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Ein Sommertag. Der Himmel blaut.
      
 Das Märchen singt im Heidekraut.
      
 Die grünen Ohren hebt der Baum
      
 Und lauscht und regt die Zweige kaum.
      
 Die Grille gibt nur zarten Laut,
      
 Das Märchen singt im Heidekraut.
      
 Nun, schönes Mädchen, schau mich an:
      
 Ich bin ein junger Edelmann.
 Ich trag' ein breites, güldnes Schwert,
      
 Da drüben scharrt mein weißes Pferd,
      
 Und über jenem dunklen Tann
      
 Hebt meine Burg sich himmelan.
      
 Die Zinne blinkt im Sonnenstrahl,
      
 Komm mit! Komm mit, mein jung Gemahl!
      
 Komm mit! Auf meiner Ahnen Schloß
      
 Trägt wiehernd uns mein weißes Roß.
Dort liegt schon lang für dich bereit
      
 Manch seid'nes, goldbesticktes Kleid,
      
 Für deine kleine, weiße Hand
      
 Bänder aus Gold und Diamant,
      
 Und Perlenschnüre wunderbar,
      
 Zu flechten in dein Seidenhaar.
      
 Komm mit! Komm mit, du süße Braut!
      
 Das Märchen singt im Heidekraut.
Leise summt der Kaffeekessel.
      
 Ich und du
      
 Hören zu,
      
 Und im alten Schlummersessel
      
 Hält der böse Onkel schnarchend
      
 Seine Mittagsruh.
Sieh mal durch die Fensterscheiben!
      
 Dort beginnt
      
 Jetzt der Wind
      
 Ein vergnüglich Flockentreiben,
      
 Und die dicken Flocken machen
      
 Unser Fenster blind.
Du! Sei lieb und laß das Necken!
      
 Halt mal still!
      
 Ach, ich will,
      
 Eh wir deinen Vater wecken
      
 Einmal, einmal dich nur küssen.
      
 Drum sei lieb und still!
 Nun? – Tut's weh? – Da gähnt der Alte.
      
 Sprung und Stoß.
      
 Weg vom Schoß!
      
 Auf der Stirne eine Falte,
      
 Brummt der Onkel augenzwinkernd:
      
 »Na, was ist denn los?«
Schwere Tropfen rasch verrauschten Regens
      
 Rinnen an den dicken Stämmen nieder,
      
 Sickern von den Aesten und den Blättern
      
 Leise klopfend auf den feuchten Rasen.
      
 Wenn des Mondes blanker Silbernachen
      
 Aus dem Gischt der Wolkenwogen auftaucht,
      
 Glitzern ringsumher die Wasserperlen,
      
 Und die nassen Buchenstämme glänzen.
Wie die Tropfen auf den Rasen springen!
      
 Oder ist's mein Herz, das also hämmert?
      
 Oder ist es deines, liebes Mädchen,
      
 Das ich sehnend in den Armen wiege?
Fernher murrt die Stadt verworrne Töne,
      
 Fernher läuten letzte Abendglocken,
      
 Und der Nachtzug mit den roten Fenstern
      
 Braust am dunklen Buchenhain vorüber.