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Johann Bart und der Chevalier de Forbin.

– 1681. –

Johann Bart war beauftragt worden, einen Transport von zwanzig Kauffahrtei-Schiffen zu geleiten. Er führte die Fregatte »La Railleuse« von 28 Kanonen und hatte als Begleiter den Chevalier de Forbin, der die Fregatte »Les Jeus« mit 24 Kanonen befehligte. Von zwei englischen Schiffen von 48 und von 24 Kanonen angegriffen, opferten die tapferen Kapitäne sich auf, um den Transport zu retten. Johann Bart verlor fast seine ganze Bemannung und wurde leicht am Kopfe verwundet. Forbin erhielt sechs Wunden und büßte beinahe zwei Drittel seiner Leute ein. Sie mußten sich endlich ergeben, aber die Kauffahrteiflotte war gerettet; auf der Gegenpartei waren alle englischen Offiziere und eine große Zahl ihrer Matrosen und Soldaten gefallen.

Der englische Oberbootsmann, welcher das Kommando der beiden Schiffe und zwei Prisen hatte übernehmen müssen, brachte sie nach Plymouth. Johann Bart und Forbin erwarteten als Gefangene auf Ehrenwort behandelt zu werden, aber der Stadtkommandant glaubte ihnen diese Ehre nicht schuldig zu sein. Man sperrte sie in eine Art Herberge mit vergitterten Fenstern, an deren Thüren man Schildwachen aufstellte. Daher hatten die beiden Kapitäne sofort nur den einen Gedanken, nämlich zu fliehen und das ohne selbst die Heilung ihrer Wunden abzuwarten. Ein Fischer aus Ostende, ein Verwandter von Johann Bart, man sagt sogar, daß es sein Bruder Caspar Bart war, lief bald darauf mit seinem Boote in Plymouth ein und es gelang ihm, in das Gefängnis unserer Seeleute zu kommen und sich mit ihnen über die Mittel zu ihrer Befreiung zu verständigen. Er brachte ihnen eine Feile mit, die sie benutzten, um insgeheim die Eisenstäbe ihrer Fenster zu durchfeilen. Die Risse wurden durch eine Mischung von Brotkrumen und Ruß wieder sorgfältig zugeschmiert.

Es traf sich, daß der Wundarzt, den man ihnen zur Heilung ihrer Wunden schickte, ein Flamländer und selbst ein Gefangener der Engländer war, der ebenso sehr wie seine beiden Patienten die Freiheit zu erlangen wünschte. Schließlich ließen sich auch die beiden Schiffsjungen, die man den Gefangenen zu ihrer Bedienung gegeben hatte, gewinnen. Die beiden Kapitäne waren hinlänglich mit Geld versehen und ziemlich bekannt, so daß man ihren Versprechungen traute. Es handelte sich nur noch darum, sich ein Fahrzeug zu verschaffen. Die beiden Schiffsjungen, die frei und so oft sie wollten, ausgehen konnten, nahmen es auf sich, ein solches ausfindig zu machen. Eines Tages bemerkten sie im Hafen eine norwegische Schaluppe, in welcher der Eigentümer total betrunken fest schlief. Den Betrunkenen in ein in der Nähe liegendes Fahrzeug tragen, das Boot losbinden und nach einem versteckten Winkel rudern, war für die beiden jungen Leute Sache von ein paar Minuten. Dann liefen sie ins Gefängnis, ihre Heldenthat zu berichten; es läßt sich denken, daß man sie gut aufnahm.

Als kurz darauf der Wundarzt seinen Besuch machte, beauftragte man ihn, dem Ostender Fischer zu sagen, so schnell wie möglich in das von den Schiffsjungen entwendete Boot alle für eine Reise von ein paar Tagen nötigen Dinge zu bringen, also Brot, Käse, Bier, eine Seekarte und einen Kompaß. Wenn alles nach Wunsch gelungen sei, sollte der Wundarzt mit dem Fischer und den beiden Schiffsjungen gegen Mitternacht unter die Fenster des Gefängnisses kommen und die Gefangenen durch ein gegen die Scheiben geworfenes Steinchen benachrichtigen.

Zur festgesetzten Stunde ließ sich das sehnlichst erwartete Signal hören. Die Gefangenen hoben die Eisenstäbe des Fensters aus, befestigten die aneinander geknoteten Betttücher, stiegen hinab und gelangten ohne Unfall zur Erde. Der Wundarzt, der Fischer und die beiden Schiffsjungen, die ihn erwarteten, führten ihn eiligst nach der kleinen Bucht, wo das versteckte Boot lag, und alle schifften sich sofort ein, mit Ausnahme des Fischers, der ruhig nach seinem Fahrzeuge zurückging.

Beim Verlassen von Plymouth hatten unsere Flüchtlinge noch einen hübschen Schreck. Ein Kriegsfahrzeug, das den Hafen überwachte, hatte sie bemerkt, steuerte auf sie zu und rief sie an: » Where goes the boat?« (Wohin geht das Boot?) Glücklicherweise sprach Johann Bart etwas englisch und antwortete mit fester Stimme: » Fisherman« (Fischer), worauf das englische Fahrzeug sich ruhig entfernte.

Während das kleine Fahrzeug sich schon der französischen Küste näherte, mußte Lieutenant von Forbin, ein Vetter des Chevalier, der wie sein Kapitän Gefangener war, sich bescheiden, ihn entfliehen zu sehen, ohne folgen zu können. Er war von ungewöhnlicher Körperfülle und es fehlte ihm ein Arm, so daß er während der Überfahrt keinen Dienst hätte leisten können und das Unternehmen eher in Gefahr gebracht hätte. Er blieb daher im Gefängnis und half den Flüchtlingen, indem er die Wachen im entscheidenden Augenblick beschäftigte, dann, als die Vögel ausgeflogen waren, sprach er laut und in verschiedenen Tonarten, als wenn er sich mit seinen Gefährten unterhalte. Bald darauf zog der wackere Offizier die Tücher, welche zur Flucht gedient hatten, herauf und legte sich ruhig nieder.

Am nächsten Morgen zeigte er die größte Überraschung, als man ihm sagte, seine Gefährten seien entflohen. Er stellte sich, als glaube er nicht, daß man ihn im Stiche gelassen habe, geriet in Zorn und schimpfte sie Verräter. Die Engländer ließen sich durch seine List täuschen. Sie befragten ihn, was an den vorangegangenen Tagen vorgekommen sei und hofften, er könne ihnen einige Anhaltspunkte über die von den Flüchtlingen genommene Richtung geben. »Diese Verräter«, entgegnete er, »haben mir nichts von ihren Plänen vertraut. Was ich weiß, ist, daß Bart sich vor zwei Tagen ein paar Schuhe hat machen lassen, und beim Anziehen meinte er, sie wären gut für einen, großen Marsch.« Durch diese Auskunft irre geführt, sandten die Engländer nach allen Richtungen Reiter, um die beiden Kapitäne zu verfolgen, die jedoch mittlerweile schon in der Mitte des Ärmel-Kanals waren. –

Das Meer war ruhig und ein dichter Nebel verbarg den Kreuzern die kleine Barke, die langsam sich Frankreich näherte. Während zweier Tage und Nächte verließ Johann Bart das Ruder nicht und arbeitete mit unermüdlicher Kraft. Das Fahrzeug hatte nur zwei Ruder, die von ungleicher Länge waren. Johann Bart führte das größte und die beiden Schiffsjungen und der Wundarzt lösten sich am kleinen ab. Forbin, durch seine Wunden verhindert zu rudern, blieb während der ganzen Überfahrt am Steuer.

Man entdeckte endlich die Küste der Bretagne, und die Flüchtlinge, von Müdigkeit erschöpft, schifften sich in Hangue aus, einem kleinen Dorfe einige Meilen von St. Malo. Über achtundvierzig Stunden waren seit ihrer Abfahrt von Plymouth vergangen, aber ihre Gefangenschaft, die zwei Tage Überfahrt einbegriffen, hatte nur elf Tage gedauert. Sie wurden mit großer Freude und Begeisterung, fast im Triumphe empfangen, denn die Kapitäne der durch sie geretteten Handelsschiffe hatten ihren Mut und ihre patriotische Aufopferung überall gerühmt, aber alles glaubte, sie wären im Kampfe umgekommen.

Die erste Sorge von Bart und Forbin war, den Ostender Fischer zu entschädigen, den die Engländer später wegen ihrer Flucht verantwortlich machen wollten, und den wackeren Lieutenant loszukaufen, der einen Monat nach der Flucht seines Kapitäns die Freiheit erhielt.

(Adolf Badin, Geschichte von Johann Bart. – Memoiren des Chevalier de Forbin.)

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