Hugo Bettauer
Der Kampf um Wien
Hugo Bettauer

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32. Kapitel

Gefangen.

Hilde wartete in einem abgesperrten Raum des Polizeikommissariats in Gesellschaft einiger Straßendirnen, die der ärztlichen Untersuchung zugeführt werden sollten. Sie beantwortete die neugierigen, höhnischen oder auch mitleidigen Fragen nicht, kauerte auf einem Schemel, das Gesicht mit den Händen bedeckt. Und zermarterte ihren schmerzenden Schädel, um hinter das grauenhafte Geheimnis zu kommen, das seit Stunden ihr Leben zur Qual machen wollte.

Wer nur konnte dieser Baron Morolt sein? Woher wußte er, daß Ralph ihr geschrieben? Und vor allem: warum war Ralph nicht gekommen?

Plötzlich kam ihr fast visionär eine Erkenntnis: dieser Brief war gar nicht von Ralph, war eine Nachahmung seiner Schrift! Gleich hatte sie ja empfunden, daß er nicht schrieb wie sonst! Und nun wurde ihr alles klar: Jemand hatte sie durch diesen gefälschten Brief in eine Falle gelockt, in der sie zugrunde gerichtet werden sollte! Wer aber und warum? Sie hatte keinen Feind, kannte niemanden, der ihr Böses wollte. Nein, es mußte jemand aus dem Kreise Ralphs sein. Aber wer? Auch er hatte nur gleichgültige Bekannte, außer diese beiden Schriftsteller, Korn und Kriegel, die er beide überaus schätzte.

Hilde schloß die Augen. Sah wie Ralph in einem herrlichen Auto an ihr vorüberfuhr. Ihm zur Seite eine schöne junge Frau mit goldleuchtenden Haaren. Die Tänzerin Lolotte Valon.

Jäh fuhr Hilde in die Höhe. Lolotte Valon, die ihn in ihr Netz gezogen, bis er sich wieder ihr, Hilde, zugewandt! Diese Lolotte Valon mußte sie allerdings hassen und alles Interesse an ihrem Untergang haben – –

Aber solch schwarze, grauenhafte Tat mit Helfershelfern? War das möglich? Klang das nicht wie nach Kolportageroman und Kriminalgeschichten? Und doch – wer sonst?

Ein Polizist kam und forderte Hilde auf, ihm zum Herrn Polizeikommissär zu folgen. Dieser sah sehr verärgert aus und schrie sie an:

»Alles, was Sie da erzählt haben, ist natürlich erstunken und erlogen! In Wien ist ein Patrick Ralph nicht gemeldet und der Beamte, der in der Lothringerstraße Haus für Haus abgesucht hat, teilt mit, daß dort niemand dieses Namens oder auch nur ähnlichen Namens wohnt. Also, Sie werden jetzt nach dem Polizeigefängnis auf der Elisabethpromenade überführt und morgen wird man sehen, was man mit Ihnen macht.«

Hilde schrie gellend, markerschütternd auf.

»Herr Polizeikommissär, lassen Sie mich nach Hause, zu meiner Mutter! Ich schwöre es Ihnen, ich bin unschuldig, ich weiß von nichts, bin das Opfer eines Verbrechens.«

Der Beamte biß sich in die Lippen.

Wie verzweifelt das arme Ding ist! Und wie unschuldig und fein es aussieht! Aber der Schein trügt eben, wieder einmal eine Dirne in Engelsgestalt! Und, wer weiß, ein Opfer dieser erbärmlichen Zeit. Aber er konnte nichts tun, als seine Pflicht.

»Beruhigen Sie sich, es geschieht Ihnen ja vorläufig nichts. Vielleicht, daß Sie schon morgen auf freien Fuß gesetzt werden. Darüber wird allerdings das Landesgericht zu verfügen haben, dem der Akt abgetreten wird. Jedenfalls – Sie sind noch jung, noch besserungsfähig – vielleicht, daß das Ihr erster Fehltritt war – morgen werden wir das wissen –«

Hilde weinte, rang die Hände, schrie verzweifelt:

»Lassen Sie mich doch fort von hier zu meiner Mutter! Sie ist krank, schwach, wird verzweifeln, wenn ich nicht nach Hause komme.«

»Wenn Sie wollen, werde ich Ihre Mutter noch heute abends von dem Vorfall verständigen – –«

»Nein, nein, um Himmels willen, nur das nicht! Meine Mutter würde die Schande nicht überleben!«

Ein Polizist in Zivil trat ein, erstattete eine Meldung, worauf der Polizeikommissär achselzuckend sagte:

»Also, ich kann Ihnen nicht weiter helfen. Der Wagen ist da, Sie fahren jetzt nach der Elisabethpromenade.«

Und Hilde wurde, da ihre Füße den Dienst versagten, in einen geschlossenen und vergitterten, wie ein Omnibus aussehenden Wagen getragen, in dem außer ihr noch ein paar Frauenzimmer und ein uniformierter Schutzmann saßen. Sie zog die Arme an sich, um jeder Berührung zu entgehen, schloß die Augen, um nichts zu sehen, wurde am Ende der kurzen Fahrt wie eine Tote aus dem Wagen gehoben und zur Nachtruhe in eine Zelle gebracht, in der aus zehn Augen Laster, Verzweiflung, Not, Verbrechen auf sie starrten, übler Atem die Luft verpestete, aus heiseren Kehlen obszöne Worte, deren Bedeutung Hilde nur ahnte, ihr zugerufen wurden.

Und eine Nacht kam, in der Hilde immer wieder mit eigenen Händen ihre Kehle umklammerte, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Immer wieder aber sanken die Hände zurück, weil doch irgend woher Hoffnungsgedanken aufstiegen.


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