Raoul Auernheimer
Metternich
Raoul Auernheimer

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Drittes Buch

Diktator Europas

Metternich im Profil • Das große Erlebnis • Tagebuch in Briefen • Der Kutscher Europas • Frau, Gattin und Gemahlin • Politik und kein Ende • Das weltgeschichtliche Kind • Ein feiner alter Herr sitzt im Lehnstuhl

Metternich im Profil

Erfolg macht nicht besser; erst die Schädigung des sittlichen Ich, die jeder lang andauernde Erfolg nur allzu leicht nach sich zieht, überwunden zu haben, kann einen Mann besser machen; erst der Rückschlag veredelt und stählt einen Charakter. Vorausgesetzt freilich, daß einer groß genug ist, aus seinem Unglück etwas zu machen. Denn Unglück an sich kann jeder haben, es ist so wenig ein Verdienst, wie Glück zu haben. Entwicklungsfähigkeit ist alles. Die entwicklungsfähigen Menschen allein machen der Menschheit Ehre; nur sie werden gewogen und nicht zu leicht befunden. Dies ist ja auch der geheime Sinn des in der Wiener Gesellschaft wenig gelesenen »Wilhelm Meister«, den auch Metternich kaum gekannt haben dürfte. Goethe wandte darin zum erstenmal in der Literatur die Gesetze des organischen Wachstums auf den Aufbau einer Persönlichkeit und die Verfeinerung eines Charakters an.

War Metternich entwicklungsfähig? Er war ein Mann der alten Ordnung, die Entwicklung ausschloß, weil sie an das Absolute glaubte. Das war auch Metternichs Glaube. Es gibt Gegebenheiten, aber keinen Fortschritt; es gibt nur »ewige Gesetze«, zu denen man immer wieder zurückkehren müsse. 164 Infolgedessen leugnet er auch, auf sein Leben zurückblickend, logischerweise eine schrittweise Entfaltung seines eigenen Wesens und Charakters, den er für angeboren und unveränderlich hielt. »Ich war derselbe mit siebzehn Jahren, der ich heute (mit sechsundvierzig) bin«, schreibt er an seine große Freundin, die Gräfin Lieven. Aber zum Glück sind derartige Selbstaussagen kaum ernster zu nehmen als die Diagnosen, die ein Patient im Ordinationszimmer des Arztes noch vor der Untersuchung stellt. Untersucht man Metternichs Persönlichkeit, klopft man sie ab und behorcht man seinen historischen Herzschlag, so kommt man zu ganz anderen Ergebnissen als zu der von ihm behaupteten Unwandelbarkeit im Verlaufe eines schließlich mehr als achtzigjährigen Lebens.

Charakterologie zu treiben, ist ein ziemlich abstraktes Vergnügen. Darum haben die Dichter eine andere Methode erfunden, um sich über das innere Wesen eines Mannes klar zu werden. Sie stellen einen Charakter dar, statt ihn zu analysieren. Und dasselbe tun auf ihre Art die Maler. Ein Porträt ist nichts, wenn es nicht eine Charakterstudie, die Spiegelung einer Persönlichkeit ist. Das Wissen um den Menschen ist der Hintergrund, auf dem ein jedes gemalt ist. Also halten wir uns an die Maler.

Was den Metternich der ersten Lebenshälfte betrifft, so gibt es zwei Bildnisse: das eine von Gérard aus der frühen Pariser Zeit, das andere aus der Zeit des Wiener Kongresses von Lawrence; beide gefällige Meisterwerke, in einem Abstand von sieben oder acht Jahren gemalt. Vergleicht man sie, so hat man die Entwicklung einer Persönlichkeit sichtbar vor Augen.

Auf dem Bildnis des Gérard, das uns das Gesicht in rosiger Vorderansicht zeigt, blickt den Betrachter ein junger Höfling geputzt und geschniegelt an. Clemens Metternich war fünfunddreißig Jahre alt, als dieses Bild in Paris gemalt wurde, und sieht darauf noch jünger aus, als er ist. Fast könnte man von 165 einem schönen Knabenkopf reden, wäre nicht der wissende Zug um den Mund und das verschwiegene Lächeln, das sich über den Höfling, den er vortäuscht, heimlich lustig macht und ihn jedenfalls durch eine wenn auch unterdrückte Impertinenz innerlich aufhebt. Der Mund ist schon da, der geistreich beredte Metternich-Mund, auch die etwas vorspringende und herabhängende, menschenverachtende »Habsburger«-Lippe deutet sich an, aber die Nase tritt in dem etwas zu rundlichen, etwas zu vollen Genießergesicht noch nicht bedeutend hervor. Es ist noch, wenn man so sagen darf, eine Nase wie andere Nasen. Und so ist auch der ganze Mann: ein festlich aufgestutzter jugendlicher Ambassadeur mit allem, was dazu gehört: einem schönen Ordensstern auf der Brust und einem Großkordon um den im Empirestil vermummten Hals, der durch einen hochansteigenden Rockkragen und eine dreifach übereinandergelegte, gesteifte Krawatte wie durch Wall und Graben geschützt und gesichert ist. Ein nicht allzu angenehmes Selbstgefühl und eine unverhohlene Selbstgefälligkeit umschweben den Kopf des unternehmenden jungen Botschafters mit der vom Pariser Haarkünstler gebändigten »Schwedenfrisur«.

Auf dem Bildnisse, das Lawrence sieben Jahre später im Kongreßgedränge malte, ist an die Stelle dieses Selbstgefühls eine vollkommen natürliche Überlegenheit getreten, die so fest im Sattel sitzt, daß sie sich selbst ohne Gefahr belächeln kann. Lawrence hat Metternich in sitzender Haltung gemalt, die aber doch die ganze Figur von der Fußspitze bis zu den Spitzen des gelichteten, aber immer noch gekräuselten Lockenschwalls in geistreicher Lebendigkeit zusammenfaßt. Wir sehen den Kopf, aber auch das feine Knie, das schöne schlanke Bein im weißen Seidenstrumpf, den mit schwerem Gold bestickten Galafrack und das Goldene Vließ über der handbreiten Seidenschärpe, das Metternich im Jahre 1809, anläßlich der Verheiratung Marie Louisens, erhalten hat. Was aber wichtiger ist als diese 166 Äußerlichkeiten, die ihr Inhaber durch seine im Armsessel halb zurückgelehnte Haltung und den spöttischen Gesichtsausdruck gleichsam bagatellisiert, das ist eben der einmalige, unverwechselbare Ausdruck einer auf der Sonnenhöhe des Lebens reif gewordenen Persönlichkeit. Wie Metternich auf dem Brustbild von Gérard aussieht, so können vierundzwanzig Söhne des Glücks im gleichen Alter und zur gleichen Zeit auch aussehen; wie ihn Lawrence gemalt hat, nur noch Clemens Metternich und kein anderer mehr. Mag er immerhin bei Pitt, und vielleicht sogar bei Brummel, dem großen Dandy, gelernt haben, die Beine so ungezwungen zu überschlagen und eine schöne Hand so unbeschäftigt über die Lehne zu hängen; mag die mephistophelisch hochgespannte Braue und das noch mephistophelischere Lächeln um den von vielen Unterredungen mit den Großen dieser Erde bitter, aber auch süß enttäuschten Mund sich vom Prince de Ligne herschreiben: es ist doch alles Metternich geworden in diesem Bilde Metternichs. Und etwas ist dazugekommen, worin alles dies sich zusammenfaßt, die Profilhaltung, die den feinen Schwung einer sehr entschiedenen Nase in dem jetzt hagerer modellierten Gesicht beherrschend aus der fast schauspielerisch anmutenden Belebtheit der Züge hervortreten läßt. Es ist das erste Bildnis Metternichs, das ihn uns von dieser Seite, das erste, das ihn uns ganz und durch Einbeziehung des Profils als eine plastisch gewordene Persönlichkeit vorstellt. Denn das Profil eines Menschen deutet an, was das Schicksal mit ihm vorhatte; das en-face oft nur, was das Leben daraus gemacht hat. Auf dem uns vorschwebenden Kongreßbild zumindest stimmt diese gewagte Rechnung. Wir sehen den zeitlichen und den überzeitlichen Metternich; wir sehen ihn in einem letzten Jugendschimmer und doch auch schon sub specie aeternitatis. Wir sehen den Staatsmann, Aristokraten, Lebenskünstler. Sehen wir auch einen großen Mann? Einen bedeutenden Mann jedenfalls, und daß er den Mut hat, seine 167 Bedeutung so gar nicht zu betonen, wird ihn nur in den Augen norddeutscher Betrachter verkleinern, die Größe und Grimm so gern verwechseln und zittern müssen, um bewundern zu können.

*

Lassen wir uns vom äußeren Eindruck nicht beirren. Der schlanke Fürst mit dem ironischen Lächeln und dem Goldenen Vließ, obwohl er weißseidene, prall anliegende Eskarpins und keine Ritterrüstung trägt und nicht einmal gebieterisch wie Napoleon die Arme über einer Heldenbrust verschränkt; dieser liebenswürdige Kongreßkanzler, dessen Liebenswürdigkeit über seine Bedeutung ein Jahrhundert lang hinwegtäuschte, hat tatsächlich in jenen Jahren nach dem Wiener Kongreß eine Machtfülle besessen und ausgeübt, die hinter derjenigen Napoleons kaum zurückstand. Vergegenwärtigen wir uns die Landkarte des damaligen Europa, so sehen wir nicht nur ein wieder mächtig angewachsenes, um alte und neue »Erblande« verstärktes Österreich, sondern auch ein Österreich, das zugleich über Italien und Deutschland herrscht. Kaiser Franz hat im Jänner 1815 die deutsche Kaiserkrone zum zweiten Male abgelehnt, aber Österreich hat weiterhin den Vorsitz im Deutschen Bunde inne, und was es wünscht und gebietet – es war nicht immer das Vernünftigste oder Richtigste –, wird auch noch im nächsten halben Jahrhundert in den deutschen Bundesländern geschehen. Dasselbe Verhältnis besteht zu Italien. Weit in den Süden, bis nach Ravenna hinunter, liegt in jeder größeren italienischen Stadt eine österreichische Garnison, und nicht nur die Lombardei und Venetien gehören zu Österreich – noch der Kaiser Franz Joseph durfte sich bis an sein Lebensende König der Lombardei nennen – auch Toskana und Modena und Parma und Piacenza sind ganz oder halb österreichisch. 168 Neapel und Sizilien sind es gleichfalls oder werden es durch Heirat bald genug werden. In Frankreich stehen österreichische Besatzungstruppen, und bis zum Schwarzen Meer und tief in die Türkei reicht der Einfluß der von Metternich geschaffenen Donaukonvention, die aus der Donau, nicht aus dem Rhein, die Aorta Europas macht. Ja sogar in Spanien entwickelten sich die Dinge in den folgenden zwei Jahrzehnten ungefähr in der von Österreich beliebten Richtung, und seitens Englands und Rußlands geschah bis zur Unabhängigkeitserklärung Griechenlands im Jahre 1827 nichts, was dem Habsburgerreich gegen den Strich ging. Dort wie da, an der Themse wie an der Newa, waren es die Grundsätze der »Heiligen Allianz«, die Metternich die Ausübung seiner Macht als ein unangreifbares Recht sicherten. »Macht durch Recht« war ja auch der Wappenspruch, den er sich, in den Fürstenstand erhoben, gewählt hatte. Zugleich hatte ihm Kaiser Franz das einzigartige Vorrecht eingeräumt, in seinem Wappen auch das kaiserliche Wappen, das Wappen Österreichs, zu führen. Er war zumindest in dem Ausmaße dessen tatsächlicher Regent, wie Mussolini ein Jahrhundert nach ihm der Lenker Italiens war; und zwar um denselben Preis der Erhaltung der bestehenden Dynastie, zugleich der Diktator Europas.

Diese Diktatur, die Metternich tatsächlich einige Jahrzehnte lang ausübte, eine Diktatur in Samthandschuhen, verglichen mit demjenigen, was man ein Jahrhundert später Diktatur nannte, war als »Heilige Allianz« in der Geschichte lange von einer Art Weihrauchduft umwittert. Das hängt mit den liberalen Neigungen der Geschichtsschreibung des neunzehnten Jahrhunderts weit mehr zusammen als mit den angeblichen mystischen Neigungen des Zaren Alexander, der als der Erfinder dieser christlichen Verbrüderung gilt. Madame Juliane von Krüdener, eine halbdeutsche baltische Baronin, eine seiner romantisch politischen Teefreundinnen, soll den russischen Selbstherrscher 169 dazu verführt und dadurch mittelbar auch Metternich die Überzeugung beigebracht haben, daß der Fels der Kirche die sicherste Grundlage für eine bereits bestehende Mächtegruppierung wäre. Daran ist einiges wahr und das meiste erfunden. Tatsache ist, daß im Sommer 1815, kurz nach der Wiedereröffnung des Krieges gegen Napoleon, der Zar Alexander auf der Reise nach Paris eine soeben erschienene Schrift in der Hand hielt, die ein unverkennbar deutscher Gelehrter namens Baader verfaßt und mit der professoralen Überschrift versehen hatte: »Über das durch die französische Revolution herbeigeführte Bedürfnis einer neuen und innigeren Verbindung der Religion mit der Politik.« Auch Metternich hatte sie gelesen – er war ein großer Leser und jederzeit geistiger Anregung zugänglich –, wie er auch die Madame Krüdener kannte. Doch nahm er ihr unklares Geschwätz nicht ernster, als es genommen zu werden verdiente, und mit den Jahren wendete er sich immer deutlicher von ihr ab, ja gegen sie. Als sie im Jahre 1817 Schweizer Bauern zur Auswanderung nach Odessa bewog und eine »Zeitung für die Armen« herausgab, erklärte er sie geradezu für eine »Jakobinerin«, also für staatsgefährlich. Er hatte eine grundsätzliche Abneigung gegen jede Art von Volksbewegung und für den religiösen Kommunismus der verschwärmten Baronin keinerlei nützliche Verwendung. Ruhe und Ordnung war alles, was er von seinem Regentenstandpunkt aus verlangte, und um diese zu sichern, genügte die von ihm planmäßig ausgebaute »Pentarchie«, der Fünfmächtebund, der das vorläufig allerdings noch durch eine Besatzungstruppe niedergehaltene Frankreich mitumfaßte. Diese von Wellington befehligte Soldateska garnisonierte ein paar Jahre lang, bis zum Kongreß von Aachen, in Nordfrankreich, und im östlichen Mittelfrankreich, an der Schweizer und badischen Grenze, mußte die erste Linie des Vaubanschen Festungsgürtels, der Maginot-Linie jener Tage, geschleift werden. Im übrigen war 170 Metternich ein großmütiger Sieger, der die imperialistischen Gelüste, zumal des deutschen Bruders, nach Möglichkeit niederhielt. Elsaß-Lothringen blieb bei Frankreich, so sehr der König von Bayern danach schmachtete, und die von den Franzosen zu zahlende Kriegsentschädigung wurde auf siebenhundert Millionen Francs, einen lächerlich geringen Betrag, herabgedrückt. Es war keine Pax Romana, dieser Pariser Friede, und kein Friede von Warschau. Aber ein haltbarer; über ein halbes Jahrhundert hielt er.

Die französische Kultur, die französische Geistigkeit und Kunst blieben völlig unberührt. Nur den Italienern mußten die von Napoleon entfremdeten Kunstschätze wieder zurückgegeben werden; darauf hielt Metternich. Wenn heute die ehernen Rosse wieder die Markuskirche und der geflügelte Löwe die Piazetta in Venedig schmücken, so verdankt das die Lagunenstadt ihm. Allerdings war ja auch Venedig jetzt wieder österreichisch, so daß Metternichs Stilgefühl sich zugleich patriotisch gebärdete und dem Aufschwung des Fremdenverkehrs in den italienischen Provinzen des Habsburgerreichs geschäftskundig diente.

*

All das war Kopfarbeit, die Arbeit eines guten Kopfes, wie man zugeben muß. Wo aber blieb, was Metternich selbst mit einiger Übertreibung sein Herz nannte, und worüber zu verfügen er als sein eigenstes Recht jederzeit in Anspruch nahm? Es war in der letzten Zeit ziemlich unbeschäftigt gewesen, dieses einst vielbeschäftigte Herz, die anspruchsvolle Dame Politik ließ keine neuen Gefühle darin aufkeimen, und die alten waren qualvoll abgenützt. Was ihn an die Sagan band, war nur noch eine Liebe ohne Liebe, und, schlimmer als das, eine Liebe ohne Achtung. Diese Frau, die »immer wollte, was 171 sie nicht tat, und immer tat, was sie nicht wollte«, und die »liebte, wie man dinierte« – das heißt also, weil man gerade Appetit hat oder eingeladen wurde –, hatte ihn noch während des Vormarsches in Frankreich zeitweise an die schönen Berliner Jugendtage erinnert, aber schon die Tatsache, daß er, in Paris angelangt, sich mit posthumer Treue wieder der Madame Junot widmete, spricht nicht für die Haltbarkeit der alten Beziehung, die einer jüngeren Platz machen mußte. Dann, während des Wiener Kongresses, taucht sie wieder in seiner nächsten Nähe auf und wohnt mit der Bagration, die auf sie eifersüchtig ist, in einem Hause, in dem der flatterhafte Staatskanzler hin und wieder gesehen wird. Er flattert bereits an einem überlangen Faden und Madame Sagan flatterte gleichfalls. Sie war damals eine Frau stark in den Dreißigern, noch schön, aber mit einem leisen Zug ins Hexenhafte, der später deutlicher hervortreten wird. Auf ihrem Bilde sieht sie mit ihrem scharf geschlitzten Mäulchen und dem starrenden Blick unter der etwas wilden Haartracht wie der verkörperte Durst aus. Von der schönen Melusine, einer deutschen Märchengestalt, wird berichtet, daß sie am »Durstbrunnen«, auf die Männer wartend, saß. Solch eine Melusine am Durstbrunnen scheint auch die Sagan gewesen zu sein, eine ewig Liebende, die niemals liebte, und unersättlich Dürstende, die immer trank. Der rastlos liebende Staatskanzler hat später in einem Brief an die Fürstin Lieven, der er sich restlos anvertraute, das merkwürdige Verhältnis mit eiskalter Genauigkeit beschrieben. Es ist ein Grundbuchblatt seiner Liebe, von der er behauptet, daß es nie eine Liebe war, ein Lastenblatt zugleich der Frau, die ihn zehn Jahre lang fesselte, wenn auch nicht band. Sie war zweimal verheiratet gewesen, das zweite Mal, wie Metternich sagt, mit einem Mann ihrer Wahl, der aber am ersten Tage ihrer Verbindung aufhörte, ihr Liebhaber, ja sogar ihr Freund zu sein. Nach dieser mehr als schlimmen Erfahrung hätte sie sich mit 172 Metternich trösten mögen: she wanted me as a lover, but I was unwilling, berichtet er, unritterlich genug, an seine neue Geliebte. Dann wurde sie, weiß er zu erzählen, vorübergehend die Geliebte des englischen Agenten Mr. King, desselben, den Metternich im März 1813 von maskierten Räubern verhaften ließ, was ein merkwürdiges Licht auf diese politische Aktion, aber auch auf die Machenschaften der Sagan wirft, die wohl auch im Spionagedienst dilettiert hat. »A little while after this liaison«, setzt der gewissenhafte Berichterstatter gewissenlos fort, »she wanted no more of him (nämlich von King) and returned to me – und kehrte zu mir zurück.« Immerhin: man kann nur irgend wohin zurückkehren, wo man schon gewesen ist, was mit Metternichs vorhergegangener Versicherung »I was unwilling« in peinlichem Gegensatz steht. In einem Gerichtssaalbericht würde man sagen: Zeuge verwickelt sich in Widersprüche. Indessen fährt der Zeuge unbekümmert fort: »I was as little anxious the second time as the first time – ich machte mir ebensowenig daraus das zweite wie das erste Mal«; also löst der Widerspruch sich in nichts auf und man kann jenes »unwilling« einfach streichen. Die beiden werden zum zweiten Male ein Liebespaar, nachdem Metternich schon in Berlin, sechs Jahre früher, die Dinereinladungen der durstenden Herzogin zumindest sich hatte gefallen lassen. Aber auch diesmal wieder war es kein ungetrübtes Glück; denn, verzeichnet der Grundbuchführer: »Three days later, she took a new lover«, was doch wirklich etwas überstürzt war. Nichtsdestoweniger, abermals eine überraschende Wendung in dieser höchst unsentimentalen Liebesgeschichte: »She was free and unhappy, I was free . . .« – sie waren beide frei, und also verbanden sie sich. Die Begründung ist kurios und läßt tief blicken. Jedenfalls scheint diese auf so nüchternen Voraussetzungen beruhende Spielart der Liebe – »amour sens« mit Stendhal zu reden – eine Zeitlang zumindest die weibliche Partnerin 173 beglückt zu haben, denn diese äußert Stabilisierungsgelüste – auf die der männliche Partner jedoch nicht eingeht. »I did not want to enter into very definite relations«, sagt Metternich: er wünscht die Beziehung nicht zu verdichten und schlägt infolgedessen als der versatile Diplomat, der er nicht nur im Konferenzsaal ist, ein Kompromiß vor: »I proposed a compromise. I asked her for six months of fidelity.« (Sechs Monate Treue.) Sie lehnt ab. Oder vielmehr: sie lehnt nicht einmal ab. Denn dies ist eine Zumutung, ungefähr so, als ob er von Frankreich verlangt hätte, auf Paris zu verzichten.

Dennoch war Metternich in dieses unschöne Verhältnis tief verstrickt, und sein leichtfertiges Herz geriet in ernste Gefahr, in die ein Mann gerät, wenn er den Treubruch einer Geliebten schon im voraus verzeihend in Rechnung stellt. Die Beziehung war um so unsittlicher, als die Frau, um die es sich handelte, ebenso liberal dachte und sich in bezug auf Metternichs Treue auch ihrerseits keine Illusionen machte. Aber Metternich war alles nur nicht liberal; er verlangte Treue in der Untreue, verlangte sie auch von sich, ohne freilich dieses Verlangen immer zu erfüllen, und erst recht von seiner Partnerin. Er machte ihr Szenen und sie ihm. Während des Wiener Kongresses, als die Welt um Wien und Wien sich im Walzertakt drehte, und nachher in Baden, dem idyllischen Kurort, wohin sich schließlich auch der Staatskanzler begab, um sich von der Weltgeschichte etwas zu erholen, kam es zu wüsten Auftritten, die seinen Ruf nicht nur als Mann und Ehemann, wenn er das überhaupt jemals war, sondern auch als Staatsmann in immer bedenklichere Mitleidenschaft zogen. »Cette maudite femme«, setzt dann Gentz etwa in sein Tagebuch. Aber schließlich besann Metternich sich auch hier auf seine ihm von der Geschichte vorgeschriebene Profilhaltung. Er wandte sich ab von einem Erlebnis, das nicht nur hinter, auch unter ihm lag, und gab seiner durstigen Melusine den Abschied, die sich, wie 174 er behauptet, vor Schmerz darüber töten wollte. Doch trank sie alsbald wieder aus einem anderen Brunnen. Der österreichische Botschafter in London, Graf Paul Eszterhazy, war der Nachfolger seines Chefs oder – seien wir vorsichtig – einer seiner Nachfolger.

Der zweiundvierzigjährige Metternich, auf der Höhe seines staatsmännischen Erfolges, stand liebeleer mit einem ausgeraubten Herzen da. Nüchterne Beurteiler seines Lebenswandels werden allerdings die Bemerkung nicht unterdrücken können, daß der Mann ja auch verheiratet und Vater von sieben Kindern war. Das ist richtig, und er war sogar, wenn auch kein zärtlicher Gatte, so doch ein zärtlicher Vater. Und trotzdem liebeleer? Man kann nur mit dem aristophanischen Spötter Nestroy, dem großen Zeitgenossen Metternichs, antworten: »Das eben sind die psychologischen Quadrillierungen, die das Unterfutter unseres Charakters bilden.« Und man darf, darüber hinaus, vielleicht auch noch darauf hinweisen, daß Eleonore Kaunitz, eine so ausgezeichnete Mutter, Gattin und Großsiegelbewahrerin der Stellung ihres Gatten sie immer gewesen sein mag, doch nie, nicht einen einzigen Augenblick lang, seine Geliebte war. Es war eine aristokratische Zweckheirat gewesen; und wenn man bedauert, daß es solche Ehen gibt, so darf man doch billigerweise kaum darüber staunen, daß sie gebrochen werden.

Also liebeleer; aber doch nicht so ganz und gar liebeleer, wie sich ein Jahr später, an einem Spätherbsttag des Jahres 1816, herausstellen sollte. Da erschien ein galonierter Herrschaftsdiener mit Trauerflor bei Metternich und überbrachte ihm, namens seiner vor einigen Tagen verstorbenen Herrin, der Gräfin Julie Zichy, ein Kästchen, ein höchst merkwürdiges Kästchen, das einen Dichter träumen machen könnte. Es war mit einem schwarzen Seidenband umwunden und enthielt nichts als Asche. Aber es war die Asche seiner eigenen Briefe, wie 175 an einigen halbverkohlten Blättchen noch merkbar war, und ein zerbrochener Ring lag in der Asche. »Das Ringlein sprang entzwei«, wie in dem Lied.

Diese Gräfin Julie Zichy, geborene Festetics, ungarischer Uradel, war eine der schönsten Frauen Wiens gewesen. Auf dem Wiener Kongreß etikettierte man sie als »beauté céleste« im Gegensatz zu jener irdischeren Nebenbuhlerin, der »beauté«, bei der »man etwas empfindet«. Sie hatte, nun selbst eine Verstorbene, der verstorbenen Königin Louise von Preußen zum Verwechseln ähnlich gesehen und der verwitwete König von Preußen hatte sie nicht ungern verwechselt, wenn er abends in ihrem Salon saß und sich endlos in seine herrischen Infinitive verstrickte. Doch nicht einmal diese Vertraulichkeit und obwohl königlicher Umgang nur allzu leicht Flecken hinterläßt, konnte ihren Ruf auch nur berühren. Er war fleckenlos. Und trotzdem Briefe? trotzdem ein Ring? könnte einer jener Staatsanwälte vertuschter Liebesfälle fragen, die meist weiblichen Geschlechtes sind und, wenn sie eine Anklage erheben, selten auf halbem Wege stehen bleiben. Und er wird auch unerbittlich logisch fortsetzen: wo Asche von Briefen ist, da waren auch einmal Briefe, und wo ein Ring, da war auch einmal ein Finger, der ihn trug. Trotzdem werden die Geschworenen Julie Zichy einstimmig von jedem Verdacht freisprechen. Nicht nur, weil sie eine inbrünstige Katholikin und Verehrerin des Heiligen Clemens Hofbauer war, der an der Minoritenkirche, im Herzen des katholischen Wien, sein Denkmal hat, sondern weil sie, wie der sonst nicht so diskrete Metternich selbst von ihr sagt, »ein Engel war, der durch sein Leben ging, ohne die Erde zu berühren«. Sie hat ihn sicherlich geliebt und sicherlich bekehren wollen. Darin ist sie plötzlich gestorben und hat, statt einer verbrannten Schwinge, verbrannte Liebesbriefe auf Erden zurückgelassen. Der Verdacht liegt nahe, daß sie, in auch vom katholischen Standpunkt hoffnungslose Liebe verstrickt, ihrem 176 Leben freiwillig ein Ende gemacht habe. Was Metternich betrifft, so hat er sie sicher angeschmachtet, und umso idealer geschmachtet, als ihn gleichzeitig ein sinnliches und nichts als sinnliches Verhältnis an eine andere Frau band. Nach den Gesetzen der Liebeskontrapunktik, wie sie die verschwiegenen Herzensbeziehungen heimlich regeln, ist es begreiflich, daß er sich in den Armen der Sagan nach etwas Besserem sehnte, und diese Bessere eben war die himmlische Julie, die seiner ersten Tänzerin auf dem Krönungsball so ähnlich sah. Er hat sie und sie ihn, einzigartiger Fall in seinem Leben, wirklich und wahrhaftig platonisch geliebt. Ihm blieb nichts erspart.

Es ist übrigens aufschlußreich, in den Tagebüchern Gentz' nachzulesen, wie sich dieses aufsehenerregende Ableben einer der schönsten und gefeiertsten Frauen Wiens, die dem österreichischen Staatskanzler zudem so nahestand, im Bewußtsein einer immer und überall gleich herzlosen Gesellschaft spiegelte. Am 18. November 1816 notiert Gentz gewissenhaft, mit wem er diniert hat, nämlich mit Czerniczeff, dem Grafen Hardenberg, dem Fürsten Ruffo und einer Madame de Fekete. Hierüber beruhigt, erfahren wir aus seiner nächsten Eintragung vom 19. November, Pillat sei morgens um halb zehn Uhr zu ihm gekommen und habe ihm die »terrible nouvelle de la mort de Julie Zichy« überbracht. Gentz ist zutiefst erschüttert und setzt seinen Tagesbericht mit den Worten fort: »nous sommes allés aux remparts voir la grande éclipse de soleil« (sie wären auf die Bastei gegangen, um die Sonnenfinsternis zu bestaunen). Hierauf verzeichnet er den Wetterbericht: »le temps . . ., clair et beau.« Folgt die Eintragung vom 20. November: »allé chez le Prince de Metternich« (den täglich zu besuchen zu Gentzens dienstlichen Obliegenheiten gehört) . . . »arrangé avec lui l'expedition de mon manuscript« (mit Metternich die Drucklegung meines Manuskriptes besprochen). Hierauf, am 21. November – war es der Tag des Begräbnisses der geliebten Frau 177 oder der Tag vor ihrem Begräbnis? – »diné chez Metternich. Après . . . longue conversation avec lui et le Baron Bartenstein sur les objets de finance.« (Nachher längere Unterhaltung über Finanzprobleme.) Und schließlich am 24. November: »Allé chez le Prince Metternich pour le feliciter à son jour de nom«, (Metternich zum Namenstag gratuliert). Das Leben geht weiter, und wer vorzeitig stirbt, tut es auf eigene Gefahr.

Man kann also doch wohl nicht anders, als Metternichs Leben in diesen Jahren liebeleer nennen. Zwischen einer sinnlichen und einer übersinnlichen Leidenschaft, wie der Sarg Mohammeds zwischen Himmel und Erde mitten inne schwebend, sehnte sich das Herz des fünfundvierzigjährigen, zur Persönlichkeit voll herangereiften Mannes noch unbewußt nach etwas, was ihm ganz nahe bevorstand, vielleicht eben darum so nahe bevorstand, weil er sich so sehr danach sehnte: es verlangte ihn nach einer Frau, die ihm in jeder Beziehung gewachsen wäre, nach einer großen Dame, mit der man sich zeigen, aber auch nicht zeigen könnte, und die sein ganzes Wesen (»so wie er nun einmal war«, mit Wilhelm Meister zu sprechen) umfaßte, was ihm bisher kaum noch zuteil geworden war. Denn im Gegensatz zu seinen früheren Bildern hatte er den Frauen doch zumeist nur in der Profilhaltung gegenübergestanden und sie mehr halb im Wegschauen und Vorbeisehen geliebt. Jetzt aber wollte und – sollte er eine finden, die, mit dem sinnlichen wie mit dem geistigen Auge gleich betrachtungswürdig, diesem doppelten Anblick standhielt, die, Weib und Dame in einem, ihm ebenbürtig gegenübertrat und der er sein ganzes Gesicht, mit allem, was das Leben daraus gemacht hatte und was an Möglichkeit darin noch verzeichnet war, en face zuwenden konnte.

Ein solche Frau hatte ihm das Schicksal vorbehalten. Es war die Fürstin Lieven. 178

 


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