Hugo Bettauer
Der Kampf um Wien
Hugo Bettauer

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22. Kapitel

Die große Idee.

Heinrich Lank, der Privatsekretär des Generaldirektors Klopfer-Hart, hatte auf vierzig Seiten umfassende Dokument vorgelesen und die versammelten Herren blickten gespannt auf Kalph O'Flanagan. Diesmals war der Konferenz der österreichische Finanzminister, Dr. Kienböck, im bürgerlichen Leben Rechtsanwalt, zugezogen worden, und mit seinem ewig verbindlichen Lächeln sagte er:

»Nun, Herr O'Flanagan, würden wir gerne Ihre Meinung über das Exposé der Banken hören, das ja in lichtvoller Weise die Industrialisierungspläne, die sich auf Grund eines Dreißigmillionen-Dollarkredits verwirklichen ließen, darlegt.«

Dr. Kienböck, eine bewährte Stütze der christlich-sozialen Partei, hatte sich rasch und willig auf den Verkehr mit jüdischen Bankdirektoren eingestellt, als er zum Finanzminister erwählt worden war. Wie er überhaupt zu ihren klügsten und konziliantesten Köpfen zählte. Seine große Karriere hatte niemand besser vorausgesehen, als seine Mutter, die aus frommem jüdischem Hause stammte und jedesmal, wenn der Sohn ein Vorzugszeugnis brachte, sagte:

»Ein jüdisches Köpferl und eine katholische Erziehung – damit muß man es zu etwas bringen.«

Da Ralph noch immer stumm blieb, fuhr der Minister fort:

»Die Regierung wird natürlich alles tun, um das große Werk zu fördern. Ich glaube versichern zu können, daß die Regierung alle Unternehmungen, die mit Ihrem Kapital inauguriert werden, auf eine Anzahl von Jahren steuerfrei machen wird, auch werden wir die größten Transporterleichterungen konzedieren und von der Einhebung von Zöllen für die einzuführenden Rohmaterialen absehen. Aber die Zeit drängt. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu, die Flüssigmachung der uns zugesagten Kredite erleidet eine Verzögerung nach der anderen, die durch nichts begründete Verstimmung, die jetzt in tschecho-slowakischen Regierungskreisen gegen uns gehegt wird, droht neue Komplikationen hervorzurufen. Wenn wir bald die Bevölkerung mit Ihrem Sanierungswerk überraschen könnten, so müßte das die Position der Regierung nicht nur im Inneren, sondern auch vor dem Ausland gewaltig kräftigen.«

Zögernd erwiderte Ralph:

»Um jedes Mißverständnis zu beseitigen: Wenn ich noch immer zögere, so liegt die Ursache nicht darin, daß mir um das Geld bange ist. Ich kann es entbehren. Aber ich will dreißig Millionen Dollar nicht auf eine falsche Karte setzen. Mir sind Zweifel aufgestiegen, ob sich durch Geld allein eine Regenerierung Österreichs ermöglichen läßt. Wäre es nicht ratsam, zuerst oder gleichzeitig, politische Umwandlungen zu schaffen? Ein Bündnis mit Nachbarstaaten herzustellen? Der Anschluß an das Deutsche Reich ist ja heute kaum diskutabel, um so leichter wäre eine Verknüpfung mit Bayern, zu dem ja, wie ich orientiert werde, Tirol und Salzburg ohnedies gravitieren. Und dann Ungarn! Wäre es nicht naturgemäß, wenn sich ein Österreich, das sich gewaltig industrialisieren will, mit dem industriearmen, aber an Bodenfrüchten und Viehzucht reichen Ungarn in irgend einer Form vereinigen würde?«

Die Herren waren durch die Worte O'Flanagans ersichtlich überrascht, die Augen des Finanzministers aber leuchteten auf. Blitzschnell witterte er hier die Möglichkeit eines christlich-reaktionären Bundes, der mit einem Schlag die sozialdemokratische Herrschaft, die de facto noch immer vorhanden war, beseitigen würde.

Klopfer-Hart ergriff das Wort:

»Das sind Zukunftsträume, die sich vielleicht einmal verwirklichen ließen. Aber warum sollen wir nicht, ganz unabhängig davon, sofort an die Errichtung neuer Industrien schreiten – – –«

Dr. Kienböck sprang erregt auf.

»Ich möchte die Anregung Herrn O'Flanagans nicht in den Hintergrund drängen. Herr O'Flanagan, mein Kompliment! Sie scheinen in diesen wenigen Wochen, die Sie in Wien weilen, einen tiefen Einblick in unsere Verhältnisse gewonnen zu haben. Ein festes, reales Bündnis mit Ungarn und mit dem uns stammverwandten Bayern, dazu ein starker, an keine demütigenden Bedingungen geknüpfter Kredit – das wäre die große erlösende Tat!«

Klopfer-Hart, Direktor Pfeffer, Direktor Beiner und die anderen Herrn sahen einander konsterniert an. Sie hatten sich auf einen reichen Fischzug eingerichtet, im geheimen mit großen Kronenankäufen begonnen, im Geiste schon gesehen, wie das amerikanische Gold in die Tresors ihrer Banken und, hm, na ja, auch in die eigenen Tresors strömte, und nun schien sich dieser landfremde Amerikaner, der sich noch vor vierzehn Tagen sozialistisch gebärdet hatte, auf ein ultra-reaktionäres Programm festgelegt zu haben. Die nächsten Worte Ralphs bewiesen allerdings, daß er seine Gesinnung nicht geändert.

»Herr Finanzminister, um jeden Irrtum zu beseitigen: Nie würde ich mit meinem Geld politische Reaktion, Unterdrückung des Proletariats, Gewaltherrschaft und Monarchismus unterstützen. Nur für eine freie Republik wäre ich zu haben, und der ungarische Reichsverweser müßte viel Wasser in seinen Wein schütten, bevor ich die Mittel geben würde, um eine Konföderation mit Ungarn und Bayern zu fördern.«

Das Gesicht des Ministers wurde ganz milde Freundlichkeit.

»Wo denken Sie hin, Herr O'Flanagan! Wir alle sind Republikaner, die österreichische Regierung ist durchaus nicht reaktionär an sich, wenn sie auch davon durchdrungen ist, daß der Wiederaufbau nur unter Ausschaltung der Straße und jedes demagogischen Terrors möglich ist. Ich glaube aber, daß wir die heutige Sitzung beenden sollten, zu viel des Neuen ist auf uns eingestürmt, wir müssen mit uns zu Rate gehen und selbstverständlich muß ich von der Anregung unseres amerikanischen Freundes den Bundeskanzler unterrichten. Vor allem aber darf selbstverständlich von dem, was hier gesprochen wurde, nicht ein Wort in die Öffentlichkeit dringen.«

Die Herren Bankdirektoren blieben reichlich verschnupft zurück, Dr. Kienböck raste nach dem Kanzlerpalais, Ralph aber ging, unschlüssig mit sich selbst, unzufrieden nach der Kärntnerstraße, um Lolotte zu besuchen. Eine innere Stimme sagte ihm, daß er sich auf ein falsches Geleise begeben. Eine innere Stimme warnte ihn vor Lolotte, die tagtäglich im schweren Duft des opiatischen Rauches seinen Ehrgeiz anstachelte und von dem »neuen Reich« schwärmte. Eine innere Stimme sagte ihm: Geh zu Hilde, die du seit Tagen nicht gesehen, hol dir dort Reinheit, Ruhe und Klarheit. Aber eine wilde, unbezähmbare Gier nach Lolotte ließ ihn die innere Stimme zum Schweigen bringen, riß ihn tiefer und tiefer in das Netz, das Lazlo Bartos gesponnen und Lolotte Valon ausgelegt hatte.


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