Hugo Bettauer
Der Kampf um Wien
Hugo Bettauer

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47. Kapitel

Ein Wiener Maskenball.

Pepi Lunzer, der sich gerne auf den Lebemann herausspielte, forderte Ralph auf, mit ihm den »Bösen Buben-Ball« zu besuchen.

»Die feschesten Mädeln von Wien treffen Sie da«, lockte er und flüsterte ihm noch einige verheißungsvolle Tatsachen zu.

Ralph zögerte einen Augenblick. Dachte an Hilde, die jetzt in stiller Einsamkeit vielleicht seiner gedachte. Aber Groll gegen das Mädchen stieg in ihm auf und verscheuchte die Bedenken.

Hilde hat mir das Unrecht, das sie ohne mein Dazutun durch mich erlitten, reichlich vergolten! Sie hat mich geflohen, versteckt sich vor mir! Es kann nicht wahr sein, daß sie mich liebt, sonst würde sie mir nochmals geschrieben haben. Wer weiß, vielleicht bin ich ihr zu schwer, nicht lustig und leicht genug, wie es diese jungen Wiener Herren mit ihrem »Küss' die Hand« und »Habe die Ehre« sind. Sicher mag sie mich gar nicht, hat sich nur eingebildet, mich zu lieben und sich eine romantische Rolle zurecht gelegt, um vor sich selbst entschuldigt zu sein!

Ralph ballte die Fäuste und wußte nicht, ob es maßlose Sehnsucht oder Zorn war, der ihm den Atem raubte. Und mit jähem Entschluß nahm er sich vor, von nun an rücksichtslos seinen Trieben zu leben, jede Blume, die ihm winkte, zu pflücken, ebenso leicht und frivol den Frauen gegenüberzutreten, wie es alle die Wiener Herren taten.

Während Pepi Lunzer sich als Schulknabe im Matrosenanzug kleidete, ging Ralph im Frack auf den Bösen Buben-Ball. Und der tadellos gebaute Frack, der aus dem Atelier des ersten New Yorker Schneiders stammte, hob noch seine elegante, schlanke Erscheinung, so daß ihm im maßlos überfüllten Ballsaal die Augen all der kleinen Mädchen im Babyrock oder Bubenanzug zuflogen. Er wurde von der Ausgelassenheit rings umher angesteckt, küßte die Mädchen, die sich links und rechts an seinen Arm hingen, wurde zurückgeküßt, ging auf jeden Scherz ein und vor allem – er kargte wahrhaftig nicht mit Champagner, Eis, Orangen und anderen Leckerbissen.

Susi und Tini waren seine ersten Gefährtinnen. Liebe braune Mädeln mit kußfrohen Lippen, bereit, sich über Hals und Kopf in den schönen, splendiden Mann zu verlieben. Aber nach einer Viertelstunde hatten sie ihr bißchen Witz verausgabt, wiederholten sich, begannen einander eifersüchtig zu sticheln. Und Ralph war froh, als er ihnen unter schicklichem Vorwand entkommen konnte. Eine große schlanke Blondine in schwarzer Seide wurde von ihm zum Sektstüberl geführt. Jung, unglücklich verheiratet, mit der Hoffnung auf baldige Scheidung. Dolly, so nannte sie sich, reizte seine Sinne, sie ließ es geschehen, daß er sie an sich zog, erwiderte Zärtlichkeiten. Sprach aber zur Unzeit, das heißt allzufrüh, von einer unbezahlten Schneiderrechnung, die ihr Sorgen bereite, erkundigte sich allzu dringlich nach den Wohnungsverhältnissen Ralphs und ob er Besuch empfangen dürfe.

Ernüchtert verlor Ralph auch diese Fee bald im Gewühl.

Begierde und Enttäuschung, Wohlgefallen und Überdruß wechselten unaufhörlich, und der Amerikaner hatte bald ein Sammelsurium von Namen, Telephonnummern und Adressen in sein Notizbuch eingetragen. Finni und Resi, Trude und Margot, Luison und Mia, die seltsamsten Abkürzungen und Metamorphosen gut wienerischer Namen hatte er kennen gelernt und geküßt.

Als er einen Augenblick frei war, schossen zwei Mädeln in kurzen Rosakleidchen, die keinen Zweifel über die Tadellosigkeit der Beine aufkommen ließen, auf ihn zu, hängten sich in ihn ein, übersprudelten ihn mit ausgelassenem Humor. Diesmals war es eine Inge und eine Ossi, rekte Oswalda. Blutjunge Dinger, als Schwestern gekleidet, aber nur Freundinnen, deren Freundschaft so innig war, daß sie sich bisher die Männer vom Leibe gehalten hatten.

Ralph war von den beiden munteren Kindern, die sich frei und ungezwungen gaben und doch dabei fein und diskret blieben, entzückt, sie blieben seine Gefährtinnen bis zum Schluß und noch einige Stunden darüber hinaus. Und als sie sich frühmorgens blaß und übernächtig trennten, da versuchte jede den Mann durch einen tiefen Blick ganz für sich zu halten, gab jede ihrem Kuß eine Betonung, die sagen sollte: »Nicht wahr, mich hast du lieber, als die andere.«

Und Ralph ging mit dem Empfinden, ein kleines Abenteuer erlebt und eine Mädchenfreundschaft zerstört zu haben.


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