Hugo Bettauer
Der Kampf um Wien
Hugo Bettauer

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33. Kapitel

Rettung.

Ralph hatte den Samstag in Wöllersdorf zugebracht und war von der Großartigkeit dieser Industrieanlage angenehm überrascht gewesen. Vertrauensmänner der Arbeiterschaft, unter ihnen Demmer, führten ihn herum, gaben ihm die notwendigen Erklärungen, zeigten sich begeistert über die Aussicht, daß hier wieder voll gearbeitet, Neues, Gewaltiges geschaffen werden sollte. Auch die Herren Direktoren waren ganz Ergebenheit und bemühten sich in längerem Vortrag klar zu machen, daß Wöllersdorf tatsächlich geeignet wäre, eine Industriestadt mit tausend Fabriken, unzähligen Arbeiterhäusern, Gärten, Klubgebäuden für Arbeiter und Beamte, Badeanstalten, Theatern zu werden.

»O'Flanagan-City könnte das Ganze heißen,« meinte lächelnd einer der reichsdeutschen Herren, »und Ihr Name würde unsterblich werden.«

Ralph dachte unwillkürlich an Lolotte. Diese hatte ihm ein ganzes Reich, einen Königsthron fast verheißen, hier lockte ihm nur die Aussicht auf eine Stadt. Und doch erschien ihm in diesem Augenblick Wöllersdorf als das begehrenswertere Ziel, als ein Ziel, aus dem ein Quell von Glück und Wohlstand strömen konnte.

Auf der Rückfahrt im Auto sagte Kriegel, der Ralph begleitet hatte:

»Nun wird sich erst zeigen, ob und zu welchen Bedingungen diese Herren von der A. E. G. Wöllersdorf herausrücken. Glauben Sie nur ja nicht, daß die Herrschaften auch nur das geringste ideele Interesse an Ihren Plänen haben! Sie werden versuchen, für sich selbst ungeheuere Beträge herauszuschinden.´´

»Wenn es nur um Geld geht«, meinte Ralph achselzuckend, »so wird sich die Sache machen lassen. Auf ein paar Millionen Dollar mehr oder weniger soll es mir nicht ankommen: Hauptsache, daß damit nicht einer Gruppe von Kapitalisten, sondern dem Lande gedient wird.«

Ralph verbrachte den Abend in Gesellschaft seiner Freunde, es wurde angeregt über die Ereignisse der Zeit gesprochen, von dem immer weiteren Vordringen der Franzosen, der zögernden Unentschlossenheit der Amerikaner, der neuen Kriegsgefahr auf dem Balkan, und Korn sagte zynisch:

»Übernehmen Sie so rasch als möglich Wöllersdorf, führen Sie den Zehnstundentag ein und lassen Sie Munition und nichts als Munition machen. Dann werden sich Ihre investierten Millionen rentieren: Ich glaube, man wird sehr bald wieder sehr viel Munition brauchen.«

Worauf Ralph erwiderte:

»An dem Tag, an dem in Europa ein neuer Krieg ausbricht und Österreich die erste Patrone liefert, verlasse ich Wien auf Nimmerwiedersehen!«

Es war zwei Uhr, als Ralph zu Bett ging. Vorher gab er Sam den Auftrag, zeitlich morgens durch den Hotelportier einen großen Strauß rote Rosen auftreiben und Fräulein Wehningen schicken zu lassen. Worauf Sam über das ganze schwarze Gesicht grinste.

»Ich Lintscherl auch oft Rosen kaufen. Wenn Mann Madel Rosen kauft, er sie lieben tut. Ich Lintscherl sehr lieben und meinen, Master Fräulein Wehningen auch lieben. Glaube, am besten, wir beide bald heiraten tun.«

»Sam«, sagte Ralph lachend, »kümmere dich um deine Angelegenheiten, aber nicht um meine. Wenn du dein Lintscherl heiraten willst, meinethalben, aber du weißt: Nach Amerika kannst du dann nicht mir ihr gehen!«

»Ich wissen! Yankees schlechte Menschen und nicht wollen, daß armer Neger weißes Frau hat. Ich aber keine Sehnsucht nach Amerika, mir Wien viel lieber!«

Als Ralph am anderen Morgen erwachte, war es schon neun Uhr. Er badete rasch und setzte sich dann guter Laune zum Frühstück, das er auf seinem Appartement einzunehmen pflegte. Freute sich, heute Hilde wieder zu sehen, kostete die Überraschung aus, die Hilde zeigen würde, wenn sie erfuhr, wer er eigentlich sei.

Wie immer las Ralph während er frühstückte die Zeitungen und wie immer griff er auch heute zuerst nach dem »Tag«, der ihm übersichtlicher, in seiner Knappheit besser orientierend erschien als die anderen Blätter. Verstimmt überflog er die Nachrichten auf der ersten Seite, die von neuen französischen Gewalttaten, neuen peinlichen Zwischenfällen an den ungarischen Grenzen erzählten. Dann ging er zum Tagesbericht über und hier fiel ihm ein Artikel mit der einigermaßen rätselhaften Überschrift: »Wieder eine!« auf. Und er las;

Ein wahres Zeichen unserer korrumpierten Zeit bildet ein eigenartiger Vorfall, der sich gestern abends zugetragen hat. Ein junges Mädchen aus gutem Hause, einziges Kind eines verstorbenen Barons und dessen Gattin, einer geborenen Gräfin B., Hilde W., wohnhaft Wien, 18. Bezirk, Kreuzgasse, Beamtin in einer Fabrik elektrotechnischer Artikel, wurde verhaftet, weil sie einem Herrn, dessen Bekanntschaft sie eben vorher in der Kärntnerstraße gemacht, in einem Separee bei Hopfner die Brieftasche mit mehr als einer Million Kronen während einer zärtlichen Umarmung entwendet hatte. Nach den Erkundigungen, die unser Berichterstatter bei der Polizei eingezogen hat, leugnet das junge Mädchen, das einen sehr guten Eindruck machen soll, heftig, aber sie verwirrte sich dabei in ein solches Lügengewebe, daß an ihrer Schuld nicht gezweifelt werden kann. Hilde W. wurde abends nach dem Polizeigefängnis auf der Elisabethpromenade eingeliefert. Der Name des bestohlenen Herrn, der übrigens die Brieftasche mit Inhalt wieder bekommen hat, wird von der Polizei nicht bekanntgegeben. Junge Leute aus gutem Haus Defraudanten, Valutenschieber und Einbrecher, Mädchen von tadelloser Erziehung Dirnen und Diebinnen – das sind die Andenken, die uns der Krieg zurückgelassen hat.

Ralph hatte gelesen. Stierte wie ein Betrunkener vor sich hin, sprang auf, taumelte, preßte die Fäuste auf die Schläfen und fing so furchtbar zu lachen an, daß Sam erschreckt herbeieilte und als er das grünlich-weiße Gesicht seines Herrn mit dem weit aufgerissenen Mund, auf dem der Schaum stand, sah, nichts anders glaubte, als daß Ralph wahnsinnig geworden.

Keuchend gewann Ralph seine Besinnung wieder. Setzte sich vor den Schreibtisch und grübelte dumpf in sich hinein.

Deshalb also konnte sie mich gestern nicht treffen! Weil sie schon vorher wußte, daß sie auf Männerfang ausgehen würde! Hilde eine gemeine, räuberische Straßendirne! Und ich, ich Narr, ich Esel und Trottel aus einer anderen Welt, habe sie für eine Heilige, für ein keusches, reines Geschöpf gehalten! Aber nein, nein, nein! Das muß ein Irrtum sein! Habe ich Hilde nicht, als sie mir einmal von Geldsorgen erzählte, jede Hilfe angeboten? Und hat sie diese nicht beleidigt zurückgewiesen? Hilde eine Dirne, eine Diebin? Nein, eher glaube ich, daß ich wahnsinnig geworden bin, daß das alles nicht in der Zeitung steht, sondern ein furchtbarer Traum ist.

Entsetzen und Grauen wurden jäh durch Mitleid abgelöst. Hilde hatte die Nacht im Gefängnis zugebracht! Hilde, dieses feine, fast überempfindliche Mädchen, weinte und schrie jetzt wohl in einer Zelle unter Vagabunden und Verbrechern. Gleichgültig, ob schuldig oder nicht, sie mußte befreit werden, sofort und um jeden Preis. War sie ihm nicht mehr Geliebte, so doch eine unglückliche Schwester, ein armes, verirrtes Wesen, das gerettet werden mußte.

Während der Amerikaner die Treppen hinunterraste, überlegte er. Er war hier fremd, würde nicht rasch genug die richtigen Wege finden, auch könnte ihm seine amerikanische Ursprünglichkeit erstarrten büreaukratischen Formen gegenüber hinderlich sein. Kriegel sollte ihn begleiten.

Der Chauffeur erschrak über das verstörte Aussehen O'Flanagans, obwohl ihm Sam schon gesagt hatte, daß irgend etwas Furchtbares geschehen sein müsse. Und als ihm Ralph befahl, so rasch als möglich nach der Sternwartestraße zu Doktor Kriegel zu fahren, schlug er ein mörderisches Tempo ein.

Kriegel saß im tiefsten Negligé vor seinem Schreibtisch, schrieb und qualmte aus seiner kurzen Pfeife, als Ralph zu ihm hineinstürmte und in fliegender Hast alles, was nach dem Zeitungsbericht vorgefallen, erzählte. Die tiefinnere, philosophische Ruhe, die sich Kriegel erworben, konnte ihn nicht verhindern, zu erbleichen. Blitzschnell zog er sich an und erst unten im Auto fand er Worte.

»Lieber O'Flanagan, entweder sind Sie ein naiver Jüngling, der sich durch eine hübsche Larve und zwei blaue Augen hat narren lassen, oder es sind hier seltsame Dinge geschehen.«

Vom Portier des Polizeigebäudes auf der Elisabethpromenade erfuhr Kriegel, an wen sie sich zu wenden hätten. Standen gleich darauf vor einem hohen Polizeibeamten, auf den der Name O'Flanagan stimulierend wirkte. Ralph sagte mit mühsam zurückgedrängter Erregung.

»Herr Polizeirat, durch den ›Tag‹ erfahre ich, daß gestern abends ein junges Mädchen, im Polizeibericht wird nur von Hilde W. gesprochen, aber sicher handelt es sich um Hilde Wehningen, unter dem schweren Verdacht des Diebstahls eingeliefert wurde. Ich nehme persönliches Interesse an der jungen Dame und bin bereit, Kaution in jeder beliebigen Höhe für Fräulein Wehningen zu stellen.«

Der Polizeirat, erstaunt darüber, daß der berühmte Amerikaner sich für einen weiblichen Häftling interessiert, erwiderte mit größter Zuvorkommenheit:

»Eine Kaution ist nicht notwendig, ich hätte ohnedies noch im Laufe des Vormittags die Haftentlassung verfügt.«

»Hat sich ihre Unschuld erwiesen?« schrie Ralph freudig auf.

»Das nun nicht, aber auf unsere Anfrage beim Kommissariate Währing wurde bestätigt, daß Hilde Wehningen mit ihrer Mutter ordnungsgemäß gemeldet und österreichische Staatsbürgerin ist, und da weder Flucht- noch Kollisionsgefahr vorliegen, so ist gar kein Grund vorhanden, sie weiter in Haft zu halten. Der Polizeiakt geht nun an das Landesgericht ab, alles weitere ist Sache des Untersuchungsrichters und der Staatsanwalt, die die Anklage erheben wird. Übrigens habe ich, da das junge Mädchen einen ganz außerordentlich guten Eindruck auf mich gemacht hat, einen Beamten beauftragt, Erkundigung nach ihr bei ihren Nachbarn und im Hause, in dem sie wohnt, einzuholen. Er könnte eigentlich schon mit seinem Bericht hier sein. Und nun werde ich die Haftentlassung verfügen.«

In diesem Augenblick trat ein Polizeiagent ein.

»Aha, das ist ja der Beamte, von dem ich Bericht erwarte. Nun Wollner, was haben Sie erfahren?«

Der Mann nahm militärische Haltung ein und begann:

»Herr Polizeirat, ich verstehe die ganze Geschichte nicht. Irgend etwas stimmt da nicht. Die Hausmeisterin des Hauses, in dem Fräulein Wehningen mit ihrer Mutter wohnt, die Nachbarn, die Trafikantin an der Ecke, der Fleischer gegenüber, alle sind furchtbar aufgeregt und erklären, daß sie ihre Hand ins Feuer für die Unschuld des Mädchens legen würden. Sie ist wegen ihres feinen Wesens und ihrer Solidität geradezu berühmt, lebt ganz still und zurückgezogen, kommt fast immer vor sieben Uhr abends nach Hause und geht nicht mehr aus. Nur in letzter Zeit hat sie öfters Blumen zugeschickt bekommen und ist einigemal spät, aber fast immer vor zehn Uhr, von einem Herrn mit Auto nach Hause gebracht worden.«

»Der Herr, der die Blumen geschickt, und Fräulein Wehningen nach Hause gebracht hat, bin ich«, unterbrach Ralph, der überglücklich über das war, was er zu hören bekam.

Auch der Polizeirat war entschieden perplex.

»Ja, das ist allerdings seltsam – da scheint etwas wirklich nicht zu stimmen! Nach der Anzeige des Herrn –«

»Wer ist eigentlich dieser Herr?« warf Doktor Kriegel ein.

»Ein Baron Georg Morolt aus Berlin, der sich vorübergehend in Wien aufhält und hier in Hietzing, Cumberlandstraße 72, wohnt. Ich habe ihn ohnedies für heute vormittags vorgeladen, da ich die Wehningen, bevor ich sie entlasse, mit ihm konfrontieren wollte.«

Der Polizeirat blätterte in dem Protokoll, das ihm vom Polizeikommissariat, nach dem Hilde zuerst gebracht worden war, überwiesen worden und zog die Augenbrauen hoch.

»Sehr merkwürdig! Hören Sie, meine Herren, was die Verhaftete gestern zu Protokoll gegeben hat:

Ich erhielt im Bureau, in dem ich arbeite, nachmittags gegen vier Uhr einen Brief des mir bekannten Herrn Patrick Ralph, in dem er mich bat, ihn an der Ecke der Bösendorfer- und Kärntnerstraße, um Viertel nach sechs Uhr zu erwarten und von dort mit ihm in das Restaurant Hopfner zu gehen, da er mich unbedingt ganz ungestört sprechen müsse. An seiner Stelle erschien aber ein Herr, der sich mir als Baron Morolt und Freund des Herrn Ralph vorstellte. Er sagte, daß sein Freund verhindert sei, rechtzeitig zu kommen und führte mich in das Separee. Ich aß eine Kleinigkeit und trank ein Glas Wein auf einen Zug aus, worauf ich in eine Art Betäubung versank. Als ich wieder zu mir kam, war es acht Uhr und Baron Morolt entfernte sich, um nach Herrn Ralph zu telephonieren. In Begleitung eines Schutzmannes erschien er wieder und beschuldigte mich des Diebstahls. Tatsächlich wurde in meiner Bluse seine Brieftasche gefunden. Ich kann mir dies nur so erklären, daß dieser Baron die Brieftasche während meiner Betäubung mir zugesteckt hat.«

Während Ralph und Kriegel wie erstarrt dastanden, fragte der Polizeirat:

»Ja, warum hat das Fräulein eigentlich nicht Ihren richtigen Namen und Ihre Adresse angegeben?«

Ralph zitterte am ganzen Körper, rang die Hände und rief:

»Dies ist meine Schuld! Sie kannte mich nur unter dem Namen Ralph, da ich mich törichterweise, um nicht als reicher Mann auftreten zu müssen, ihr so vorgestellt hatte. Auch meine wirkliche Adresse wußte sie nicht, ich hatte ihr nur einmal gesagt, daß ich in der Lothringerstraße wohne. Aber ich habe ihr gestern keinen Brief geschickt. Wo ist dieser Brief?«

»Den Brief hat sie nicht bei sich gehabt. Sie behauptet darüber folgendes:

»Ich bin fest überzeugt, den Brief des Herrn Ralph in mein Täschchen gesteckt zu haben. Wie er mir abhanden gekommen ist, weiß ich nicht, glaube aber, daß er mir während meines bewußtlosen Zustandes gestohlen wurde.«

Die Erregung der beiden Herren teilte sich dem Polizeirat mit, der aufgesprungen war und mit schweren Schritten auf und ab ging.

»Die ganze Geschichte erscheint mir jetzt in einem ganz anderen Licht. Höchste Zeit, daß sich dieser Baron Morolt meldet. Werde einmal in Hietzing anfragen, ob ihm die Vorladung zugestellt wurde.«

Eine Minute voll Erwartung verging, bevor die Verbindung hergestellt war.

»Hier Polizeirat Swoboda. Bitte Herr Kollege, ich habe vor gut zwei Stunden das Polizeikommissariat beauftragt, den Baron Georg Morolt, Cumberlandstraße 72, dringend zu mir vorladen zu lassen. Ist dies geschehen? Wie? Wohnt dort nicht? Ist in Hitzing überhaupt nicht gemeldet? Ist das ganz zuverlässig? Na, da hört sich ja einiges auf! Ich danke also!«

Totenstille im Zimmer, das das keuchende Atmen Ralphs unterbrach.

Nach einer Pause sagte betreten, verstört der Polizeirat:

»Meine Herren, Sie haben ja aus meinen Fragen erfahren – der Herr, der Fräulein Wehningen in den Verdacht gebracht hat, eine diebische Dirne zu sein, hat eine falsche Adresse angegeben! Die ganze Angelegenheit wird immer verdächtiger. Ich werde nunmehr den Herrn Präsidenten sofort verständigen.«

Doktor Kriegel trat vor.

»Darf ich Sie bitten, Herr Polizeirat, zunächst Fräulein Wehningen zu befreien. Die Meldung beim Herrn Polizeipräsidenten werden dann wir selbst erstatten. Die Sache ist sehr ernst, ernster, als wir alle glauben.«

Ein telephonischer Befehl, eine Minute peinlichster Stille, von dem Herzklopfen dreier Männer erfüllt. Dann betrat Hilde, von einem Schutzmann geführt, das Zimmer.

Schneeweiß im Gesicht, die Augen vom Weinen geschwollen, die blonden Haare wirr in die Stirne hängend, blieb Hilde stehen, schlug die Hände vor das Gesicht, als sie Ralph vor sich sah.

Dieser sprang auf sie zu, nahm sie in seine Arme, streichelte sie wie ein kleines Kind und sagte sanft:

»Hilde, was hat man Ihnen getan? Weinen Sie nicht, ich bin jetzt bei Ihnen, kein Haar darf Ihnen mehr gekrümmt werden.«

Hilde schluchzte fassungslos, schwankte, sank halb ohnmächtig auf den Stuhl, den der Polizeirat zu ihr trug. Der Beamte räusperte sich dann und sagte:

»Fräulein Wehningen, Sie sind jetzt frei und ich habe jetzt selbst die Überzeugung, daß ein böses Spiel mit Ihnen getrieben wurde. Fassen Sie sich, Herr O'Flanagan wird Sie nun Ihrer Mutter nach Hause bringen und –«

Hilde starrte verwundert um sich.

»O'Flanagan, wer ist das?«

»Ich bin das, Hilde, auch ich habe Unrecht an Ihnen getan! Habe mich unter falschem Namen in Ihr Vertrauen geschlichen, aber wahrhaftig nicht aus schlechten Motiven. Später werde ich Ihnen das alles erzählen, Hilde. Nun aber müssen Sie sich beruhigen und mir und meinem Freund ganz vertrauen.«

Hilde erhob sich.

»Sie sind also dieser reiche Amerikaner, der Österreich so gerne glücklich machen möchte! Vorläufig haben Sie nur mich recht, recht unglücklich gemacht.«

Sie begann leise zu weinen.

»Sie haben wohl geglaubt, daß ich so eine bin, der Geld alles ist, die Ihnen und Ihren Millionen zu Füßen fallen würde! Und wollten als eine Art Harun Al Raschid Ihre Wirkung auch ohne die Millionen erproben. Und nun bin ich durch Sie aus meinem armseligen, aber ruhigen Leben gerissen worden, bin mit Schmach und Schande beladen.«

Hilde hatte sich ganz gefaßt. Hochaufgerichtet wandte sie sich dem Polizeirat zu.

»Ist dieser Schuft, der mich verderben wollte, entlarvt? Ist es erwiesen, daß ich das Opfer einer Verschwörung bin?«

Der Beamte wurde wieder ganz zum Beamten, der seine Worte wägen mußte, und sagte bedächtig:

»Das nun nicht, mein Fräulein, aber schon die Tatsache, daß der angebliche Baron Morolt eine falsche Adresse angegeben hat, läßt die Affäre in einem anderen Licht erscheinen. Ich zweifle nicht, daß Ihre Unschuld sich erweisen wird lassen.«

»Für mich ist sie erwiesen, Hilde, für mich sind Sie wieder das reinste, beste Geschöpf der Welt! Und nun kommen Sie mit mir.«

Hilde trat einen Schritt zurück, streckte die Hände zur Abwehr aus.

»Halt! Sie sagen ›wieder‹ – also haben auch Sie an meine Schuld geglaubt. Herr Ralph, oder eigentlich Herr O'Flanagan, Sie sind reich und Reichtum vermag vieles. Setzen Sie alle Hebel in Bewegung, um nicht nur sich, sondern der ganzen Welt meine Unschuld zu beweisen. Bringen Sie die Schurken, die mich zur Dirne machen wollten, tot oder lebendig zur Strecke. Drei Tage werde ich warten und dann wissen, ob ich weiter leben kann oder meinem Leben ein Ende bereiten muß; Und bis dahin wünsche ich Sie nicht mehr zu sehen, Herr O'Flanagan.«

Ralph wollte ihr nachstürzen, Kriegel hielt ihn zurück.

»Lassen Sie sie! Sie hat ganz recht. Für Sie gibt es jetzt nur eine Aufgabe: Das Mädchen von jedem Makel zu reinigen.«


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