Aristoteles
Nikomachische Ethik
Aristoteles

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Achtes Kapitel.

Auch Glücksgüter scheinen zum Hochsinn beizutragen. Die Männer von vornehmer Abkunft, Einfluß und Besitz hält man der Verehrung wert. Sie befinden sich in hervorragender Stellung, und alles, was im guten hervorragt, steht in erhöhtem Ansehn. Darum machen solche Vorzüge auch den Menschen hochsinniger, da man ihretwegen von manchen Seiten Ehre erfährt. Aber in Wahrheit macht nur die Tugend verehrungswürdig; wem aber beides geworden, wird mehr dafür angesehen. Die aber ohne Tugend derartige Vorzüge besitzen, haben weder gerechten Grund sich selbst für großer Dinge würdig zu halten, noch werden sie mit Recht hochgesinnt genannt. Denn jene Würdigkeit und diese Gesinnung ist ohne Tugend gar nicht möglich. Ja, die sich solcher Vorzüge erfreuen, werden auch stolz und übermütig, da es ohne Tugend nicht leicht ist, das Glück maßvoll zu ertragen. Und da sie es nicht ertragen können und über Andere erhaben zu sein glauben, so begegnen sie diesen (1124b) verächtlich und tun selbst was ihnen einfällt. Denn sie wollen es dem Hochgesinnten gleich tun, ohne doch ihm ähnlich zu sein, und so tun sie es, wo sie es allein können: die Werke der Tugend verrichten sie nicht, verachten aber die Anderen. Wenn aber der Hochsinnige verachtet, tut er es mit Fug, da er richtig urteilt; der große Haufe aber bestimmt sich zur Verachtung nach bloßer Laune.

Der Hochgesinnte bringt sich nicht für kleines in Gefahr und ist nicht waghalsig, weil er dafür wenige Dinge hoch genug achtet. Dagegen setzt er sich um großes der Gefahr aus, und tut er es, so schont er seines Lebens nicht, da es ihm zu schlecht ist, um jeden Preis zu leben. Er vermag wohl zu tun, scheut sich aber, Wohltaten zu empfangen. Denn jenes ist dem Höheren, dieses dem Niederen angemessen. Er erwiedert die Wohltaten durch größere, so daß der Spender der ersten Wohltat ihm verpflichtet wird und den Vorteil hat. Sie gelten auch für solche, die für Personen, denen sie gutes erwiesen, ein gutes Gedächtnis haben, nicht aber für solche, von denen sie es empfangen haben. Denn der Empfänger einer Wohltat steht unter dem Geber, und er will überlegen sein. Auch hört er von Diensten, die er anderen erwiesen, gern reden, nicht aber von denen, die sie ihm erzeigt. Deshalb, meint man, zähle auch Thetis dem Zeus nicht die Wohltaten auf, die sie ihm erwiesen»Achill bei Homer (Ilias I, 394 ff.) will, daß seine Mutter Thetis dem Zeus die großen Dienste, die sie ihm geleistet und die er daselbst aufzählt (v. 395–407) ins Gedächtnis rufe, um ihn dadurch zu bewegen, ihres Sohnes verletzte Ehre zu rächen. Aber die klügere Mutter geht bei ihrer Zusammenkunft mit dem höchsten Gotte über diesen Punkt mit bescheidener Andeutung (Ilias I, 503) hinweg und legt das Hauptgewicht auf Zeus' Macht und Gerechtigkeit, die nicht zulassen würden, daß sie »allein verachtet unter den Göttinnen dastehe«. So Stahr, S. 134, Anm. 17. , und auch die Lacedämonier taten dieses gegen die Athener nicht, sondern erwähnten nur die von ihnen empfangenenDie Lacedämonier wandten sich an die Athener um Hilfe gegen Theben und beobachteten dabei das angegebene Verfahren. . Auch ist es dem Hochgesinnten eigen, Andere um nichts anzusprechen oder es doch ungern zu tun, aber gerne gefällig zu sein; ferner gegenüber Hochstehenden und Reichen eine vornehme Haltung zu beobachten, aber gegen gewöhnliche Leute sich einer schlichten Freundlichkeit zu befleißen. Denn jenen überlegen zu sein, ist schwer und rühmlich, bei diesen aber ist es leicht; und unter jenen seine Würde geltend zu machen, ist nicht unedel, aber gegen Niedrige ist es eben so widerwärtig, als gegen Schwache seine Stärke zu gebrauchen.

Es ist nicht seine Art, sich an Dinge heranzumachen, die in Ansehen bringen, oder wo Andere die erste Rolle spielen. Er ist langsam und bedächtig, außer wo es sich um eine große Ehre oder um ein großes Ding handelt. Nicht vielerlei nimmt er in die Hand; aber was er tut, ist groß und gibt einen Namen. Er muß auch ein offener Hasser sein und ein offener Freund. Denn nur die Furcht versteckt sich. Ihm steht die Wahrheit unvermeidlich höher als Menschenmeinung, und er kann nicht anders als offen reden und handeln. Denn er ist voller Freimut, weil er auf die Personen nicht achtet. Darum ist er auch wahrhaftig, wofern er nur nicht ironisch spricht, was er vor der Menge zu tun liebt.

Es ist ihm auch eigen, daß er nicht in fremder Abhängigkeit (1125a) leben kann als nur in der von Freunden. Denn das ist knechtisch, daher auch alle Schmeichler lohndienerisch und die Menschen von niedriger Gesinnung Schmeichler sind. Auch das Bewundern ist nicht seine Sache, da nichts groß für ihn ist. Auch nicht die Erinnerung an erlittene Beleidigungen. Denn er hält sich nicht viel mit Erinnerungen auf, besonders nicht mit solchen an erlittene Unbilde, sondern sieht darüber hinweg.

Es ist auch nicht seine Art, viel von Menschen zu reden, weder von sich, noch von Anderen. Ihm liegt ja nicht daran, daß er gelobt werde, noch daß Andere getadelt werden. Aber auch vom Loben ist er kein Freund. Und weil er überhaupt nicht viel von Anderen spricht, so sagt er auch nichts Schlimmes von ihnen, nicht einmal von seinen Feinden, es sei denn, wenn sie übermütig werden.

Am wenigsten hat er die Neigung, über des Lebens Notdurft und täglichen Anspruch zu jammern und um Abhilfe zu bitten. Denn so stellt sich nur an wem solche Dinge sehr am Herzen liegen. Ihm ist es mehr um den Besitz des Schönen, das keinen Gewinn abwirft, zu tun, als um das, was Vorteil und Nutzen bringt. Denn das steht einem Manne der sich selbst genügt, besser an.

Man hat auch die Vorstellung, daß der Gang des Hochgesinnten langsam, seine Stimme tief, seine Rede ruhig sein müsse. Denn ein Mann, dem weniges wichtig ist, pflegt nicht eilfertig zu sein und wer nichts für groß erachtet, seine Stimme nicht anzustrengen. Das laute Sprechen und hastige Gehen kommt aber daher, daß man einen solchen hohen Standpunkt im gegebenen Falle verläugnet.


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