Hugo Bettauer
Der Kampf um Wien
Hugo Bettauer

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30. Kapitel

Im Separee.

Es war vier Uhr nachmittags des nächsten Tages, Hilde saß im Büro der Brüder Krause, hatte noch ein Dutzend Briefe im Stenogramm vor sich, die übertragen werden mußten, und stellte seufzend fest, daß sie den Verkauf der Kette heute nicht mehr würde bewerkstelligen können.

Der Bureaudiener trat ins Zimmer.

»Fräulein Wehningen, ein Brief ist für Sie abgegeben worden.«

Hilde nahm den Brief, sah auf der Adresse die ihr bekannten Schriftzüge Ralphs, öffnete, glücklich lächelnd, den Umschlag und las:

»Liebe Hilde –«

Sie zog die feinen Augenbrauen hoch. Liebe Hilde! Eigentlich habe ich ihm doch gar nicht das Recht zu solcher Intimität gegeben.

»Ich habe heute dringend, sehr dringend mit Ihnen zu sprechen. Muß aber allein und ungestört mit Ihnen sein. Es handelt sich um wichtige, entscheidende Dinge! Bitte, erwarten Sie mich also heute um ein Viertel nach sechs Uhr an der Ecke der Bösendorfer- und Kärntnerstraße, wir werden dann zu Hopfner gehen, wo uns niemand stören kann. Es muß unbedingt sein. Mit herzlichem Gruß Ihr Ralph Patrick.«

Sinnend betrachtete Hilde den Brief. Seltsam, er schrieb so ganz anders, als er sonst zu schreiben pflegte. Mußte wohl in großer Aufregung und Eile gewesen sein, da er sogar sein charakteristisches Schnörkel am Schluß nicht gemacht hat. Aber ich werde natürlich kommen.

Und während sie kühle geschäftliche Briefe schrieb, flogen ihre Gedanken zu Ralph hin und Ahnungen von Glück und Seeligkeit machten sie zittern und beben.

Pünktlich ein Viertel nach sechs Uhr war Hilde zur Stelle und nicht wenig überrascht, daß Ralph noch nicht wartete. Sah sich um, blieb unschlüssig an der belebten Straßenecke stehen. Plötzlich trat ein großer, schlanker Herr auf sie zu.

»Fräulein Hilde Wehningen, nicht wahr? Mein Name ist Baron Morolt, mein Freund, Herr Patrick Ralph, hat mich gebeten, Sie hier zu erwarten. Er ist durch wichtige, unvorhergesehene Angelegenheiten verhindert, pünktlich zu sein und hat mir die ebenso ehrenvolle als erfreuliche Aufgabe gestellt, Ihnen, verehrtes gnädiges Fräulein, so lange bei Hopfner Gesellschaft zu leisten.«

Das alles wurde mit so vollendeter, weltmännischer Höflichkeit vorgebracht, daß Hilde durchaus nicht unangenehm berührt war.

»Sie kommen, wie man aus der Aussprache schließen darf, aus dem deutschen Reich, Herr Baron? Herr Ralph hat mir nie von Ihnen erzählt.«

»Kein Wunder, gnädiges Fräulein, ich bin erst heute aus Berlin angekommen. Ralph und ich haben drüben in Amerika, wo ich mich studienhalber aufhielt, innige Freundschaft geschlossen. Aber nun machen wir, daß wir bei diesem erbärmlichen Wetter rasch unter Dach und Fach kommen.«

Baron Morolt führte Hilde durch den Eingang in der Bösendorfer Straße zu Hopfner, flüsterte dem entgegeneilenden Kellner ein paar Worte zu und plötzlich standen sie in einem kleinen Salon, den Hilde trotz ihrer Unkenntnis solcher Dinge unschwer als Separee erkannte. Sie trat einen Schritt zurück und fragte betreten:

»Hier sollen wir warten – –?«

»Jawohl, gnädiges Fräulein, mein Freund hat mich gebeten, Sie in ein separiertes Zimmer zu führen, da er ganz allein, ohne lästige Zuhörer, mit Ihnen sprechen will. Ich hoffe, daß Sie ihm, wie auch mir, seinen Freund, genug Vertrauen entgegenbringen – sonst allerdings.«

Hilde hatte sich rasch gefaßt.

»Selbstverständlich! Mein Vertrauen zu Herrn Ralph ist unbegrenzt. Und er wird ja wohl bald kommen!«

Baron Morolt hatte inzwischen dem Kellner seine Bestellungen gegeben und bald kam eine Schüssel mit Hors d'Oevres und eine Flasche Tokayer. Es entwickelte sich ein unbefangenes, gleichgültiges Gespräch über die Verhältnisse in Wien und Berlin. Baron Morolt erzählte von der furchtbaren Erregung in der deutschen Hauptstadt über die schmähliche Vergewaltigung durch die Franzosen und wußte so interessant zu berichten, daß Hilde die Zeit rasch verging. Plötzlich unterbrach sich der Baron.

»Gnädiges Fräulein haben hier am Augenlid ein Kohlenstäubchen, das sofort ins Auge rutschen wird.«

Hilde nahm aus ihrem Täschchen einen Spiegel, suchte vergeblich nach dem Kohlenstaub und merkte nicht, daß unterdessen der freundliche Baron rasch ein winziges Fläschchen aus der Westentasche zog und aus ihm einige Tropfen in das Weinglas Hildes goß.

»Gnädiges Fräulein, gestatten Sie, daß ich auf Ihre und meines Freundes glückliche Zukunft mein Glas leere.«

Hilde schoß das Blut in die Wangen. Ralph hatte also seinem Freund von ihr erzählt und die Worte des Barons konnten nur bedeuten, daß Ralph ernste Absichten hegte, Absichten, die er sicher heute noch zur Sprache bringen wollte. Mit zitternder Hand hob auch sie ihr Glas, stieß an; leerte es auf einen Zug.

Der Baron erzählte wieder. Wie es Hilde schien, jetzt mit monotoner Stimme. Eine bleierne Schläfrigkeit überkam sie, ihre Augenlider wurden schwer, es sauste in ihren Ohren, das Herz schlug heftig, die Pulse hämmerten. Plötzlich war es ihr, als würde das Licht verlöschen, Nacht wurde es um sie her, sie verlor die Besinnung, sank in ungeheure Tiefen, während ein würgendes Gefühl sie beschlich.

Hilde schlug die Augen auf. Sah verwirrt um sich, fand sich nicht gleich zurecht, bis sie erkannte, wo sie war. Der Baron beugte sich besorgt zu ihr.

»Gnädiges Fräulein sind plötzlich eingeschlafen. Vielleicht, daß der Wein zu schwer war.«

Ängstlich, mit weit aufgerissenen Augen blickte ihn Hilde an. Es war ihr, wie wenn sich ein eiserner Reifen um ihre Stirne befinden würde, furchtbare Kopfschmerzen, ein Gefühl der Übelkeit, Brechreiz übermannten sie fast. Instinktiv sah sie auf ihre silberne Armbanduhr. Sprang entsetzt auf.

»Um Himmelswillen! Es ist ja beinahe acht Uhr. So lange habe ich geschlafen! Wo bleibt denn nur Herr Ralph?«

»Ja, das frage ich mich selbst! Er hat eine Verabredung im Hotel Bristol gehabt. Am besten, ich telephoniere einmal hin.«

Sprach's, machte eine Verbeugung und entfernte sich mit Pelz und Hut.


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