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Zweites Kapitel

William stand wie betäubt da und stützte sich gegen die Kulissen. Mitunter hielt er sich einen Moment die Hand vor die Augen: es war ihm, als ob alles um ihn herum zu tanzen anfing.

Der große Schauspieler war schon da. Ein Lehrer, der als »Instrukteur« fungierte, las dessen Rolle vor, weil der Mime erst vom Zuschauerraum sehen wollte, wie die Sache ging. Dort saß er nun mit dem Direktor, sagten die Jungens; William selbst hatte ihn nicht gesehn. Er stand die ganze Zeit, ohne sich zu rühren, bei der ersten Kulisse und sagte immerfort seine Rolle auf, ganz mechanisch, aber mit wechselndem Tonfall. Dazwischen ertappte er sich dabei, daß er etwas verkehrt sagte, worauf er wieder mit nervöser Hast von vorn anfing; die Worte überstürzten sich förmlich.

Auf der Bühne wurde gesprochen – es kam ihm wie ein verworrenes Durcheinander vor, dessen Worte er nicht faßte; einmal dazwischen hörte er ein Geräusch vom Fußboden neben sich her; er fuhr erschrocken zusammen und faßte nach der Kulisse, um nicht umzufallen.

Seine Hände waren ganz feucht, und er zitterte wie im Fieber.

Nein, so ging es nicht weiter; er wollte sich zusammennehmen und hören, was auf der Bühne vorging. Er lauschte – Gerson sagte gerade seine Replik – aber es war ihm nicht möglich, den Sinn zu fassen, er konnte seine Gedanken nicht zusammenhalten; bald mußte er an Camilla denken, an die Laube, dann wieder an den fremden Künstler, und wie er vor ihm bestehen würde. Aber nichts war ihm richtig klar ...

Wie er dann plötzlich auf die Bühne gekommen war, wußte er selbst nicht; der Boden vor ihm war auf einmal abgrundtief gesunken, dann wieder wie eine Welle in die Höhe gestiegen, und ihm selbst war es gewesen, als hätte er einen Anlauf genommen, um über »das schwarze Pferd« zu springen; er hatte einen tüchtigen kolossalen Sprung getan, und nun stand er da!

Gerson gab ihm das Stichwort. Er hörte es wie inmitten eines starken Getümmels, bewegte den Kopf wackelnd hin und her, starrte in ein großes Dunkel und hatte das Gefühl, als müßte er die ersten Worte förmlich aus der Kehle herausziehen, so trocken und zusammengeschnürt war diese.

Da auf einmal sah er den großen Mimen aus dem Dunkel des Raumes hervortreten – – – er starrte einen Augenblick ganz erschreckt in dessen Antlitz, preßte den Arm gegen seine Brust, und mit einer furchtbaren Anstrengung hob er die Stimme. Er glaubte, daß die ersten Worte wie heiseres Schreien herauskommen würden – aber nein, der Ton seiner Stimme klang klar, weich und wohllautend, so daß er selbst geradezu von dessen Schönheit betroffen wurde. Wie ein Blitz traf ihn diese Erkenntnis und durchdrang sein ganzes Wesen mit einem jubelnden Siegesbewußtsein.

Da fiel sein Blick auf das Gesicht des Künstlers. Dieser hatte sich erhoben und war, während William deklamierte, immer näher herangekommen. William sah unter seinem Vortrage beständig das zufriedene Lächeln auf den Lippen des Schauspielers, und wie dieser immer näher und immer näher herankam, gleichsam, als ob er ihn mit seiner Stimme leitete – – – Er hörte seine eigenen Worte weit, weit fort, wie einen fernen, sein Ohr berauschenden Wohlklang dahinsterben ... und plötzlich war es ihm, als spräche er verwirrtes Zeug, und er sah alles unklar – wie durch einen Nebel. Aber den Klang seiner Stimme hörte er ...

Und der Künstler kam näher und näher. Er lachte und sah vergnügt aus, und zuletzt schien es William, als ob der ganze Raum nur ein Gesicht war ... und das war der Fremde, welcher lachte, lachte ...

Dann stand er wieder hinter den Kulissen. Und die Kameraden summten um ihn herum; aber er hörte nicht, was sie sagten. Er preßte beide Hände gegen die Brust und kämpfte mit einer starken Atemnot, die ihn zu ersticken drohte ...

Er wußte nur eins – aber das war genug – daß er nun ein Ziel hatte ... daß er gesiegt ...

So stieß er die Plaudernden zur Seite, brach sich Bahn und stürzte hinaus. Er sah weder, noch dachte er; er wollte nur hinaus ins Freie, um seinem Jubel Luft zu machen. Hier war es zu eng geworden.

Er lief durch den Vorsaal und gerade dem Künstler in die Arme.

»Sie haben es aber verdammt eilig!« sagte dieser. »Bleiben Sie noch einen Augenblick.«

William stammelte ein paar unverständliche Worte. Der andre führte ihn am Arm zum Fenster hin, stellte ihn gegen das Licht und betrachtete ihn aufmerksam.

»Gut!« sagte er dann und ließ ihn los.

William blieb verdutzt stehen.

»Sie werden doch gewiß Schauspieler werden?« –

Wie ein Besessener rannte William unten am See hin und her. Er trällerte, jubelte und sang. Er rief laut in den Sturm hinaus, der seine Worte hinwegfegte; er deklamierte und schrie. Sein Glück drängte nach Ausdruck, es waren unzusammenhängende, leidenschaftliche Ausrufe, unartikulierte Laute – aber schreien mußte er!

Viktoria, Viktoria – er hatte gesiegt! Alles, alles, was er erlebt hatte, stürmte in dieser Stunde auf ihn ein, und unumstößlich kam es ihm nun zum Bewußtsein, daß dies alles auf das eine Ziel hinwies. Was er durchgemacht, was er gelitten, war nur der Durchgangsweg zu diesem einen, seiner großen Aufgabe gewesen, und es war ihm unbegreiflich, wie er bis dahin so blind gewesen sein konnte, dies nicht gesehen zu haben!

Er hatte daheim in dem großen Hofe König gespielt mit einer Flagge als Königsmantel; er hatte von großen Helden gelesen und gelesen, nun wollte er es ihnen nachtun; er hatte davon geträumt, eine Welt zu seinen Füßen zu sehn, nun wollte er sie auf diesem Wege erobern. Wie hatte er doch nur so blind sein können?

Alles hatte ihn nur zu dem hingeführt, was nun gekommen war!

Sein Verhältnis zu Kamilla? Das lag nun so fern, so weit zurück. Es kam ihm vor, als wären Ewigkeiten seitdem verflossen; kaum daß er sich noch dessen erinnerte; nur ihre Worte von damals – nachdem er Tartüffe gelesen hatte – klangen ihm noch in den Ohren: »Warum willst du nicht Schauspieler werden?« Er hörte noch die Betonung; sie hatte es so einfach gesagt, so, als ob es sich von selbst verstünde. »Warum willst du nicht Schauspieler werden?«

Ja, auch Kamilla war ein Werkzeug der Vorsehung gewesen, ihm den richtigen Weg zu zeigen.

Nein, hier war nicht Luft genug für seine Lungen, nicht Platz für seine unbändige Freude, nicht Raum für seinen Sieg!

Er stürmte hinaus auf einen kleinen Badesteg, der in den See hinaus gebaut war, schwang seinen Hut, schrie, so laut er konnte, ganz unzusammenhängende Worte in die Luft, knöpfte sich den Rock auf, damit der Sturm seine Brust streifen konnte – er war ganz betäubt, berauscht und wie außer sich.

Lange noch, nachdem es schon ganz dunkel geworden war, rannte er noch auf der Seepromenade umher.

So vergingen die Tage. Die Vorstellung war vorüber, und der Schauspieler hatte William gebeten, ihn aufzusuchen, wenn er nach Kopenhagen kam. Im Orte war viel davon gesprochen worden, welche Aufmerksamkeit der große Künstler dem jungen Hög geschenkt hatte. Doch wurde auch das vergessen, und die Leute bekamen andern Stoff zum Reden; die Erwachsenen einen großen Skandal: Fräulein Falk war wenige Tage nach der Theateraufführung, wo sie durch ihre blendende Schönheit allgemeine Aufmerksamkeit erregt hatte, mit dem Kammerdiener, einem jungen, zigeunerartig aussehenden Menschen, davongelaufen – und die Gymnasiasten: das bevorstehende Abiturientenexamen mit seiner Spannung und seiner Entscheidung.

Nur William vergaß das Vorhergegangene nicht. Seine Mitschüler erkannten ihn kaum wieder. Es war eine Ruhe und Selbstbeherrschung über ihn gekommen, die jedem auffallen mußte. Er sah wohl aus, hielt sich gerader als vorher, der Schleier von Schwermut, der sonst über seinen Augen gelegen, schien zerrissen, und seine Gesichtsfarbe war frischer geworden. Er nahm private Turnstunden und trällerte von früh bis abends.

Das »Geschlecht« bekümmerte ihn nicht weiter, ein jeder hatte eben seinen Weg, und mit seinen Vorfahren wollte er sich schon auseinandersetzen, wenn er erst etwas erreicht hatte. Es war doch entschieden besser, etwas zu werden, als gar nichts! –

Kamilla hatte ihm gleich nach der Vorstellung geschrieben, aber er hatte den Brief nicht beantwortet. Den Tag darauf war sie nach der Stadt gekommen, um ihn zu treffen, aber er war nicht zum Rendezvous erschienen und ließ sich auch sonst nirgends blicken.

So ging sie des Abends, da sie sich keinen andern Rat mehr wußte, zu ihm herauf. Er war ganz erschrocken, als er sie hereinkommen sah, und fing zu zittern an; wie sah sie bleich und leidend aus!

»Ja, du erschrickst,« sagte sie, »daß ich komme, du hattest wohl geglaubt, daß wir miteinander fertig seien? ... Was? ... Hattest du das wirklich?« Sie ging auf ihn zu und packte ihn am Arm.

»Nicht wahr,« wiederholte sie und kniff ihn, daß es weh tat, »du hast geglaubt, nun wäre es aus ... nun, wo du den Weg wußtest und keinen Wegweiser mehr brauchtest?«

Ihre Lippen bebten, und die ganze Gestalt erzitterte von Kopf bis Fuß. Sie ließ Williams Arm los und stützte sich auf einen Stuhl.

»Warum bist du gekommen ... was willst du von mir,« sagte er dumpf.

Sie antwortete nicht, sondern stand unbeweglich und sah ihn, wie nicht bei Sinnen, mit glanzlosen Augen an.

Das Schweigen fing an, ihm drückend zu werden.

»Du hattest doch wohl nicht geglaubt, daß wir uns heiraten würden?« sagte er.

Kamilla lachte bitter auf. »Und das ist deine Entschuldigung«, sagte sie mit harter Stimme, »du ... du ...« Sie hatte ihn wieder am Arme gepackt. William riß sich los. »Laß mich los!« schrie er.

»Und das war die Zukunft, die wir bauen sollten ... das die Hoffnung, für die wir lebten ...« Sie hatte die letzten Worte tonlos gesagt, und ihr Körper fiel zusammen; mit einemmal raffte sie sich wie mit äußerster Kraft auf, und ihn von Kopf zu Füßen messend, schrie sie ihm ins Gesicht: »Grüner Junge!«

William öffnete die Lippen, um zu sprechen, konnte aber nichts herausbringen; er war ganz leichenblaß geworden und stützte sich an die Wand ...

Sie sah es, und mit einem leidenschaftlichen, kurz herausgestoßenen Schrei warf sie sich ihm zu Füßen, umfaßte seine Knie, hob ihr bleiches Gesicht zu ihm auf und wollte sprechen – aber obgleich die Lippen sich bewegten, hörte man keinen Laut –

Er fand zuerst die Sprache wieder. Während er sie roh zurückstieß, sagte er: »Glaubst du vielleicht, ich danke dir dafür, daß du mich verführt hast?«

Sie fiel von dem brüsken Stoß halb um, aber im selben Augenblick fast hatte sie sich wieder erhoben. Und mit den Händen das Gesicht halb bedeckend, als wollte sie unsichtbare Schläge abwehren, sah sie ihn flehend, hilflos an wie ein verwundetes Tier, während ihre Lippen sich über einem erstickten Schrei schlossen. Und so halb kriechend, beständig ihr Gesicht schützend, leichenblaß, sich nur mühsam vorwärts schleppend und zu ihm hinter den erhobenen Händen wie in Todespein aufsehend, floh sie in namenloser Angst. William starrte ihr wie betäubt nach.

Inzwischen hatte sie die Tür erreicht. Da richtete sie sich zu ihrer vollen Höhe auf und sah ihn fest an. Ihr Gesicht war in einer gespensterhaften Blässe wie zu Stein geworden. William ging einen Schritt auf sie zu, streckte ihr die Hand entgegen, versuchte zu sprechen. Aber sie erhob beide Arme, wie um ihn abzuwehren, und sagte leidenschaftlich, bitter: »Du, Junge ... Phantast ...«

Und die Tür schloß sich hinter ihr. – – –


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