus den Reihen des weiblichen Publikums. Der junge Schindelar mit dem blonden Knabenkopf aber gilt als der zukünftige Matador, und besonders die älteren weiblichen Jahrgänge sind ihm maßlos zugetan.

Im Zuschauerraum marschierte wie gewöhnlich der Verbandskapitän Meisl an seinem Stock umher, tat ungeheuer wichtig, raisonierte aus Leibeskräften, bekrittelte jede Aktion, ohne den gutmütigen Spott zu bemerken, mit dem die Jungen ihm lauschten. Wiesenthal und Leopoldi, von allen Seiten akklamiert, kamen, man sah im Zuschauerraum große Kaufleute, Rechtsanwälte, Professoren und unter diesen einen Röntgenologen von Weltruf.

Der Fußballsport hat ganz Wien erobert, seine Gegner haben es längst aufgegeben, ihn zu bekämpfen, er ist die sonntägliche Anregung, Freude und Erholung der Massen geworden.

Ralph konstatierte aber mit Freude, um wieviel vornehmer, weniger roh und exzessiver in Wien gespielt wird und das Publikum sich benimmt.

Als die Dunkelheit anbrach, war das Spiel beendet, die Amateure hatten 3 : 1 gewonnen.


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