Raoul Auernheimer
Metternich
Raoul Auernheimer

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Tagebuch in Briefen

Wäre es nur ein Abenteuer gewesen, so wäre so viele Jahre nachher nicht mehr viel darüber zu sagen; es war aber weit mehr und ging viel tiefer. Metternich hatte in Aachen nicht bloß eine reizende Geliebte gewonnen; er hatte, was mehr ist, eine Frau gefunden, der er sich ganz erschließen konnte und die, wie sie seine ganze Persönlichkeit von ihm verlangte, ihn auch veranlaßte, seine Persönlichkeit ganz zu entwickeln. Bisher hatte seinen zweideutigen Beziehungen die Eindeutigkeit gefehlt, dem Klanggebilde seines Liebeslebens der Ineinanderklang. Er hatte eine Frau, die keine Geliebte war, und Geliebte, die er nicht seine Frau hätte nennen mögen; und er sehnte sich, wie jeder Mann auf einer gewissen Entwicklungsstufe, nach einer Synthese allerschönster Möglichkeiten, mit einer Frau völlig eins zu werden. Vielleicht war seine Beziehung zu Julie Zichy ein Anlauf in dieser Richtung; aber »die Sterne, die begehrt man nicht«, und die uns begehren, sind meistens keine Sterne. Ein sinnlich-übersinnlicher Freier wie sein Landsmann Faust, hatte Metternich viel Zeit verloren und viel Glück versäumt zwischen einer fernen Geliebten und einer jeweils nur allzu nahen; zwischen einem Engel, der durch 194 sein Leben schwebte, »ohne den Boden zu berühren«, und einer unentwegt am Durstbrunnen schmachtenden schönen Melusine, die von der Erde nicht loskam. Jetzt hatte er beides oder konnte sich zumindest ein paar Jahre lang einbilden, beides zu haben: eine menschlich ebenbürtige Partnerin und die reizendste Geliebte. Kopf und Herz, oder was man beiderseits so nannte, gingen eine mystische Hochzeit ein und alle Weihrauchpfannen dufteten und alle Kerzen brannten. Bezeichnend, daß sie von Anfang an und dann durch viele Jahre einander Briefe schrieben; noch bezeichnender, daß von allen unzähligen Liebesbriefen Metternichs nur diese zwischen ihm und Dorothy Lieven gewechselten erhalten blieben. Es gibt keinen Zufall in dieser Hinsicht. Geist war ursprünglich dieser Verbindung beigemischt, und Geist erhielt sie. Im Spiritus ihres Briefwechsels schmückt sie das Laboratorium der Geschichtsforschung.

Das Reizvolle an diesem Zwiegespräch ist, daß es keines ist; es besteht, genau genommen, aus zwei Tagebüchern, von denen freilich jedes zunächst nur für einen einzigen Menschen bestimmt war, bevor die Nachwelt Einblick nahm. Ihr monologischer Charakter wird dadurch verstärkt, daß ihre Eintragungen zeitlich nicht übereinstimmen; erst wenn der eine Teil fertig ist, beginnt der andere zu reden. Metternich hatte das erste Wort. Wie uns sein erster Brief erhalten ist, so auch die hundert und mehr Blätter, die diesem allerersten Mitternachtsgeständnis folgten, mit dem er sich ihr zu Füßen geworfen hatte. Seine Briefe reichen bis Mai 1819; die ihrigen beginnen Jänner 1820. Dementsprechend ist auch die Tonart eine ganz verschiedene. Die Frau schweigt über die erste Phase ihrer Liebe; der Mann spricht nur unter dem Eindruck dieser und desjenigen, was er die wichtigste Beziehung seines Lebens nennt. Niedergeschrieben am 27. April 1819 in der österreichischen Staatskanzlei. Dann, drei Monate später, kommt noch ein Nachzügler des in der Zwischenzeit verreist Gewesenen und aus 195 Italien Zurückgekehrten, datiert von Karlsbad: »Ich liebe dich in Karlsbad wie am Fuße des Vesuvs, im Tempel von Paestum wie in den Champs Elysées.« Der kleine beredte Satz sagt alles und zusammenfassend noch einmal, was die vorangehenden Mitternachtsbriefe wortreich ausführen. Charakteristisch, daß sie fast alle um die Geisterstunde geschrieben sind, wenn in der Staatskanzlei Ruhe herrschte und nur noch der Herr Minister an seinem Schreibtisch »arbeitete«. Ihre Briefe des ersten Jahres hat Dorothy Lieven wohl selbst verbrannt. Wozu auch sie aufbewahren, da ja die Flamme seiner Leidenschaft in seinen Briefen unsterblich weiterloderte. Ne bis idem! Sie beschränkte kühl, indem sie alles andere ausmerzte, ihr briefliches Tagebuch auf seinen sachlichen und zeitlichen Inhalt, eine genaue Schilderung der englischen Hofgesellschaft in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, wie sie sie ihrem Herzensfreund zuliebe fortlaufend verfaßte und die aus Familienrücksichten erst vor knapp zehn Jahren ans Licht tauchten. Dadurch aber geriet sie der Nachwelt gegenüber auch zeitlich in Nachteil; denn Metternichs Liebesbriefe, soweit sie erhalten blieben, sind bereits seit drei Jahrzehnten bekannt, die ihrigen hinken lieblos nach, als ob sie nichts zu sagen und zu bedeuten hätten! Aber hochmütig, wie sie noch nach ihrem Tode war, setzte sie sich über diesen Verdacht hinweg und widerlegte ihn. Denn in Wahrheit ist ihr Tagebuch in Briefen das bedeutendere. Diese Briefe erklären die Frau, erklären das Verhältnis und werfen zugleich ein Scheinwerferlicht auf die politische und historische Landschaft, in der dieses Buch – denn es ist ein Buch – entstanden ist.

Habent sua fata libelli; das wissen die Verleger am besten, aber manchmal wissen es auch schon die Autoren. Als die vormalige Gräfin Dorothy Lieven im Jahre 1827, damals schon Fürstin, ihre Briefe wieder in die Hand bekam, die sie durch sieben Jahre ein- bis zweimal in der Woche an den 196 »Großinquisitor von Europa« abgesandt hatte, wurde sie selbst zum Großinquisitor an ihnen. Die empfindsamen Teile und diejenigen, die nicht gerade für die Augen des ahnungslos sich stellenden oder auch wirklich ahnungslosen Gatten bestimmt waren, wurden schonungslos ausgemerzt. Dann aber, die Schere in der einen, die Bleifeder in der anderen Hand, übertrug sie, was sie der Nachwelt nicht vorzuenthalten wünschte, säuberlich in eine Anzahl von Schultheken, wie sie die Kinder nach Hause brachten und benützten. Hierauf blieben diese staatsgefährlichen Theken neunzig Jahre in unterschiedlichen Familienarchiven liegen. Aber im Jahre 1917, mitten im Weltkrieg, sahen sie sich in ihrer Grabesruhe auf einem Schloß in Livland plötzlich unliebsam aufgestört. Schmuggler brachten sie damals aus dem besetzten Gebiet nach Berlin, von wo sie im Jahre 1936 den Weg nach London fanden. Und in dem ganz richtigen Gefühl, daß diese Aufzeichnungen, weit entfernt davon, den Ruf der längstverstorbenen galanten Ahnfrau gefährden zu können, sie vielmehr vor der Nachwelt menschlich rehabilitieren müßten, erklärten sich ihre Nachkommen, Fürst und Fürstin Lieven, mit der posthumen Veröffentlichung der vergilbten Schriftstücke einverstanden. Seither besitzt die europäische Memoirenliteratur ein geistfunkelndes Werk mehr, das zwischen den Briefen von Horace Walpole und denjenigen des Fürsten Pückler-Muskau seinen Platz in jeder Schloßbibliothek mit Ehren behaupten wird.

Dorothy Lieven, die eine sehr gescheite Frau war, hatte das Schicksal ihres Buches schon damals, als sie es absatzweise für den Liebsten niederschrieb, richtig vorausgesehen.

*

»An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen«, heißt es in der Bibel. Die Früchte, an denen ihre Liebschaft kenntlich wird; 197 sind die Briefe. Was diese beiden Menschen in Aachen zueinander finden ließ, erfahren wir von Clemens erst aus Wien und von Dorothy aus London.

Vor allem war es eine gewisse lebenslustige Heiterkeit, die sie ursprünglich verband. Einen »inexhaustible fund of gaity« rühmt sie ihm in einem ihrer Briefe nach und fügt vergnügt hinzu: »Sie sind der bestgelaunte Mann, dem ich je begegnet bin, und ich lache so gern.« Da haben wir den einen Faden im Gewebe: die wechselseitige Freude an einem guten Lachen. Denn daß sie wechselseitig war, muß nicht erst gesagt werden für jemand, der Dorothys Briefe auch nur anblättert. Es gibt nichts Amüsanteres als ihre Art, Hof und Gesellschaft um sie herum aus zwei immer wachen Augen zu betrachten und, was ihr diese Augen zutrugen, in ihrem beweglichen Mund in die lustigsten Wendungen zu verwandeln. Auch schrieb sie ja in der kaum verhohlenen Absicht, den Diktator, auch ihres Herzens, bei guter Laune zu erhalten. »Mon Prince«, liebt sie es dann, ihn mit einem gesprochenen Hofknix vertraulich-spöttisch anzusprechen.

Was freilich Metternich betrifft, so war er, obwohl zum Lachen aufgelegt, kein »lachender Diplomat«, wenngleich er in Rom im Jahre 1815 sogar den Papst anläßlich einer Audienz hatte lachen machen, was er sich, wie manches andere, hoch anrechnet. Er ging, wenn er ausgelacht hatte, den Dingen doch gern ernsthaft auf den Grund, es war das Deutsche in seinem Wesen, und er konnte sich dann an Gründlichkeit nicht leicht genug tun. »I am a singular being«, hebt er dann etwa an oder er grübelt: »Love is for me conscience«; oder um ihren tieferen Zusammenklang zu ergründen: »You are as a woman what I am as a man« (was sogar richtig ist); oder, schon halb metaphysisch: »What a field to explore – that of inner life«; oder, ganz metaphysisch: »Of all the realities the strongest for me is love«, ein Wort, das in einem hübschen Gegensatz steht zu 198 Talleyrands letzter Definition der Liebe: »Eine Wirklichkeit in der Sphäre der Unwirklichkeit.« Oder er bezeugt ihr tiefsinnig-einfach: »You are full of I«, das heißt, sie ist voll von ihm; und das, ist er naiv genug einzugestehen, schätzt er an ihr am meisten.

Dorothy ist nicht so gründlich und auch nicht so gemütvoll; denn es ist merkwürdig, daß in diesen seinen Liebesbriefen bei Metternich zum erstenmal ein Zug sich deutlicher bemerkbar macht, der sonst nur auf dem Umweg über die Väterlichkeit – Metternich war ein zärtlicher Vater zahlloser Kinder – oder in Beileidsschreiben sich ans Licht ringt: sein Gemüt. Was Dorothy Lieven betrifft, so täuscht sie nicht einmal vor, was sie nicht hat. Vielleicht brauste im vernichteten ersten Jahrgang ihrer Briefe aus der Zeit, als sie noch unter dem unmittelbaren Eindruck des Aachener Erlebnisses stand, die Leidenschaft etwas vernehmlicher auf. Im zweiten Jahrgang, mit dem wir es zu tun haben, ist die Liebe nur noch ein fernes Echo; aber ein melodisches. Und obwohl sie weder analysiert noch reflektiert wie Metternich, sondern erzählt und meditiert, ringt sie sich dazwischen, in sehr weiten Abständen, noch hin und wieder ein leises Sich-Erinnern ab, das dann entzückend ist. So, wenn sie ihm ein Jahr nach Aachen von einem befreundeten Schlosse schreibt: »Gestern Nacht wieder blieb ich, in mein Zimmer zurückgekehrt, noch eine Weile auf meinem Balkon. Nebenan ging jemand auf und ab. Ich weiß nicht, wer mir als Nachbar zugedacht war. Wärst Du zugleich mit mir bei Lady Jersey eingeladen, wär's Dein Zimmer. Wir würden einander mit leiser Stimme nette Dinge sagen. Ich schloß die Balkontür, legte mich zu Bett, versank in einen Traum und der Traum war köstlich. Du erschienst mir, wir plauderten, plauderten lange. Aus Angst, daß man uns belauschen könnte, nahmst du mich aufs Knie, um leiser mit mir zu reden. Meine Hand fühlte, wie Dein Herz schlug. Ich fühlte es so lebhaft, daß ich davon 199 erwachte. Aber es war mein eigenes Herz, das so stürmisch pochte.«

In diesem Brief, der in eine Sammlung allerschönster Liebesbriefe gehört, ist eine Stelle höchst aufschlußreich, das »wir plauderten, wir plauderten lange«. Es war eine Liebe im Reden von Anfang an. Darum konnte sie auch jahrelange Trennungen überdauern.

*

Es ist ihr einziger Liebesbrief in einem Meer von »gossip«, von Klatsch und Tratsch. Sie segelt und sie fischt darin nach Herzenslust. Der Prozeß der ebenso unglücklichen wie fetten Königin Caroline, die der eben auf den Thron gelangte König Georg IV. nicht ausstehen kann und von der er sich um jeden Preis scheiden lassen möchte, hält sie fast ein Jahr lang brieflich in Atem, denn so lang dauert dieser entwürdigende Scheidungsstreit, der ganz England in zwei Heerlager scheidet. Sie nimmt natürlich die Partei des Königs, wozu sie ja als Frau des russischen Botschafters amtlich verpflichtet ist, aber das Volk, von Dorothy immer nur »der Mob« genannt, nimmt die andere Partei, und daraus ergeben sich allerhand Unzukömmlichkeiten, über die sie wohlgelaunt nach Wien berichtet. Wiederholt, wenn sie ausfährt oder sich ins Parlament begibt, wo der Schandprozeß verhandelt wird, hält der »Mob« ihre Equipage an und verlangt, »Hoch die Königin!« rufend, daß ihre Valetaille die Hüte abnimmt und sie selber mitruft; was sie mutig ablehnt. Schließlich geht es so weit, daß Maueranschläge und Flugzettel in London verlautbaren: »The Queen forever – the King in the river!« Und daß Leute, die in die Hochrufe nicht einstimmen, vom Pöbel erschossen werden. Der unglückliche Prozeß aber trödelt endlos weiter und wird schließlich bei aller Tragik so langweilig, daß die dicke Königin in einem 200 Nebenraum des Sitzungssaales Backgammon spielt, während die Zeugen gegen sie drinnen vernommen werden. Ein andermal ist sie dabei und sagt »O Theodor« und sonst nichts, als ein männlicher Belastungszeuge dieses Namens gegen sie vernommen wird. Am Ende setzt denn auch sehr gegen den Willen seines eigenen Kabinetts der autokratische König seinen Scheidungswillen glücklich durch. Der Name der Königin wird aus dem »prayerbook« gestrichen; bald darauf stirbt sie. Reden wir von was anderem; und die Fürstin Lieven, die eben noch die Prozession der armen Königin nach St. Paul schilderte, die der König, hinter einem Fenstervorhang seines Schlosses versteckt, knirschend mitansehen muß, beschreibt, um ihren Freund zu erheitern, uns und ihm das Gesicht der neuen abenteuerlich-häßlichen spanischen Botschafterin: eine ungeheure Nase und ein ungeheurer Mund, so daß man sich fortwährend wundert, warum dieser Mund diese Nase nicht längst schon verschlungen hat. Oder sie macht sich über die Zerstreutheit des zwerghaften Gatten dieser Unglücklichen lustig, der den Herzog von York in einer Gesellschaft nicht erkennt und ihn immer wieder leutselig auffordert, sich zu setzen, anstatt selbst vor ihm aufzustehen, wie es die Etikette vorschreibt. Oder über seine Schwester, die Madame de Princeteau, eine abgelegte Geliebte Ludwigs XVIII., die, unbeschäftigt wie sie jetzt ist, in Gesellschaft fürs Leben gern ohnmächtig wird, so daß man ihr die Miederschnüre aufschneiden und notgedrungen ihre schönen Schultern bewundern muß. Sie sind wirklich schön, stellt Dorothy Lieven sachlich fest, und Ohnmachten stehen ihr gut; aber drei hintereinander, das ist zuviel. Oder sie hetzt ein bißchen gegen Neapel, wo eben wieder einmal eine Revolution ausgebrochen ist. »Metternich muß marschieren!« hätte der Herzog von Wellington gesagt (es ist natürlich ihre eigene Meinung, sie versteckt sich nur hinter dem Herzog); und »Metternich wird handeln!« hätte sie selbst dem österreichischen 201 Botschafter, Fürsten Paul Esterházy, geantwortet: he will act – and he will act energetically and promptly . . . . Oder sie untergräbt den Herrn Botschafter, der ihr politischer Rivale ist und ihr dabei, vielleicht eben darum, den Hof macht, mit den endgültigen Worten: »Ich liebe es nicht, wenn Männer von vierunddreißig Jahren sich wie kleine Buben benehmen!« Oder sie nähert sich dem fernen Geliebten mit der schmeichlerischen Wendung: »I aspire to the honor of being, for one moment, the rival of the reunited Europe.« Oder sie widerspricht ihm in einer politischen Streitfrage und schließt ihre Beweisführung aufs anmutigste mit dem Satz: »So daß ich eigentlich recht hätte und Sie unrecht – wenn Sie nicht immer recht hätten, mon Prince!« Oder sie, die sich, obwohl sie immer nur vom Mob spricht, gern auf die Liberale herausspielt, sieht in einem ernsten Augenblick seine und Europas Zukunft – im neunzehnten Jahrhundert – voraus: »In vierzig Jahren wird Europa konstitutionell regiert werden. Sie werden am längsten aushalten, aber keine Ausnahme machen.« Tut sie hier liberaler, als sie ist, so tut es, ihr zuliebe, zuweilen sogar Metternich. In einem seiner Briefe analysiert er – er analysiert gerne, wenn er mit Frauen spricht, aber nicht, wenn er nach Neapel marschiert – das Problem der Gesellschaftsehe, wie er es auf Grund seiner Erfahrungen sieht. Ein achtzehnjähriges Mädchen, führt er aus, wird verheiratet und »beginnt damit, womit man enden müßte«. Aber was solle das arme Ding tun, da es doch »unter einem autokratischen Regime lebt«, was der korrespondierende Diktator, da es doch der Fall Dorothy Lievens ist, scheinheilig beklagt. Und er fügt selbstironisch hinzu: »You see, I am a liberal!« In solchen Augenblicken bricht eine gewisse Teufelei in Metternichs Wesen durch; die drei FFF der Schuljungenzeit melden sich. Aber es ist ein amüsanter Salonteufel wie in dem Stück von Molnar, »Der Teufel«, der dann aus seinem Munde zu uns redet. So hat ihn auch der Italiener Benedetti in einem 202 Bild aus der Lieven-Epoche mit hochgezogener Braue und schiefgezogenem Mund gemalt – ein Bild, das noch mehr ein italienischer Racheakt als ein Bild gewesen sein mag. Und es paßt recht gut zu diesem Bilde, daß Metternich in der Blütezeit seiner Liebe, während ihn die Frau eines anderen restlos glücklich macht, einmal gravitätisch, wie ein Teufel im Priesterrock oder wie ein österreichischer Machiavelli den Satz zu Papier bringt: »The principles of religion and the family in Europe« müßten geschützt werden und die »moral authority, with which divine Providence has invested the governments« – diene diesem erhabenen Zweck.

*

Die Fürstin Lieven war eine politische Frau, wie auch ihr fernerer Lebensgang beweist. Metternich war nicht der letzte Premier in ihrem Leben, nach ihm kamen einige andere und zuletzt Guizot. Sie lebte und liebte für Politik, das wußte die Welt seit jeher von ihr. Was man aber bis zur Veröffentlichung dieser Briefe im Jahre 1938 nicht gewußt hat und was ein ganz neues, erhellendes Licht auf ihre Beziehung zu Metternich wirft, das ist, daß diese Politikerin auch eine Schriftstellerin von Rang gewesen ist. Freilich eine Schriftstellerin besonderer Art, worüber ein Wort zu sagen ist.

Es gibt literarische Schriftsteller und unliterarische; wie es ja auch Leute gibt, die vollkommen korrekt schreiben und sich höchst gebildet schriftlich ausdrücken können, ohne im geringsten Schriftsteller zu sein. Ein solcher unliterarischer Schriftsteller, der größte von allen, war St. Simon, der Spiegel des Zeitalters Ludwigs XIV.; ein ebensolcher Schriftsteller war der Tagebuchschreiber Pepy im England des siebzehnten Jahrhunderts. St. Simon, der ein großer Herr war und um nichts in der Welt ein kleiner Herr der Literatur sein wollte, sagt nicht ohne 203 Stolz an einer Stelle seiner Schriften: Ich schreibe wie ein Käsestecher, und tat es zeitweise wirklich, wenn er seine Feder laufen ließ. Dennoch, welche Fülle der Gesichte, welches Urteil, welche Menschenkenntnis, welches Gehirn unter dieser schlechtgekämmten und manchmal sogar verschobenen Allonge-Perücke seines Stils! Von ganz so hohem Rang ist die unvergleichlich manierlichere Dorothy Lieven allerdings nicht. Aber sie ist doch so etwas wie ein kleiner St. Simon in Weiberröcken am Hofe Georgs IV. von England. Sie sieht alles; sie weiß alles; und sie versteht es, dies alles in Worten, die von einer Persönlichkeit betont und beherrscht sind, wiederzugeben. Das aber ist ein Schriftsteller; die unliterarischen sind mitunter sogar die besseren.

Als eine solche unliterarische Schriftstellerin gibt die Fürstin Lieven sich auch darin zu erkennen, daß sie nichts liest; ohne freilich darauf so maßlos stolz zu sein, wie dies heutzutage die Analphabeten des Gewerbes sind. Auch ist das »nichts« nicht ganz wörtlich zu verstehen; sie hat nicht viel, aber immerhin das beste gelesen. Sie kennt ihren Shakespeare, sie kennt ihren Walter Scott, und den dritten Gesang von Byrons Childe Harold kennt sie sogar auswendig (Metternich übernimmt dieses Kunststück später von ihr und blendet seine Gäste damit). Und sie kennt vor allem die Briefe der Madame de Sévigné, die sie zeitlebens in Ehren hält. So gleicht sie, sagen wir, einem Lustspieldichter, der von der ganzen komischen Literatur nur Molière kennt. Nicht die schlechteste Schule für einen Lustspielschreiber.

Von diesen wenigen Vorbildern hat Madame Lieven zudem nur dasjenige gelernt, was ihrem eigenen aristokratischen Wesen am besten entspricht. Aristokratisch im guten Sinne ist vor allem die Einfachheit; wo der Bürger sich in Redensarten windet, drückt der Adelige sich klar und einfach aus; er nennt die Dinge beim Namen und nennt sie bei dem richtigen. In diesem 204 Belang ist Dorothy Lieven sogar, obwohl viel weniger schreibkundig als Metternich, viel literarischer als er, der sich zuweilen in einem Gestrüpp von Phrasen und Metaphern redselig verstrickt.

Wie einfach erzählt sie beispielsweise in einem ihrer ersten Briefe dem großen Freund die Geschichte ihrer Ehe. Man kann aus diesem Briefchen nichts zitieren, man kann es nur ganz abschreiben. Es lautet:

»Heute vor achtzehn Jahren wurde ich verheiratet. Wie vergnügt war ich, meine Schulzeit im Kloster zu beenden, wie entzückt von meinen neuen Kleidern, wie gut paßte mir mein Brautkleid, wie stolz auf meinen Erfolg, als die Kaiserin es mit ein paar Brillanten schmückte, bevor sie mich zum Kaiser Paul hinüberführte, der mich dem Hof vorstellte. Ich hätte am liebsten alle Tage geheiratet und dachte an alles und jedes, nur nicht daran, daß ich einen Mann genommen hatte.«

Kein Wort zuviel, aber auch keines zu wenig, daran erkennt man den geborenen Schriftsteller. Zugleich enthält dieser Brief aber auch eine Entschuldigung für das, was später kam, und soll sie wohl auch enthalten. Denn was kann aus einer so ahnungslos eingegangenen Ehe hervorgehen als, im besten Falle, Kinder, an deren Legitimität nicht zu zweifeln ist.

Eine andere solche Entschuldigung – Entschuldigung ohne Kommentar, auch das ist aristokratisch – enthält ein Brief, den sie ihm aus Brighton schreibt, März 1822, im vierten Jahr ihrer Liebe. Sie ist zusammen mit ihrer Freundin bei Hof eingeladen, der für kurze Zeit in Brighton Aufenthalt genommen hat. Der König ist krank, die Freundin langweilt sich zu Tode und wundert sich, daß Dorothy es aushält: »Mein Trost ist, daß ich gesellschaftliche Beobachtungen mache« (hier spricht der Schriftsteller, der sich zuweilen in einer Gesellschaft auf ganz andere Weise unterhält als die Leute, die in Gesellschaft sich unterhalten wollen). Und sie flicht, dem Freund sich brieflich 205 anvertrauend, eine persönliche Erinnerung ein. Hier in Brighton, im Sommer 1818, hatte sie sich so unglücklich gefühlt, daß sie sich das Leben nehmen wollte. Der dritte Gesang des Childe Harold von Byron war eben erschienen und begleitete sie. Byron sagt darin »Dinge von entsetzlicher Schönheit« über den Tod durch Sichertränken. Sie liest das Buch auf einer Klippe im Meere und wartet auf die Flut, die, wenn sie kommt, die Klippe überschwemmen wird. Wie wär's, denkt die junge Frau, wenn sie so lange wartete und solcherart die Probe auf Byrons poetisches Exempel machte? »Eine halbe Stunde und länger wartete ich auf meiner Klippe auf die Flut, die sich nicht hob. Schließlich tat sie es, aber mittlerweile und in gleichem Maße verebbte meine Narrheit. Mit einem Wort, ich stand auf, ehe noch die Wasser meinen Fuß benetzten, und ich tat wohl daran . . . Seit damals, wann immer Trübsinn mich überkommt, muß ich mich nur jenes Abenteuers erinnern, um meine gute Laune wiederherzustellen oder zumindest, um mich von dem Wert jener hübschen Sache zu überzeugen, die wir Leben nennen.« Was sie in dem Brief nicht erwähnt, mit keinem einzigen Wort, und was doch hinter allen ihren Worten steht, das ist, daß sie sich drei Monate vor Aachen in einer so kläglichen Laune befand, in einer Gemütsverfassung, die alles erklärt und manches rechtfertigt – auch Aachen.

Ein andermal erzählt sie ihm auf vier Briefseiten die Geschichte ihrer Jugendliebe, die sich liest wie ein traurig-heiteres, romantisches Lustspielchen von Alfred de Musset. Sie war erst elf Jahre alt, und bereits wollte sie jemand heiraten, was den Sitten der Zeit entsprach. Es war ein junger Graf Elmpt. Dorothys Mutter, die damals noch lebte, begünstigte seine Werbung, und so fühlte die Kleine sich, wie sie sagt, verpflichtet, sich in das junge Herrchen zu verlieben, und zwar in einem Grade, daß sie gleich vor Liebe krank wurde. Offenbar also war sie schon damals die leidenschaftliche Natur, die Metternich 206 zwanzig Jahre später an ihr erkannte, als er ihr neckend schrieb: »Tu as eu la fièvre.« Doch die Mutter starb, und die Kaiserin, die an ihre Stelle trat, hatte eine ganz andere Wahl für Dorothy getroffen. Sie wurde in ein Kloster gesperrt und der junge Graf, der einen Streit mit dem Großfürsten Konstantin gehabt hatte, mit dieser Begründung vom Hofe und aus ihrer Nähe verbannt. Aber die vor Liebe Fiebernde läßt nicht ab von ihm und schreibt ihrem Romeo aus dem Kloster die zärtlichsten Liebesbriefe, die er ebenso zärtlich erwidert. Eine nachsichtige Gouvernante macht, wie in solchen Fällen üblich, die Mittlerin. Aber eines Tages erscheint unangesagt die Kaiserin im Zimmer der kleinen Klosterschülerin, reißt Spinde und Laden auf und findet, im Schrank der Gouvernante, die von dieser zärtlich aufeinander gelegten Liebesbriefe. Die Unglückliche hat sofort zu verschwinden; sie wird auf russische Art, über die sich die Fürstin Lieven noch wundert, von zwei Gendarmen über die Grenze expediert. Eine andere, strengere Aufseherin tritt an ihre Stelle, und Dorothys Roman ist zu Ende. Eine Zeitlang weint sie, dann tröstet sie sich, dann vergißt sie und nach fünf Jahren heiratet sie einen anderen, den Grafen Lieven. Aber zur gleichen Zeit stirbt der junge Graf Elmpt. »Seine Briefe haben mich nie erreicht. Ich vermute, daß sie mein Mann hat verschwinden lassen.«

Diese Romanze, zu der man sich eine Musik von Tschaikowsky wünschte, war von Metternich herausgefordert worden durch eine briefliche Mitteilung. Er hatte Dorothy, der er gewissenhaft über sein Vorleben Auskunft gibt, lachend auch von seiner ersten Liebe erzählt, die er im Alter von neun Jahren zu einer verheirateten Frau von vierunddreißig Jahren faßte. Zwei Geschichten und zwei Entschuldigungen. Denn Dorothy hatte nun einmal »das Fieber«, wenn sie liebte, sie wird es noch öfter haben; und Metternich hat, genau genommen, ein halbes Jahrhundert lang immer nur in Frauen von 207 vierunddreißig Jahren sich verliebt, in welchem Alter auch Dorothy Lieven in Aachen stand. Es war also ihre und seine »Bestimmung«, wie Liebende, wenn sie freveln, gerne sagen.

Doch das sind sentimentale Ausnahmefälle. Im allgemeinen schreibt Dorothy nur recht selten, ja kaum jemals von Liebe. Ihre große Leidenschaft ist die Politik, und noch wenn sie ihrem Herzensfreund eine neue, hochmoderne Lampe zum Geschenk macht, um ihm das mitternächtige Schreiben etwas leichter zu machen, und im Begleitbrief erklärt, daß diese neu erfundene englische Art von Lampen mit Hydrogen-Gas gespeist werde, fügt sie diesem chemischen Exkurs in der nächsten Zeile hinzu: »Weil wir gerade von Chemie reden – man spricht jetzt viel über Parteien-Verbindung in einem neuen Ministerium.«

Ein Jahr vorher hat auch er ihr ein zärtliches Geschenk gemacht, ein Pariser Portefeuille à la Huret, dessen Geheimverschluß sich nur öffnet, wenn man die Zahlen 1.8.1.8. entsprechend verschiebt. »Une serrure à combinaison«, nennt man das in Paris, und 1.8.1.8. ist natürlich 1818, das Jahr ihrer Liebe. »Cette année est la nôtre«, sagt Metternichs Begleitschreiben: »Celle de notre hégire.« Und dann erklärt er ihr auf französisch die Handhabung, die etwas kompliziert ist. Aber sie soll sich dadurch nicht abschrecken lassen: »Si une fois tu as ouvert, tu ouvriras toujours. II n'y a que le premier pas qui coûte, au fait de cadenas comme en toute autre chose . . .« Man sieht, alles ist auf Aachen bezogen, ihre Liebe lebt von der köstlichen Erinnerung.

Zu anderen Zeiten wieder erzählt sie ihm Geschichten und Geschichtchen aus ihrer Umgebung, lustige und traurige, politische und unpolitische, wie ihr der Tag sie zuträgt. Ein politisches ist die Vorbereitung ihres ersten Wiedersehens nach drei Jahren, in Hannover. Zu diesem Zweck muß der König von England nach Hannover fahren und wieder zu diesem Zweck überwindet Dorothy ihren Stolz und besucht seine neue 208 Favoritin, die Marquise von Conyngham. Die Marquise, durch gesellschaftliche Huldigungen nicht verwöhnt, rechnet das der Gräfin hoch an, und der König fährt nun wirklich nach Hannover, der Heiligen Allianz zuliebe, wo ihn Dorothy Lieven zum gleichen Zweck bereits erwartet. So wird Geschichte gemacht, sagen die Franzosen. Übrigens ist das Glück, wie stets ihr Glück, von kürzester Dauer. Der König riecht den Braten und fährt mit seiner Favoritin, die sich von Madame Lieven nicht trennen will, nach ein paar Tagen wieder heim. Metternich kehrt befriedigt in seine Staatskanzlei zurück, und sein erstes war vermutlich, ein Kommuniqué auszugeben, daß die Besprechungen zwischen dem englischen König und dem österreichischen Regierungschef in voller Harmonie und zu beiderseitiger Zufriedenheit verliefen. Man kann auch »ausgebaut und vertieft« sagen. Das gleiche war im Jahr darauf, vier Jahre nach ihrer allerersten Begegnung, in Verona der Fall, wo sie in der Stadt von Romeo und Julia einen kurzen Honigmond der Politik genießen. Dorothys Glück steht im Zenith: Metternich ist der »Kutscher Europas«, und sie sitzt in der Kutsche. Dann ist es aus, Metternich kommt nicht mehr nach Italien, die Zeit der politischen Badereisen ist vorbei, auch seine Briefe werden seltener und bleiben schließlich ganz aus. Einmal wartet sie monatelang auf ihn in Florenz, in Rom, aber er kommt nicht. »Österreich wird es büßen müssen«, schreibt sie ihm, nur halb scherzhaft mit ihrem politischen Einfluß drohend, umsonst, er bleibt unabkömmlich. Politik und Liebe vertragen sich selten in einem Nest, und fast immer ist es die Politik, die schließlich siegt. Aber der Briefwechsel geht noch eine ganze Weile weiter, bevor die Politik, das kommt später, sie für ewig trennen wird.

Die Schriftstellerin, die in ihren Briefen ein Jahrhundert nach deren Entstehen zum Vorschein kommt, entschleiert sich am hübschesten, wo sie weder politisiert noch schnäbelt, sondern 209 einfach ihrer Erzählerlaune die Zügel schießen läßt. Sie erzählt etwa, wie sie sich eines langweiligen und anspruchsvollen Schloßgastes entledigte, indem sie ihm den Verdacht einflößte, daß er in einem Spukzimmer schlafe. Oder die Geschichte vom verrückten Herrn Hardenbrot. Das war ein Mann, offenbar deutscher Abstammung, der zum Hofstaat der verstorbenen Prinzessin von Wales gehört hatte und im übrigen »durch seine ungeheure Nase berühmt« war. Eines Tages besucht er sie und erwähnt von ungefähr, daß er von Zeit zu Zeit Anfälle von Geistesgestörtheit hat und dann nicht wisse, was er tue. Eine Schwanksituation, die sich auch dementsprechend entwickelt. Dorothy ist mit ihm allein, sie erhebt sich unauffällig und nimmt neben der Klingelschnur Aufstellung, wo sie »wie eine Schildwache« stehen bleibt, bis nach einiger Zeit der Herzog von York sie aus ihrer beklemmenden Lage befreit. Einige Wochen später bricht bei Hardenbrot der Wahnsinn tatsächlich aus; er stirbt in einem Tobsuchtsanfall im Irrenhaus, wohin man ihn schleunigst gebracht hat.

Der Herzog von York, der den Mann mit der ungeheuren Nase rechtzeitig vertrieb, ist auch ein kurioser Vogel in ihrer Volière, in der fast nur Männer aus und ein flattern. Er kommt regelmäßig einmal in der Woche zu ihr und bleibt gewöhnlich ein paar Stunden, während welcher er unaufhörlich und unaufhaltsam redet, so daß sie, wie sie sagt, kaum zehn Worte zur Unterhaltung beizutragen vermag. Warum kommt er eigentlich? fragt sie sich und Metternich, dem sie nicht ganz ohne heimliche Genugtuung von diesen anstrengenden Besuchen des Bruders des Königs berichtet: »He settles down; he chatters; he tells stories; and at the end of his visit he kisses my hands with tears of emotion and gratitude for the pleasure I have given him. I am charmed to give it, as it is so easy.« Man sieht die Szene. Und wie entzückend frauenhaft, dieses halb schalkhafte, halb resignierte »as it is so easy«. 210

Vor etlichen Jahren, als die Welt noch keine anderen Sorgen hatte, erschien einmal in Deutschland eine umfängliche Sammlung von Liebesbriefen unter dem Titel »Die schönsten Liebesbriefe«. Welcher ist der schönste unter denjenigen, die die Fürstin Lieven als alte Dame in Schulheften sammelte, die, zum Vergnügen der Schulkinder jedenfalls, mit aufgemalten Rassepferden in allen Gangarten der Hohen Schule auf dem Deckel geziert waren? Ist es der letzte Brief, in dem sie ihn noch einmal vergeblich zum Schreiben einlädt? »Neumann brachte mir gestern Ihr Schreiben Nr. 174. Sie haben mich in letzter Zeit so wenig verwöhnt, daß ich ganz überrascht war. Ich überstürze mich, Ihnen zu danken. Macht Bescheidenheit Sie freigebiger? Bei mir ist es der Fall. Wären Sie wie ich, Sie schrieben mir öfter. Fangen wir noch einmal an. Leuten unseres Kalibers begegnet man nicht alle Tage. Unsere Herzen passen so gut zueinander, unsere Köpfe auch, und unsere Briefe sind so ergötzlich . . . Ich wiederhole, Sie finden nichts Besseres. Und was Sie betrifft, wenn Sie einem Manne Ihresgleichen begegnen, verständigen Sie mich schleunigst . . . Goodbye!« Oder ist der schönste jener andere Brief, in dem sie im Traum sein Herz schlagen spürte und es war das ihre? Oder ein dritter, noch kürzerer, in dem sie, wieder einmal Schloßgast irgendwo, die beiden alten Bäume beschreibt, die vor ihrem Fenster stehen. Nichts, schreibt sie, fände sie rührender, nichts schöner als zwei solche Bäume, die nebeneinander wurzeln und, ihre Zweige verschränkend, in den Himmel ragen. Und sie schließt das Billett mit der reizenden Wendung, die nur eine Frau finden konnte oder ein Dichter: »Möchtest Du nicht der andere Baum sein?«

Eine frivole Beziehung? Man hat es ein Jahrhundert lang geglaubt. In Wirklichkeit waren es nicht zwei »worldlings«, wie Arthur Herman in seiner Metternich-Biographie abfällig sagt, sondern zwei starke Persönlichkeiten, die sich, an 211 unzulängliche Ehepartner gekettet, in hoher freier Liebe fanden und verbanden. Daß sie dabei der bürgerlichen Moral ein Schnippchen schlugen, haben sie beide gebüßt, besonders aber hat die Frau die süßen Genugtuungen bitter überzahlt. Wer darf hier Richter sein? Sprechen wir sie nicht heilig, aber frei. 212

 


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