Raoul Auernheimer
Metternich
Raoul Auernheimer

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Zweites Buch

Wie besiegt man Napoleon?

Es geht um Österreich • Samson und Delila • »Comte de Balance« • Der Untergriff Minister der Koalition • Das Siegesfest • »O Welt!«

Es geht um Österreich

Für die auswärtige Politik eines Landes ist der Minister des Äußeren verantwortlich, der Botschafter ist nur sein Werkzeug. Folglich entläßt Kaiser Franz nach dem verlorenen Feldzug von 1809 seinen Außenminister, den Grafen Stadion. Das ist logisch und korrekt. Merkwürdig ist nur, daß der Kaiser Metternich sofort, an dem auf Wagram folgenden Tag, mit der Weiterführung der Geschäfte des gestürzten Ministers betraut und zwei Monate später, nach Friedensschluß, das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten in aller Form in seine Hände legt. Am Ende hatte dieser Alkibiades im Gesandtenfrack, der Metternich war, bisher doch eine nichts weniger als glückliche Hand bewiesen und zweimal das Staatsschiff gegen eine Klippe gesteuert. Er hatte 1805 zum Krieg geblasen und den Krieg verloren. Er hatte 1809 zum Krieg gehetzt und wieder war Österreich bis auf die Knochen geschlagen worden. Daß er zum Krieg gehetzt hat, bestreitet Metternich selbst nicht. Die Denkschriften, die er während eines kurzen Sommerurlaubs im Jahre 1808 in Wien ausarbeitete, hatten den schwankenden Kaiser wesentlich mitbestimmt, seine kriegerische Haltung zu befestigen. Dennoch ließ der Kaiser seinen 60 Ratgeber den falschen Rat nicht entgelten. Im Gegenteil: er schenkt ihm sein volles Vertrauen und macht – figürlich geredet – den schiffbrüchigen Steuermann zum Kapitän des schwerbeschädigten Fahrzeugs. Es ist wahr, daß Seine Majestät damit eine Entscheidung von welthistorischer Richtigkeit trifft. Doch hieße es den Kaiser Franz gewaltig überschätzen, wollte man annehmen, daß er, bei aller Menschenkenntnis, durch die Ernennung Metternichs einen derartigen Weitblick bewiesen hat. Nicht sein Erkenntnisvermögen und das staatsmännische Urteil des Monarchen sind für diese Wahl verantwortlich zu machen, sondern der Charakter des Kaisers, der habsburgische Charakter, der Österreich durch ein halbes Jahrtausend zusammenhielt, und über den in diesem Belang einiges zu sagen ist.

In einer Nebenszene seines »Don Carlos« hat Schiller diesen habsburgischen Charakter, den die mittleren Habsburger wie die großen haben, nach vorne gerückt. Es ist die Audienzszene, in der Admiral Medina nach Verlust der Spanischen Armada zum ersten Male vor Philipp II. wieder erscheint und kniend seine Niederlage bekennt. Der König hebt ihn auf und heißt ihn in Madrid willkommen: »Ich hab' Euch gegen Menschen ausgesandt, nicht gegen Sturm und Riffe«; er nimmt ihn in Gnaden wieder auf und behält sich seine Wiederverwendung vor. Doch wäre nichts verkehrter, als aus dieser seiner wahrhaft kaiserlichen Haltung dem besiegten Admiral gegenüber auf die Herzensgüte Philipps II. schließen zu wollen; er war und ist durch seine Grausamkeit und düstere Strenge in der Geschichte berühmt. Nein! Wenn er sich so hochherzig benimmt, so geschieht es aus zwei Gründen, die eben die habsburgischen sind. Erstens: aus einer gewissen Ritterlichkeit dem bis zur Wehrlosigkeit Erniedrigten gegenüber. Das ist ein christlicher Zug, und die Habsburger waren immer gute Christen. Der andere Beweggrund ist ein autokratischer Antrieb. Was der Untergebene macht, und wäre er selbst ein Admiral 61 oder ein Staatsminister, ist alles nicht so wichtig. Gelingt es, so hat Habsburg einen Erfolg zu verzeichnen, mißlingt die Ausführung, so hat Habsburg eine Bataille verloren; in jedem Falle hat der treue Diener seine Pflicht getan. Und wenn er sogar selbst zu der Schlacht geraten hätte, die nachher verlorengeht, so zählt das nicht viel; denn zugeben, daß sein Rat entscheidend war, hieße zugeben, daß Habsburg nicht selbst entscheidet. Das aber darf der Autokrat unter keinen Umständen zugestehen. Darum verzeiht der Kaiser, was geschehen ist, und behält sich, im Falle Metternich wie im Falle Medina, im neunzehnten Jahrhundert wie im siebzehnten, die Wiederverwendung seines Dieners vor. Nicht aus Nachsicht – aus Hochmut. Der Minister ist ein Werkzeug, nichts anderes; und für den Fehlschlag ist nicht der Hammer, sondern der ihn gebraucht, verantwortlich. Das ist große Fürstenart; Habsburgs Art.

Aus diesem Gesichtswinkel angesehen, ist es eigentlich minder verwunderlich, daß Franz seinem Botschafter damals den Mißerfolg nicht nachtrug, als daß er später dem Minister seine großen Erfolge verzieh; denn Erfolg macht fast ebenbürtig . . . Doch ist dies tatsächlich der Fall und daß es so war, spricht für Franz, dessen Beschränktheit doch auch etwas vom Meister hatte.

*

Im Oktober 1809 fuhren die Wiener Bürger an schönen Sonntagen gern in die Wiener Vorstadt Brigittenau spazieren, um sich das friedlich vor den Toren kampierende französische Lager neugierig anzusehen. Hin und wieder soll sogar eine schöne Dame ausgestiegen sein, um einem schmucken feindlichen Offizier einen Besuch zu machen. Der Frieden war auf dem Wege und kam denn auch im November zustande. Gleich darauf wird Metternich zum österreichischen Außenminister 62 ernannt. Sein Freund und politischer Spießgeselle Gentz staunt über die Leichtherzigkeit, mit der der Gescheiterte diese neue Ernennung annimmt. Metternich selbst schreibt darüber an seine Mutter, wie schwer ihm die Annahme fiele, daß er sich aber dazu verpflichtet fühle. Das erste war vielleicht übertrieben; das zweite, daß er es als seine Pflicht empfand, ist sicher wahr.

In der Zwischenzeit werden die für Österreich nachteiligen Friedensverhandlungen durchgeführt; erst von Metternich selbst, dann von dem ihn ablösenden unfähigen Fürsten Liechtenstein, worüber er wütend ist. Und im Zuge dieser Verhandlungen, die das geschwächte und neuerlich eingeschrumpfte Habsburgerreich mit einer untragbaren Kriegsentschädigung belasten, erkennt er deutlich, um was es geht. Es geht um Österreich.

Metternich war kein Österreicher. Abstammungsgemäß ist er Rheinländer und vermöge seiner Erziehung Europäer. Aber damals, in jenen Schicksalstagen, nach der heißen, verlorenen Schlacht, fand er einen Weg, seinen Weg nach Österreich. Es war kein Weg der Liebe. Metternich hat vielleicht Europa geliebt, aber sicher nicht Österreich. In seinen schriftlichen Äußerungen einer nimmermüden Feder findet sich kaum eine Stelle, in der er die österreichische Landschaft oder die Schönheit Wiens priese; wenn man davon absieht, daß er sich im Exil nach seiner Villa am Wiener Rennweg flüchtig zurücksehnte. Von seinem Schloß Johannisberg am Rhein schreibt der Uralte einmal an seine Tochter, daß der Rhein auch durch sein Blut fließe. Daß die Donau durch sein Blut flösse, hat er nie behauptet.

Und dennoch lernte er nach diesem verlorenen Krieg an Österreich glauben. Glauben ohne Liebe – ein merkwürdiger Glaube. Aber es war auch ein merkwürdiges Land, das ihm diesen Glauben einflößte. 63

Um diese Merkwürdigkeit zu begreifen, muß man und mußte auch Metternich etwas weiter ausholen. Das Merkwürdige besteht vor allem darin, daß Österreich weniger ein Land ist als ein Problem, so zwar, daß dieses Problem das Land und Reich gezeitigt und schließlich sogar überlebt hat. Was auf einem Umweg geradezu an Unsterblichkeit grenzt.

Das Problem bestand vor allem darin, daß es zwar ein in Europa gelegenes Land namens Österreich ungefähr ein halbes Jahrtausend lang gab, aber keine in diesem Lande gelegenen Österreicher. Österreich war niemals ein nationales Gebilde, aber auch kein übernationales, wie etwa das römische Weltreich, in dem immerhin die Römer herrschten. Wer aber und wo waren die Römer, die in Österreich herrschten? Die Deutschen wollten es da und dort, diesseits und jenseits der ehemaligen schwarzgelben Grenzpfähle selbst nicht zugeben, daß sie es taten. Und die anderen? Waren die Ungarn Österreicher? Die Tschechen? Die Polen? Die Italiener? Die Kroaten? Sie alle waren in Gottes Namen damit einverstanden, ein paar Jahrhunderte lang in Österreich zu leben, aber sie hätten sich, auch damals schon, dafür bedankt, Österreicher zu heißen. Das Eigentümliche an diesem Österreich durch die Jahrhunderte hin war, daß es ein Reich ohne das dazugehörige Volk war.

Dies war auch die europäische Auffassung. Auf einer Völkertafel aus dem siebzehnten Jahrhundert, wie man ihr noch hier und dort auf süddeutschen Schlössern und in Wirtsstuben begegnet, finden wir die europäischen Völker mit ihren hauptsächlichsten »Eygenschafften« in alter Orthographie und gotischen Buchstaben gewissenhaft verzeichnet: die Spanier – damals an der Spitze stehend –, die Engländer, die Franzosen, die Italiener und sogar die Sarmaten sind sowohl bildlich, in ihren Nationalkostümen, dargestellt, als auch entsprechend charakterisiert. Jede dieser Nationen hat ihr besonderes Wappentier, jede eine hervorstechende Haupteigenschaft; jede 64 lebt und stirbt auf ihre Art. Vom »Engelländer« beispielsweise heißt es, daß er »im Meer« stirbt, vom Franzosen »im Krieg«, vom Deutschen »im Wein«; der eine gleicht dem Löwen, der andere dem Fuchs, der dritte dem Bären. Aber den »Österreicher« wird man in dieser europäischen Völkerfamilie vergeblich suchen. Er hat kein Wappentier, keinen Charakterzug, weder den Stolz noch die Schläue; er lebt und stirbt nicht. Erst 1919, nach der Zerstörung der österreichisch-ungarischen Monarchie, tritt der Österreicher, als Charakterfigur, selbständig in die Erscheinung; ohne sich allzu gut zu bewähren übrigens. Man kann vom Österreicher paradoxerweise sagen, daß es ihn erst gibt, seitdem es ihn nicht mehr gibt. Quand on est mort, c'est pour longtemps; und so läßt sich vielleicht deduzieren, daß es ihn noch lange geben wird.

Dennoch wäre es irrig, anzunehmen, daß es nur der habsburgische Kronreif war, der die im Donauraum zusammenlebenden Völker so lang verklammerte. Das war vielleicht im Anfang so. Später war es noch etwas anderes, Gemeinsames, was von Österreich übrig blieb und bleibt: die menschliche Spielart, die österreichische Lebensform; auch die politische, um die es dem europäischen Politiker Metternich vorzugsweise zu tun war. Österreich war für ihn das Europa Zentraleuropas: die europäische Idee, auf ein räumlich bestimmbares und bestimmtes Kulturgebiet bezogen. Und seitdem er das erkannt hatte, war Metternich sich auch über seine Sendung klargeworden. Er hatte, in seinem sechsunddreißigsten Jahre, herausgefunden, daß er eine Lebensaufgabe zu erfüllen habe. Denn bis dahin war es doch mehr eine dienstliche Verwendung gewesen.

»Ce niais«, dieser Wicht, hatte Napoleon von ihm gesagt; »tête de crème« hatte Caroline am Beginn ihrer Bekanntschaft wegwerfend über ihn geurteilt. Nun, er hatte ihr später bewiesen, daß er nicht nur von »crème« war, und sie hatte es sich 65 nicht ungern beweisen lassen; trug er doch das aus ihrem Haar geflochtene Armband, das sie ihm schenkte, immer noch ums Handgelenk geschlungen. So wird er, mochte Metternich, darüber hinstreichend, nach dem unglücklichen Friedensschluß manchmal denken, auch Napoleon noch beweisen, daß er kein Wicht und nicht aus Holz und Pappe war. Und gerade aus der bewiesenen Unbesieglichkeit Napoleons folgerte er dann die Notwendigkeit, ihn zu besiegen. Denn – es ging um Österreich! Das wußte er, und dafür lebte er von nun an. 66

 


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