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3

»Vielleicht scheint die Sonne, wenn du morgen früh aufwachst, und die Vögel singen«, sagte sie mitleidig und strich ihrem kleinen Jungen glättend übers Haar, denn sie sah, daß ihres Mannes ätzende Äußerung, es würde schlechtes Wetter geben, ihm alle Freude genommen hatte. Diese Fahrt zum Leuchtturm war ihm zur Leidenschaft geworden, das sah sie, und nun – als ob es nicht genügte, daß ihr Mann mit seinen ätzenden Worten die Hoffnung auf gutes Wetter zerstört hatte – mußte auch noch dieser abscheuliche kleine Mann kommen und alles noch einmal recht schön breittreten.

»Vielleicht wird's morgen doch schön«, sagte sie und strich ihm glättend übers Haar.

Sie konnte nun nichts weiter tun, als den Kühlschrank bewundern und die Seiten der Preisliste umwenden, in der Hoffnung, daß sie vielleicht so etwas wie einen Rechen oder eine Mähmaschine fand, die mit ihren Zähnen und Stielen die größte Sorgfalt und Geschicklichkeit beim Ausschneiden verlangten. All diese jungen Leute äfften doch, dachte sie, ihren Mann nach; er sagte, es würde regnen; sie sagten, es würde einen regelrechten Wirbelsturm geben.

Hier aber wurde, als sie die Seiten umdrehte, ihr Suchen nach dem Bild eines Rechens oder einer Mähmaschine plötzlich unterbrochen. Da war dies brummende Gemurmel zu ihr gedrungen, in unregelmäßigen Zwischenräumen unterbrochen, wenn sie die Pfeife aus dem Mund nahmen oder in den Mund steckten, aus dem sie (indessen sie am Fenster saß) zu ihrer Beruhigung entnommen hatte, daß die Männer noch immer behaglich am Reden waren, wenn sie auch nicht verstehen konnte, was sie sagten; dieses Geräusch, das eine halbe Stunde gedauert und sich sänftigend in die Skala der andringenden Geräusche eingefügt hatte, wie etwa das Aufprallen der Bälle auf die Schläger und das jähe, scharfe, bellende »Ha, da! Ha, da!« der Kinder beim Kricketspiel, war verstummt; so daß der eintönige Wellenschlag am Strand, der sonst meist einen gemessenen, beschwichtigenden Takt zu ihren Gedanken schlug und, wenn sie bei den Kindern saß, ständig die Worte eines alten Wiegenliedes zu wiederholen schien, das die Natur tröstend murmelte: »Ich beschütze dich – ich bin deine Zuflucht«, manchmal jedoch plötzlich und unerwartet, besonders dann, wenn ihre Gedanken sich etwas von dem lösten, womit sie gerade beschäftigt war, nicht solch freundliche Bedeutung hatte, sondern gleichsam als gespenstisches Trommelrollen unbarmherzig den Takt des Lebens schlug, einen über die Zerstörung der Insel und ihr Versinken im Meer nachdenken ließ und sie, deren Tag in lauter hastigen Verrichtungen verging, daran gemahnte, daß alles vergänglich sei wie ein Regenbogen – so daß dieses Geräusch, das von anderen Geräuschen verdeckt und überlagert worden war, ihr plötzlich donnernd in den Ohren dröhnte und sie jäh auffahren ließ.

Sie hatten draußen aufgehört zu reden; das war die Erklärung. In einer Sekunde fiel sie aus der Spannung, die sie gepackt hatte, in die entgegengesetzte Stimmung, die, als sollte sie für ihren unnötigen Gefühlsaufwand entschädigt werden, kühl, belustigt, ja sogar ein wenig schadenfroh war: der arme Charles Tansley mußte abgestochen worden sein. Ihr galt das wenig. Wenn ihr Mann Opfer verlangte (und das tat er), so warf sie ihm mit Freuden Charles Tansley hin, der ihren kleinen Jungen so schlecht behandelt hatte.

Einen Augenblick noch lauschte sie mit erhobenem Kopf, als wartete sie auf ein vertrautes Geräusch, ein gewohntes und regelmäßiges Geräusch; als sie dann hörte, daß im Garten, wo ihr Mann auf der Terrasse auf und ab lief, so etwas wie rhythmischer Sprechgesang begann, etwas, was die Mitte hielt zwischen Krächzen und Singen, war sie wieder einmal beruhigt, denn nun wußte sie, daß alles in Ordnung war, blickte auf das Buch in ihrem Schoß und fand das Bild eines Taschenmessers mit sechs Klingen, das James nur ausschneiden konnte, wenn er sehr achtgab.

Plötzlich drang ein lauter Schrei, wie von einem halb erweckten Schlafwandler, etwas von

bestürmt von der Kugeln und Bomben Wut …

mit äußerster Lautstärke gesungen, ihr ins Ohr, so daß sie sich besorgt umsah, ob es jemand hörte. Nur Lily Briscoe, stellte sie zu ihrer Freude fest; und das machte nichts. Aber beim Anblick des Mädchens, das malend am Rande des Rasenplatzes stand, fiel ihr ein: sie sollte den Kopf möglichst in der gleichen Haltung lassen für Lilys Bild. Lilys Bild! Mrs. Ramsay lächelte. Lily Briscoe mit ihren kleinen Chinesenaugen und ihrem faltigen Gesicht würde niemals heiraten; man konnte ihre Malerei nicht sehr ernst nehmen; aber sie war ein selbständiges kleines Geschöpf, Mrs. Ramsay hatte sie deshalb gern, und so beugte sie, ihres Versprechens eingedenk, den Kopf.


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