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Josef Bayer

Frühling am Rhein

Vom Hochwald führet mich der Weg zu Tal.
Im tiefen Tann umfängt mich dunkle Nacht
Und dürre Fichtennadeln fallen mir,
So leicht der Wind auch geht, aufs Haupt herab.
Kein Sonnenstrahl durchdringt das Dickicht, nur
Der abgetret'ne Pfad weist mir den Weg.
Jetzt durch die schwarzen Stämme blitzt es auf,
Und hier und da trifft blendend mich das Licht,
Noch flimmernd zwar, doch immer deutlicher
An gold'nem Glanz gewinnend, – jetzt ein Strahl,
Dann mehrere zugleich, in ihrem Glanz
In eins zerfließend, – wen'ge Schritte noch
Und freier atmend trete ich ans Licht.

Und da ich nun ins Freie schreite, strahlt
Aus hellem Sonnenaug' ein Frühlingsblick
Mich lachend an, und Lenzeswärme strömt
Mir in die Brust. Und sieh! es keimen schon
Auf grüner Au die Wiesenblümchen auf,
Und weiter schreitend grüße ich mit Lust
Der lieben Frühlingskinder bunte Schar.

Da mach' ich Halt. Ein jäher Felsensturz
Hemmt meinen Fuß, ein steiler Hang, an dem
Hinab bis in die Tiefe wohlgereiht
sich ziehn die Rebenstöcke. Und auch hier
schon schickt der Himmel schaffensfroh sich an,
sein grünes Wunder auszubreiten, und
Hinab folgt schnell der Blick der Pfähle Reih'n
Bis an das schmucke Dörfchen, das im Kreis
Den Hang umgrenzt. Und jetzt im Dörfchen selbst!

Wie unter seinen Schieferdächern sich
Das Leben neu belebt! Hier sehe ich
Ein altes Mütterchen, das treu besorgt
Die Blumen, die in warmer Stube durch
Den Winter sie gebracht, am Fenster nun
Die ersten Sonnenstrahlen kosten läßt.
Dort frischt ein Mann in schlichtem Arbeitskleid
Des kleinen Häuschens helle Farbe an
Und bindet hoch die welken Ranken, die
Im Sommer Schatten geben und im Herbst
An saft'gen Trauben eine reiche Last.
Ein andrer richtet Baum und Strauch und gräbt
Und sät im kleinen Gärtchen vor dem Haus
Reseda, Glöckchen und Vergißmeinnicht.

Und erst der Strom! Welch reges Treiben dort!
Mit Lasten schwer beladen treibt das Schiff
Zu Tal. Mit Laub und Wimpeln reich geschmückt,
Trägt eine frohe, buntbelebte Schar
Der Dampfer stolz den grünen Strom hinauf.
Und dort im schwanken Kahn das junge Volk,
wie lacht und jauchzt es hell, als ging die Fahrt
Zur frohen Hochzeit und zu Tanz und Spiel.
Von drüben her erschallt jetzt Glockenton:
Ja, es ist Mittag, andachtsvoll seh' ich,
Wie hier der Fischer, dort der Bauer fromm
Das Haupt entblößt und betet. Mittag ist's
Und feierliche Stille weit und breit ...
Doch jetzt im Dörfchen gegenüber, dort
Am rechten Eck der Häuser wird es laut,
Ja, es ist Mittag, aus dem Schulhaus stürzt,
Die Wangen hoch gerötet, blondgelockt,
Die liebe Jugend an das Sonnenlicht.
Sie jauchzen auf, sie sammeln sich und ziehn
Hinein ins Dorf, und im Verschwinden dringt
Der frischen, jungen Stimmen Kraftgesang
Mir noch ans Ohr: »Der Mai ist gekommen ...

 


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