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Sie führten Marius dem Meere zu.

Marius.

– 28 v. Chr. –

Von Sulla bedroht, der auf Rom marschierte, suchte Marius vergeblich die Sklaven zu seinen Gunsten zu erheben. Er wußte, daß er von seinem Nebenbuhler, dem er viele Freunde getötet, keine Gnade zu erwarten hatte und sah sich gezwungen, ihm das Feld zu räumen und zu fliehen. Kaum war er aus der Stadt heraus, als seine Begleiter ihn verließen. Er befand sich allein in der Dunkelheit und flüchtete sich nach Solonium, einem seiner Landhäuser. Von hier aus sandte er seinen Sohn nach den unweit gelegenen Gütern seines Schwiegervaters Mucius, um nötige Vorräte zu holen. Er selbst stieg nach Ostia hinab, wo Numerius, einer seiner Freunde, ein Schiff für ihn bereit hielt. Ohne auf seinen Sohn zu warten, schiffte er sich dann mit seinem Schwiegersohne Granius ein.

Mittlerweile hatte der junge Marius Proviant vorbereiten lassen. Aber der Tag brach an, und Reiter von Sulla näherten sich dem Orte. Der Verwalter von Mucius hatte sie von weitem kommen sehen und versteckte den jungen Marius in einen mit Bohnen beladenen Wagen, spannte Ochsen davor und fuhr so, vor den Reitern her, in die Stadt. Der Flüchtling wurde nach der Wohnung seiner Frau geführt, wartete da die Nacht ab, schiffte sich sofort ein und erreichte glücklich Afrika.

Der alte Marius hatte schnell die Anker lichten lassen und segelte mit gutem Winde der Küste entlang. Er hatte aber Furcht vor Geminius, einem der mächtigsten Einwohner von Terracina, welcher sein Feind war, und befahl deshalb den Matrosen, sich fern von diesem Orte zu halten. Sie gehorchten seinen Befehlen, solange der Wind es gestattete. Bald aber sprang dieser um, wurde stärker, und es erhob sich ein solcher Sturm, daß es unmöglich schien, sich länger auf dem Meere zu halten. Außerdem litt der alte Marius an Seekrankheit, so daß man bei Circeum die Küste zu gewinnen suchen mußte, wo sie nach vieler Anstrengung auch anliefen. Sie waren kaum etwa zwanzig Stadien von Minturne entfernt, als sie einen Trupp Reiter auf sich zukommen sahen. Zufällig fuhren gerade zwei Barken der Küste zu, alle liefen erschreckt diesen entgegen, stürzten sich ins Meer und schwammen nach den Booten. Granius erreichte eines und entkam nach der gegenüberliegenden Insel Enaria. Marius kam nicht so schnell vorwärts, denn er war schon siebzig Jahre alt. Zwei Sklaven hielten ihn mit Mühe über Wasser und setzten ihn in das andere Fahrzeug. Die Reiter waren inzwischen ans Ufer gekommen, schrien den Barken zu, ans Land zu rudern oder Marius ins Meer zu werfen und dann hinzufahren, wohin sie wollten. Marius bat und weinte, und die Leute im Boote, nachdem sie unschlüssig hin und her gestritten hatten, antworteten schließlich den Reitern, sie würden Marius nicht verlassen. Kaum waren aber die Reiter wütend fortgeritten, als die Seeleute anderen Sinnes wurden und nach dem Lande zu ruderten. Sie gingen an der Mündung des Liris (Garigliano) vor Anker, dessen Wasser einen Sumpf bilden. Sie veranlaßten Marius ans Land zu gehen, um sich von der Seekrankheit zu erholen und zu essen; wie sie ihm sagten, müßten sie auf anderen Wind warten, der vom Lande nach der See wehe und zu einer bestimmten Zeit einsetzen würde. Marius glaubte ihnen und folgte ihrem Rate. Die Bootsleute setzten ihn am Ufer ab und er legte sich ins Gras einer Wiese, ohne Schlimmes zu ahnen. Die Leute stiegen aber sofort wieder in ihre Barken, lichteten die Anker und entflohen, weil sie glaubten, es sei zwar nicht ehrenhaft, Marius auszuliefern, aber doch gefährlich für sie, ihn zu retten.

So allein, von Allen verlassen, blieb Marius lange Zeit am Ufer liegen, erschöpft und mutlos. Dann erhob er sich mit Anstrengung und begann mühselig über das pfadlose Gebiet zu wandern. Er durchwatete tiefe Sümpfe und ging dann auf gut Glück geradeaus. So kam er an die Hütte eines Greises, der sich kümmerlich von der Arbeit seiner Hände ernährte. Marius fiel ihm zu Füßen und bat ihn, ihn zu retten und einem Manne beizustehen, der, wenn es ihm gelinge, der jetzigen Gefahr zu entrinnen, ihn über seine Erwartungen belohnen könne. Der Greis, sei es, daß er ihn von früher kannte oder an seinen Zügen eine Person von Ansehen erkennen mochte, gab ihm zur Antwort: »Habe er nur nötig auszuruhen, so genüge seine Hütte, wolle er aber vor Feinden fliehen, so werde er ihn an einem Orte verbergen, wo er sicher sein könne.« Marius bat, ihn zu verstecken. Der Alte führte ihn an eine versteckte Stelle mitten im Sumpfe und bat ihn, sich niederzuducken. Dann warf er Schilfrohr und andere leichte Dinge oben auf, die ihn verbargen, ohne ihn durch ihr Gewicht zu beschweren.

Marius war noch nicht lange in seinem Verstecke, als er von der Hütte her ein Geräusch von Stimmen hörte. Geminius von Terracina hatte eine große Anzahl Leute zu seiner Verfolgung ausgesandt. Einige waren durch einen Zufall auch hierher gekommen und suchten den Alten zu erschrecken und einzuschüchtern, indem sie ihm zuriefen, er habe den Feind Roms aufgenommen und versteckt. Marius erhob sich bei diesen Worten aus seinem Verstecke, legte seine Kleider ab und ging weiter in den Sumpf hinein. Dies bemerkten die Männer, welche nach ihm suchten. Sie kamen herzu und zogen ihn nackt und mit Schlamm bedeckt aus dem Sumpfe heraus. Dann führten sie ihn nach Minturne und übergaben ihn dem Magistrate. Schon war in allen Städten das Dekret bekannt gemacht worden, welches befahl, Marius zu verfolgen und ihn zu töten, sobald man seiner habhaft werde. Dennoch glaubte der Magistrat über den Fall erst beraten zu müssen. Inzwischen brachte man Marius in das Haus und unter die Obhut einer Frau, namens Fannia. Man wählte dieses Haus, da man annahm, daß Fannia wegen einer alten Sache dem Marius noch grolle. Aber sie betrug sich bei diesem Anlasse nicht wie eine beleidigte Frau. Der Anblick von Marius schien keine trüben Erinnerungen in ihr zu erwecken, vielmehr suchte sie ihm Mut einzuflößen und bot ihm an, was sie im Hause hatte. Er dankte ihr und versicherte ihr, daß er voll Vertrauen sei, weil er ein günstiges Schicksalszeichen gesehen habe. Er wolle sich nur ausruhen und befahl, daß man die Thür des Zimmers schließe.

Mittlerweile hatte der Magistrat und die Dekurionen von Minturne beschlossen, Marius sofort töten zu lassen. Es fand sich aber kein Bürger, um das Urteil zu vollstrecken. Endlich nahm ein Reitersmann, ein Gallier nach einigen, ein Cimbrier nach andern, ein Schwert und begab sich zu Marius. Das Zimmer, worin dieser lag, hatte nur eine kleine Lichtöffnung und war sehr dunkel. Man erzählt nun, der Cimbrier glaubte die Augen des Marius Flammen sprühen zu sehen und hätte eine laute Stimme ihm aus der Dunkelheit zurufen gehört: »Unglücklicher, solltest Du es wohl wagen, Cajus Marius zu erwürgen?« Darauf lief der Barbar eilig fort, warf sein Schwert weg und sagte beim Verlassen des Hauses: »Nein, ich kann Cajus Marius nicht töten.« Als die Bürger dies hörten, waren sie erst erstaunt und verwundert, dann überkam sie Mitleid und Reue. Sie machten sich Vorwürfe, einen so grausamen und undankbaren Beschluß gegen einen Mann gefaßt zu haben, der Italien errettet hatte. Damals galt es schon fast für ein Verbrechen, ihm keine Hilfe zu leisten. Sie sagten sich: »Mag er fliehen, wohin er will und seinem Schicksale entgegengehen. Wir wollen die Götter bitten, uns zu verzeihen, Marius hilflos und nackt aus unserer Stadt geworfen zu haben.«

Sie drangen dann in Menge in das Zimmer, nahmen Marius in ihre Mitte und führten ihn nach dem Meere zu. Da ihm jeder etwas geben wollte, von dem er glaubte, es könne ihm nützen, so kamen sie nur langsam vorwärts. Auch lag zwischen der Stadt und dem Meere ein heiliger Hain, Marica genannt, mit dessen Umgehung man viel Zeit verloren hätte. Da sagte ein Greis, daß der Durchgang kaum verboten sei, wenn es gälte, einen Mann wie Marius zu retten. Er selbst ging darauf als Erster durch dem heiligen Wald, und die anderen folgten. Ein gewisser Beleus lieferte ein Schiff, welches man eilig mit aller Art Lebensmitteln anfüllte, und so enteilte der Flüchtling der italienischen Küste.

Späterhin ließ Marius all diese Thatsachen auf einem Gemälde darstellen, welches er dem Tempel schenkte, in dessen Nähe er sich seiner Zeit mit günstigem Winde eingeschifft hatte.

(Plutarch, Leben des Marius.)

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