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Giovanni Arrivabene, Ugoni und Scalvini.

– 1822. –

Der Graf Giovanni Arrivabene hatte im Jahre 1820 auf seinem Landgute La Guaita bei Mantua den Grafen Porro, dessen Söhne und Pelico aufgenommen, das heißt Männer, die, wie Lamennais sich ausdrückt, es gewagt hatten, das Wort ›Vaterland‹ auszusprechen. Durch dieses Verbrechen hatten seine Gäste die Todesstrafe verwirkt, die aber die Gnade Österreichs in fünfzehn Jahre schweren Kerkers umwandelte. Porro wurde noch verfolgt, Pelico war schon festgenommen, ihr Freund Arrivabene hatte das Gleiche zu erwarten. Er wurde in der That festgenommen, in Anklagezustand versetzt, aber nach einer ziemlich langen Internierung wieder freigelassen. Er erfuhr jedoch kurz darauf, daß die österreichische Polizei ihre Milde schon wieder bereute.

Arrivabene verließ deshalb eines Morgens in aller Stille sein Haus und begab sich nach Brescia zu seinem Freunde Giovita Scalvini. Dieser, dem die gleiche Gefahr drohte, entschloß sich sofort, seinen Freund zu begleiten. Seine Mutter, obgleich wissend, daß er ohne Hoffnung auf Rückkehr entweiche, war die erste, die ihm vor der österreichischen Polizei zu fliehen riet. Man kam überein, am nächsten Morgen frühzeitig aufzubrechen; noch schloß sich Camillo Ugoni, den ein gemeinsamer Freund benachrichtigt hatte, den beiden an.

Am 9. April 1822 verließen die drei Flüchtlinge und ein Diener von Arrivabene Brescia und wandten sich nach den Bergen, die Italien vom Kanton Graubünden trennen.

Drei Tage und drei Nächte lang passierten sie ein Gewirr von Thälern und Pässen. Fortwährend brauchten sie neue Führer, überall wurden sie freundlich und zuvorkommend aufgenommen, wenn man auch leicht erriet, was für Reisende sie waren. Am dritten Tage kurz vor Mitternacht kamen sie nach Edolo, einem Dorf an der Adda. Sie bestellten Pferde und Führer für den anderen Morgen früh. ›Es wird alles rechtzeitig bereit sein‹, sagte der Wirt, und führte sie in einen Raum, wo vor einem großen Feuer Uniformen ausgebreitet waren. ›Was ist denn das?‹ fragten die Reisenden. ›Gendarmen sind heute Abend müde und durchnäßt angekommen‹, versetzte der Wirt. ›Ehe sie zu Bett gingen, haben sie ihre Uniformen vor dem Feuer aufgehängt, um sie morgen trocken zu finden, denn sie wollen auch frühzeitig aufbrechen, ... sie schlafen da oben.‹ Ohne weiter zu fragen, baten die Flüchtlinge den Wirt, ihnen sofort Pferde und Führer nach Poschiaro zu besorgen. Der Wirt mochte ihre Lage erraten und erklärte sich sofort dazu bereit. Er hätte sich dieselbe wohl zu Nutze machen können, sagt Arrivabene in seinen Memoiren, und uns übervorteilen können; allein er vermietete uns im Gegenteil seine Pferde sehr billig und flößte mir soviel Vertrauen ein, daß ich ihm mein Felleisen mit fünfhundert Franken zurückließ und ihn bat, es nach Poschiaro nachzuschicken; ich erhielt es auch dort unversehrt.

In kaum einer halben Stunde war alles bereit. In strömendem Regen kletterten die Flüchtlinge einen steilen Saumpfad hinan. Ihr Führer hatte kein Vertrauen einflößendes Äußere, er war mit Lumpen bekleidet und jedenfalls ein Schmuggler. Auf Befragen erklärte er: ›Sie können ruhig sein, – wenn ich auch schlecht angezogen bin, so bin ich doch ein rechtschaffener Mann.‹ Jedermann wußte augenscheinlich um das Geheimnis. Es galt zunächst Tirano zu erreichen, eine größere Stadt im Veltlin, nahe an der Grenze von Graubünden. Bei Tagesanbruch kamen die Flüchtlinge an einem Berge vorbei, den man i Sapei della Briga nennt: hier war ein Gendarmerieposten. Es war heller Tag, als man ihn erreichte; Fenster und Thüren waren offen, aber die Gendarmen zeigten sich nicht, und die Reisenden kamen unbemerkt vorbei.

Einige Minuten später hatten sie den Grenzpfahl hinter sich. (Arrivabene 2c.)

Noch war aber der schwierigste Punkt, die Grenze, zu überschreiten. Vor Tirano wurde Rat gehalten, ob man auf der Hauptstraße bleiben und in Tirano den Zollbeamten unter die Augen treten wolle, oder ob es besser sei, auf Umwegen die Stadt zu vermeiden. ›Was gehen uns die Zollbeamten an?‹ sagten die Führer, ›die kümmern sich nicht um die Reisenden nach der Schweiz, sondern nur um die Waaren, die herüber kommen; nach Pässen fragen sie nicht. Falls sie wissen wollen, wer wir sind, so geben wir uns für Viehhändler aus, die zum Markt von Poschiaro gehen. Sobald wir auf Schleichwegen gehen, können wir einem umherstreifenden Zollwächter begegnen, der sofort neugierig sein wird und andere herbei ruft!‹ Nun holte man bei einem in der Nachbarschaft wohnenden Freunde eines Führers Rat ein. Dieser war der Ansicht, zwei Pferde zurückzulassen, um der Reisegesellschaft ein bescheideneres Ansehen zu geben. Das wurde gethan: Arrivabene und Scalvini setzten sich zusammen auf ein Pferd, die Führer folgten in einiger Entfernung, um mit den Zollwächtern zu plaudern, während die Flüchtlinge voranritten. So zog man durch Tirano wie Leute, die keine Eile haben. Als man an die Grenze kam, wollten zwei argwöhnische Zollbeamte die Reisenden wieder einholen. Aber diese gaben den Pferden die Sporen und hatten einige Minuten später den Grenzpfahl hinter sich. Sie waren in der Schweiz und frei.

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