Aristoteles
Nikomachische Ethik
Aristoteles

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Zwölftes Kapitel.

Obgleich der Mut es mit den Affekten der Zuversicht und der Furcht zu tun hat, so doch nicht mit beiden gleich sehr, sondern mehr mit den furchterregenden Dingen. Wer bei solchen sich nicht beunruhigt und ihnen gegenüber sich recht verhält, ist mutiger, als wer es den muterweckenden Dingen gegenüber tut. Demnach wird man, wie gesagt worden, darum mutig genannt, weil man das Schmerzliche erträgt. Deshalb ist der Mut mit Schmerz verknüpft und erhält gerechtes Lob. Denn es ist schwerer, Schmerzliches zu ertragen, als sich des Lustbringenden zu enthalten.

(1117b) Nun erscheint ja freilich das Ziel des Mutes als lustbringend, jedoch möchte die Lust leicht vor dem, was sie rings umgibt, verschwinden, wie es bei den Wettkämpfen der Fall ist. Denn den Faustkämpfern macht das Ziel, dessentwegen sie fechten, der Kranz und die Ehre, Freude, die Schläge aber, die sie erhalten, thuen ihnen, da sie doch menschliches Fleisch besitzen, weh und machen ihnen, zusammen mit aller ihrer Mühe und Anstrengung, Leid; und da nun des Unangenehmen für sie soviel, das Ziel aber gering ist, so scheint dasselbe gar nichts Lustbringendes an sich zu haben. Steht es nun der Art auch mit dem Mute, so müssen Tod und Wunden dem Mutigen schmerzlich und unwillkommen sein, und doch wird er sie willig hinnehmen, weil dieses sittlich schön und sein Gegenteil häßlich ist. Und je mehr er die ganze Tugend besitzt und je glücklicher er ist, um so schmerzlicher fällt ihm das Sterben. Denn einem Manne wie ihm gebührt es am meisten zu leben, und der Tugendhafte wird mit offenen Augen der höchsten Güter beraubt, und dieses muß ihn schmerzenAristoteles redet hier wider die später besonders von den Stoikern verfochtene Meinung, als sei der Tugendhafte gegen den Schmerz unempfindlich und halte ihn für kein Übel. Daß der Tugendhafte, wie Sokrates, in der Hoffnung auf die jenseitige Vergeltung auch gern sterben kann, läßt er unberücksichtigt, entweder weil das auch die von ihm befehdeten Gegner taten, oder weil die Dinge der anderen Welt für die gegenwärtige Erörterung außer Acht bleiben müssen. . Darum aber ist sein Mut nicht geringer, sondern eher wohl größer, weil er das Ruhmvolle im Kriege jenen Gütern vorzieht. So ist denn nicht bei allen Tugenden insgesamt das Moment der lustbringenden Tätigkeit zu finden, außer insofern sie ihr Ziel erreicht. Die besten Lohnsoldaten mögen aber Männer der beschriebenen Art nicht sein, sondern das sind eher solche, die von dem wahren Mute weniger als sie, von sonstigen sittlichen Werten aber nichts besitzen. Derlei Leute sind bereit, allen Gefahren entgegenzugehen und ihr Leben für eine Kleinigkeit aufs Spiel zu setzen.

Über den Mut sei denn soviel gesagt. Sein Wesen wenigstens im Umriß zu bestimmen, kann nach dem Obigen nicht schwer fallenAristoteles scheint sagen zu wollen, nach dem Obigen könne es nicht schwer fallen, eine förmliche Definition des Mutes zu geben. Daher dürfte es auch nicht angehen, den Anfang des 3. Absatzes dieses Kapitels: έστι μὲν ου̃ν η ανδρεία τοιου̃τον τι zu übersetzen: »das ist also das Wesen des Mutes«. .


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