Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ernst Zitelmann

Aus Nemento vivere

O sei gegrüßt, du erster Sonnenstrahl!
        Nach all der Qual
Endloser Tage, da ein grauer Flor
Den Himmel hüllte, lugst du scheu hervor
Und wiegst sie auf – ja tausend tausend Mal!

Wie grau es war! wie dunstig, trüb' und schwer!
        Ein Wolkenmeer
Bis tief herab, kein Vogellied erklang,
Und lauernd alles, dumpf und schwül und bang,
Als wenn der Sonnengott gestorben wär!

Nun bist du da, dem Liebe sehnsuchtsvoll
        Entgegenschwoll –
Wie lab' ich mich an dir, du holdes Licht!
Nein du bist treu, du bleibst, du läßt uns nicht
Und willst, daß alles wieder lächeln soll.

*

Doch uns, vor deren Blicken längst entschwand
        Das Nebelland,
Darin einst Kinderglauben sel'ge Stätte fand –

Uns leuchtet Himmelssonne hoch und hehr,
        Uns blaut das Meer,
Und Duft fruchtbaren Erdreichs dringt rings um uns her.

Hier strömt der Lebenskräfte dunkle Flut,
        Und nimmer ruht
Der Schwung des höchsten Menschentums, der Wunder tut.

Von Kluft zu Klüften dringt der Forschung Licht;
        Erschütternd spricht
Die heil'ge Stimme großer Kunst – arm sind wir nicht!

Auf unsre Liebe all die Gegenwart
        Des Diesseits harrt –
Nur der ist wirklich arm, dem nichts zu lieben ward.

*

Nun glaub' ich zu erkennen, was dem Geist,
Dem suchenden, den Weg des Lebens weist:

Tatlose Liebe ist das Höchste nicht –
Die Liebe sei verschwistert mit der Pflicht.

Nur die ist höchste Liebe, die da schafft:
Dem, was du liebst, gieb deine volle Kraft;

Und was als Pflicht du wählst, ob groß, ob klein,
Dem mußt du auch die ganze Seele weihn.

Wenn du in solcher Liebe schaffend strebst,
Dann gilt das stolzeste Wort von dir: Du lebst!

Der Herr Hofrat

Eine kleine Stadt, wo jeder den anderen kannte, mit einer kleinen Hofhaltung. Am Markt in einem ehrenfesten alten Hause wohnte schon viele Jahre der Herr Vorsteher der fürstlichen Kanzlei. Immer hatte er unverdrossen seine Pflicht getan und war auch mit den Jahren auf der Stufenleiter irdischer Würden höher hinaufgerückt, ein Orden schmückte die treue Brust, auch Hofrat war er geworden, schon vor Jahren, und hatte es wohl verdient. Er hatte in den rechten Jahren geheiratet, wie es Pflicht eines guten Staatsbürgers ist, und auch einige Kinder gezeugt, wie es ebenfalls seine Pflicht war. Aber früh schon war die Frau auf den weichen Schuhen, mit denen sie in Furcht vor dem empfindlichen Gatten daheim hin und her zu huschen pflegte, auch aus dem Leben hinausgegangen, und die Kinder waren draußen in der Welt verstreut, hierhin und dorthin. Den Hausherrn rührte das alles nicht viel, ihn füllten sein Amt aus und die Pflichten der mancherlei Ehrenstellungen, die er im Lauf der Zeit erworben; war er doch Vorsitzender des großen Vereins Eintracht – eine einflußreiche Stellung, die er allen Zwistigkeiten der Mitglieder und allen Anfeindungen zum Trotz Jahr für Jahr aufs neue behauptete – sowie Kassenwart im Verein der »Staatstreuen«, von seinen Stellungen im Kegelklub, im Verein zur Besserung gefallener Mädchen und in der Gesellschaft für Hebung der Bienenzucht zu geschweige. Allmählich ward er grauer und abgearbeiteter, und der Tod beschloß, ihn abzuholen, sanft und freundlich und in guter Form, wie es sich für den angesehenen Beamten ziemte. So kam denn an einem Wochentag der Tod, der auswärts beschäftigt gewesen war, wieder in die Stadt. In der Wohnung, die er mit einem frischen Kranzgewinde geschmückt fand, traf er den Beamten nicht an; man wies ihn etwas unwirsch ins Amtsgebäude hinüber, wo er denn auch nach einiger Mühe vor die Tür des Gesuchten kam. Auf sein Klopfen erscholl ein lautes Herein, und er betrat das Amtszimmer. Grau alles, staubig, verräuchert. In großen Fachborden zahllose dicke und dünne Aktenhefte mit bunten Ordnungszeichen. Die Fenster blind, der Fußboden mit Tinte bespritzt. Hier hatte der Hofrat nun seit Jahrzehnten Tag für Tag geduldig seine Akten geschrieben und die zahllosen Listen und Aufstellungen, wie die vorgesetzte Behörde sie immer neu erforderte, angefertigt. Jetzt saß er wieder in Akten vertieft auf seinem Drehschemel am Arbeitspult, und da er den bescheiden Eintretenden an der Tür erblickte, bot er ihm keinen Stuhl an, sondern fragte nur kurz, wer er sei und was er wünsche.

Verzeihen Sie, Herr Hofrat, sagte der Besucher höflich, ich bin der Tod und habe die Pflicht, Sie abzuholen.

Der Beamte richtete sich auf und sah den Tod streng an.

Zunächst möchte ich bemerken, daß Sie mich unrichtig anreden. Durch die Gnade Seiner Hochfürstlichen Durchlaucht bin ich gestern Geheimer Hofrat geworden. Ich nehme an, daß Ihnen das noch unbekannt ist, aber es wäre doch wohl richtiger gewesen, wenn Sie sich über meine Person erst genauer informiert hätten, bevor Sie zu mir kamen. Und nun zur Sache. Ich soll mit Ihnen kommen – wann? etwa sofort?

Ja, Herr Geheimer Hofrat, bestätigte der Tod, es muß gleich sein.

Ich bedaure, das geht nicht, sagte der Beamte. Jedenfalls müßten Sie bis 7 Uhr am Abend warten, denn bis dahin habe ich Dienststunden, und dann erst ist Zeit, an Privatangelegenheiten zu denken. Aber ich möchte Sie überhaupt so ergebenst wie dringend ersuchen, noch einige Zeit zu warten, diese Angelegenheit also sozusagen dilatorisch zu behandeln. Es ist jetzt unmöglich.

Fürchten sich der Herr Geheime Hofrat etwa vor dem Sterben? fragte der Tod.

Mein Lieber, antwortete jener, es ist in der Ordnung, daß man schließlich stirbt, und ich bin immer für Ordnung gewesen. Also finde ich gegen Ihren Wunsch als solchen nichts zu erinnern. Nur – – Sie werden wissen, wir stehen jetzt dicht vor dem Quartalabschluß, die Arbeit häuft sich und die anderen Beamten sind verhältnismäßig jung und unerfahren – ohne mich können sie es nicht fertig bringen. Sehen Sie hier – er zeigte auf einen Haufen Papiere, – namentlich die Anfertigung der Listen D und E, davon hängt so viel ab, und die zahlreichen Kolumnen, die hier auszufüllen sind – wenn nun da etwas falsch gemacht würde, die Folgen wären ja garnicht auszudenken! Ohne mich geht es wirklich nicht!

Es kommt mir nicht in den Sinn, antwortete der Tod, an der Wichtigkeit Ihrer Stellung, Herr Geheimer Hofrat, irgendwie zu zweifeln; indes wer ist unentbehrlich? Bedenken Sie, daß neulich sogar Ihr höchster vorgesetzter, der Herr Minister, mir hat folgen müssen.

Der Beamte machte eine leichte Verbeugung bei der Nennung des großen Namens. Seine Excellenz, gewiß, gewiß, sagte er, es war ein betrübender Fall. Aber er hatte doch eben uns, auf denen schließlich die eigentliche Arbeit ruht, und – unter uns gesagt – es ging wirklich ganz gut ohne ihn. Aber außerdem und unterstützend, so fuhr er etwas verlegen fort, habe ich noch einen besonderen persönlichen Grund, der es mir wünschenswert macht, einige Zeit noch hier zu bleiben. Ich bin, sagte er, und reckte sich in die Höhe, wie ich Ihnen schon vorher mitteilte, soeben Geheimer Hofrat geworden. Seit lange wartete ich darauf – nun würde ich den Titel gern noch ein paar Tage führen und mich wenigstens einige Male in der Oeffentlichkeit so angeredet hören – ich möchte es doch einmal gekostet haben! Sie verstehen das vielleicht nicht ...

Herr Geheimer Hofrat, unterbrach ihn der Tod, ich würdige das vollkommen. Diene ich ja doch auch sozusagen als Beamter. Aber leider duldet die Sache keinen Aufschub. Und da Sie ein gläubiger Mann sind – – meinen Sie denn, daß im Jenseits zwischen einem Hofrat und einem Geheimen Hofrat kein Unterschied gemacht wird?

Der Beamte blieb einige Zeit stumm. Dann sagte er:

Sie haben recht. Ich füge mich. Belieben Sie nur ein paar Augenblicke zu warten, bis ich mich zurechtgemacht habe. Und er erhob sich und stand da, würdig und gediegen. Dann zog er statt des Arbeitsrockes den schwarzen Gehrock an, der am Rechen hing, und nachdem er seinen Orden, den er immer bei sich trug, aus der Tasche genommen und am Aufschlag des Rockes befestigt hatte, ergriff er den blank gebürsteten Seidenhut und sagte, kühl und gemessen:

Ich bin bereit.

Und er schritt vor dem Tode aus dem Zimmer hinaus.

Drei Seelen

Drei Seelen verlangten Einlaß in den Himmel, sie kamen zusammen, wie sie zusammen auf der Erde Freundinnen gewesen waren, junge, reine, noch unversehrte Seelen. Petrus schlug sein großes Buch auf, las darin und brachte sie dann zu Gott Vater. Herr, sprach er, diese drei Seelen wollen zu dir, ich habe nichts eigentlich Nachteiliges über sie zu bemerken, es sind eben junge Mädchen ohne besondere Kennzeichen; bestimme du, was mit ihnen werden soll. Gott sah sie an und fragte sie: Was habt ihr gelernt? was könnt und was versteht ihr?

Ich kann nähen und stricken, kochen und backen, scheuern und staubwischen, sagte die erste. Petrus nickte befriedigt und Gott sprach freundlich: Das ist schön und recht, du kannst bleiben.

Ich kann lesen und schreiben, rechnen, sogar mit Brüchen, und spreche auch französisch, sagte die zweite, wieder nickte Petrus beifällig und Gott sprach freundlich: Auch das ist zu loben, wir können dich brauchen, bleibe bei uns.

Die Dritte blieb stumm. Und was kannst du? fragte Gott. Ich – ich kann gar nichts, stotterte sie verlegen, und die Tränen stiegen ihr auf. Ernsthaft blickte der Herr auf sie; Petrus aber legte seine Stirn in grämliche Falten und zog die Mundwinkel herab, und das sah so wunderlich aus, daß das Seelchen mitten in seinem Kummer hell auflachen mußte, wie silberne Sterne flogen die lieblichen Töne ihres Lachens durch den ernsten, heiligen Raum. Da schaute Gott sie liebreich an: Du kannst fröhlich sein, und das ist auch etwas, vielleicht das Größte – bleibe bei uns.

 


 << zurück weiter >>