Aristoteles
Nikomachische Ethik
Aristoteles

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Sechstes Kapitel.

Unsere Erörterung über die Tugenden, die Freundschaft und die Lust ist nun zu Ende, und so bleibt noch die Glückseligkeit im Umrisse zu behandeln, die uns Ziel und Ende alles menschlichen Tuns bedeutet. Unser Vortrag über sie wird an Kürze gewinnen, wenn wir uns auf das Vorausgehende zurückbeziehen.

Wir haben gesagt, die Glückseligkeit sei kein Habitus. Sonst könnte ja auch derjenige sie besitzen, der sein Leben lang schläft und so ein bloß vegetatives Dasein führt, oder auch ein Mensch, den die größten Unglücksfälle (1176b) träfen. Wenn uns dies nun nicht befriedigen kann, und wir sie vielmehr, wie in den früheren Ausführungen gesagt worden ist, in eine gewisse Tätigkeit setzen müssen, und wenn ferner die Tätigkeiten teils notwendig und als Mittel, teils an sich begehrenswert sind, so ist die Glückseligkeit offenbar für eine von den Tätigkeiten zu erklären, die an sich, und nicht für eine von denen, die blos als Mittel begehrenswert sind. Sie ist ja keines anderen Dinges bedürftig, sondern sich selbst genug.

An sich begehrenswert aber sind die Tätigkeiten, bei denen man nichts weiter sucht als die Tätigkeit selbst Diesen Charakter scheinen einmal die tugendgemäßen Handlungen zu haben, da es an sich begehrenswert ist, schön und tugendhaft zu handeln, sodann die Unterhaltungen, die dem Genusse dienen, da man sie nicht als Mittel zum Zweck begehrt. Man hat ja mehr Schaden als Nutzen von ihnen, indem man ihretwegen Gesundheit und Vermögen vernachlässigt. Zu solchem Zeitvertreib nimmt die Mehrheit derer, die die Welt glücklich preist, ihre Zuflucht. Darum stehen bei den Großen der Erde diejenigen, die derlei Kurzweil gut zu veranstalten wissen, in so hoher Gunst. Sie machen sich ihnen angenehm in dem, wonach ihr Sinn steht; nun sind es aber grade solche Dinge, die sie zu bedürfen glauben. So gewinnt es denn den Schein, als ob derartiges ein notwendiger Bestandteil der Glückseligkeit wäre, da die Machthaber ihre Mußestunden damit zubringen. Indessen dürfte das Verhalten solcher Männer wohl nichts beweisen. Denn Tugend und Verstand, diese Quellen jeder schönen Tat, beruhen nicht auf dem Besitz der Macht. Und wenn jene Menschen, da der Geschmack für reine und edle Freude ihnen fehlt, ihre Zuflucht zu den sinnlichen Ergötzungen nehmen, so darf man darum nicht glauben, daß diese begehrenswerter sind. Glauben doch auch Kinder, das sei das Höchste, was bei ihnen was gilt. So ist es denn begreiflich, daß, so wie für Kinder andere Dinge Wert haben als für Erwachsene, so auch für schlechte Menschen andere Dinge als für tugendhafte. Wie wir also schon oft wiederholt haben, wertvoll und genußreich zugleich ist das, was dem guten Manne solches ist. Nun ist aber einem jeden diejenige Tätigkeit am liebsten, die seiner eigentümlichen Beschaffenheit entspricht. Also kann das für den guten Mann nur die der Tugend gemäße Tätigkeit sein.

Die Glückseligkeit besteht mithin nicht in den Vergnügungen, nicht in Spiel und Scherz. Es wäre ja ungereimt, wenn unsere Endbestimmung Spiel und Scherz wäre, und wenn die Mühe und das Leid eines ganzen Lebens das bloße Spiel zum Ziele hätte. Fast alles begehren wir als Mittel, ausgenommen die Glückseligkeit, die ja Zweck ist. Nun erscheint es doch als töricht und gar zu kindisch, kindischen Spieles wegen zu arbeiten und sich anzustrengen; dagegen der Spruch des AnacharsisAnacharsis, ein skythischer Fürst, der Griechenland bereist hat. : »Spielen, um zu arbeiten«, darf als die richtige Maxime gelten. Das Spiel ist ja eine Art Erholung, und der Erholung bedürfen wir darum, weil wir nicht in einem fort arbeiten können. (1177a) Nun ist aber die Erholung nicht Zweck, weil sie der Tätigkeit wegen da ist.

Auch scheint das glückselige Leben ein tugendhaftes Leben zu sein. Dieses aber ist ein Leben ernster Arbeit, nicht lustigen Spiels. Das Ernste nennen wir ja besser als das Scherzhafte und Lustige, und die Tätigkeit des besseren Teiles und Menschen nennen wir immer auch ernster. Nun ist aber die Tätigkeit des Besseren vorzüglicher und so denn auch seliger. Auch kann die sinnliche Lust der Erste Beste genießen, der Sklave nicht minder als der ausgezeichnetste Mensch. Die Glückseligkeit aber erkennt niemand einem Sklaven zu, außer es müßte auch sein Leben dem entsprechen. Denn die Glückseligkeit besteht nicht in solchen Vergnügungen, sondern in den tugendgemäßen Tätigkeiten, wie wir schon früher erklärt haben.


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