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Die Bewegung in der französischen Lyrik der Gegenwart
von Otto Grautoff

Wer jemals einer Diskussion der Antipoden in einem französischen Literatenzirkel beiwohnte, kennt das in diesen Kreisen gepflegte Gesprächsthema: Racine oder Shakespeare, das die teilnehmenden Dichter und Denker häufig leidenschaftlich erregt. In schneidendem Zorn erheben sich die reinen Lateiner gegen die Geister aller Kulturperioden, die es unternommen haben, eine ehern erscheinende Ordnung und Gesetzmäßigkeit zu zersplittern, zu durchbrechen, um den wirklichen Ahnungen ihrer Seele eine neue Form des Ausdrucks zu schaffen. Selbst wenn diese Form lückenhaften oder unsicher tastenden Charakter trägt, so erscheint es uns Germanen unziemlich, gegen die schöpferische Erfindungskraft der großen Persönlichkeit die Erfüllung formaler Stilprinzipien auszuspielen, mögen sie noch so sehr der ursprünglichen Veranlagung eines Volkes entsprechen. Nur mit dem Kopfschütteln des Nichtbegreifens können wir von einem empfindenden Menschen vernehmen, daß er um den vollen Klang eines abgemessenen Alexandriners des Racine den ganzen Shakespeare hingeben würde.

Suchen wir für diese fremde Geschmacksäußerung die Erklärung, so finden wir sie in einer unerschütterlichen Grundeigenschaft des französischen Volkes: im strengen Konservatismus, auf dem sich die Geschichte, das Leben und der Geschmack dieser Nation aufbauen. Die Kraft und Bedeutung dieses Konservatismus, d. h. der Stolz auf alt bewährte Gewohnheiten und Gesetze, die Gültigkeit und maßgebende Bedeutung für jede neue Gegenwart behalten, werden klar, wenn man seine Grundlagen betrachtet.

Frankreich hatte die geistliche Kultur zum Höhepunkt entwickelt. Es hatte, als die Zivilisation weltlichen Charakter annahm, für das neue Lebensgefühl die ersten runden, anmutigen und von Allen annehmbaren Sitten und Ausdrucksformen geschaffen, in denen jedes Volk eigene Wünsche – und bisweilen die Schönsten – verwirklicht fand, weil Elemente aller Rassen an der Bildung dieser Konventionen mitgewirkt hatten. Nur so erklärt sich, daß schon im Mittelalter die erste, französische Kultur auch in den Nachbarländern, die nicht den Vorzug eines sich gegenseitig kontrollierenden Zusammenschlusses genossen, maßgebenden Einfluß gewann. Nur so erklärt sich das Übergewicht der französischen Troubadours, der französischen Scholastik und Baukunst, vor allem aber des französischen gesellschaftlichen Stils. Und dieser erste Beifall Europas gab den Franzosen das Gefühl unfehlbarer Sicherheit, das ihren Charakter so stolz und ihre Geschichte so glücklich macht. Auf allen Gebieten entwickelten sich Gebräuche, Ausdrucksformen und Institutionen, die als maßvolle und geschmacksreiche Kristallbildung der Bedürfnisse und Wünsche einer Zeit erschienen und so geprägt waren, daß auch die Zukunft auf ihr als einer lebenwirkenden Grundlage weiterzubauen vermochte.

Als die Universitäten und Akademien aus einem aktuellen Bedürfnis heraus gegründet wurden, wirkte ihre meisterhafte Organisation so vorbildlich, daß sie Jahrhunderte hindurch nicht nur von den Führern der Nation, sondern auch von der Gesamtheit des Volkes als die alleinseligmachende erachtet wurde. Sie formten die Gesetze der Sprache, der Grammatik und des Geschmacks, die so weitgehende Allgemeingültigkeit erlangten, daß niemand es wagte, sie nicht zu erfüllen oder gar sie umzustoßen. Die unter Richelieu begründeten Konventionen, die im XVII. Jahrhundert Corneille und Racine für die Poesie, Descartes und Pascal für die Prosa ausbauten, bilden noch im XX. Jahrhundert das Fundament der allgemeinen Literatur. Der Charakter dieses Formenkodexes wurde durch die glänzende Persönlichkeit des Königs, durch die vom Monarchen abhängige, höfische Gesellschaft und die nach außen sich entladende Pathetik der Menschen bestimmt, die sich niemals selbstquälend vertieften, sondern das Schöne im Ausdruck edel geschwungener Gesten fühlten. Dieser unter Ludwig XIV. geschaffene Stil durchdrang infolge des leuchtenden Ansehens des Königs, der ihn diktierte, infolge der eifrigen Propaganda der Akademien alle Schichten des Volkes, wurde Allgemeingut. Wohl wandelte sich der Zeitgeist mehrfach. Aber die Dichter, die sich in Ehrfurcht vor der Akademie neigten, bewegten sich immer in den gleichen, von den Klassikern geschaffenen Ausdrucksformen. Keiner erzwang gigantisch eine neue Wendung der Sprache, keiner eine neue Epoche der Dichtkunst. Die Hemmung durch die Ordnung bedingte die Einseitigkeit der französischen Literatur. Dieser Einseitigkeit entquoll einerseits jene Kraft, die jedem starren System eigentümlich ist. Sie hinderte aber eine Entwicklung jenseits der Einfriedung von Gesetzen in die Weite und Tiefe derjenigen Empfindungsgebiete, in die sich unsere zersplitterte Nation, deren geistiges Leben nicht von festen Regeln und Gesetzen getragen wird, zu allen Zeiten verloren hat wie in die Einsamkeit des Selbst, in das Gefühlspathos und den Kultus persönlicher Sehnsucht. Die Traditionen Frankreichs trugen keine unbewußten Ideale in sich.

Es war unmöglich, innerhalb dieses Sprachstiles jene schwebenden Feinheiten des Empfindens, jene leisen und halbverwischten Stimmungen des Seelenlebens auszudrücken, die aus jedem guten Winkel deutscher Dichtungen aufblühen. Die französische Sprache und Literatur entwickelten sich rhetorisch. Den innerlichen Gesang vermissen wir. Der Sprecher steht in der Mitte, seine Gesten sind gefällig und gerundet. Er sagt die Gefühle; aber sie zittern nicht unsicher flackernd zwischen den Worten. Spricht ein Toter, da wir keinen Laut seiner eigenen Seele, Sehnsüchte und Quälungen vernehmen? Oder ist er über die Nichtigkeit seiner eigenen Person antikisch groß hinausgewachsen? Diese Fragen sind in jeder Epoche der französischen Literatur verschieden zu beantworten. Oft ist die Seele ganz erblichen. Oft ist das klopfende Herz absichtlich verhüllt. Niemals unterbricht den Fluß der Rhetorik ein individuelles Gefühlspathos. Immer spüren wir die Wirkung des französischen Kindergebots: »Du darfst von Dir selbst nicht reden«. Aber die Sprache bekam doch im Laufe der Zeit, um weichen und halben Gemütsbewegungen Ausdruck zu verleihen, eine seltsame Durchsichtigkeit, die sie mit sublimem Reiz schmückte. In der Rhetorik wachte eine Neigung zur Ironie auf. Der Franzose wird nicht bitter und hart, grob und deutlich. Er läßt seine Abneigung, seine Trauer, seine Sehnsucht und sein Gemüt in einem gemäßigten Tempo seines Redeflusses, in einem ironischen Unterton seines rhythmischen Schwunges durchscheinen. Da uns diese Ausdrucksweise von Gefühlen fremd dünkt, übersehen wir leicht die Gefühle selbst und nennen schnellfertig das französische Volk und seine Dichtwerke oberflächlich. Wir tun ihnen damit unrecht. Die klassisch rhetorischen Vorbilder der Franzosen, deren abgeschliffene, sprachliche und künstlerische Konventionen bis in die dritte Republik hineinreichen, sind zu abgeklärt und zu fein in ihren Nuancen, um in unserer jugendlich stürmischen Nation ein Echo zu finden.

Aber es kam auch für das sich politisch reorganisierende Frankreich eine Welle jugendfrischer Gesinnung, in der es das rhetorische Pathos, das durch Epigonen immer hohler geworden war, als leer empfand. Die wachsende demokratische Gesinnung wollte dem Individuum und der Empfindungswelt des Einzelnen zum Rechte und zur Anerkennung verhelfen. Die Romantiker unternahmen den ersten Ansturm gegen die klassischen Konventionen.

Victor Hugo verkündete 1827 in kühnen und schwungvollen Worten das Recht auf absolute Freiheit der Dichter. Er verdammte die Metapher, forderte einen konkreteren Stil und erklärte die Gleichberechtigung aller Worte in der Dichtkunst. Mit übertriebenen Verhöhnungen der Klassiker, mit outrierten und brutalen Phantasien setzte die Bewegung ein und endete, nachdem sie das Vokabularium der Poesie erneuert und erweitert hatte, mit der Verwandlung selbst des abstrakten Wortes in einen Ausdruck erlebten Gefühls. Hugo, Gautier und Lamartine gossen einen neuen Inhalt in die gebundene Rede. An die Stelle antiker Mythologien traten historische Bilder und Schilderungen der vaterländischen Vergangenheit oder religiöse Schwärmereien. Daneben schufen sich warme Gefühle und sehnende Stimmungen Geltung. In dieser Zeit, in der André Chénier wieder entdeckt wurde, dichtete Lamartine seine »Pensée des Morts«, Hugo seine lyrischen Empfindungsergüsse »J'étais seul«, »Si vous n'aviez rien à me dire«, »Dans l'alcôve sombre«, Béranger seine stürmischen Chansons. Diese Poesien sind die ersten Stationen einer radikalen Erneuerung des Gehalts und der Form. Sie enthalten, indem sie auf das Gefühl des Einzelnen, auf die Umgebung und das aktuelle Leben hinweisen, Verheißungen, die unsere Gegenwart erfüllt hat. Allerdings bauten die Romantiker ihre Dichtungen noch auf den klassischen Traditionen der Metrik auf, die sie nur durch Einführung neuer Rhythmen und durch eine mildere Handhabung der Cäsur, freiere Behandlung des Alexandriners und Nichtbeachtung der Einheiten erweiterten. Wenn auch der Inhalt ihrer Balladen und Lieder sich direkt aus dem Empfinden heraushob, so schufen sie nur aus allgemeinen Gefühlen Typen einer Zuständlichkeit, in der das Einzeln-Persönliche verschwamm. Hugo und sein Kreis gestaltete noch mehr etwas außer ihm Liegendes als sich selbst, in jedem Gefühl ein Ideal und nicht sich selbst, idealisierte nicht nach der individuellen, sondern nach der typischen Seite hin. Wenn auch Victor Hugos Persönlichkeit bedeutender, umfassender und schreitsicherer war als die der leisen Spätgeborenen, so hat doch der menschlich kleinere Charles Baudelaire die Bedeutung eines Wegbahners der heutigen Generation, weil er – immer noch auf dem Boden klassischer Metrik – an Stelle von Gefühlstypisierungen das innerste Empfinden seiner eigenen Seele in die Strophen goß. Todbringende Macht scheint ihm das Weib, grauender Ekel das Leben; als Wunde und Opfer fühlt er sich gleichzeitig und so seufzt er dem Tode entgegen. Die Allgemeinheit hat ihn als krank und geckenhaft bezeichnet, und er trägt doch nur die typischen Merkmale einer Übergangszeit auf seiner bleichen, zerwühlten Stirn. Die Qualen der Auslese spiegeln sich in seinen Augen und haben um seine Lippen tiefe Schatten gemalt. Da aber die anderen Romantiker darin verharrten, nur Bilder allgemein menschlicher Empfindungen zu gestalten, und sich nicht in die Tiefen der Einzelwesen bohrten, um Individuelles herauszuholen und zu vergolden, versandete die von Hugo eingeleitete Bewegung wieder. Generelle Vorstellungen des Verstandes lieferten Théodore de Banville und Leconte de Lisle Motive zu Gedichten. Bemerken wir in ihren Schöpfungen anmutige Gedanken, hoch zielende, philosophische Betrachtungen und eine meisterliche Kenntnis des Strophenbaus, so vermissen wir in ihnen den Pulsschlag eines menschlichen Herzens, das in die Zeit hineinsieht und aus ihr schöpft. Es ist zu viel Schein in ihnen und keine innere Notwendigkeit. Schon die Namen, die die damalige Zeit kritisch oder spöttisch den Parnassiern gab: die Nihilisten, die Freikünstler, die Kaltblütigen, sagen, daß Impressionslyrik, Erweiterung der individuellen Empfindung zum Weltganzen nicht Sache dieser Poeten war. Als Catulle Mendès die Revue fantaisiste gründete, stellte sich das leere Virtuosentum seiner selbst und seines Freundeskreises bloß. Sully Prudhomme, François Coppée und José Maria de Hérédia haben für die Entwicklungsgeschichte keinerlei Bedeutung. Die Reformen der Romantiker akklimatisierten sich den älteren Traditionen und wurden ebenso konventionell wie der Klassizismus. Aus dieser einreißenden Spielerei in der Kunstübung hob sich neben Baudelaire Paul Verlaine hervor. Wenn man ihn im Gegensatz zu den Parnassiern charakterisieren will, braucht man nur zu betonen, daß er ein Mensch war, der im Joch des Tages lebte und litt, in der Liebe schmerzlich jubelte und verwundet seufzte. Er schöpfte aus der Tiefe seiner unheimlichen Unruhe, die ihn hin und her zerrte und verzehrte. Und wenn auch das Gefühl für die französische Sprache bei ihm oft schwankend war und er sich häufig in grammatikalische Widersinnigkeiten verstrickte, so ist er doch ein großer Dichter, weil er der Erste war, in dessen Werk eine einzelne Seele zittert. Er zwang die französische Sprache zu Ausdrücken, die vor ihm niemand gekannt hatte. Sein Schluchzen wühlte den Versbau auf. Er fand eine neue Musik von weichen, schwebenden Tönen; auch ohne Reime schuf er eine metrische Materie von starkem Klang. Aus leiderfülltem Leben hob auch Arthur Rimbaud seine Dichtungen. In erregter Spannung lauschte die Jugend Frankreichs diesen wahrhaftigen, unmittelbaren, dämonischen Sängern, deren Harmonien die Herzen mitzogen und seine stillsten Kammern öffneten. Die suchende Jugend verliebte sich in sich selbst und sann in sich hinein.

Erstaunend blickten die Dichter um sich, belauschten ihre Triebe, betrachteten jede Gefühlserregung einem Wunder gleich, griffen in alle Höhen und fingen, was ihr Auge erreichte auf. Goldenen Kugeln schienen sie zu gleichen, in denen das bewegte Leben sich hundertfältig spiegelt. Aber waren diese Spiegelungen in einer schwingenden Kugel schon schwer festzuhalten, so war es noch schwerer, sie in eine für Andere klare Form zu transponieren. Einer wie alle fühlten, daß die vorhandenen Formen der Tradition zu starr und zu steif waren, diese flüchtigen Stimmungen aufzunehmen. So ließen sie die geordnete Überlieferung wie ein Totes liegen und suchten sich quälend eine neue Form. Unziemlich ist es, diesen mühsamen Ringern ein frevles Zerstampfen der Überlieferungen vorzuwerfen und unwahr ist dieser unbedachte Tadel … Der Blick dieser einsam Strebenden glitt ernsthaft suchend durch die Zeiten rückwärts. Einige glaubten in dem Alter der vorklassischen Periode Bedingungen zu finden, die entwickelungsfähige Keime neuen Lebens enthielten, die ihnen nützlich seien und ihnen Untergrund für ihre neu zu schaffende Sprache bieten konnten … andere landeten in Griechenlands heiliger Schöne. Und wieder Andere erfuhren durch Abstammung oder Neigung des Temperaments germanische Einflüsse. Die französische Sprache wurde gerade durch die Einwirkung deutscher Elemente gebogen, gedehnt, erweitert und bereichert. Es entstanden neue Wortbildungen; einigen Bezeichnungen wurde ein neuer Sinn beigemessen, für sehnende und verzweifelte Naturlaute wurden Ausdrucksmöglichkeiten gesucht.

Die Nation brauchte an einem Element der Vergangenheit eine Stütze, um ihren in die Zukunft weisenden Ideen eine Form zu finden, die das neue, differenzierte Empfinden zu fassen vermochte. Die Entwickelungen kehren immer wieder und die unmittelbare Durchleuchtung einer Vergangenheit lehrt den Empfindungsstoff regeln, beschränken und organisieren.

Wer jemals im Leben sich wahrhaftig einsam, in sich den Zusammenhang mit seinen Vätern und älteren Brüdern wahrhaftig zerschnitten fühlte, im Dunkeln sich vorwärts tastete und gleichzeitig in die Vergangenheit zurück nach einem Führer rief, begreift sehr leicht, daß die Sucher einer neuen Form, die Vorläufer einer neuen Zeit oft unklar stammeln, verschwommene Melodien singen und alle Torheiten einer unreifen Jugend zeigen. Der Verstehende wird darüber nicht ergrimmen; denn das wühlende Tasten der Anfänger ist auch Kulturarbeit. Die Entwickelung, die Baudelaire in tiefen und heißen Leiden anbahnte, Mallarmé in verschleierten Bildern erträumte, Verlaine in glühender Sehnsucht sein düsteres Leben lang verklärte, hat Jules Laforgue, der von seiner ironischen Melancholie im Instinktmäßigen Heilung suchte, zum ersten Male zusammenfassend zu krönen unternommen. Dieser Denker stellte der wirklichen Welt eine künstliche Welt gegenüber, der Objektivität die subjektive Zauberwelt seiner witzigen Einfälle, die er in eine neue Sprache kleidete. Er griff nach dem Realen; aber es entschwamm ihm ins Wesenlose; so schwebte er über dem Milieu. Seine Menschen sind zeitlose Traumgestalten, die durch eine Phantasiewelt hüpfen. So kam es, daß seine mitstrebenden Freunde nicht gleich verstanden, wohin er wolle. Sie sahen nur das Originelle seiner Weltbetrachtung und Sprachbehandlung und ahmten das äußerlich nach ohne die Amplitüde seiner Empfindungswelt, ohne seine Seelengröße. Laforgues Sprachbehandlung eroberte die Dichtkunst. Die Alliteration und die Assonanz wurden in der französischen Poesie heimisch. Die Silben eines Verses wurden nicht mehr gezählt, sondern in ihren Werten gegeneinander gewogen. Das musikalische Element der Sprache wurde die Richtschnur für den Versbau, dessen Architektur allein durch die Stimmung des Dichters bestimmt wurde. Die Sprache wurde persönlicher, reicher und farbiger. Wiederholungen wurden verpönt. Alles mußte persönlich Erlebtes und Geschautes sein und in frischgeschaffene Ausdrücke und Wortverbindungen gekleidet werden. Gut ist der Vers, der gut klingt. Gut klingen kann jeder Vers, der eine Einheit, den klaren Reflex einer Seelenstimmung darstellt.

Eine kurze Weile gleichen die Kameraden Laforgues den Impressionisten, denen sie freundschaftlich verbunden waren. Sie gaben sich den Abenteuern ihrer differenzierten Seelen rückhaltlos hin, tauchten in ihnen unter, fingen die tausendfältigen Eindrücke, die halben Blicke, die unausgesprochenen Gesten, die andeutenden Worte mit ihren zarten, sensiblen Nerven auf und reflektierten sie unmittelbar. Sie standen ängstlich vor jeder Gebundenheit, vor irgendeiner bestimmten Methode, weil sie fürchteten, daß Methode ihren Eindrücken die Frische, ihrer Kunst die Unmittelbarkeit nehmen könnte. Unter ihnen steht Stephane Mallarmé abseits versunken in sich, berauscht von sich selber. Er übte die Dichtkunst, während der Naturalismus durch die Gassen polterte, wie einen Gottesdienst, in dem er das eigene Erleben mystisch zu verklären trachtete. Er wurde in seinem Lande zum Hohenpriester des Wagnerschen Gesamtkunstwerkes und träumte eine Entwicklung der Dichtkunst über ihre Grenzen hinaus. Nimmt es wunder, daß er sich oftmals in orphische Dunkelheiten verstrickte? Er sprach, indem er das Denken aus der Dichtung verbannte, und als ihren Quell das instinktmäßige Fühlen und Schauen reklamierte, eine hohe Meinung des künstlerischen Wesens der Poesie aus:

»Man muß das einzelne Erlebnis in einem Symbol verklären«.

Diese Devise, die Mallarmé ausgab, war die besondere Ursache, daß die Öffentlichkeit ihn und die Seinen mit dem Schlagwort »Les Symbolistes« belegte. Da die Bezeichnung historischen Wert gewonnen hat, behalten wir sie bei, obwohl diese zusammenfassende Klassifizierung nicht nur wie alle Schlagworte zu Mißverständnissen Anlaß gibt, sondern in diesem Falle sogar falsch ist. Symbolisten könnte man eher die Romantiker nennen, die für Empfundenes oder Geschautes sich ein Symbol ausdachten, das sie im Laufe der Strophen rhetorisch ausbauten. Mallarmé stand dieser Rhetorik fern. Wie seine Kunst nicht intellektuell, sondern rein sinnlich ist, so sind auch seine Bilder nicht dialektische Erweiterungen eines Symbols, sondern sinnlich erlebte Belege.

In der Strophe:

Les trous de drapeaux méditants
s'exaltent dans notre avenue
Moi, j'ai ta chevelure nue
Pour enfouir mes yeux contents

bedeuten »Les trous méditants«, die betrachtenden Löcher der Fahne eine Analogie zu dem im vierten Verse vorkommenden Augen. Man findet aus dem weiteren Inhalt des Gedichtes, daß hier nur die Fahne des Ruhmes gemeint sein kann, deren Löcher den Dichter wie Augen betrachten (während das Himmelblau durchschimmert); er aber ist zufrieden, seine Augen im Haar der Geliebten begraben zu können. Mallarmé hat seine Kunst, die neuerdings von Jean Florence und Albert Thibaudet kommentiert worden ist, selbst ausführlich interpretiert. Er sagte von seinen Absichten u. A.:

– »En effet, un souci musical domine et je l'interpréterai selon sa visée la plus large. Symboliste, Décadente ou Mystique, les Ecoles se déclarant ou étiquetées en hâte par notre presse d'information, adoptent, comme rencontre, le point d'un Idéalisme qui (pareillement aux fugues, aux sonates) refuse les matériaux naturels et, comme brutale, une pensée directe les ordonnant; pour ne garder de rien que la suggestion. Instituer une relation entre les images, exacte, et que s'en détache un tiers aspect fusible et clair présenté à la divination … Abolie, la prétention, esthétiquement une erreur, malgré qu'elle régit presque tous les chefs-d'œuvre, d'inclure au papier subtil du volume autre chose que par exemple l'horreur de la forêt, ou le tonnerre muet epars au feuillage: non le bois intrinsèque et dense des arbres. Quelques jets de l'intime orgueil véridiquement trompetés éveillent l'architecture du palais, le seul habitable; hors de toute pierre, sur quoi les pages se refermeraient mal.« An den Dienstagabenden drängten die Jünger sich in dem kleinen Salon der Rue de Rome und lauschten der neuen Weisung. Nicht das Erlebnis durch Verallgemeinerung vulgarisieren, sondern in das einzelne Erlebnis hinabsteigen bis zum Unterbewußtsein, um es als Ausdruck der weiten und tiefen kosmischen Melodie begreifen zu lernen, lautete die neue Parole. Das Gedicht sollte eine Kristallisation des Weltenrhythmus sein. Die Neuerer wollten die Lyrik von der Scheidemünze der intimen und persönlichen Poesie, die Gefühltes pathetisch verallgemeinert, reinigen und zu einem Kapitel kosmischer Geschichte vertiefen. Der Dichter sollte in dem Weltall aufgehen, sich den allgemeinen Erkenntnissen gleich machen, die er durch metaphysische Intuition erweitert und durch den Rhythmus abbildet, die Welt der Ideen und ihre Beziehungen sondieren, ohne an den Grund zu rühren, die Nuancen der Gefühle, die sie verklärten, erfassen und von einem Zentrum aus eine ewig fliehende Peripherie schaffen. Die Symbolisten fühlten sich als das willenlose Werkzeug des Weltenrhythmus und empfanden ihre Poesie als eine Offenbarung, die Ursprünge und Gesetze des ewigen Werdens aufdeckt, als das fragmentarische, aber sublime Gewissen der bis zu dem heutigen Entwicklungsstadium gelangten Materie.

Lebten die stärksten Dichter dieses Kreises leidenschaftlich in diesen Ideen und propagandierten für sie in ihren Versen, so wird der Leser ihrer Werke oftmals durch Unverständlichkeiten gequält. Eine Generation, die ihre Kraft einem so hohen Ziele weiht, muß sich mehr als einmal in Absurditäten verstricken, wenn sie sich nicht ganz aus universalen Geistern von höchster Potenz zusammensetzt. Da nicht nur Genies an dieser Bewegung teilnahmen, wird bei vielen das göttliche Streben zum Fluch. Von den Lippen vieler dieser außerordentlichen Wager lallten nur dunkle, undeutliche Kindlichkeiten, aus deren Reinheit und Fehllosigkeit rhythmischer Musik kein Sinn sich klar heraushebt.

Denker dieser Gruppe haben versucht Mallarmés Theorien auszubauen und kluge und gute Dinge über das Wesen der Dichtkunst in Worte gebunden, die die Absichten und Wünsche der Dichtenden erhellen:

»Versenken wir uns in die Fluten des Ozeans, in den Odem der Wälder, in die mannigfaltigen Wellen des Lichtes, in die allgemeine Symphonie, welche die substantielle Energie in die Erscheinung ruft, damit die Musik unserer Lieder siegend sich erhebt, die weihelosen Ohren ebenso unverständlich sein wird wie die Sphärenmusik. Unsere Erkenntnis wird uns ohne weiteres durch das menschliche Wissen erhöhen, sogar darüber hinaus bis zu dem pythagoreischen Gipfel, von dem aus der essentielle Rhythmus uns die wunderbare, bleibende und erweiterte Harmonie enthüllt«, so Jean Royère. Der Dichter Albert Mockel hat sich in sehr ähnlicher Weise über die Aufgaben und Ziele und das Verhältnis des Dichters zur Welt geäußert: »… L'harmonie demeure au fond de nous cachée et comme sommeillante et n'affirme point sa présence, sinon lorsqu'en face des formes décisivement ordonnées, elle se révèle en se reconnaissant. Car rien ne nous touche d'absolument étranger, rien ne possède pour nous d'éloquence, s'il ne trouve en nous-mêmes son écho véridique; et, ainsi que pour la physique supérieure tous les phénomènes ne sont peut-être que des modalités de l'unique énergie, l'objectif serait un mode ignoré de notre âme, tout le possible encore obscur qu'elle contient et où elle se découvre par sa trace, comme le rythme dans l'harmonie, comme le temps à travers sa mesure d'espace.« Schon Baudelaire hat in seinen Anmerkungen zu Poe und seinem poetischen Testament der Dichtkunst diese Richtung gewiesen, die die jüngsten Lyriker, aus deren Reihe mehrere sich theoretisch geäußert haben, wie unter andern: Léon Deubel, Adrien Mithouard, Maurice de Noisay, Viélé Griffin, auch heute wieder als die entwicklungsfähigste bezeichnen. Robert de Souza, der führende Kritiker der neuen Dichterschule, schreibt: »Tout élément d'humanité, de vie, de pensée, de nature est un élément de beauté. Opposer un élément à un autre est un crime de lèse-poésie. Faire dépendre l'excellence de la beauté de ses déterminantes est un nonsens, presque toujours une attaque détournée de l'esprit utilitaire. Dès que l'activité intérieure se traduit par une expression d'art, que cette expression atteint une intensité suprême, le principe de l'activité première est dissous par l'exaltation de beauté qu'il a provoquée et qui, seule, dès lors, agit.«

So hat der Kern der symbolistischen Schule im Meer der Dichtkunst weithin wirkende Wellen gezogen, die auch nach Mallarmés Tode nicht verebbten. Noch heute nennen sich viele Poeten mit Stolz des Mallarmés Schüler und versuchen mehr oder minder streng die Theorien ihres Meisters in Kunst umzusetzen.

Manche von ihnen, die ihre Nachfolge anfangs nur als ein Schöpfen in dem Brunnen seiner Dunkelheiten begriffen, lernten in den Jahren der Reife Beschränkung, Maß und Takt und wurden zu Sängern.

Dankten sie diese Beruhigung und Mäßigung nur der gesammelten und gerundeten Weisheit späterer Jahre, oder hatten sie durch Goethe, Novalis, Hölderlin, Jean Paul oder Heine sich kluge Beschränkung raten lassen? Der Weg jedes Dichters war verschieden. Vielfältig waren die Beeinflussungen und verschieden die inneren Stimmen, die die Besonnenheit erwirkten. Einige erinnerten sich der Klarheit und Reinheit der früheren französischen Literatur; vor anderen gewannen die Chansonniers des französischen Mittelalters neue Geltung. In Vielé Griffin brach der Angelsachse durch, und in Moréas erwachte der Grieche. So setzt sich die Kunst der späteren Symbolisten aus Elementen zusammen, die im Einzelnen gar nicht mehr zu entwirren sind.

Die verschiedenen Phasen der Zeitströmung sind in Jean Moréas Entwicklung lebendig geworden. In seinem ersten Gedichtband »Les Syrtes«, in denen sich Anklänge an Gautiers Jugendwerke finden, trat er 1884 als ein so entschiedener Nachfolger der Parnassier auf, daß Leconte de Lisle ihn als einen Fortführer der Tradition begrüßte. Schnell aber gewann ihn die damalige Jugend für sich, so daß der Figaro seine Verteidigung des Symbolismus veröffentlichte. In seinem zweiten Buch »Les Cantilènes« mied er die Cäsur, mischte ungleiche Versmaße mit den traditionellen und setzte häufig an die Stelle des Reimes die Assonanz. Darauf zog das Altfranzösische ihn in seinen Bann. Er begeisterte sich an mittelalterlichen Wortbildungen und Redewendungen der Renaissance. »Die Grazie und Feinheit dieses grünenden Zeitalters, welche durch die Kraft der Syntax des 16. Jahrhunderts noch gesteigert wurde, kann uns eine Sprache gründen helfen, würdig die edelsten Gesichte der schöpferischen Intuition zu formen.« 1891 sprach er das Todesurteil über den Symbolismus »diese eintägige Poetenschule« und desavouierte gleichzeitig seine Cantilenen. Die Versfreiheiten in dem »Pélerin passionné«, die den vollständigen Bruch mit der Tradition der Parnassier bezeichnen, waren mehr eine raffinierte Steigerung der traditionellen Metrik als eine trotzige Auflehnung gegen die Vergangenheit oder Kühnheit zu einem neuen Glauben. Darum wandelte sich Moréas auch nach wenigen Jahren noch einmal, um in einem Neuklassizismus den Ruhepunkt seiner Reife zu finden. Hätte er nicht in dem »Pélerin passionné« durch die unmittelbare Transponierung der erlebten Bilder Kraft und Konzentrierung seiner Phantasie gewonnen, so würde er nicht die maßvolle Klarheit und Schönheit der Stanzen erreicht haben, die sein Lebenswerk krönen.

Keiner aus dem Kreise Derer, die in den Jahren ihrer Meisterschaft auf dem Erbe der Zeiten weiterbauten, ist von den Bewegungsströmen so heftig hin- und hergerissen worden wie Jean Moréas. Wenn alle auch mehr oder minder sich dem Symbolismus hingaben und durch die Freiheitsbestrebungen sich zu metrischen Kühnheiten verleiten ließen, so sind doch die Phasen ihrer Entwicklungen nicht klar und scharf abgegrenzt. Stuart Merrills Jugendkameraden waren Ephraim Mikhael, Pierre Quillard und René Ghil. Obwohl er in Amerika und Paris an den demokratischen Erlösungen persönlich mitwirkte, stand er vom Beginn seiner poetischen Laufbahn an unter konservativer Herrschaft. Seine angelsächsische Abstammung macht den Einfluß Emersons, Tennysons, Rossettis, Brownings und Swinburnes verständlich. Wie die englischen Präraffaeliten umkleidet er alle Gefühlsbewegungen mit einem kostbaren Mantel, der schöner ist als derjenige jener Maler, weil er echter und weniger gekünstelt ist. Stuart Merrills wesentliche Bedeutung liegt in seinem reichen Menschentum, das durch Leiden weise und groß geworden ist. Die frei gewählte Einsamkeit hat ihn ein starkes und festes Vertrauen in das Glück und Ruhe dem Schicksal gegenüber gelehrt. Oft erhalten seine Gedichte durch Vokal-Wiederholungen oder durch eine seltene Konsonanzgruppierung einen besonderen, musikalischen Reiz.

Mit den lyrischen Bestrebungen ihrer Zeit sind André Gide, Fernand Gregh und Charles Guérin nur lose verknüpft. Gide hat sich seit Jahren zum Meister der Prosa entwickelt, Greghs zarte und anmutige Lyrik baut sich ganz auf der Schule von 1830 auf. Charles Guérins weiche Lieblichkeit gibt nur eine neue, leise Nuance dieser Gruppe, die ihre duftenden Stimmungen in altgewohnte oder liedhafte Formen gossen. Die Reihe dieser Poeten ließe sich vervielfachen, auch die Comtesse de Noailles ist hier zu nennen. Aber wir wollen nicht die blassen Abtönungen Derer, die immer den gleichen Takt anschlagen, abmessen, sondern diejenigen aufsuchen, die eine neue Musik wirken. Baudelaires, Verlaines und Laforgues Versreformversuche beschäftigten weiter die ernstesten Sucher. Baudelaires Streben nach individuellem Gefühlsausdruck hatte ihn oftmals in Konflikt mit dem Versbau gebracht. Um seinen Versen die Unmittelbarkeit zu erhalten, hatte er mehrfach Reime des gleichen Charakters gehäuft oder Inversionen oder schwerfällige Schnürungen verwendet. Verlaine fand leichter den Weg zur Freiheit und in Laforgue blitzten oftmals Ahnungen auf, die die Jüngeren erfüllten.

Nach Lafontaines Versfreiheiten, in denen kürzere Verse mit längeren kontrastiert sind, um schnell über etwas hinwegzugleiten oder ein Bild reliefartig herauszuholen, haben Gelehrte versucht für den modernen vers libre Gesetze abzuleiten; aber sie verkannten die ganz anderen, innerlichen Beweggründe, die die Zeitgenössischen zum vers libre führten.

Den Jüngeren bedeutet der vers libre nicht nur eine musikalische Freiheit oder eine bereicherte Bewegungsschönheit, sondern den gleichzeitig mit der Empfindung geborenen und notwendigen Rhythmus eines Ausdrucks. Er ist völlig individuell: In bezug auf den Dichter, wie auf das jeweilige Gedicht, ja die Strophe, die Zeile.

Der aus diesem Prinzip leicht abzuleitende Vorwurf, sich von der Prosa nicht zu unterscheiden, trifft ihn nicht; da es sich bei ihm wie in jeder Poesie nicht um das Aussprechen logischer Vernunftschlüsse handelt, niemals um Nützlichkeitszwecke, sondern nur darum, Stimmungen und Bilder zu suggerieren, Gefühle zu erwecken, zu bewegen.

Es heißt jetzt nicht mehr den Gedanken in die Form eines fertigen Rhythmus zu gießen, sondern dem Gedanken den einzig möglichen Rhythmus schaffen.

Dies alles erhellt, daß es sich beim vers libre eigentlich nicht um Befolgen von Theorien handelt. Er hat sich durch Versuche und Erfahrungen herausgebildet, und wir stehen plötzlich vor einer Anzahl überzeugend schöner Werke, die uns nun erst veranlassen, sie theoretisch zu analysieren und ihre Ausdrucksmittel zu prüfen. Der letzte Grund zu diesen neuen Kühnheiten geht allerdings bis auf Lafontaine zurück, dessen Versuche den Jüngeren Mut zur Freiheit geben. Mittelbar oder unmittelbar anregend werden dann Nietzsche, Dehmel, Holz und Schlaf gewesen sein. Auch Whitmans Dichtungen sollen damals schon in Frankreich bekannt gewesen sein. Einer der ersten Bahnbrecher in Frankreich selbst war der Elsässer Gustave Kahn, der über Rimbaud hinausgehend seine ersten Gedichte im vers libre veröffentlichte. Er schuf eine freie, wogende Strophe, deren Verse die erwartete Reform einleiteten. Es mangelte ihnen noch rhythmische Kraft und tönende und geschlossene Harmonie, die später erreicht wurden. Er selbst hat diese Evolution in der französischen Poesie charakteristisch definiert. Er schreibt: L'ancien vers français n'a pas d'harmonie constitutive réelle, mais il en a une acquise, par l'accumulation des auditions, par l'habitude; le vers libre ne l'a point, il l'évite; son harmonie neuve demande quelque effort à celui qui la crée et un peu aussi à celui qui doit la discerner, s'il s'est habitué exclusivement à l'antique cadence … J'ajoute qu'il est d'accord avec la phonétique ou avec la prononciation française actuelle à Paris … Son jeu de strophes et de rythmes permet à tout poète d'exprimer sa personnalité par le choix qu'il en fait; et les inventions qu'il y peut apporter sont nombreuses, car les combinaisons de strophe libre sont aussi variées que celles des notes.« Camille Mauclair schrieb über den Rhythmus: »Le principe du rythme est tout physicologique: le battement du sang artériel, l'amplitude ou la constriction respiratoire, selon l'émotion, en sont les impulsions naturelles. L'émotion crée son rythme dans le vers du poète comme dans le sein de la femme. La poésie est un chant syllabique et un poème ne se conçoit que chanté.«

Gleichzeitig mit Kahns erstem Buch erschien in Verviers eine anonyme Gedichtsammlung, deren Autor die gleichen Freiheiten verfocht – es mag das Beweis sein, wie sehr diese Bewegung in der Luft lag. Vielé Griffin und Henri de Régnier eiferten dem kühnen Dränger in sehr kurzer Zeit auf den gleichen Bahnen nach.

Mauclair wie Griffin, Cottinet und andere haben zeitweise auch Verse in Alexandrinern oder Jamben geschrieben und bewiesen dadurch ihre Parteilosigkeit. Einseitig waren nur die Traditionellen in ihrer Verurteilung des vers libre. Einer des Kreises, René Ghil, der eine Zeitlang Mallarmés Schüler war, und mit Griffin, Régnier, Barrès, Kahn und Fénéon aufwuchs, sonderte sich bald von dieser Gruppe ab, hing eigenen Ideen nach und begründete die wissenschaftliche Dichtkunst (la poésie scientifique), in der er hauptsächlich theoretische Studien trieb, die ihm seine Stellung in der Entwicklungsgeschichte sichern.

Der Widersinn in diesem Titel einer Dichtungsgattung löst sich auf, wenn wir Ghil selber sprechen hören: »La mission que nous avons voulu assigner à la Poésie est de recréer consciemment une harmonie émue de l'univers. Et c'est ici que nous avons demandé l'intervention, l'aide nécessaire et épanouissante de la science. Tout à l'heure, l'intuition soudainement a établi une communion rapide entre notre Moi et la prime émotivité de la Substance. Tout en perdant peut-être de sa pantelante horreur, elle s'élargira d'Emotion et de Beauté à mesure que, retrouvant par la méthode scientifique, le plus possible de rapports qui unissent l'Être total du monde, elle devient la déterminante d'une plus ou moins nombreuse Synthèse – et, encore, d'une Hypothèse plus ou moins suggestive – où se connaisse un peu de l'harmonie universelle.«

Die Methode seiner Metrik, des Tonfalls wie der Musik leitet René Ghil aus den Harmoniestudien von Helmholtz, Katzenstein und den phonetischen Untersuchungen des Abbé Rousselot ab, indem er von folgendem Gesichtspunkt ausgeht: Die stumme Erregung drückt sich durch Bewegungen, Erschütterungen und Gesten aus. Sobald diese Bewegungen, Erschütterungen und Gesten laut werden, prägen sie sich in einen phonetischen Ausdruck, der in Vibrationen der Stimmbänder meßbar ist. Die klassische, romantische und parnassische Prosodie hat den Rhythmus theoretisch und praktisch in der regelmäßigen Wiederkehr dem gleichmäßigen Abstand einer numerischen Einteilung gegeben. Für sie war also der Vers die Resultante numerischer Quantitäten, in denen nach dem Prinzip der regelmäßigen Wiederkehr skandiert und der Akzent vorausbestimmt wurde, die quantitativen und qualitativen Tonwerte aber keine Beachtung fanden. Ihr Vers war eine mechanische Folge von betonten und unbetonten Silben, in denen die Idee eingezwängt wurde. Der Gedanke eines Gedichtes mußte es sich gefallen lassen, in diesen steifen Rahmen gepreßt zu werden, wodurch er oft verstümmelt wurde. Ghil und sein Anhang begreifen den Rhythmus im Spencerschen Sinne als die Bewegung des bewußten und vorstellenden Denkens der natürlichen und harmonischen Kräfte und leiten den Ursprung des Rhythmus von der ihnen unzertrennlich erscheinenden Einheit von Idee und Wert ab. Sie sehen diese Einheit begründet in den drei Elementen, die die Sprache umfaßt: Instinktive Erregung, Nachbildung der phonetischen, graphischen und farbigen Phänomene, Fühlen und Denken; sie sagen, daß ja die Tonartikulation im Ursprung auf die Erregung zurückgeht, daß der Rhythmus seiner essentiellen und physiologischen Natur entsprechend die Bewegung darstellt, in welcher die spezifische Idee einer Erregung sich befreit. So sind beide voneinander unzertrennlich. Um dem Ausdruck einer Erregung die Frische, Natürlichkeit und Unmittelbarkeit zu wahren, darf dem Dichter nicht ein rhythmisches Schema vorgeschrieben sein, das unbedingt dazu führen würde, die Erregung und ihren Ausdruck auf allen Seiten zu beschneiden. Jede Erregung drückt sich in einem besonderen Rhythmus, in einer besonderen Vibration der Stimmbänder aus, so daß jedes Gedicht nur in einem ihm eigentümlichen Rhythmus, nur in einer ihm eigentümlichen Harmonie der Konsonanten und Vokale laut werden kann. Die Vibration der Stimmbänder ist bei jedem Menschen und in jedem Augenblick ebenso verschieden wie die Gesten und Gebärden.

Jean Rousselots wissenschaftliche Beobachtungen, die er in seinen Forschungen: »Précis de prononciation française« und »Principes de phonétique expérimentale« niederlegte und in denen phonetische Stimmbändermessungen aller Nationen photographisch dargestellt sind, scheinen dem theoretisierenden Dichter Recht zu geben; jedenfalls begegnen sich der Experimentalphysiker und der prosodische Theoretiker in denselben Resultaten. Das bestimmte zum Teil den Erfolg René Ghils.

Seine Wortinstrumentation hat in den Kreisen der französischen Jugend und seit 1900 auch in Rußland bedeutend gewirkt.

In seinen Gedichten erlaubt er sich alle metrischen Freiheiten und häufig auch grammatikalische Ungebundenheiten, die das Verständnis erschweren. Zur Unterstützung der Musik und Lokalfarbe seiner Verse hat er in dem Zyklus javanischer Poesien: Le Pantoun des Pantoun javanische Namen, Ausrufe und Worte eingeführt, deren schöner Klang die Stimmung fördere. Eine Kampfesstimmung ist in dem zuckenden Rhythmus des »Zauberers Macht« geschaffen. Hier sollte durch die Begegnung des Kriegers mit dem Zauberer ein Symbol der Entwicklung eines Tatmenschen zum geistigen Menschen gestaltet werden.

Theorien, die der Kritik zur Kontrolle, der Literaturgeschichte zur Aufdeckung der Zusammenhänge dienen, haben für schaffende Künstler nur den vorübergehenden Wert einer Klärung. Starke und große Naturen vermögen nur zeitweise sich in Theorien zu verstricken; sie erkennen und gehorchen ihrer inneren Stimme und schaffen impulsiv. So tat es Walt Whitman, der Anfang der neunziger Jahre durch Swinburne, Griffin und Merrill einigen jüngeren Franzosen bekannt wurde. Im Jahre 1897 gab Léon Bazalgette in seinem Buche »l'esprit nouveau« zum ersten Male ein zusammenhängendes Bild von Whitmans Leben und Schaffen.

»Man müßte einen Band von starkem Umfang schreiben, um ahnen zu lassen, was dieser ungewöhnliche Mensch umschließt. Wenn ich sage, daß Whitman als erster den der ganzen Realität geheiligten Charakter wieder vollkommen erkannt hat, daß er mit einem völlig neuen Auge den verachtetsten Teil des Weltalls erfaßt hat, daß er mit einem göttlichen Empfinden die herkömmlichsten Handlungen unseres Lebens bereichert hat, daß er den Sinn eines vollkommenen Vertrauens und der Freiheit gegen uns selbst und gegen die Menschen geschaffen hat, daß er endlich (und das ist die Hauptsache) einen völlig neuen Sinn des Lebens entdeckt hat, so würde ich nur die unzulängliche Skizze eines riesenhaften Ereignisses gezeichnet haben. – Shelley, Michelet und Whitman haben die Natur verstanden, wie sie die Göttlichkeit des einzelnen Menschen unter den Wesen und Dingen erfaßt haben. Sie haben eine Religion erweckt, deren grandioser Pantheismus die unendliche Welt der Lebenden umarmt und durchdringt. Sie ist ein wirkliches Gefühl, erlebt in den Beziehungen des einzelnen zu dem Ganzen, eine Durchdringung und Vergleichung durch uns, die niedrigsten und höchsten Wesen, mit allem Lebenden, eine Religion, deren zukünftige Entwicklung wir ahnen.«

Ein solches Naturereignis ist auch Emile Verhaeren, an dem alle Versuche ihn zu klassifizieren, zerbröckeln. Könnte man sagen, daß er alle künstlerischen Bestrebungen der Romantik, des Symbolismus, des vers libre und der poésie scientifique zusammenfaßt, so erscheint das unwichtig im Vergleich zu seiner persönlichen Natur, die alles kennt, alles beherrscht und die Ströme ihrer Lieder aus reichem und vollem Herzen quellen läßt. Er ist ein großer und starker Mensch, dessen freie Rhythmen stets einen natürlichen, ja selbstverständlichen Charakter haben, weil ein innerer Orkan ihm die Stimme löst. Und man fühlt, daß er die Lippen nur öffnet, wenn seine große Seele von brausenden Erlebnissen überströmt. In den »Lichten Stunden« ist er von ergreifender Einfachheit, im »Bankier« und im »Baum« machtvoll meißelnd, plastisch und farbig, und in den »Nachmittagsstunden« von tiefer, ernster Innigkeit des gut geführten Gesanges. Klar ist die Bildlichkeit seiner Sprache, kühn die Neuprägung der Worte und Wortverbindungen, volltönend sind die Vokal- und Konsonantenassoziationen, und feierlich sein bewußter und festauftretender Rhythmus. Seine Strophen über Bazare, Eisenbahnen, Börsen und Fabriksäle geben ein tumultuöses Bild des Arbeitsgewirrs unserer Zeit, in dem er ein tiefes, ethisches Bewußtsein entdeckt.

Sein Schauen ist nicht peripherisch, sondern zentral, d. h. es geht nicht um die Dinge herum, sondern vom Innern der Phänomene selbst aus. Zuweilen beschreibt Verhaeren wohl; meistens aber taucht er unter in den Feuerbrünsten, Orgien, blutigen Revolten, in dem Großstadtleben und Gefühlswallungen und gestaltet aus dem Zentrum ihres Ursprunges heraus, so daß seine Schöpfungen nicht wie Schauspiele, sondern unabhängig von Ort und Zeit und Individuum wie kosmische Seelenzustände, wie eine Verklärung inneren Schauens erscheinen. Nur von diesen Begriffen aus vermögen wir dem Zauber aller seiner Dichtungen gerecht zu werden. Auch die schlichte, einfache und so stolze Schönheit seiner Heimatslieder, wie z. B. im »schönen Mädchen«, enthüllt sich nur, wenn wir ihre von innen nach außen gekehrte Kunst ergründen.

Stuart Merrill hat mit schöner Kraft das Bild seines Freundes gezeichnet:

Verhaeren, nom qui sonne comme un fracas d'armes
Qu'un roi barbare aurait laissé choir dans la nuit,
Verhaeren, glas qui tinte, le soir, et poursuit
Ceux qui sentent entre leurs doigts jaillir leurs larmes!

Verhaeren, tocsin dans la flamme, cris, alarmes,
Ou fanfare éclatant, sur la horde qui fuit,
Verhaeren, foudre d'or dont la lande reluit,
Nom terrible où soudain sonnent tous les vacarmes!

Vous évoquez l'effroi, la bataille et la mort
Et la rage de l'homme en lutte avec le sort,
La cité qui flamboie et la forêt qui brûle.

Mais parfois, Verhaeren, votre nom devient doux
Comme un appel de cloche au fond du crépuscule:
Nous écoutons alors rêver l'amour en vous!

Emile Verhaeren ist das Haupt der aus Flandern gebürtigen Dichterschule. Um ihn gruppieren sich Maurice Maeterlinck, Max Elskamp, Albert Mockel, Georges Eckhoud und die beiden verstorbenen Georges Rodenbach und Charles van Lerberghe. Maeterlinck, der im Jahre 1889 mit einem symbolistischen Gedichtband »Serres chaudes« debütierte, hat sich seit dieser Zeit anderen Aufgaben zugewendet; Max Elskamp ist der Sänger des glücklichen Belgiens; der frische Lyriker Albert Mockel hat sich hauptsächlich als literarischer Organisator und Kritiker einen Namen gemacht. Er gründete 1884 in Lüttich l'Elan littéraire und wenige Jahre später: La Wallonie, in der Ghil, Verhaeren, Merrill und alle junge Belgier seiner Zeit auftraten. Studien über Régnier, Vielé-Griffin, Mallarmé und Verhaeren machten ihn früh schon bekannt. Der aufgehende Ruhm Verhaerens überstrahlte den Freund und Genossen Maeterlincks, den stillen Charles van Lerberghe, dessen Schaffen auch eine bestimmte Richtung bezeichnet. Seine Seele war zart und seine Gefühle lind und mild. Er hat zeitlebens nur eine Saite der Lyra zum Klingen gebracht. Wie leicht verschleierte, Licht umspielte Sommertage wirken seine kleinen Verse, deren keusche Frische Dichternaturen begeisterte, die sich ihm verwandt fühlten. Francis Vielé-Griffin, der einer bretonischen Familie entstammt, die nach Amerika auswanderte, wird von einer Gruppe der nachstrebenden Jugend gegen Verhaeren ausgespielt, häufig mit ihm verglichen und zuweilen über ihn gestellt. Verhaeren ist ein Phänomen, das durch den mächtigen Flügelschlag seines Rhythmus den Blick der Menschen in die Höhen gezogen hat, in denen er kreist. Jahrzehnt um Jahrzehnt haben Erfahrungen ihn geweitet und in jeder Lebensepoche hat er reicher schenken gelernt: Ein außerordentliches Herz trägt ihn, einem Sturm gleich durch die Zeiten. Griffin hat der Poesie keine neue Höhe erschlossen. Aber dieser im Subjektiven und Versonnenen begrenzte Dichter hat durch die Klarheit eines starken und festen Willens alle Strömungen seiner Zeit, die hier zu zeichnen versucht wurden, des Maßlosen entkleidet und in eine Einheit verschmolzen, die als ein schöner Schluß der Bewegung gelten kann. Er erinnert an Swinburne. Seine gemäßigte Melancholie trägt er sanft und schlicht vor. Er vertraut der eigenen Eingebung und stellt seine Ideen und Gefühle unmittelbar hin, ohne sie mit dem magischen Mantel heroischen Glanzes zu schmücken, eine Folge seiner Vorliebe für den direkten Ausdruck. Er lockt das Bild nicht an sich. Es tritt oft unerwartet auf und erweitert nicht neue Bilder anfügend den Vers. Zuweilen klingen die Töne seiner Strophen nur im Reim zusammen, ohne daß sich eine fortschreitende und festhaltende Gesamtharmonie ergibt. Auch er hat alle Reformen angenommen, »les gentilles difficultés vaincues, le bon vieux rythme numérique et carré, le jeu puéril des césures, l'or un peu fané des rimes masculines et féminines, la cheville artiste etc.«

Dasselbe hat Henri de Régnier getan. Schon vor zwanzig Jahren, als er noch suchend zwischen Hérédia und Mallarmé stand, forderte er »die größte Freiheit für die Dichtkunst«. Er wollte seine Gabe nicht durch die abgelebten Konventionen der Alten und nicht durch die Theorien der Jungen einengen lassen, sondern wollte den Übergang selbst finden. So dürfen wir es schon als Zeichen einer rücksichtslosen Wahrhaftigkeit ansehen, daß der suchende Jüngling in Alexandrinern begann. Im Sonett baute er weiter, um endlich in beschnittenen oder zerstückelten Alexandrinern sich in den vers libre hinein zu tasten. Seine mit den Jahren wachsende Kraft drängte ihn immer weiter auf der neuen Bahn, so daß er bald in der Bewegung eine führende Stellung gewann. Er fand neue Freiheiten, die die Poesie seiner Sprache bereicherten, die aber immer so beherrscht waren, daß sie dem Bilde der Dichtungen nur neue Lichter aufsetzten oder den vom Pulsschlag bestimmten Rhythmus der Strophen stärker betonten. So ist seine Einführung des Hiatus in die französische Sprache bei einem berühmten (aber unübersetzbaren) Gedicht ein überraschendes und fortschreitendes Verdienst:

Odelette

Si j'ai parlé
De mon amour, c'est à l'eau lente
Qui m'écoute quand je me penche
Sur elle; si j'ai parlé
De mon amour, c'est au vent
Qui vit et chuchote entre les branches;
Si j'ai parlé de mon amour, c'est à l'oiseau
Qui passe et chante
Avec le vent;
Si j'ai parlé
C'est à l'écho. – –
Si j'ai aimé de grand amour
Triste ou joyeux,
Ce sont des yeux.
Si j'ai aimé de grand amour,
Ce fut ta bouche grave et douce,
Ce fut ta bouche;
Si j'ai aimé de grand amour,
Ce furent ta chair tiède et tes mains fraîches,
Et c'est ton ombre que je cherche.

Er fängt hier mit zarter Stimmung an, mit leicht schwebenden Tönen, die durch Konsonanten wie p, b, ch (parlé, penché, branche, passe, chuchote) durch leichtere Alliterationen und nasale Klänge hervorgerufen werden, – um in der zweiten Strophe zum erstenmal den großen Atemzug des Hiatus zu finden (si j' ai aimé de grand amour), der dann im anschwellenden Gesang der vollen Vokale ou und a ausklingt. Auch alle anderen Verse Henri de Régniers sind von einem großen, inneren Pathos diktiert, das sich ein melodisches System schafft.

Dem freien Heidentum Régniers, der an der Antike seine Phantasie nährt, steht die ernste Gottergebenheit Francis Jammes' gegenüber, die sich schon im Vorwort seines ersten Gedichtbuches Geltung schafft: »Mon Dieu, vous m'avez appelé parmi les hommes. Me voici. J'ai parlé avec la voix, que vous m'avez donnée. J'ai écrit avec les mots que vous avez enseignés à ma mère et à mon père qui me les ont transmis. Je passe sur la route comme un âne chargé dont rient les enfants et qui baisse la tête. Je m'en irai où vous voudrez quand vous voudrez l'angélus sonne.« Er ist voller Mitleid, zart und weich im Empfinden und enthält sich der Deklamation. Mit feinem Geschmack ist die ländliche Melodie »Am Sonntag stehn Wälder in Festeszeichen« auf den Vokalen ai aufgebaut. Einer bestimmten Gruppe ist Jammes nicht zuzurechnen. In der Einsamkeit eines Landstädtchens am Fuße der Pyrenäen ist seine Kunst aus der Liebe zu Samain und Guérin emporgewachsen und gewann, sobald sie in Paris bekannt wurde, die Bewunderung von Männern aus allen Lagern. Mit den zunehmenden Jahren schloß er sich immer fester an die Religion an. Die rhythmische Prosa seines letzten Buches »Ma fille Bernardette«, das die Widmung trägt: A Marie de Nazareth, Mère de Dieu baut sich auf einer schlichten, aber etwas trockenen Frömmigkeit auf und schildert das geistige Erwachen eines jungen Mädchens unter der Obhut Gottes. Jammes geht in dieser Richtung nicht allein. Wenn ein geringes Talent, wie Adolphe Retté, aus praktischen Erwägungen konvertiert und dadurch die Wendung Anderer aus demokratischer Freiheit in die strenge und triebreine, christliche Moral wohl bedenklich erscheinen läßt, so ist das höchstens bedauerlich. Bourget, Jammes, Gide und Paul Claudel, die zum Teil gerade durch die Mallarméschen, Ghilschen und Royèreschen Theorien die Kleinheit und Hilflosigkeit des Individuums erkannt haben, folgen sicher einem inneren Ruf, der sich aus einer freiheitsmüden Zeitstimmung heraushebt, wenn sie im protestantischen oder katholischen Mystizismus aufgehen. In ihnen wachen neue religiöse Energien auf, die ihre Einsamkeit beleben. Nicht Descartes' trockene und kalte Logik, sondern Pascals lyrische Metaphysik gibt ihnen, wie ehedem Fénelon, Chateaubriand und Lamartine die Stütze, auf der sie ihre neue Gesinnung entfalten. Paul Claudel hat in den »Cinq grandes odes suivies d'un processionnal pour saluer le sciècle nouveau« diesem Empfinden majestätischen Ausdruck geliehen. Claudel, der als französischer Konsul jahrelang in Ostasien lebte und jetzt in Prag wohnt, steht den einzelnen Bewegungen und Strömungen persönlich fern. Er hat sicherlich zum Teil seiner Abwesenheit von Paris zu danken, daß er sich völlig selbständig entwickelte und eine Sprache schuf, die zwar auf die Poesie gewirkt hat, selbst aber eher Prosa zu nennen ist. »Vous n'y trouvez pas les symétriques redites des phrases sacrées«, schreibt Eugène Marsand, »Vous n'y trouvez pas non plus de vers libres, quelque licence que vous donniez à la prosodie. Trois et quatre lignes en effet tiennent à la suite, sans que les syllabes y aient été comptées d'aucune façon et, à plus forte raison, sans rimes, sans assonances. Il arrive aussi qu'il n'y ait qu'un seul mot sur la ligne, et un mot sans signification euphonique. C'est donc une prose, cadencée jusqu'à prendre avec aisance l'accent même du vers et dont les périodes sont écrites dans un ordre inédit, Claudel allant à la ligne au cours d'une même phrase, et plusieurs fois, et sans qu'il s'astreigne à mettre à la ligne après chaque point.«

Auch der letzte Sänger, den wir an dieser Stelle abzuhandeln haben, steht völlig allein, obwohl er im Gegensatz zu Claudel seit 20 Jahren als Theatergründer, Organisator und Zeitschriftenleiter eine führende und häufig maßgebende Rolle spielte. Keiner der Meister des heutigen Frankreichs hat in seiner frühesten Jugend soviel Beweglichkeit, Kühnheit, Unternehmungsgeist, einen so himmelstürmenden Mut bewiesen wie Paul Fort. Mit 18 Jahren gründete er, ohne Mittel, ohne Unterstützung, ausgerüstet nur mit Temperament, Begeisterung und Entschlossenheit, das Théâtre d'Art, in dem er Maeterlinck, Verlaine, Morice, Jules Bois und sogar Mallarmé zur Aufführung brachte. Das denkwürdige Unternehmen hat in der Literatur- und Theatergeschichte seinen Platz gefunden, obwohl der Bühne ein dauernder Erfolg nicht beschieden war. Aber das focht Paul Fort nicht an; denn er wollte sich durch diese Gründung nicht eine Situation schaffen, sondern einen jugendlichen Künstlertraum wirklich machen. Dichter kümmern sich nicht um Erfolge und Nachwirkungen ihrer Phantasiespiele. So blieb der Mensch Paul Fort von dem äußerlichen Auf und Ab seines Lebens unberührt. Wie ein Kind sprudelte er neue Träume hervor und sah melancholisch oder heiter zu, wie auch sie im Tageslicht zersprangen. Paul Fort ist kein Dichter, der sich sucht. Er ist die Natur selbst, konzentriert in einem einzigen Wesen. Er ist überschäumend und unversiegbar wie die Natur. Er ist ohne Grenzen. Er stöbert in Frankreichs Geschichte Motive auf, reflektiert Luft- und Lichtfeerien der Großstadt und versenkt sich in den verschlafenen Zauber winklicher Dörfer, malt stille, satte Landschaftsbilder, seufzt in Liebesleid und überschüttet den Leser ein anderes Mal mit seinem bizarren Humor.

C'est à Bullier que je scintille, moi, Grand-Maître des Sentiments. J'y mène mon chapeau Rembrandt, et ma cravate en foulard noir où l'effigie d'un César brille, faisant bien ressortir la soie, et ma redingote, à l'instar d'un Berlioz ou d'un Delacroix, d'un Hamlet de dix huit cent trente menant sa peine à la Courtille et mon amertume indolente à chercher Manon qui me fuit, car mon ombre sur l'escalier, quand je descends, noir, dans Bullier, traîne à mes pas comme le suit, le manteau de Mounet-Sully!

Er ist ganz ohne Reflexion, ohne Ethik, gedankenlos wie ein Spiegel, der einen Lichtstrahl auffängt, bricht und zurückwirft oder den ein Windhauch trübt. Seine Gedichte sind wie vorüberziehende Düfte, die das Konkrete nur ahnen lassen. Er malt keine Frauen, sondern nur den Hauch ihrer Seele, ihre Schatten. Er ist leise und zart wie Gesichte im Schlaf. Wo seine Bilder sich in Unklarheit verlieren, verlieren sie sich im Traumdunkel. Er meißelt kein Schicksal, er schreit nicht im Schmerz. Er ist ganz einfach. Fast fürchtet er durch die Worte die Stimmung zu trüben. Er will die Welt am farbigen Abglanz erkennen und durch leise Melodien ihn wieder wecken. Paul Fort will, daß der Vers die natürlichen Elisionen der Sprache beachtet, d. h. er bemüht sich, die Behandlung der stummen Silben zu reformieren. Im allgemeinen zählt Paul Fort das stumme e im Versmaß nicht. Aber die unregelmäßige Bewertung der stummen Laute zwingt den Leser zuweilen eine Sekunde anzuhalten, um die vom Dichter gewollte Skandierung zu finden. Dieses Neuartige in seinen polymorphen Versen, die er in der Form der Prosa setzt, ist Sache der Gewöhnung. Hat man sie gewonnen, erschließt sich leicht und unmittelbar der Reichtum seiner Rhythmen.

Trotz der Bedeutung Paul Forts als Lyriker und obwohl er, das Haupt eines großen Kreises, seit Jahren den lyrischen Blättern »Vers et Prose« den Charakter gibt und an allen Tafelrunden französischer Dichter ein unentbehrlicher Gast ist, hat er keine direkten Schüler und Nachfolger gefunden. Ist seine Kunst selbst unnachahmlich, so hat er der Jugend vielfältige Anregungen gegeben, ihr eine Tribüne geschaffen, die über Frankreichs Grenzen hinaus Bedeutung gewonnen hat. »Vers et Prose« war Jahre hindurch das maßgebende Blatt, die führende Zeitschrift.

Die Gruppenteilung der französischen Künstler, sowie der Ehrgeiz Einzelner und das Organisationstalent Berufener bringen es mit sich, daß fortgesetzt neue Zenakel sich bilden. Und jeder dieser Kreise will seine Existenzberechtigung und Lebensfähigkeit durch eine Zeitschrift erweisen. So treten fortgesetzt Gründungen an den Tag, die zuweilen sich nur zwölf Monate am Licht erhalten um dann wieder zu verschwinden. Diese kleinen Revuen in oft ärmlichem Gewande verdienen alle Beachtung. Unter kindlichen Versuchen und Gespreiztheiten enthält fast jede Beiträge von Dichtern, die etwas zu sagen haben. Aus den vielen Experimenten dieser Art haben sich in den letzten Jahren vornehmlich die von Jean Royère glänzend geführte »La Phalange«, über der Francis Vielé-Griffin als Schutzherr schwebt, und die von André Gide, Jacques Copeau und Jean Schlumberger geleitete »La nouvelle revue française« zu großzügigen und maßgebenden Zeitschriften entwickelt. Neben diesen beiden Monatsblättern haben der von Jean Clary und Emile Cottinet redigierte »Pan«, die von Léon Deubel, Louis Mandin und Michel Puy geführte »Ile sonnante«, und »Les Marges« (Herausgeber: Eugène Montfort, Mitarbeiter: Apollinaire, Spire, Klingsohr) sich einen beachtenswerten Platz errungen. »Le Beffroi« und »Le Feu« sind die bedeutendsten Revuen, in denen sich die Bewegung der Provinz spiegelt. Der »Mercure de France«, der einst das Blatt der Jüngsten war, steht heute abwartend hinter den lyrischen Wettkämpfen, die sich in jüngeren Blättern entrollen. Wer heute in seine Spalten aufgenommen werden will, muß schon eine gewisse Reife und Abgeschlossenheit erweisen. Die Sanktion durch den Mercure bedeutet die Vorstufe zum Ruhm, zum Erfolg, den Weg ins Publikum. Und kein Dichter kann sich einen besseren Deuter und Vorkämpfer wünschen als den Kritiker des Mercure für Lyrik, Pierre Quillard.

Unter denen, die dieses besondere Glück erreicht haben, und denen, die auf dem Wege sind, eine breitere Anerkennung zu finden, ist in diesem Buche eine Auswahl getroffen, die ein Bild der Bewegung unter den Werdenden gibt. Neigungen zum Liedhaften zeigen Gabriel Mourey, der in seinem neuesten Buche: Le Miroir, Verhaeren mit starkem Talent vielversprechend nacheifert, George Périn, John Antoine Nau und Tristan Klingsohr. Für bildhafte Stimmungen erweisen Alexandre Mercereau und Henri Vandeputte eine reiche und schöne Begabung. Gegenüber den Romantikern findet man auch bei ihnen eine Verfeinerung der Sprache und eine Vertiefung des Gefühls. Während Mourey in »Les reflets de la lune« visionäre Kraft beweist und in seinem Gedicht »Les vieux toits« sowie vielen Anderen mit dem Liedhaften malerische Kraft verbindet, ist Mercereaus Stärke, durch vokale Gleichklänge Stimmung hervorzurufen. Henri Guilbeaux's Poesie hat sich bis jetzt hauptsächlich an Berlin begeistert. Ein tiefes, soziales Bewußtsein, das sich in verheißungsvoller poetischer Form ausspricht, erfreut in Philéas Lebesque, dessen Kunst mit seiner Liebe zum Vaterland und zu seinen Ahnen eng verbunden ist. Cécile Périn steht uns Germanen durch ihr tiefes und verantwortungsvolles Muttergefühl besonders nahe. Unter den übrigen dichtenden Frauen zeichnet sich Lucie Delarue-Mardrus durch Kühnheit und Offenheit des Empfindens und der Sprache aus und Elsa Koeberle durch die Schönheit ihrer südlichen Landschaftsbilder. Jeder dieser jungen Dichter versucht auf seine Weise aus den Klängen der führenden Meister seinen eigenen Ton herauszubilden. In den Einzelnen wirken die großen, früher gezeichneten Strömungen verschieden fort.

Aus dem Kreise der Nachfolger Mallarmés hebt sich Léon Deubels Dichterpersönlichkeit durch Größe der Anschauung, durch strenge, musikalisch vertiefte Methode und konzentrierte Selbstkontrolle bedeutend heraus. Die rein zentralen assoziativen Vorgänge der Synästhesie gewinnen in seinen Dichtungen sichtbare Form, indem er den farbigen Eindruck der Vokale und Konsonanten, die chromatischen und geometrischen Synopsien, deren Spur Fechner zuerst aufdeckte, wiedergibt. Deubel dichtet zum Beispiel: »J'ouvris les yeux sur la clameur de la lumière«, weil er während des Gesichtseindrucks durch das Licht eine Mitschwingung der Hörnerven empfindet. Indem er dichtet: »Un angélus se profilait sur le silence«, überträgt er einen Höreindruck in eine plastische Formempfindung. Ihm besonders eigentümlich sind die synthetischen Bilder, die sich durch einen Vernunftschluß ergeben und die aus den jeweiligen Umständen abzuleitenden Bilder, die in einer Gedankenfalte enthalten sind, wie in Le Glas:

Et la nuit jusqu'au ciel élève son église
Où le silence est dit pour le repos des morts,

in dem das Bild einer Messe mittelbar suggeriert, aber nicht ausgesprochen wird. Besonders charakteristisch für ihn sind auch die Verbindungen, welche das Bild verlängern, wie in »Le rire de Viviane«:

Et son rire semble une danse
de vierges au soleil levant.

Um die Entstehung eines solchen Bildes zu begreifen, müssen wir die Eindrücke nachprüfen, die das Lachen eines schönen Wesens in ihm erweckt hat, dann werden wir die Psychologie seiner Synästhesie verstehen und begreifen, daß Deubels Dichtung aus instinktivem Empfinden herauswächst und nicht, wie es nach diesen Erörterungen scheinen möchte, verstandesmäßig ausgeklügelt ist:

 

I. II. III.
Gehörseindruck Gesichtseindruck Gesichtseindruck
| | |
schwingende,
musikalische Töne
Die Weiße der
sichtbaren Zähne
Die frische Röte der
sich öffnenden Lippen
| | |
Tanz Jungfrauen Morgenrot und Sonnenaufgang

 

In ähnlicher Richtung strebt Marcel Raybaud vorwärts. Neben diesen eröffneten die Naturalisten Saint-Georges de Bouhélier, Maurice Magre, Paul Souchon u. a. den Kampf gegen die Symbolisten und ihre Nachfolger, während andere wie Guy Lavaud, Roger Allard, Jean Clary, Léon Bocquet, Pierre Custot, Paul Castiaux, Louis Le Cardonnel, Francis de Miomandre, Maurice de Noisay und Berthe Reynold aus verschiedenen Brunnen schöpften und zwischen den größeren Gruppen nach persönlichem Ausdruck suchen. Manche aus diesen Reihen fanden in der Philosophie Han Ryners willkommene Aufklärungen, andere wieder ließen sich durch Henri Bergson lenken und fühlten sich durch ihn zur Klarheit durch. Die Ideenarchitektur großer Denker hat zu allen Zeiten die schaffende Jugend heilsam beeinflußt, indem sie ein erwachendes Kunstwollen und Empfinden in ein System einorganisierte. Ist es gut, wenn ein sich suchender Künstler einer Methode sich unterordnet, so kann eine ausgedehnte, kritische oder theoretisch-dialektische Betätigung sein lyrisches Schaffen beeinträchtigen, indem die cerebralen Elemente seines Wesens über die sentimentalen ein bedrohliches Übergewicht erlangen. Diese Gefahr empfand René Arcos, als er auf einen Angriff gegen ihn erwiderte: »Ich habe keine Theorie, ich schaue, empfinde und dichte;« und er fuhr fort: »C'est dans l'exaltation de la connaissance que nous nous sentons ivres créer et de modeler à notre tour la matière selon notre besoin d'exprimer, notre besoin de formuler rhythmiquement l'aveu de notre »moi«. L'art est un commentaire passionné de la vie, recueilli dans une forme. L'œuvre d'art est l'être formel né d'une idée. Elle est l'aspect sensible d'une idée et si elle est vraiment grande, elle sera une idée générale visible de toutes les idées particulières. L'artiste est un créateur d'idées sensiblement vivantes.« Aus einem starken, männlichen Empfinden, das sich als Glied des Universums empfindet, quellen seine reichen und weiten Strophen, die in sicheren, kräftigen Bildern an uns vorüberziehn.

Wir beenden diese Betrachtung mit einer Gruppe, deren Gemeinsames ein klarer, starker und sich selbst bewußter Wille ist, den die innere Berufung weckt, deren individuelle Betrachtungsweise und persönliche Rhythmik sich schon jetzt scharf und deutlich ausprägen und zu neuen Ufern locken. Könnte man sagen, daß diese fünf unter den Werdenden unter der stillen Patronatschaft Verhaerens und Whitmans aufwachsen, so hieße das nur, daß sie sich die ehernsten Gestalten als Meister gewählt hätten, gebe aber noch nicht den Weg an, sie aus dem Kernpunkt ihres Wesens herauszuverstehen und zu genießen. Um diesem Poetenkreis gerecht zu werden, muß die direkte Einwirkung des Philosophen Henri Bergson auf die moderne Kunst gestreift werden. Mit Bergsons intuitiver Methode haben bereits einige Kritiker rückschließend Rodins, Cézannes und Verhaerens Schöpfungen zu erklären versucht. Wie viel mehr müssen wir von ihm ausgehen bei der Deutung von Dichtwerken einer Generation, der er teils direkt teils indirekt Lehrer war. Nicht nur die moderne, dem inneren Gefühl abgelauschte Metrik der jüngsten Dichter basiert auf Bergsonschen Anregungen, sondern vor allem auch viele Züge der neueren Ästhetik. Die Erkenntnislyrik der Romains, Franck, Spire und Duhamel aber bedingt als Voraussetzung die Bergsonsche Philosophie. Gibt es zwischen einem Helden Corneilles und der Descartesschen Philosophie wahlverwandte Beziehungen, die Berufene verschiedentlich aufgedeckt haben, so ist auch ein Zusammenhang zwischen den »Données immédiates de la Conscience« und »La vie unanime« naheliegend. Er wird überzeugend, wenn wir hören, was Romains selbst in einem Vortrage im Jahre 1909 über die Poésie immédiate aussprach:

Le poète, le musicien, le Dieu saisit les choses, du dedans, par une connaissance immédiate, qui est conscience, et qui a la valeur d'un absolu. Le poète, le musicien, le Dieu, au lieu de mesurer la surface et le poids des choses comme le savant, d'en associer les couleurs et les lignes comme le décorateur et la bouquetière les possède, sans conventions ni caprice, comme un homme possède sa haine ou son espoir … La découverte des profondeurs spirituelles, de ce qui passe notre âme quotidienne en dimensions, exige une dépense d'énergie continue et pénible. Nous trouvons plus aisé de répéter les descouvertes de jadis; et nous prenons, des choses, une conscience invétérée.« Bauen sich diese Ideen nicht ganz auf Bergsons Grundanschauungen auf? In der Einführung in die Metaphysik (deutsche Ausgabe bei Eugen Diederichs) heißt es: »Die erste (Weise einen Gegenstand zu erkennen) setzt voraus, daß man um diesen Gegenstand herumgeht, die zweite, daß man in ihn eindringt. Die erste hängt von dem Standpunkt ab, auf den man sich begibt, und von den Symbolen, durch die man sich ausdrückt. Die zweite geht von keinem »Gesichtspunkt« aus und stützt sich auf kein Symbol. Von der ersten Erkenntnis wird man sagen, daß sie beim Relativen halt macht, von der zweiten – da, wo sie möglich ist, – daß sie das Absolute erreicht … Relativ ist die symbolische Erkenntnis, welche vom Festen zum sich Bewegenden geht, aber keineswegs die intuitive Erkenntnis, die sich in das sich Bewegende hineinversetzt und das Leben der Dinge selbst sich zu eigen macht. Diese Intuition erreicht das Absolute.«

Die Beschreibung des Lebendigen durch feststehende Begriffe und symbolische Clichés ist uns aus allen Zeiten in unzähligen Variationen geläufig, die aber jedes Mal nur das Äußere der Dinge in einer bestimmten Beleuchtung zeigen, jedoch nicht das Leben der Dinge selbst nachschaffen. Das aber will Romains. Das menschliche Erkennen ist ihm weder Schöpfer noch Reflektator der Welt, sondern die Welt ist außer ihm und ihm nur durch seine Intuition zugänglich. Es wird begreiflich scheinen, daß dieses Einfühlen in eine Welt, deren Wesen Bewegung ist, denen, die er auf seinen poetischen Fahrten mit sich zu führen sucht, im ersten Augenblick Schwindel verursacht, weil diese Verlebendigung aller Dinge etwas Schreckhaftes hat. Der Sprung in diese Intuition hinein setzt für den Dichter eine große Kraft der Phantasie voraus. Dann aber ist die einfachste, mathematische Logik Bedingung, damit er sich nicht ins Absurde verliert. Diese Gefahr umgeht Romains, indem er mit sophistischer Dialektik und geometrischer Klarheit das Leben des Einen und Vielen nachschafft. Aber er umgeht auch die andere Gefahr, welche in dieser scholastischen Methode liegt, die der Trockenheit, indem er jede Beziehung der Dinge, die er findet und aufdeckt, mit Bildern umkleidet, mit Metaphern, die sich Eine aus der Andern natürlich entwickeln, ihre eigene Schönheit haben und sich gleichzeitig dem Gesamtleben des Gedichtes einordnen. Dieser Schaffensprozeß steht den Romantikern, Parnassiern und Symbolisten, die alle Beziehungen in wenigen Worten erschöpfen wollten, diametral gegenüber. So bringt also seine Kunst etwas wahrhaft Neues. Außer seinem Hineintasten in das Anorganische, durch das er Treppen, Fenster, Laternen, Straßen usw. belebt, werden ihm die menschlichen Gemeinschaften, vom Paar zur Familie, zur Gruppe und Stadt bis zum Menschenkomplex der Großstadt, zu abstrakten, zwingenden oder bedrückenden Mächten, zu »den Göttern«, zu denen er betet. Eine ihm eigentümliche und das Verständnis seiner Kunst erschwerende Empfindungsweise ist es, daß ihm Konkretes und Abstraktes, Individuelles und Allgemeines so nah beieinander liegen, im Grunde so sehr eins sind, daß er sie in einem einzigen Gedicht, ja in einem einzelnen Vers beständig mischt. Er betet zu dem Paar, indem er sich doch selbst als Teil dieses Paares fühlt und anspricht. Er sagt »Du« und nennt den eben bei ihm weilenden Menschen und gleich darauf mit einem zweiten Du das mystische Individuum, das ihm das Paar durch eben seinen Zusammenschluß zweier Menschen geworden ist. Er betet zur Familie, zur Gruppe und zu dem größten Gott, der alles in sich vereint.

Sein polytheistisches Empfinden hat sich auch eine neue Sprache und eine eigene Metrik geschaffen. Er wählt immer die einfachsten Worte, die nur durch ihre Stellung Wert gewinnen. Alles Phantastisch-Unlogische ist ihm fremd. Er reimt selten, wendet aber zuweilen die Assonanz an.

Wahlverwandt mit diesem Dichter erscheint Henri Franck, der aber nicht die Dinge zu Göttern macht, sondern sich in sie hineinprojiziert. Er fühlt die Welt wie ein Großes, Fremdartiges und steht schaudernd vor der Gewalt der Naturkräfte. Romains, Franck, Varlet und Spire inspirieren sich an Dingen, Ereignissen und Beziehungen, die vor ihnen noch Niemand poetisch behandelt hat. In gewissem Sinne können sie als Dichter der Weltstadt gelten. Romains' »Un être en marche« und »Deux poèmes« sind im Tumult der Großstadt geschaffen; Théodore Varlet verzaubert z. B. die dahin schnellende Kraft des Automobils in ein modernes Fabelwesen, Henri Franck sinnt im Straßenlärm der Metropole dem Vergessen der stillen Heimat nach, und André Spire erkennt im Jagen und Toben der grausamen Stadt, die alle Gefühle und Kräfte zu ruhmsüchtigem Spiel entfesselt, die ungebundenste Freiheit. Spire wird andrerseits durch die Leiden und Schmerzen der Menschheit bewegt. Mit warmem Mitleid oder bitterer Klage schildert er sie und will, indem er das tragische Elend verfolgter Juden malt, auch im Leser mitfühlende Stimmungen wachrufen. Es ist Bewegung und Kraft in seinen Gedichten, und die schwebende oder drohend klagende Musik seiner Rhythmen, die zuweilen an die metrischen Elemente des Alexandriners erinnern, entspricht immer dem Inhalt, so daß sie ihn verstärkt zur Wirkung bringt. Viele seiner Verse sind wundervoll abgewogen und zeichnen sich durch eine straffe Spannung der Töne aus, wie in »Au Musée«:

Viens! et dis-moi quel chagrin
Tenait tes doigts crispés entre tes lèvres tristes?

Jules Romains und Georges Duhamel werden noch im Winter 1911, aber nach Abschluß dieses Buches, im Pariser Odéon mit Tragödien in freien Rhythmen der Eine mit »L'Armée dans la ville«, der Andere mit »La Lumière« zu einem größeren Publikum zu sprechen Gelegenheit haben. Es dürfte uns Deutsche besonders erfreuen, wenn diese beiden jungen Dichter, die unserem Empfinden nahestehen, auch mit ihren dramatischen Reformideen Erfolg haben würden.

Das ernste Ethos der herben Männlichkeit Duhamels wird in unserem Lande ein kräftiges Echo finden. Er ist einfach und direkt in seinen Gefühlsäußerungen. Er versucht seine Empfindungen und Kräfte im Kampf des Lebens und fühlt ein Schicksal in sich, das er tragen will, aber durch das er weder Art noch Rasse beugen läßt. Seine Gedichte entstehen aus der naiven Betrachtung des Erdenwanderers und durch die Spiegelung der Welt in seinen Empfindungen; sie sind wie Aufzeichnungen auf den Stationen seines Lebens. Auch ihm ist die Pflege einer persönlich farbigen Sprache und individuellen Metrik wesentlich. Seine Gedanken darüber und seine Ziele hat er zusammen mit seinem Schwager Charles Vildrac in einer kleinen Broschüre dargestellt. In den 60 Aphorismen heißt es klar und bestimmt, wie ein Ausdruck der ganzen, zeitgenössischen Bewegung: »Une poétique repose sur les rapports métriques et phonétiques intérieures«. Die Autoren erklären dann weiter:

Un vers se compose:

1er cas – de la constante rhythmique seule ou redoublée (c'est le cas du vers régulier),

2ème cas – de la constante et d'un élément numériquement variable pour chaque vers, qui donne à celui-ci son individualité étroitement adoptée au sens. Dans les vers suivants, d'Henri de Régnier, la constante est de six. C'est la forme la plus proche de l'Alexandrin, mêlée à l'Alexandrin même:

En allant vers la ville, où l'on chante aux terrasses, sous les arbres en fleurs comme les bosquets de fiancées, en allant vers la ville où le pavé des places vibre au soir rose et bleu d'un silence de danses lassées.

Dans ce vers de Francis Jammes règne une constante de cinq:

Il y a une armoire à peine luisante
Qui a centendu les voix de mes grand'tantes
Qui a centendu la voix de mon grand-père
Qui a centendu la voix de mon père
A ces souvenirs l'armoire est fidèle.
On a tort de croir(e) qu'elle ne sait que se taire.

La situation de la constante rhythmique, hémistiche fixe d'un vers mobile, n'est jamais systématique: elle peut commencer le vers soutenir en son milieu, comme le couteau d'une balance, ou le terminer, le justifier. C'est le cas dans les vers suivants (constante de cinq):

La voix retentit comme un hymne paré d'étoiles
parmi les drapeaux et les miroirs de fête;
des cadences de marteaux géants dans les forges
hantées de chanteurs athlètes
s'allument, frissonnent, sonnent et s'estompent
pour faire place aux chants doux des harpes.

(Gustave Kahn)

Ferner sagt Jules Romains in einem Protest gegen den Reimzwang: »Il y a un rapport de sonorités plus inédit, plus frais, plus approprié aux circonstances métriques« und zitiert als Beispiel zwei seiner eignen Verse:

C'est toi, je n'ai plus la force de rien faire
Je suis à toi comme à la plus âcre gare …
N'es-tu plus que cette rumeur dans mes oreilles,
L'écho naïf qui rode autour de mes paroles.

Charles Vildrac ist der Sänger dieser Gruppe. Von Allen, die aus diesem Zirkel der Werdenden hier genannt wurden, ist er am wenigsten Erkenntnislyriker. Dieser stille, in sich versunkene Träumer scheint immer mehr von der realen Wirklichkeit sich abzukehren. Sein Blick wird durch keine Äußerlichkeiten beunruhigt und abgelenkt; er durchdringt sie und sieht und erkennt, indem er die großen, inneren Züge eines Schicksals nachfühlt, die Tragik. Indem er für das Einzelschicksal ein Symbol erfindet, steigert er sich in ein hohes, mit sich fortreißendes Pathos, das in dem Gedicht »der große, weiße Vogel« seinen gehaltvollsten und sanghaftesten Ausdruck gefunden hat. Seine schöne, tief bebende Seele scheint unter den vielen Berufenen zum Flug in die Höhen jener lyrischen Meisterschaft erwählt zu sein, die über dem Streit der Gegenwart zu allen Geschlechtern gleichmäßig ergreifend und mitreißend spricht.

 

Auswahl der französischen Lyrik übertragen von
Erna Heinemann-Grautoff



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