Hugo Bettauer
Der Kampf um Wien
Hugo Bettauer

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43. Kapitel

Wie Ralph arm wird.

Am Abend dieses Tages schüttete Ralph Egon Kriegel gegenüber sein übervolles Herz aus:

»Es scheint mir in Wien nichts gelingen zu wollen. Ich habe Hilde verloren, zum Teil auch den Glauben an die Menschheit, meinen besten Absichten stellen sich unüberwindliche Hindernisse entgegen. Und fühle mich nun auch noch schuldbeladen. Heute war ich in einem Wiener Elendsviertel, und als ich durch die armseligen Straßen mit ihren verbitterten, sorgenbeladenen Menschen ging, kam es mir zum vollen Bewußtsein, daß ich alles recht verkehrt angepackt habe. Ist denn das Wien, das ich kenne, überhaupt Wien? Hätte ich nicht untertauchen müssen, um das Wesen dieser sich in Krämpfen windenden Stadt wirklich zu erfassen? Kenn ich Wiener? Sie, Korn, die Musiker und Maler, die Bankdirektoren und Politiker, die meinen Weg gekreuzt, sind das nicht alles internationale Menschen, die ebenso gut in Berlin, Paris, London leben könnten? Verdammt sei der Augenblick, da mein geschwätziger Sam an meiner Stelle sich interviewen ließ. Ich hatte ja die redliche Absicht, hier unbekannt und unerkannt umher zu gehen, um zu erforschen, wie und wo zu helfen sei. Aber dieses eine Interview hat mich an die Öffentlichkeit gezerrt, mich in einen zweibeinigen Kassenschrank verwandelt, den nun die ganze Welt gerne aufknacken möchte.

Wie soll ich mich aus all den Affären ziehen? Die Bankdirektoren bestürmen mich, deuten zart an, ich sei geradezu verpflichtet, Hoffnungen, die ich erweckt, zu erfüllen, neulich hat mir einer sogar gesagt, ich wäre schuld, daß die Krone neuerlich zu rutschen begonnen habe, da der Geldmarkt mein Zögern als Beweis betrachte, daß diesem Lande nicht zu helfen sei.

Und nun die eigenartige Haltung der Regierung, die mir direkt verbietet, die ungeheure Summe von 30 Millionen Dollar so zu verwenden, wie ich es für das beste halte. Am liebsten würde ich einen Teil dieser Summe für wohltätige Zwecke hergeben und nach Amerika zurückfahren. Der Kampf um Wien, auch wenn er nicht geführt wird, um Wien zu erobern, sondern nur um es zu retten, geht über meine Kräfte.«

Egon Kriegel ließ langsam den goldgelben Whisky aus der Flasche in sein Glas fließen.

»Warum wollen Sie nicht jetzt noch das tun, was Sie zu Beginn hätten tun sollen? Untertauchen, unbekannt umhergehen, Wien nicht von der Hotelperspektive begucken, sondern von unten herauf?«

Ralph lachte bitter auf.

»Wie sollte das wohl geschehen? Es kennen mich gut tausend Menschen in Wien, wo immer ich mich aufhalten wollte, würde man mich erkennen, meine Spuren sind nicht mehr zu verwischen, alles, was Geld braucht, ist hinter mir her!«

»Oh, es gäbe schon ein Mittel, Ihnen Ruhe zu verschaffen, sie in Vergessenheit zu bringen. Ein ganz einfaches, wenn auch groteskes Mittel.«

»Und das wäre?« fragte Ralph gespannt.

»Nun, Sie müßten einfach Ihr Geld verlieren, so daß Sie nicht mehr der reiche O'Flanagan sind, sondern ein armer Teufel, der niemand etwas zu bieten hat. Dann erst würden Sie Wien und die Menschen kennen lernen!«

»Ja, aber – ich verstehe Sie nicht – wie meinen Sie das?«

»Nun, so wie ich es gesagt habe: O'Flanagan hat sein Vermögen verloren, besitzt gerade noch genug, um in Wien recht bescheiden und zurückgezogen leben zu können. Natürlich mute ich Ihnen nicht zu, wirklich zu verarmen. Man müßte es nur auf geschickte Weise der Welt einzureden versuchen. Sie wissen, ich habe gute Verbindungen zu den Zeitungen, ich könnte ohne Schwierigkeiten einen O'Flanagan-Grubenhund in die Welt setzen!«

Ralph begann zu verstehen, sein Humor erwachte, tausend Nuancen fielen ihm für den Plan Kriegels ein, die beiden Männer begannen zu flüstern, Notizen niederzuschreiben, von Zeit zu Zeit brüllte einer vor Lachen auf.

In derselben Nacht noch ging ein Kabelgramm folgenden Inhalts an den Präsidenten der Guarantee Trust Company in New York, die als Vermögensverwalterin für Ralph fungierte, ab:

»Habe private Ursachen, hier als verarmt zu gelten. Bitte, stoppen Sie per Kabel meine Kreditbriefe bei der Bankgesellschaft, verweigern Sie auf Anfragen jede Auskunft, überweisen Sie mir vorläufig hunderttausend Dollar in Schecks auf Überbringer ausgestellt.«

Am zweitnächsten Tag aber erschien in Wiener Zeitungen folgende Alarmnachricht, die durch Tage die große Sensation bildete:

Der amerikanische Multimillionär Ralph O'Flanagan, der seit zwei Monaten in Wien weilt, um hier nach dem unausgesprochenen Willen seiner verstorbenen Mutter, die eine Wienerin war, eine große Hilfsaktion zu inaugurieren, ist von einem bitteren Geschick betroffen worden. Bei den Gerichtsbehörden in seiner Vaterstadt St. Paul in Minnesota meldete sich vor einiger Zeit ein Herr namens James O'Flanagan, der eben aus Nord-Kanada angekommen war. Er bewies, daß er der einzige Sohn aus der ersten Ehe des verstorbenen Patrick O'Flanagan sei, die dieser geheim gehalten hatte. Außerdem gab er die Adresse eines Notars in Chikago an, bei dem, wie er aus Briefen seines Vaters wußte, das einzige rechtsgültige Testament des Verstorbenen, das er wenige Monate vor seinem Tode geschrieben, hinterliegen müsse. Tatsächlich fand man bei diesem Notar auch das absolut rechtskräftige, von drei Zeugen unterschriebene Testament, wonach James O'Flanagan zum alleinigen Erben eingesetzt ist, während der Sohn der zweiten Ehe, Patrick Ralph, mit dem O'Flanagan nie gut stand, mit einer winzigen Monatsrente bedacht erscheint, die kaum groß genug ist, um auch bei bescheidensten Ansprüchen in Amerika zu leben.

Die Gerichte überzeugten sich von der Echtheit und Unanfechtbarkeit aller Dokumente und zertifizierten nunmehr James O'Flanagan als Alleinbesitzer des ganzen ungeheuren Vermögens, mit der Verpflichtung, die testierte Rente seinem Stiefbruder auszuzahlen.

Wie wir erfahren, hat die Guarantee Trust Company die Wiener Bankgesellschaft bereits per Kabel aufgefordert, keine weiteren Zahlungen an Ralph O'Flanagan zu leisten.

Herr Ralph O'Flanagan weigerte sich gestern abends, Berichterstatter zu empfangen, sein Privatsekretär aber, der bekannte Schriftsteller Egon Kriegel, bestätigte die eingelaufenen Nachrichten, während der schwarze Diener des Amerikaners mit Tränen in den Augen erklärte, bei seinem Herrn bleiben zu wollen, auch wenn dieser arm geworden sei.

Wie uns seitens der Hoteldirektion des Hotel Imperial mitgeteilt wird, hat Herr O'Flanagan die laufende Wochenrechnung im vorhinein bezahlt, so daß sie in keiner Weise geschädigt erscheint. Die zwei Automobile des Amerikaners sind zum Verkauf ausgeboten, Herr Ralph O'Flanagan wird aber, wie uns mitgeteilt wird, noch einige Zeit in Wien bleiben, da er mit seiner kleinen Rente hier immerhin besser sein Auskommen finden kann als in Amerika.

So ist denn unser armes Land wieder um eine Hoffnung ärmer geworden und wir werden nach wie vor auf Selbsthilfe und die dürftigen Kredite des Völkerbundes angewiesen sein.

So ungefähr lautete die sensationelle Nachricht in den bürgerlichen Blättern. In den kommunistischen wurde erklärt, daß immerhin so manche Proletarierfamilie froh wäre, wenn sie auch nur das bescheiden gewordene Einkommen des Amerikaners hätte, in den antisemitischen aber der Verdacht ausgesprochen, daß O'Flanagan ein Hochstapler sei und außerdem sicher ein Jude, der einmal Fliegenpapier geheißen.

Daß es sich tatsächlich um eine glänzend ausgeklügelte Mystifikation handelte, wußten außer Kriegel niemand als Charmion und deren Eltern. Korn hatte man nicht eingeweiht, er war zu temperamentvoll, um unbedingt schweigen zu können.


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