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– 1680. –
Karl II. war nach Schottland gekommen, um den Thron der Stuarts wieder zu erobern, sah aber seine Hoffnungen durch die Schlacht von Worcester, in welcher er jedenfalls großen Mut und Feldherrntalent zeigte, vernichtet. – Er hat ein vollständiges Tagebuch seiner Flucht hinterlassen, und entnehmen wir diesem die folgenden Thatsachen.
Als er die Schlacht verloren sah, war der erste Gedanke des Königs, wenn möglich London zu erreichen, bevor die Nachricht seiner Niederlage hingelangt war; aber seine Umgebung hatte andere Ansicht, und er selbst sah bald die Unmöglichkeit ein. Zuerst mußte er sich einer großen Anzahl der ihn begleitenden Ritter, die mehr eine Gefahr wie eine Sicherheit für ihn waren, entledigen, was ihm allmählich, dank der Ermüdung, die sie größtenteils zurückbleiben ließ, gelang. Dann marschierte er mit den ihm noch folgenden sechzig Edelleuten und Offizieren auf Wolverhampton zu. In der Nacht kam man, ohne bemerkt zu werden, durch eine benachbarte Stadt, die von einer Abteilung des republikanischen Heeres besetzt war, und erreichte, auf den Rat eines der Getreuen einen, White Ladies genannten Ort: vereinzelte Häuser, die der aus fünf Brüdern bestehenden, geachteten Familie Penderell gehörten. Alle suchten sie dem flüchtigen König mit bewundernswerter Aufopferung zu helfen, dem kurz zuvor ein Bauer gesagt hatte, daß dreitausend seiner Reiter, unter dem Befehle von Leslie, in der Nähe, aber in größter Unordnung seien. Das Gefolge des Königs bestürmte ihn, sich mit Leslie zu vereinigen und so Schottland wieder zu gewinnen zu suchen, – er hielt dies aber für unmöglich.
Endlich, so erzählt er selbst, faßte ich den Entschluß, London zu Fuß in Bauernkleidung zu erreichen zu suchen. Ich zog dicke graue Tuchhosen an, ein Lederwamms und einen grauen Leibrock, den ich in White Ladies erhielt. Ich schnitt mein Haar sehr kurz und warf meine eigenen Kleider in einen Brunnen, damit sie niemand finden könne, und unterrichtete nur Lord Wilmot von meinem Plane, denn alle anderen hatten mich um Schweigen gebeten, und zwar, damit sie mich nicht verraten könnten, wenn sie zu Geständnissen gezwungen werden sollten. Lord Wilmot wandte sich ebenfalls nach London; die anderen Leute von Ansehen und die Offiziere, die mir gefolgt waren, stießen zu den dreitausend aufgelösten Reitern von Leslie; doch bald darauf wurde diese Truppe durch eine einfache Reiterabteilung auseinander gesprengt.
Nach meiner Umkleidung nahm ich einen Bauern, namens Richard Penderell zu mir, der mir von Sir Giffard als zuverlässig empfohlen worden war. An dem auf die Schlacht folgenden Morgen verließ ich das Haus mit ihm, kam bald an einen großen Wald und hielt mich am Saume so nahe wie möglich an der Straße, um besser meine Verfolger erkennen zu können ...
Eine Reiterabteilung kam auf der Straße vorüber, aber wohl weil es während des ganzen Tages regnete, fiel es niemandem ein, das Gehölz abzusuchen, in dem Karl den ganzen Tag ohne Nahrung verbrachte. Sein Gefährte Richard Penderell kannte den Weg nach London nicht, und dies veranlaßte den König, seinen Reiseplan zu ändern. Als die Nacht kam, erreichten sie nicht ohne Beschwerde die Wohnung eines Edelmannes, namens Wolf, dem Penderell etwas unvorsichtig den Namen des Flüchtlings, der ihn um Obdach bat, mitteilte. Wolf empfing sie dienstfertig und freundlich. Das Haus würde überwacht, die Verstecke seien bekannt, da sie schon zu oft als solche gedient hätten; daher verbarg er den König in einer Scheune. Am folgenden Abend kam der unglückliche Fürst wieder den gleichen Weg zurück und blieb in der Wohnung eines der Brüder von Penderell, wo er erfuhr, daß Wilmot in der Nachbarschaft versteckt und auch ein gewisser Major Careless in der Nähe sei, der dem König als äußerst vertrauenswürdig bekannt war. Er ließ ihn kommen, und als der König ihn um Rat fragte, antwortete dieser: »Es wird für Ew. Majestät ebenso gefährlich sein, hier im Hause zu bleiben, wie sich ins Gehölz zu begeben. Ich kenne nur ein Mittel, den morgenden Tag zu verbringen: wir müssen auf eine der großen Eichen steigen mitten im Walde. Von da können wir alles um uns sehen, denn der Feind wird sicher den Wald absuchen.«
Ich billigte diesen Vorschlag; wir nahmen Brot, Käse und etwas Dünnbier mit uns und stiegen auf eine hohe Eiche, die man drei oder vier Jahre vordem abgeästet haben mochte, die aber seitdem wieder ausgeschlagen und nun so belaubt geworden war, daß sein Laub für das Auge undurchdringlich war. Da blieben wir den ganzen Tag und sahen die Soldaten in dem dichtesten Gehölz hin und her laufen, um die Versteckten zu suchen; auch außerhalb des Waldes ließen sich vereinzelt Soldaten sehen. –
Diese Eiche wurde später unter dem Namen Königseiche berühmt, verschwand aber allmählich ganz; denn die Jacobiten (Anhänger der Stuarts) schnitten Stück auf Stück des Holzes als Andenken aus. –
Am nächsten Tage beriet sich der König mit dem in der Nachbarschaft versteckten Wilmot und dem in der Nähe wohnenden Oberst Lane, und man kam überein, daß er als Diener einer Schwester des Letzteren weiter reisen sollte. –
Den folgenden Abend, berichtet der König, ging ich zum Oberst Lane, bei dem ich meine Kleider gegen etwas bessere, für einen Diener passende vertauschte. Am nächsten Tage begaben wir uns, Miß Lane und ich, auf den Weg nach Bristol, waren aber noch keine zwei Stunden unterwegs, als die Stute, die ich ritt, ein Eisen verlor. Deshalb gezwungen, in einem abgelegenen Dorfe Halt zu machen und mein Pferd beschlagen zu lassen, fragte ich den Hufschmied, was es Neues gäbe. »Nichts das ich wüßte«, antwortete er, »nach der ausgezeichneten Neuigkeit von der Niederlage dieser Schurken von Schotten.« Ich frug ihn, ob man nicht auch einige der Engländer gefangen hätte, die mit den Schotten verbündet waren. »Ich habe leider nicht gehört«, erwiderte er, »daß man sich dieses Bösewichts Karl Stuart bemächtigt; man hat wohl einige der andern gefangen, aber nicht ihn.« – »Was diesen Hallunken anlangt«, entgegnete ich, »verdiente er, wenn man ihn erwischte, mehr wie alle andern gehängt zu werden, weil er die Schotten ins Königreich gebracht hat.« »Ja«, versetzte er, »das ist als braver Mann gesprochen«, – und so trennten wir uns.
Nach anderen ebenfalls ziemlich ernsten Abenteuern kamen sie zu Sir Norton, einem Verwandten von Miß Lane, und der König wurde von ihr als ihr kranker Diener vorgestellt. Als Karl am nächsten Tage mit den Dienstboten frühstückte, gab einer von ihnen eine so genaue Beschreibung der Schlacht von Worcester, daß Karl ihn für einen Soldaten von Cromwell hielt; er erfuhr aber bald, daß es ein Soldat des königlichen Heeres selbst war, und daß er sogar im Garderegiment gedient hatte ... Ich fragte ihn, was denn der König für ein Mann sei. Darauf gab er mir eine genaue Beschreibung der Kleidung, die ich getragen, und des Pferdes, welches ich in der Schlacht geritten hatte; endlich sah er mich genau an und meinte, der König sei wenigstens drei Zoll größer wie ich. Ich beeilte mich jetzt, die Gesindestube zu verlassen, denn ich war weit mehr erschrocken, seitdem ich wußte, daß dieser Mann einer meiner eigenen Soldaten war.
Karl erfuhr kurz darauf, daß Pope, der Kellermeister Nortons, ihn erkannt habe, und da man ihm diesen Mann als rechtschaffen und eines Verrates unfähig bezeichnet hatte, hielt er es für richtiger, sich ihm sofort zu erkennen zu geben. Pope stellte sich auch ganz zu seiner Verfügung und leistete ihm in der Folge die größten Dienste. Als der König weiterreisen wollte, um sich zu einem seiner Anhänger zu begeben, kam Frau Norton in Geburtswehen. Sie war eine Cousine von Miß Lane, als deren Diener Karl galt, und man konnte keinen triftigen Grund finden, damit Miß Lane jetzt gerade ihre Verwandte verließ. Deshalb verfiel man darauf, einen Brief anzufertigen, der Miß Lane eine schwere Krankheit ihres Vaters anzeigte. So begründet, konnte die Abreise stattfinden, und die Flüchtigen kamen nach Trent zu Frank Wyndham. Während seines dortigen Aufenthaltes hörte Karl einmal die Glocken läuten, und erfuhr als Ursache, daß ein Reiter Cromwells angekommen sei und sich rühme, den König getötet zu haben und seinen Leibrock zu tragen.
Inzwischen hatte Wyndham ein Schiff gemietet, und Karl begab sich in Begleitung dieses treuen Vasallen und einer Frau Coningsby nach dem Punkte, wo er sich einschiffen sollte, aber da das Schiff noch nicht zu sehen war, ritt man nach dem nahe gelegenen Orte Burport.
Als wir einritten, sahen wir die Straßen voller roter Röcke. Es waren fünfzehnhundert Soldaten Cromwells; bei deren Anblick mich Wyndham besorgt fragte, was ich zu thun gedächte. Ich antwortete: »Wir müssen kühn nach dem besten Gasthaus der Stadt reiten und dort das beste Zimmer verlangen« ... Wir begaben uns denn auch nach dem ersten Gasthofe des Ortes, dessen Hof mit Soldaten angefüllt war. Ich stieg ab, nahm die Pferde am Zügel und hielt es für das Sicherste, die Pferde gleich mitten durch die Soldaten hindurch in den Stall zu führen. Dies that ich auch, und sie waren sehr aufgebracht über meine Ungeschliffenheit.
Im Stalle angekommen, befand sich Karl einer neuen Gefahr gegenüber. Der Stallknecht behauptete, in ihm einen alten Kameraden aus Exeter wieder zu erkennen. Der König hatte genug Geistesgegenwart, sich zu beherrschen und zu antworten: »Es ist richtig, ich war im Dienste des Herrn Potter, – aber ich bin heute eilig, mein Herr will nach London, aber auf der Rückreise wollen wir die Bekanntschaft erneuern und mit einer Kanne Bier begießen.« – Bald darauf verließ man den Ort wieder und traf sich mit Lord Wilmot, durch den man plötzlich erfuhr, daß der Kapitän des gemieteten Schiffes dem Drängen seiner ängstlichen Frau nachgegeben habe und sich weigere, seinen übernommenen Verpflichtungen nachzukommen. Karl, sehr bestürzt über diese Nachricht, begab sich nach Trent zurück. Ein anderes Schiff, das man sich in Southampton verschafft hatte, wurde von der Regierung für einen Truppentransport beschlagnahmt. Beunruhigende Gerüchte, die in der Nachbarschaft umliefen, machten einen längeren Aufenthalt beim Oberst Wyndham gefährlich, und der König suchte und fand in der Nähe von Salisbury ein neues Asyl, wo er fünf Tage blieb. Währenddem gelang es dem Oberst Gunter durch Vermittelung eines royalistischen Kaufmannes Mansel ein in New-Shoreham liegendes Kohlenfahrzeug zu chartern. Karl begab sich eilig nach Brighton, wo er mit Gunter Mansel und Tattershall, dem Kapitän des Schiffes, zu Abend speiste. Tattershall wandte seine Augen kaum vom Könige, nahm nach beendetem Mahle Mansel bei Seite und beklagte sich, daß er ihn getäuscht habe. Der grau gekleidete Herr sei der König; er kenne ihn genau, denn im Jahre 1648, wie er als Prinz von Wales die königliche Flotte befehligte, sei er von ihm gefangen genommen und dann aus Gutherzigkeit wieder frei gegeben worden ...
Als Karl vor der Einschiffung zufällig allein in seinem Zimmer war, küßte ihn der eintretende Wirt die auf eine Stuhllehne gestützte Hand und sagte, er zweifle nicht, daß, wenn er am Leben bleibe, er noch Lord und seine Frau eine Lady werde. Karl lachte verständnisvoll und ging zu der Gesellschaft in das andere Zimmer zurück. Um vier Uhr morgens, es war der 16. Oktober, begaben sie sich alle nach Shoreham und schifften sich ein. Als Karl und Wilmot, der ihn allein weiter begleitete, im Boote waren, fiel Tattershall vor dem König auf die Knie und schwor ihm, was auch die Folgen sein könnten, er würde ihn sicher und wohlbehalten an die französische Küste bringen. Das Fahrzeug lief, von Flut und Wind getrieben, nach seinem angeblichen Bestimmungsorte, der Insel White zu. Aber gegen fünf Uhr abends wandte sich Karl, gemäß seiner Besprechung mit Tattershall, an die Besatzung: er und sein Begleiter seien fallite Kaufleute, die vor ihren Gläubigern geflohen wären. Er bitte sie, mit ihm den Kapitän zu ersuchen, sie nach Frankreich zu bringen, und als letzten gewichtigsten Beweggrund gab er ihnen zwanzig Schilling zum Vertrinken. Tattershall machte viele Einwendungen, aber schließlich lenkte er mit augenscheinlichem Widerwillen den Kurs nach der französischen Küste zu. Bei Anbruch des Tages befanden sie sich in Sicht der Stadt Fécamp und gleichzeitig bemerkten sie im Winde ein verdächtiges Segel, das man erst für ein Ostender Kaperschiff hielt, sich aber dann als ein französisches Küstenfahrzeug erwies. Deshalb wurde bald darauf ein Boot herabgelassen, und die beiden Flüchtlinge landeten gesund und wohl im sicheren Hafen.
(Memoiren von Karl II., Kollection Guizot. – Lingard, Geschichte von England.)
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