Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Henri de Régnier

Die Ton-Medaillen

Und Götter kamen, mich zu belehren;
Einer kam von Wasser umblinkt,
ein anderer voll Trauben und Ähren,
der dritte beschwingt,
schön und wild
in nackter Gestalt,
und jener ewig verhüllt.
Ein anderer wieder
den Mund voller Lieder,
hat Schierling und Veilchen gepflückt
und hat den goldnen Thyrsos geschmückt
zum geflügelten Schlangenstab,
Andere danach …

Nehmt Körbe und Flöten, sprach ich zu ihnen,
kostet die Früchte,
hört Summen der Bienen
und den Laut, der schüchtern
von biegsamen Weiden, von reifen Rosen tönt.
Und wieder sagte ich: Hört!
Hört!
Da ist Einer hinter dem Echo,
aufrecht in jener Welt,
der Doppelbogen, Doppelfackel hält
und welcher wir ist
in Göttlichkeit.

Unsichtbarer! Den in Medaillen ich grub,
in sanftes Silber wie bleicher Morgen,
in brennendes Gold wie die Sonne,
in dunkle Bronze wie Nacht;
ich grub dich in alle Metalle,
die klar wie die Freude klingen,
die dumpf wie der Ruhm schwingen,
wie Liebe, wie Tod,
und die schönsten schuf ich in schönem und trocknem
zerbrechlichem Ton.

Jeder von Euch beugte sich drüber
und sagte: Sein Fleiß verdient Lohn;
so gingt Ihr lächelnd vorüber.

Keiner von Euch hat gesehen,
wie meine Hände in Zärtlichkeit bebten,
wie der große Traum des All
tief in mir lebte, um in ihnen zu leben,
daß ich grub in das fromme Metall
meine Götter all;

und daß sie es sind, in deren Gestalt
wir fühlen, was wir von Rosen empfingen,
von Wasser und Wald,
in Wind und Meer,
in allen Dingen;
in unseres Körpers Wirklichkeit,
und daß sie wir sind in Göttlichkeit.

Szene am Abend

Beim Gang in die Stadt, wo man sang auf Terrassen
unter blühenden Bäumen, gleich Sträußen der Bräute,
beim Gang in die Stadt, wo aufs Pflaster der Straßen,
in die Stille ermatteter Tänze der Abend rosiges Blau streute,

sahn wir die Mädchen des Landes gehen,
sahn wir sie nahe dem Brunnen stehen,
hörten wir ihren Atem wehen
und mußten weitergehen.

Die Helle der Himmel webte im Weh ihrer Augen,
Vögel der Frühe sangen in süßen Munden.
O ihr Süßen mit Augen gütiger Stunden,
o ihr Sanften mit Kehlen wegweisender Tauben!
Sie setzten sich, sahn uns mit sittsamen Blicken und bangen,
es war, als hielten die Hände die Herzen gefangen.

Es kreuzten den Weg uns die Tänzerinnen
und wir fingen ihr Lachen und Scherzen und Tambourklingen,
und verloren's im Abendgraun, dort wo die Wege rückgingen …
Wir wandern zur Stadt, wo man singt auf Terrassen
und suchen die Bräute unter Bäumen voll Blüten.
O Glocken des Frohsinns im Schweigen der Straßen,
da Kirchtürme zittern wie schaukelnde Blüten.

Durch geöffnete Tore die Hoffnungen dringen
im Schmetterlingsflug auf weiten Schwingen,
wie Schwalben verschwinden
reglos auf Winden,
matt vom Her und Hinüber der Meere. – – –
Und in dunkle Winkel, über Gassen-Leere
fröhliche Fäden der Hoffnung sich spinnen,
wie abends im Mai sie aus Blüten rinnen
gleich Silber ins Haar der Spinnerinnen.

(Poèmes)


 << zurück weiter >>