August Bebel
Die Frau und der Sozialismus
August Bebel

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2. Bauern und Großgrundbesitzer

Mit allen diesen Veränderungen im Zusammenhang stand, daß die Landwirtschaft begann, an Kapitalmangel zu leiden, daß die früher vorhandene Entwicklung, die darauf hinausging, daß der Großgrundbesitz den Mittel- und Kleinbesitz aufkaufte und sich einverleibte, vielfach einer entgegengesetzten Tendenz Platz machte. Indes hatte dieser Druck auch zur Folge, daß der schwerfällige Charakter der landwirtschaftlichen Betriebsunternehmer allmählich sich änderte, weil man einsah, daß es in den bisherigen Geleisen nicht weitergehe, daß es gelte, sich zu rühren und neue Wirtschaftsweisen zu beginnen. Reich und Einzelstaaten waren bestrebt, durch eine entsprechende Zoll- und Verkehrspolitik und durch große direkte Aufwendungen für alle möglichen Zwecke auf Kosten der Gesamtheit der »Notlage der Landwirtschaft« aufzuhelfen. Insbesondere ist es der mittlere und große Besitz, der, vorausgesetzt, daß er in halbwegs technisch auf der Höhe stehender Weise bewirtschaftet wird, wieder sehr seine Rechnung findet, dafür sprechen die in den letzten Jahren ungemein gestiegenen Güterpreise.

Soll die Landwirtschaft prosperieren, so ist notwendig, daß sie in einer vom Kapitalismus beherrschten Gesellschaft auch kapitalistisch betrieben wird. Namentlich gilt es auch hier, wie in der Industrie, die menschliche Arbeitskraft durch die Maschine und die höhere Technik zu ersetzen beziehungsweise zu unterstützen. Daß dieses in steigendem Maße geschieht, dafür spricht, daß in Deutschland in dem Zeitraum von 1882 bis 1895 in der Landwirtschaft die Zahl der Dampfpflüge von 836 auf 1.696 und die Zahl der Kraftdreschmaschinen von 75.690 auf 259.364 gestiegen ist. Das ist im Vergleich zu dem, was durch landwirtschaftliche Maschinen geleistet werden könnte, noch außerordentlich wenig und spricht auf der einen Seite für die große Rückständigkeit des landwirtschaftlichen Gewerbes, auf der anderen Seite aber auch dafür, daß sowohl Mangel an Mitteln wie Unzulänglichkeit der von dem einzelnen bewirtschafteten Bodenfläche die Anwendung von Maschinen bisher unmöglich machte. Die Maschine fordert, soll sie rationell ausgenutzt werden können, die Anwendung auf einer größeren Fläche, die von ein und derselben Kultur in Anspruch genommen wird. Dem steht vielfach die große Zahl der klein- und mittelbäuerlichen Betriebe mit ihrem zersplitterten Bodenbesitz und ihrer verschiedenartigen Kultur entgegen.

In welcher Weise die landwirtschaftlich benutzte Fläche im Deutschen Reiche verteilt ist, zeigen die nachstehenden Tabellen Karl Kautsky, Die Agrarfrage. Stuttgart 1899; und Vorläufige Ergebnisse der landwirtschaftlichen Betriebszählung am 12. Juni 1901. Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches 1909. 2. Heft. :

Landwirtschaftliche
Betriebe
Zahl der Betriebe Ab- oder Zunahme
1882 1895 1907 seit 1882
bis 1895
seit 1895
bis 1907
unter 2 Hektar 3.061.831 3.236.367 3.378.509 + 174.536 + 142.142
2 bis 5 Hektar 981.407 1.016.318 1.006.277 + 34.911 10.041
5 bis 20 Hektar 926.605 998.804 1.065.539 + 72.199 + 66.735
20 bis 100 Hektar 281.510 281.767 262.191 + 257 19.576
über 100 Hektar 24.991 25.061 23.566 + 70 1.495
  5.276.344 5.558.317 5.736.082 + 281.973 + 177.765
Landwirtschaftliche
Betriebe
Landwirtschaftlich benutzte Fläche
in Hektar
Ab- oder Zunahme
1882 1895 1907 seit 1882
bis 1895
seit 1895
bis 1907
unter 2 Hektar 1.825.938 1.808.444 1.731.317 17.494 77.127
2 bis 5 Hektar 3.190.203 3.285.984 3.304.872 + 95.781 + 18.888
5 bis 20 Hektar 9.158.398 9.721.875 10.421.565 + 568.477 + 699.690
20 bis 100 Hektar 9.908.170 9.869.837 9.322.106 38.333 547.731
über 100 Hektar 7.786.263 7.831.801 7.055.013 + 45.538 776.788
  131.868.972 32.517.941 31.834.873 + 648.969 683.068

Unter den im Jahre 1907 vorhandenen 5.736.082 Betrieben waren nicht weniger als 4.384.786 Betriebe unter 5 Hektar = 76,8 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe, die, soweit sie nicht gärtnerisch bewirtschaftet werden oder einen vorzüglichen Boden besitzen, dem Bebauer nur eine ärmliche Existenz gewähren. Ein großer Teil derselben kommt hierfür nicht einmal in Betracht, denn es sind darunter 2.731.055 Betriebe, die 1 Hektar und weniger Umfang haben.

Aber auch unter den Betrieben mit über 5 Hektar befinden sich viele, die wegen ungünstiger Bodenbeschaffenheit oder ungünstiger klimatischer Verhältnisse oder schlechter geographischer Lage, wegen Mangel an Verkehrsmitteln usw., ihrem Bebauer bei harter und langer Arbeit nur eine ärmliche Existenz ermöglichen. Man darf ohne Übertreibung sagen, daß vollen neun Zehnteln der Bodenbebauer die Mittel und die Kenntnisse fehlen, ihren Boden so auszunutzen, wie er ausgenutzt werden könnte. Auch erhält der kleine und mittlere Bauer nicht den Preis für seine Produkte, den er haben könnte, er hat mit dem Zwischenhändler zu tun, der ihn in der Hand hat. Der Händler, der zu bestimmten Tagen oder Jahreszeiten das Land durchstreift und in der Regel wieder an Unterhändler verkauft, will seinen Nutzen haben; das Ansammeln der vielen kleinen Quantitäten macht jenem aber weit mehr Mühe, als die große Ladung bei einem großen Besitzer; der kleine und mittlere Bauer bekommt daher für seine Ware weniger als der große Landwirt, und ist auch noch die Qualität der Ware mangelhaft, was bei der primitiven Wirtschaftsweise, die er betreibt, oft vorkommt, so muß er mit jedem Preise fürlieb nehmen. Dazu kommt, daß der Bauer oder Pächter oft nicht die Zeit abwarten kann, in der das von ihm zum Verkauf gebrachte Produkt den höchsten Preis erreicht. Er hat Zahlungen zu leisten für Pacht, Zinsen, Steuern, er muß aufgenommene Darlehen zurückzahlen, oder Schulden bei Krämer und Handwerker berichtigen, die an bestimmte Termine gebunden sind, er muß also verkaufen, mag der Zeitpunkt noch so ungünstig sein. Er hat, um sein Land verbessern oder um Miterben oder Kinder abzufinden, eine Hypothek aufgenommen; aber unter den Darleihern hat er keine große Wahl, und so werden die Bedingungen nicht günstig. Hohe Zinsen und bestimmte Rückzahlungsfristen spielen ihm hart mit; eine ungünstige Ernte oder eine falsche Spekulation in der Art der Bodenfrucht, für die er auf ansehnlichen Preis rechnete, bringen ihn an den Rand des Unterganges. Häufig ist der Abnehmer der Bodenerträge und der Darleiher des Kapitals ein und dieselbe Person, er ist dann seinem Gläubiger überantwortet. Die Bauern ganzer Ortschaften und Distrikte befinden sich auf diese Weise in den Händen weniger Gläubiger. Zum Beispiel die Hopfen-, Wein-, Tabak- und Gemüsebauern in Süddeutschland und am Rhein, die Kleinbauern in Mitteldeutschland. Der Hypothekenbesitzer saugt sie aus bis aufs Blut, er läßt sie als Eigentümer auf ihrer Parzelle sitzen, die tatsächlich nicht mehr ihnen gehört. Der kapitalistische Blutsauger findet es aber oft weit nutzbringender, in dieser Weise zu wirtschaften, als den Boden an sich zu nehmen und selbst zu bewirtschaften oder zu verkaufen. So werden Tausende von Bauern in den Katastern als Eigentümer aufgeführt, die tatsächlich keine Eigentümer mehr sind. Freilich fällt auch mancher Großgrundbesitzer, der nicht zu wirtschaften verstand oder Unglück hatte oder unter ungünstigen Bedingungen das Gut übernahm, einem halsabschneiderischen Kapitalisten zum Opfer. Der Kapitalist wird Herr des Grund und Bodens und, um doppelten Profit herauszuschlagen, treibt er Güterschlächterei; er parzelliert das Gut, weil er dadurch einen ungleich höheren Preis herausschlägt, als verkaufte er es im ganzen. Außerdem hat er bei einer größeren Anzahl kleiner Besitzer die beste Aussicht, sein Wuchergeschäft mit schönstem Erfolg weiter betreiben zu können. Bekanntlich geben auch die Häuser in der Stadt mit vielen kleinen Wohnungen die höchsten Mieterträge. Eine Anzahl kleiner Reflektanten greift zu und kauft einen Teil des parzellierten Gutes, der kapitalistische Wohltäter ist auch bereit, ihnen bei geringer Anzahlung größere Stücke zu überlassen, den Rest der Kaufsumme läßt er als Hypothek gegen guten Zins auf Abzahlung stehen. Hier liegt aber der Hase im Pfeffer. Hat der kleine Bodenbesitzer Glück und gelingt es ihm, unter Aufbietung der äußersten Kräfte aus seinem Grund und Boden einen leidlichen Ertrag herauszuwirtschaften oder ausnahmsweise billigeres Geld aufzutreiben, so kann er sich retten, andernfalls ergeht's ihm wie schon geschildert.

Fallen dem kleinen Bauer oder Pächter einige Stücke Vieh, so ist das ein großes Unglück für ihn, hat er eine Tochter, die heiratet, so vermehrt ihre Aussteuer seine Schulden und eine billige Arbeitskraft geht ihm verloren; heiratet ein Sohn, so verlangt dieser seine Parzelle Land oder eine Abfindung in Geld. Notwendige Bodenverbesserungen muß er sehr oft unterlassen; liefert ihm sein Viehstand nicht genügend Dünger – und das ist nicht selten der Fall –, dann geht der Bodenertrag zurück, weil er keinen Dünger kaufen kann. Oft fehlen ihm auch die Mittel, um sich besseren, ertragsfähigeren Samen anzuschaffen; die vorteilhafte Ausnutzung der Maschinen ist ihm versagt; ein den chemischen Bestandteilen seines Bodens entsprechender Fruchtwechsel ist häufig für ihn unausführbar. Auch kann er nicht die Vorteile ausnutzen, die Wissenschaft und Erfahrung für höhere Ausnutzung der Haustiere bieten. Mangel an geeignetem Futter, Mangel an passender Stallung, Mangel an sonstigen passenden Einrichtungen verhindern es. So gibt es viele Ursachen, die dem kleinen und mittleren Bauer die Existenz erschweren Siehe A. Hofer, Der Bauer als Erzieher. »Neue Zeit« 1908/09, 2. Band, S. 714, 786, 810. .

Anders steht es mit der großen Landwirtschaft, die sich auf eine verhältnismäßig kleine Zahl von Betrieben, aber eine erhebliche Bodenfläche erstreckt. Wir ersehen aus der angeführten Statistik, daß die 23.566 Betriebe mit 7.055.013 Hektar landwirtschaftlich benutzter Fläche noch 2.019.824 Hektar mehr besitzen als die 4.384.786 Betriebe mit weniger als 5 Hektar Fläche.

Betriebsstatistik und Besitzstatistik decken sich aber nicht miteinander, so gab es 1895 nicht weniger als 912.959 reine Pachtbetriebe aller Größenklassen, 1.694.251 Betriebe, die teils eigenes Land, teils Pachtland besitzen, und 983.917 Betriebe, die in anderen Formen, zum Beispiel als Deputatland, Dienstland, Anteil am Gemeindeland usw., bewirtschaftet wurden.


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