Aristoteles
Nikomachische Ethik
Aristoteles

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Siebentes Kapitel.

Die Seelengröße, der HochsinnDiese Tugend heißt griechisch μεγαλοψυχία, lat. magnanimitas. Man begegnet wohl der Auffassung, daß die hier von Ar. gegebene Darstellung des Magnanimus einen spezifisch heidnischen, unchristlichen Geist verrate. Der Magnanimus unseres Philosophen soll nichts von christlicher Demut, bescheidener Dankbarkeit, schlichter Unterwürfigkeit haben. Wir teilen diese Auffassung durchaus nicht. Auch die Behauptung, die vor kurzem in einer philosophischen Zeitschrift zu lesen war, Thomas von Aquino habe den aristotelischen Begriff des Magnanimus im christlichen Sinne verbessert, scheint mir verkehrt. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Man lese nur in dem reifsten Werke des Aquinaten, der theologischen Summa, die 129. Quästion der secunda secundae, besonders Artikel 3. Daß man für alles Gute, was man hat, Gott die Ehre geben muß, ist ja wahr, aber mit der Darstellung des Ar. auch gut vereinbar. , scheint schon dem Namen nach auf hohes und großes zu gehen. Suchen wir also vorab zu ermitteln, auf was für großes er geht. Ob (1123b) wir hier nach dem Habitus selbst oder nach seinem Inhaber fragen, macht keinen Unterschied.

Hochsinnig scheint zu sein wer sich selbst großer Dinge für würdig hält und deren auch würdig ist. Denn wer es unbilligerweise tut, ist ein Tor, kein tugendhafter Mann aber ist ein Tor oder ein Unverständiger. So ist denn ein solcher Mann hochsinnig. Denn wer nur kleiner Dinge würdig ist und sich selbst nur deren für würdig hält, ist besonnen, nicht hochsinnig. Der Hochsinn beruht auf Größe, wie auch die Schönheit einen großen Körper erfordert, während kleine Personen wohl zierlich und gut proportioniert sein können, schön aber nicht.

Wer sich großer Dinge für würdig hält, ohne es zu sein, ist aufgeblasen; wer größerer, als er würdig ist, ist nicht immer aufgeblasen; wer kleinerer, als er würdig ist, hat niederen Sinn, mag er nun großer oder mittelmäßiger oder kleiner Dinge würdig sein, wofern er sich nur noch tiefer stellt. Am meisten scheint hier derjenige niederen Sinnes zu sein, der großer Dinge wert ist. Denn was täte er erst, wenn er nicht so großer Dinge wert wäre?

Der Hochgesinnte stellt in Bezug auf Größe das Extrem dar, die Mitte aber insofern, als er sich richtig verhält. Denn er bewertet sich selbst nach Würde. Die Anderen tun zu viel oder zu wenig. Wenn er sich nun großer Dinge wert hält und wert ist, und beides ganz besonders von den allergrößten gilt, so muß es sich hier ganz besonders um Eines handeln. Nun gebraucht man das Wort Wert von den äußeren Gütern. Von diesen Gütern aber gilt uns als höchstes jenes, was wir den Göttern erweisen, wonach der Sinn der Würdigsten vor allem steht und was der Preis für das Schönste ist. Ein solches Ding aber ist die Ehre; sie ist von allen äußeren Gütern das größte. So wird es also die Ehre und die Unehre sein, denen gegenüber der Hochgesinnte sich verhält wie es recht ist. Aber auch abgesehen von Vernunftgründen zeigt die Erfahrung, daß der Hochsinn es mit der Ehre zu tun hat. Die Ehre, die gebührende, ist es nämlich ganz besonders, deren die Großen sich wert halten.

Wer niederen Sinnes ist, schätzt sich zu niedrig ein, niedriger, als er selbst verdient, und niedriger im Vergleich zur Würde des Hochgesinnten. Dagegen der Aufgeblasene bewertet sich zu hoch, wenn er nach sich selbst, nicht aber, wenn er nach dem Hochgesinnten gemessen wirdd. h. er hält sich für würdiger, als er ist; nicht aber (notwendig) für würdiger, als es der Hochgesinnte ist. .

Der Mann der hohen Gesinnung muß, wenn anders er des Größten wert ist, auch der Beste sein. Denn des Größeren ist immer der Bessere, und des Größten der Beste wert. Mithin muß der wahrhaft Hochgesinnte tugendhaft sein. Ja, der eigentümliche Vorzug des Hochgesinnten scheint sogar das Größe in jeder Tugend zu sein. Würde es doch zu hoher Gesinnung keineswegs passen, Hals über Kopf die Flucht zu ergreifen oder eine Ungerechtigkeit zu begehen. Denn weswegen täte Schändliches wem nichts groß ist? Und gingen wir so die anderen Tugenden der Reihe nach durch, der Hochgesinnte erschiene jedesmal sehr lächerlich, wenn er dieselben nicht besäße. Verdiente er ja auch nicht einmal Ehre, wenn er ein schlechter Mann wäre. Denn die Ehre ist der Tugend Preis, und den Guten (1124a) wird sie zuerkannt. So erscheint denn die hohe Gesinnung wie ein Schmuck der anderen Tugenden. Sie hebt sie auf eine höhere Stufe und kann ohne sie nicht zur Entwickelung kommen. Daher ist es schwer, wahrhaft hochgesinnt zu sein. Denn es ist nicht möglich ohne vollendete Charakterbildung.

Der Hochgesinnte hat es also vorzüglich mit Ehre und Unehre zu tun. Über die großen Ehren und die, die ihm von seiten der Besten widerfahren, wird er sich in maßvoller Weise freuen, als empfinge er was ihm gebührt oder auch weniger als das. Denn eine Ehre, die der vollendeten Tugend würdig wäre, gibt es nicht. Doch wird er solche Ehren wenigstens sich gefallen lassen, weil man ihm nichts größeres erweisen kann. Eine Anerkennung aber, die ihm vom ersten Besten oder wegen einer Kleinigkeit zu teil wird, wird ihn vollkommen gleichgültig lassen, weil sie seiner nicht würdig ist. Ebenso läßt ihn eine Verunglimpfung kalt, da sie ihn nicht mit Recht treffen kann.

Vorzüglich also, wie gesagt, bewährt sich der Hochgesinnte als solcher in seinem Verhalten gegenüber der Ehre. Indessen wird er auch in Bezug auf Reichtum, Macht und jede Art von Glücksfällen und Unglücksfällen sich maßvoll benehmen, und wird sich weder im Glück übermäßig freuen, noch im Unglück sich übermäßig betrüben. Das tut er ja auch nicht in betreff der Ehre, die doch das Größte ist. Denn Macht und Reichtum sind um der Ehre willen begehrenswert, und die sie haben, wollen ihretwegen geehrt werden. Wem nun selbst die Ehre ein Geringes ist, für den muß auch anderes gering sein. Daher machen Hochgesinnte den Eindruck, als wären sie stolz.


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