Raoul Auernheimer
Metternich
Raoul Auernheimer

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Die Lehrjahre des Alkibiades

Die Hochzeit fand im September 1795 in Austerlitz statt, das ein Dorf war, aber auch ein Schloß und als solches ein Kaunitzscher Familienbesitz. Bei Austerlitz besiegte Napoleon bekanntlich zwölf Jahre später die Österreicher und schlief dann zwischen den erbeuteten Fahnen und Trophäen in ebendemselben Gemach, in dem Metternich sich mit der jungen Fürstin Kaunitz verband. Darüber hat ein neuerer französischer Metternich-Biograph, Monsieur Grunwald, ein Madrigal geflochten, indem er die »Sonne von Austerlitz« und jene Hochzeitsnacht in eine witzig-melodramatische Verbindung bringt. Von der Witzigkeit abgesehen, ist es reizvoll genug, einen Augenblick lang darüber nachzudenken, wie sich zwei Lebensbahnen an diesem geschichtlich bedeutenden Punkt ahnungslos-prophetisch kreuzen. Ahnungslos; denn Metternich wußte damals gewiß noch nicht das mindeste von dem Artillerie-Hauptmann Bonaparte. Er war ein junger Kavalier, der heiratete, um seinen gräflichen Stammbaum fortzusetzen und der Familie durch eine glückliche »mariage« gründlich aufzuhelfen. Sicher war Clemens sich auch dieser seiner Verpflichtung voll bewußt, als er den sakramentalen Akt vollzog, und daß seine Eltern 33 sich darüber klar waren, liegt auf der Hand. Der Vater konnte diese Wahl nur billigen und die Mutter hatte selbst für ihren Sohn gewählt. »Ich habe weder mit meinem Willen noch gegen meinen Willen geheiratet«, verbriefte der Staatskanzler später an seine große Liebe, die Fürstin Lieven. Der Adel dachte und denkt nicht eben sentimental über diese Dinge, so wenig wie der Bauer, dem der Aristokrat auf dem Lande nahesteht. Es ist bezeichnend in diesem Zusammenhang, daß bei der gräflichen Hochzeit in Austerlitz nach der Sitte der Zeit sechs Burschen und Bauernmädchen des Kaunitzschen Gutes gleichzeitig kopuliert wurden. Man tat die jungen Leute zusammen wie das Jungvieh; sie vermehrten sich brav und, wenn es gut ging, auch den Familienbesitz. Das Ganze war keine Herzensangelegenheit, höchstens eine Frage bedachter, aber auch natürlicher Zuchtwahl. So angesehen war die Ehe, die Metternich in seinem dreiundzwanzigsten Jahre einging, eine Naturehe und Kavaliersehe zugleich.

Dem entsprach auch der Stil dieser aristokratischen Ehe schon in den ersten Jahren, die der junge Familienvater ohne richtige Beschäftigung und berufliche Bindung mehr angenehm als nützlich hinbrachte. Er hatte als Kavalier geheiratet, nun lebte er auch als Kavalier, und es scheint, daß ihn das lustige, wenn auch leere Dasein, das er zwischen seinem dreiundzwanzigsten und achtundzwanzigsten Jahre führte und offenbar ganz vom Gelde seiner Frau bestritt, keineswegs so unbefriedigt ließ, wie sein Biograph es wünschen würde. Zumindest sehen wir ihn keinerlei Anstalt treffen, seinen Zustand zu verändern, wenn man davon absieht, daß er sich vorübergehend von der Lust angewandelt fühlte, nach Amerika durchzugehen – wie fast jeder junge Ehemann. Er unterdrückte diese Anwandlung, wie er gesteht, aus Rücksicht auf seine Familie. Hervorgerufen war diese abenteuerliche Absicht offenbar von dem Verlangen, irgendeine Verwendung für die in ihm schlummernde Begabung 34 zu finden, was aus dem Grunde nicht möglich war, weil Schwiegerpapa Kaunitz sich aus Gründen, die wir nur mutmaßen können, gegen jede diplomatische Tätigkeit aussprach. Wahrscheinlich war er der Ansicht, daß ein großer Diplomat in der Familie genüge. Der unbeschäftigte Clemens ging also mit seiner jungen Frau, die übrigens bald Mutter wurde, viel in Gesellschaft, lud ein und ließ sich einladen. Dazwischen studierte er aus Langeweile, aber auch aus Wißbegier, ein bißchen Botanik und Medizin, von welcher Wissenschaft ein Niederschlag noch in einem seiner feuilletonistischen Vergleiche weiterlebt. Den Staatsmann lohnt Undank wie den Arzt, äußerte er einmal verbittert: Wenn die Kur gelingt, so hat sich die Natur geholfen. Stirbt der Patient, so ist der Arzt schuld.

Vorläufig also war von derartigen staatsmännischen Bemühungen nicht die Rede und der junge Graf lebte ungefähr wie der Prinz Heinz bei Shakespeare, der mit Falstaff beim Weine sitzt, oder wie der junge Alkibiades bei Plutarch, der im Rausch die Hermen stürzte oder den Hunden von Athen die Schwänze abschnitt. Der Typus des leichtsinnigen, wenngleich begabten jungen Adeligen ist keineswegs auf Griechenland beschränkt, und zumal auf dem Wiener Ballhausplatz gediehen diese Alkibiadesse, vielleicht von Metternichs Beispiel hervorgerufen, und grünten durch ein volles Jahrhundert. Sie waren von Ehrgeiz besessen und behaupteten lebemännisch, ganz ohne Ehrgeiz zu sein. Auch Metternich liebte es, dies von sich zu behaupten, doch tritt zumindest ein ehrgeiziges Streben nach weitläufiger Bildung in seinem Wesen deutlich hervor, das ihn von den leichtfüßigen und leichtherzigen kleinen Ballhaus-Viveuren vorteilhaft unterscheidet. Er hält sich gesellschaftlich gleich an die gescheite Prinzessin Liechtenstein und philosophiert mitunter auch mit älteren Männern. Den schönen Luxus, einem Sokrates zu Füßen zu sitzen, wie Alkibiades in Athen, kann er sich in Wien freilich nicht leisten, doch findet er zumindest einen 35 Weg zum alten Prince de Ligne, von dem er das geistreich zugespitzte Wort und die großen Manieren empfänglich übernimmt. Auch scheint der junge Metternich in diesen seinen Brausejahren eine Menge gelesen zu haben; anders wäre seine spätere große Belesenheit schwer zu erklären. Das beste am Lesen ist, daß man dabei allein bleiben muß; und so lernte er auch, allein sein zu können, die beste Schule für einen künftigen Premier. Die scheinbar nutzlos hingebrachte Zeit war für seinen inneren Menschen doch nicht ganz verloren.

An äußeren Vorrückungsmöglichkeiten ergab sich zunächst für den Gatten der Kaunitzischen keine andere, als daß man ihn seinem Vater zuteilte, der ausersehen ward, das Deutsche Reich auf dem Kongreß zu Rastatt zeitraubend-würdig zu vertreten. Der Tod des Fürsten Ernst Kaunitz, der gegen die diplomatische Laufbahn gewesen war, erleichterte diese Zuteilung, wie anderseits die Verbindung mit dem Hause Kaunitz die Wiederverwendung des alten Metternich begünstigt haben mag. Im übrigen scheint dieser ganz der richtige Mann gewesen zu sein, um den ergebnislosen Rastatter Kongreß zu diesem Ende zu leiten. Die feierliche Versammlung tagte anderthalb Jahre lang und es kam soviel wie nichts heraus dabei, wenn man davon absieht, daß sie mit der Ermordung zweier französischer Delegierter – dem sogenannten Rastatter Gesandtenmord – endete; der dritte Delegierte kam mit dem Leben davon. Clemens hatte sich dem Umgang dieser drei Bevollmächtigten der jungen französischen Republik nicht völlig entziehen können und sein Abscheu wuchs angesichts ihrer saloppen Kleidung und der wilden Haartrachten dieser Jakobiner. Er schreibt mit Verachtung über sie an seine Frau, die ihn nicht nach Rastatt begleiten konnte, weil sie bereits Mutterpflichten zu erfüllen hatte und nicht recht gesund war. Also richtete der junge Ehemann sich, so gut es eben ging, und es ging ganz gut, auf ein vorübergehendes Junggesellenleben 36 ein, ohne ein gebrochenes Herz zu heucheln. Er klagt in seinen Briefen aus Höflichkeit ein wenig über Langweile und Mangel an Anregung, die er schließlich am Spieltisch und bei kleinen Soupers in Gesellschaft kleiner Damen zu suchen und zu finden nicht verschmäht. Mißgünstige Beobachter kreiden ihm um diese Zeit an, daß er sich ein zu großes Ansehen gab, in zweideutiger Gesellschaft verkehrte und bessere Leute snobbte. Also noch einmal Alkibiades. Was seinen Vater betrifft, so machen die französischen Delegierten als rechte Sansculotten, die sie waren, sich darüber lustig, daß er die Stufen zählte, die er den Bevollmächtigten, ihrem Rang entsprechend, entgegenging, und unter einem Baldachin thronend die Sitzung leitete. Davon abgesehen scheint er sich ebenso wie der Herr Sohn in Rastatt ganz gut amüsiert zu haben, was unter anderm daraus hervorgeht, daß er bereits in den ersten drei Monaten für seine anstrengende Tätigkeit einen kaiserlichen Zuschuß von vierzigtausend Gulden in Anspruch nahm und auch erhielt. Vater und Sohn gingen außerhalb der Amtsstunden ihre besonderen Wege, die sie aber doch zuweilen, wenn sie einer Schönen etwas zu weit nachgingen, in überraschender Weise zusammenführten. Daraus hat der lästerliche Kotzebue, der vielleicht auch hier, wie seinerzeit in Mainz, am Rande der Begebenheiten stand, später eines seiner gelungensten Stücke gemacht, die »Beiden Klingsberg«, die das Wiener Burgtheaterpublikum durch Jahrzehnte lachen machten, weil es dabei an Metternich Vater und Sohn anzüglich denken konnte. Daß sie beide es in Rastatt mit der ehelichen Treue nicht sehr ernst nahmen, unterliegt keinem Zweifel, wie auch nicht, daß die Frauen in ihrem Leben beiderseits immer viel Platz einnahmen. Dennoch ist da ein Unterschied. Der Vater war ein Frauenfresser, der Sohn ein Damen-Gourmet. Der eine war höchstens Casanova, der andere zuweilen Don Juan. Ein sinnlich-übersinnlicher Freier, unterschied er kategorisch zwischen Verliebtsein und Lieben. 37 Verliebtheit gab er sich frei und nahm, was sich ihm bot; in der Liebe stellte er Ansprüche und zwar die höchsten. Aber um so fein zu distinguieren, mußte er zunächst auch undistinguierte Erfahrungen machen, die in Rastatt zu sammeln er reichlich Gelegenheit hatte. Die Lehrjahre des Alkibiades klärten ihn über die Grenzen seiner Persönlichkeit nach jeder Richtung auf.

Der Rastatter Kongreß wurde von Napoleon eröffnet. Aber Metternich scheint bei dieser Eröffnung noch nicht zugegen gewesen zu sein, und da Napoleon sein Wiedererscheinen zur Schlußsitzung im letzten Augenblick absagte, um nach Ägypten zu gehen, hat Metternich zu seinem Verdruß damals noch nicht seinen großen Gegenspieler persönlich kennengelernt. Die weltgeschichtliche Begegnung fand erst viel später statt.

*

Die Lehrjahre des Alkibiades waren mit den kleinen und größeren Rastatter Erlebnissen noch nicht zu Ende; das größte war das Abschiedsfrühstück bei den erzreaktionären Garnsbacher Husaren, dem die Ermordung der französischen Gesandten peinlich rasch auf dem Fuße folgte. Dann empfing den aus Rastatt Heimgekehrten wieder die weiche, zärtliche und klatschsüchtige Luft der Wiener Salons, wobei sich die gesellschaftlichen Beziehungen zu demjenigen der Fürstin Eleonore Liechtenstein verdichteten. Hier wurde auch Politik gemacht, und zwar seit zehn, fünfzehn Jahren bereits, um welche Zeit die schöne Fürstin die vertrauteste Freundin des verstorbenen Kaisers Joseph gewesen war. Zur Zeit befand sie sich in Opposition zur äußeren Politik des Ministers Thugut, die in einer Weise in der Richtung zur Vergangenheit orientiert war, daß es sogar Metternich zuviel war. Thugut hielt an der überlieferten Kaunitzischen Grundformel: Freundschaft mit Frankreich, unversöhnliche Feindschaft gegen Preußen, mit dem 38 Eigensinn des Subalternen noch in einem Zeitpunkt fest, in dem Österreich, von Frankreich geschlagen und zum Frieden von Campoformio erniedrigt, naturgemäß näher an das gleichfalls bedrohte Preußen hätte heranrücken müssen. Clemens mag diesen Standpunkt, von Rastatt zurückgekommen, im Salon der Fürstin Liechtenstein mit der ihm eigenen rednerischen Gewandtheit um so nachdrücklicher verfochten haben, als Thugut sich keineswegs als ein Freund des Hauses Metternich erwiesen hatte. Clemens intrigierte nicht geradezu gegen ihn, aber er untergrub. Die noch immer schöne Fürstin hörte ihm milde lächelnd zu. Sie war um ein paar Jahre älter als er, was sie wahrscheinlich nicht hinderte, den jungen Mann verteufelt hübsch zu finden. Bald darauf stürzte Thugut, und sein Nachfolger Trauttmansdorff ernannte Metternich, mir nichts dir nichts, zum Gesandten in Dresden. Wahrscheinlich hatte die Fürstin Eleonore Liechtenstein ein bißchen »gezaubert«.

Aber auch mit dieser zauberhaften Ernennung des Neunundzwanzigjährigen zum Plenipotentiär in dem nicht allzu wichtigen Herzogtum Sachsen sind die Lehrjahre des Alkibiades noch nicht ganz zu Ende, im Gegenteil, man darf sagen, daß sie hier einen neuen Aufschwung nahmen. In Dresden lebte man noch in dem gleichen galanten Rokokostil wie zehn Jahre vorher in Mainz. Dieser Stil lag Metternich, und der Lebenskünstler, der er war, fand sich auf dem ihm vorgeschriebenen neuen Weg rasch zurecht.

Bevor er ihn antrat, schrieb er an seinen Kaiser, der ihn ernannt hatte, einen bemerkenswert klugen und reifen Brief, den Brief eines Staatsmannes, der weiß, was er wert ist, was er zu geben hat und verlangen darf. Vor allem zweifelt er an seiner Berufenheit – an solchem Zweifel erkennt man den Berufenen – und tut in einer höchst unbescheidenen Weise bescheiden. Er nehme die Ernennung nur an, um gegen seinen kaiserlichen Herrn nicht ungehorsam sein zu müssen, bäte sich 39 aber aus, in dem Augenblick seine Demission geben zu dürfen, in dem er sich seiner Unzulänglichkeit bewußt werden sollte. Mit einem Wort: der junge Mann droht, noch bevor er sein Portefeuille übernimmt, mit seinem Rücktritt, was sonst nur ältere Premierminister auf der Höhe ihrer Macht zu tun pflegen. Tatsächlich hat er dann erst volle siebenundvierzig Jahre später, zum ersten und zum letzten Male, seine angedrohte Demission gegeben, woraus man umgekehrt schließen darf, daß er so lange mit seinen Leistungen unzufrieden zu sein keine Veranlassung zu haben glaubte.

Ferner ist bemerkenswert, daß er vor Antritt seines Postens viel in den Wiener Archiven herumwühlte und eine umfängliche Denkschrift über die jüngst vergangene, wenig glorreiche österreichische Politik und das Verhältnis zu Sachsen im letzten Jahrzehnt zusammenstellte. Das Memorandum lief darauf hinaus, daß er seine eigene Aufgabe in Dresden gewissenhaft umschrieb, was natürlich vorher mit dem Minister, der ihn zur Ernennung vorgeschlagen hatte, vereinbart war. Immerhin erteilte der junge Mann sich solcherart selbst seine Instruktion.

Aus diesem Memorandum spricht ein bemerkenswerter Fleiß, der Metternich ein ganzes Leben lang auszeichnete, sich hier aber zum ersten Male kundgibt. Ein fleißiger Alkibiades ist kein Alkibiades mehr, und so wäre hier eigentlich ein Punkt zu setzen, hätte auch in Dresden das Bedürfnis nach einem fleißigen österreichischen Gesandten bestanden. Es scheint aber um so weniger vorhanden gewesen zu sein, als Metternich eine preußenfeindliche Politik vorgeschrieben war und er in seinem Herzen eine augenblicklich preußenfreundliche aus Zweckmäßigkeitsgründen vertrat. Er hatte also wenig zu tun, ging viel in Gesellschaft, und lernte die schöne Bagration kennen, eine achtzehnjährige Russin, die ihn, auf russische Art, an die reizende Constance erinnert haben mag. Sie war die Frau eines russischen Generals und hieß in der medisanten Gesellschaft 40 »le bel ange nu«, weil sie mit nichts so sehr als mit Kleiderstoff sparte. Ein Jahr später wurde dem General ein Töchterchen geboren, für das ihm seine Frau den Namen Clementine vorschlug, den es, da der General nichts dawider hatte, auch tatsächlich in der heiligen Taufe erhielt. Clemens, der immer schon ein näheres Verhältnis zu Rußland befürwortet hatte, strahlte.

Ungefähr zur gleichen Zeit brachte auch Madame Metternich, geborene Kaunitz, ein Kind, ihr viertes – zwei waren bereits gestorben – zur Welt, von dem die bösen Zungen behaupteten, daß Metternich ebensowenig sein Vater gewesen wäre wie Bagration Clementinens Vater. Sicher ist, daß die Gräfin Metternich, der Pagenstreiche ihres Gatten nach sechsjähriger Ehe einigermaßen müde, sich auch ihrerseits auf eine Politik der Repressalien und Retorsionen eingerichtet hatte. Die Ehe blieb, eben weil es keine Liebesehe war, davon nahezu unberührt und bis zum Schluß die allerbeste.

Von Dresden kommt Metternich bald nach Berlin, wie die meisten Reisenden. Er wurde hier der Nachfolger des Grafen Stadion, der nach Petersburg vorrückte. Schon diese Nachfolge beweist, daß man in Wien seine Talente bereits richtig einzuschätzen wußte und sie zu verwenden gedachte.

In Berlin hatte der junge Gesandte einen Stein im Brett, weil er die wunderschöne Königin Louise von Frankfurt her gut kannte, wo er mit ihr den Krönungsball eröffnet hatte. Sie war eine Frau von unantastbarem Ruf, was ihr ermöglichte, Metternich in ihren engsten Freundeskreis aufzunehmen, ohne sich dabei das geringste zu vergeben. Um so ungezwungener entwickelte sich seine gleichzeitige Beziehung zur Herzogin von Sagan, einem anderen mangelhaft bekleideten Unschuldsengel von der Art der Bagration, die denn auch in Berlin alsbald deren Nachfolgerin wurde, wie Metternich der Nachfolger Stadions war. Revirement nennt man es in der 41 Diplomatensprache. Metternich sagte später bitter scherzend von ihr, daß sie eine Frau wäre »qui aime comme l'on dine« und es unterliegt keinem Zweifel, daß er des öfteren bei ihr dinierte. Die wiederholt unterbrochene Beziehung setzte sich lange fort und fand erst 1816 ein Ende. Hingegen hatte Madame de Staël von Anfang an kein Glück bei ihm. Er wollte kein Buch umarmen, noch sich von einem Buch umarmen lassen. Doch geht daraus keineswegs hervor, daß er der Sagan auch nur einen Augenblick lang treu war. Die spitzzüngigen Berliner Beobachter sagten von dem außerhalb seiner Amtsstube viel beschäftigten Gesandten, daß er immer verliebt und immer zerstreut sei, und daß ihm dies in der Politik und ganz besonders in der Liebe schade.

Zu den Errungenschaften seiner Berliner Jahre gehörte schließlich auch noch die Freundschaft mit Gentz, seinem späteren langjährigen Mitarbeiter in der Staatskanzlei, dem käuflichsten unter allen begabten und begabtesten unter allen käuflichen Journalisten des Zeitalters. Gentz war ein Romantiker, ein Lebemann und ein Snob, und wenn man ihn in einem dieser Gebiete aufjagte, entfloh er in das nächstgelegene und versöhnte am Ende, wenn gar nichts mehr helfen wollte, alle, sogar die Nachwelt, durch seinen wunderbaren, an Goethe hochgeschulten Stil. Ein romantischer Lebemann war in seiner Art auch der schöne Prinz Louis Ferdinand, den sie an den ästhetisierenden Berliner Teetischen gern den »Preußischen Alkibiades« nannten. Kleist hat dem bezaubernden jungen Mann mit der schwarzen Windstoßfrisur in seinem »Prinzen von Homburg« ein unsterbliches Denkmal gesetzt. Ganz Berlin war in ihn verliebt, der ungefähr so aussah, wie Canova den Tod darstellte – ein schöner Tod in preußischer Uniform – und sicher hat er auch auf Metternich Eindruck gemacht, der sich zu ihm wie zu einer heroischen Variante seines eigenen Wesens hingezogen gefühlt haben mag. Denn wenn auch beide jung, beide Alkibiades, so 42 waren sie doch so verschieden voneinander wie eine Ballade von einer diplomatischen Note auf Velinpapier. Grundverschieden war auch ihr Schicksal. Louis Ferdinand war eine romantische Feuerseele, Metternich bei aller scheinbaren Ungebundenheit ein im Grunde nüchterner Patron. Der eine starb jung, der andere wurde uralt; und wenn jener, in Verzweiflung über das Schicksal seines Vaterlandes, am Beginn eines verlorenen Krieges bei Saalfeld dem Heldentod stürmisch entgegenritt, so ließ Metternich sich in »bedingter Verzweiflung« im Amtsweg nach Paris versetzen und lebte weiter. 43

 


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