Ernst v. Wolzogen
Der Kraft-Mayr
Ernst v. Wolzogen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel.

Ein bedenkliches Abenteuer.

Für Liebende, die zum erstenmal allein sind, ist eine Stunde eine erbärmlich kurze Zeit. Sie wollten es erst gar nicht glauben, als der Schaffner ihre Thür öffnete und mit freundlicher Betonung sie darauf aufmerksam machte, daß sie bereits in Jena seien. Thekla wurde dunkelrot unter dem listig lächelnden Blick des höflichen Beamten, der nicht einmal dulden wollte, daß ihr Begleiter, der feine Herr im Frack, sich mit ihrem Köfferchen beschwerte. Sie band sich umständlich ihren schwarzen Schleier wieder fest und stieg dann hinter Florian leichtfüßig auf den Bahnsteig hinunter. Es war bereits gegen neun Uhr und ziemlich dunkel; zudem waren sie sich beide nicht bewußt, auch nur eine Menschenseele in Jena zu kennen, und schritten daher ganz ungeniert Arm in Arm miteinander dem Ausgang zu. Florian hielt es nicht einmal für der Mühe wert, seinen leichten Paletot zuzuknöpfen, obwohl ein Reisender im Gesellschaftsanzug mit einem Köfferchen in der Hand doch sicher die Blicke der Kleinstädter auf sich lenken mußte.

Auf dem Platze vor dem Bahnhof bemühten sich die Angestellten der verschiedenen Gasthäuser eifrig um das ungewöhnliche Paar. Florian war eben im Begriff, sich für den altberühmten »Schwarzen Bären« zu entscheiden, in welchem einst der Doktor Luther mit Schwert und Psalter am Wirtstisch angetroffen ward, als er plötzlich mit einer Gebärde des Schreckens und einem leisen »Donnerwetter!« linksum machte, dem Hausknecht des »Bären« das Köfferchen wieder entriß und, die erstaunte Thekla mit sich fortziehend, im Geschwindschritt die Straße nach der Stadt zu verfolgen begann.

»Mein Gott, was ist denn?« fragte Thekla, ängstlich neben ihm hertrabend.

Aber er antwortete erst, nachdem sie etwa hundert Schritt vom Bahnhof entfernt waren, und er sich, vorsichtig umschauend, vergewissert hatte, daß sie nicht verfolgt würden. »Denk' dir bloß, da waren vier Weimaraner auf dem Bahnhof – die müssen mit uns im Zuge gesessen sein: zwei Lisztianer und die beiden Buben von dem spleenigen Engländer, der mit mir im selben Hause wohnt. Jetzt möcht' ich nur wissen, was die in aller Nacht noch in Jena zu suchen haben – und besonders die englischen Buben, die nie ohne ihren Vater ausgehen dürfen! Die sind am Ende auch durchgebrannt. Herrgottsakra, wenn die mich erkannt haben!«

»Ach, sie werden schon nicht!« rief Thekla leichtsinnig – »es ist ja schon ganz finster. Dir hat ja auch niemand etwas zu sagen, du kannst ja thun, was du willst!«

»Ja, ich darf aber dich doch nicht kompromittieren,« erwiderte Florian, immer noch bedenklich. »Es muß doch so aussehen, als ob du allein davongegangen wärst, denn sonst kommst du deinen Eltern und überhaupt aller Welt gegenüber in eine ganz schiefe Lage!«

Tapfer, wie alle verliebten Frauen im ersten Ansturm, lachte Thekla: »Ach was, mir ist jetzt alles egal! Ich bin ja so glücklich, daß ich dich bei mir habe! Wenn du heute nicht gekommen wärst – ich glaube, ich hätte doch nicht den Mut gefunden, abzureisen. Ich hätte bei meinem gepackten Koffer gesessen und geheult, bis die Eltern heimgekommen wären. Na, und dann –? Schließlich hätte ich in der Verzweiflung vielleicht doch noch den gräßlichen Menschen geheiratet.«

»So, trotz deiner Liebe zu mir? Na, ich dank' schön!« neckte Florian.

»Ach, sieh 'mal du,« erklärte Thekla mit drolligem Ernst, indem sie sich noch fester an seinen Arm hängte, »das wußte ich doch gar nicht, daß ich dich liebte. Ich fühlte schon lange was, aber ich hätte mich nie getraut, mir das einzugestehen. Du warst doch für mich immer der strenge Herr Mayr, mein verehrter Herr Lehrer. Und nachher, wie du dich meiner so freundlich annahmst und alle die gräßlichen Klaviermenschen durchzuprügeln versprachst, da kriegte ich so ein riesiges Vertrauen zu dir; aber das war doch eigentlich bloß Dankbarkeit und noch keine richtige Liebe!«

»Ja freilich wohl!« versetzte Florian heiter. »Wie ist denn nachher die richtige Liebe so geschwind gekommen?«

»Ach du! Frag' doch nicht so!« schmollte sie, sich zärtlich an ihn schmiegend. »Ich hätte nie geglaubt, daß du dir aus mir wirklich was machst, wenn du nicht heut' abend so furchtbar lieb und nett zu mir gewesen wärst.«

»So, so, so? Eigentlich ist d'Lieb' erst beim Busseln kommen, gelt, Schatzl? Weißt, ich hätt' mir ja so was auch nimmer 'traut, wenn ich net heut früh vom Herrn Konsul selber gehört hätt', daß d' gar net seine richtige Tochter bist. Schau, ich bin halt doch ganz einfacher Leute Kind, und daß ich gar nichts Feines an mir hab', das weiß ich schon lang. Mit einer Tochter aus einem so feinen und reichen Hause zum Poussieren anzufangen – nein, das wär' mir nie in Sinn kommen! Die vornehmen Damen kann ich überhaupts net recht leiden. Solang ich dir hab' Klavierstunden geben müssen, bist für mich so nix anders g'wesen, als ein dummes Gansl ohne Talent, bloß daß du so hübsch und kindlich warst, das hast d' vor den andern vorausgehabt. Wie's d' mir nachher trotz der Schläg' so lieb geschrieben hast, da hat bei mir 's Gernhaben schon a bißl ang'fangen; aber da bin ich fort von Berlin und zum Liszt und . . . wie halt des so kommt: ich hab' dann an so viel andre Sachen zu denken gehabt . . . Aber weißt d', wie ich dich vorgestern auf dem Bahnhof so unvermutet wieder g'sehn hab', da hat's mich förmlich g'stupst gegen 's Herz, als ob eine höhere Macht mich so recht aufmerksam machen wollt' – weißt d', als ob s' sagen wollt': Da schau her, die ist doch die Sauberste, die Bravste und die Liebste von allen. Die, wenn's d' für dich festhalten könntst – des wär' aber ein rechtes Glück für dich! – Und in den ganzen zwei Tagen bist d' mir gar nimmer aus 'm Sinn kommen!«

»Wirklich, so lange?« spottete Thekla lustig.

Er stimmte in ihre Heiterkeit ein und dann fing er wieder an zu necken: »Wenn ich jetzt ganz gewiß wüßt', daß die Thekla nicht am Ende doch noch den Pan Prositlaus heiratet', so thät' ich mir wahrhaftig was einbilden!«

»Pfui, du bist recht garstig!« schalt sie. »Kannst du wirklich jetzt noch so was von mir denken?«

»Du thät'st am Ende gar mich heiraten?« sagte Florian harmlos.

»Ja wen denn sonst?« rief sie fast gekränkt. »Willst du mich etwa sitzen lassen? Zu Burmesters geh' ich doch nie mehr zurück, und wenn du mich allein in die Welt gehen läßt, weiß ich doch nicht, was ich anfangen soll – da ist es schon am besten, wir heiraten gleich!«

»Bist du aber raffiniert!« rief Florian herzlich lachend. Als sie aber ihren Gedanken weiter ausspann und mit kindlichem Ungestüm seine sofortige Entscheidung verlangte, da wurde er doch bedenklich und machte sie zunächst einmal darauf aufmerksam, daß zum Heiraten Geld nötig sei.

»Aber deswegen!« rief Thekla, »Papa und Mama haben doch so viel Geld!«

»Ja, aber – wenn du mit einem Menschen davonlaufst, von dem sie nichts wissen mögen, dann werden sie dir auch kein Geld geben. Wenn sie nicht mögen, brauchen sie dir überhaupt keinen Pfennig zu geben, denn da du nicht ihr Kind bist, haben sie auch keine Pflichten gegen dich. Aber selbst, g'setzt den Fall, sie legten dir eine Million auf den Tisch – meinst, ich thät' sie nehmen, wenn ich nicht zum mindesten so viel verdienet, daß ich für meine Person mein Auskommen davon hätt'?«

»Eine Million! So viel krieg' ich ja gar nicht!« rief Thekla; »Papa hat mir's ja gesagt, ich krieg' zweimalhunderttausend Mark, wenn ich heirate; mehr nicht.«

»Mehr nicht?« Florian blieb stehen – es war gerade unter einer Gaslaterne – und betrachtete mit scheuer Bewunderung das kleine Mädchen, das zweimalhunderttausend Mark gleich mitkriegte. So etwas hatte er in solcher Nähe noch nicht gesehen.

Thekla hatte seinen Ausruf wohl nicht verstanden, denn sie erwiderte, fast ängstlich entschuldigend. »Ach, später krieg' ich ja gewiß viel mehr! Papa hat ja niemand recht, dem er sein vieles Geld vermachen könnte. Aber vorläufig, denke ich, kann man doch ganz gut damit auskommen. Du kannst ja auch Klavierstunden geben, und ich mache gar keine Ansprüche; ich esse überhaupt die billigsten Sachen am liebsten.«

Nun mußte Florian doch wieder lachen. »Du, ich hab' einen furchtbaren Hunger – seit heut mittag um Eins hab' ich nix g'essen – was machen wir aber jetzt? Wenn wir in irgend ein Wirtshaus gehen, laufen wir am End' grad den Kerlen aus Weimar in die Arme. Ich glaub', das G'scheitste ist, wir gehn ins Hotel und lassen uns auf dem Zimmer servieren!«

Sie fragten sich nach dem »Schwarzen Bären« durch. Der Oberkellner wie der Portier betrachteten die beiden mit kaum verhehltem Mißtrauen, trotzdem Florian jetzt seinen Paletot bis oben herauf zugeknöpft hatte. Aber das winzige Köfferchen als ganzes Gepäck für einen langen Herrn im Cylinder und ein sehr junges Fräulein im Reiseanzug – das war doch zu verdächtig! Wo kam denn das Pärchen auch zu Fuß her? Und noch etwas war verdächtig: Florian trug nämlich keine Handschuhe, und so konnte der Oberkellner leicht die Abwesenheit eines Eheringes bei ihm feststellen. Er murmelte eine Entschuldigung und holte den Wirt.

Florian entging natürlich das seltsame Benehmen des Oberkellners nicht. Dem Wirt gegenüber versuchte er eine möglichst zuversichtliche Haltung anzunehmen und fragte zunächst, ob vielleicht Herrschaften aus Weimar bei ihm abgestiegen seien.

»Aus Weimar?« versetzte der Wirt mit einem prüfenden Blick – »jawohl, ein älterer Herr mit einer jungen Frau. Wie sollen sie denn heißen? Ich kann gleich nachsehen . . .«

»Das ist nicht nötig: Der ältere Herr mit der jungen Frau geht uns nix an!« sagte Florian gleichgültig. »Geben Sie uns zwei schöne Zimmer im ersten Stock, wenn Sie haben!«

Sei es nun, daß der Wirt vorurteilsloser war als der Oberkellner, oder daß er sich den Verdienst nicht entgehen lassen wollte – kurz und gut, er verbeugte sich achtungsvollst und befahl dem Kellner, die Herrschaften auf die Zimmer neben dem Ehepaar aus Weimar zu führen.

Oben angekommen, zündete der Oberkellner die Kerzen an und fragte, ob die Herrschaften noch zum Speisen herunterkommen würden. Florian verneinte und erklärte, auf dem Zimmer soupieren zu wollen. Er bestellte eine Lampe und die Speisekarte.

»Sehr wohl, mein Herr,« sagte der Oberkellner; »die Herrschaften nebenan speisen auch auf dem Zimmer.« Und dabei erlaubte sich dieser Mensch zu lächeln.

Florian entließ ihn mit dem Eindruck, daß das anzügliche Lächeln eine besondere Eigentümlichkeit thüringischer Oberkellner sei. Aber es war ihm nicht behaglich zu Mute, und er brachte es nicht einmal fertig, sein reizendes Liebchen, wie es Hut, Staubmantel und Handschuhe abgelegt hatte und nun ganz strahlend glücklich vor ihn hintrat, in seine Arme zu schließen und tüchtig abzuküssen, wie es doch offenbar begehrte. Er drückte Thekla nur rasch die ausgestreckten Hände, und dann trat er ans offene Fenster und schaute nachdenklich auf den Schloßplatz hinaus.

Bürger saßen schwatzend vor ihren Hausthüren, junge Mädchen lustwandelten, zu zweien und dreien untergefaßt, über den Platz und neckten sich mit den begegnenden Burschen, irgend woher ertönte, angenehm gedämpft, fröhlicher Studentengesang, und am klaren Nachthimmel blinzelten die Sterne, die der aufsteigende Mond schon etwas erbleichen machte. Alles atmete eine friedliche, behaglich heitere Stimmung – aber Florians Seele war unruhevoll. Er war eben trotz seiner dreiundzwanzig Jahre ein besonnener und sittlich reifer Mensch. Es war ihm plötzlich zum Bewußtsein gekommen, welch eine verteufelt ernsthafte moralische Verantwortung er mit dieser allerliebsten Durchbrennerei auf sich genommen hatte. Die kurze Lehrzeit in Weimar hatte zwar schon genügt, um ihn von dem alten Philistervorurteil zu kurieren, daß die freie Liebe an sich ein sündhaftes Ding sei – er für seine Person hatte sich jetzt nimmer gescheut, mit dankbarem Gemüte die holde Gabe anzunehmen, die ihm das Glück in den Schoß geworfen; aber er sagte sich auch, daß dem armen, gequälten Mädchen seine vertrauensvolle Hingabe nur zum Unheil gereichen könne. Wenn man erfuhr, daß Thekla mit ihm allein gereist und im Hotel über Nacht geblieben sei, so war für alle Welt ihr »Fall« erwiesen, und wenn er mit den heiligsten Eiden das Gegenteil hätte beschwören können. Dann war aber auch ihre schlimme Adoptivmutter in den Augen eben derselben Welt zu jeder Grausamkeit berechtigt. Und wie sollte er, der heimatlose Musikant, sie auf die Dauer davor wirksam schützen? Wenn er darauf bestand, das Kind zu heiraten, so hätte es die Konsulin sicher bei ihrem Gatten durchgesetzt, daß er ihr die Mitgift entzog, und dann waren sie beide sicherem Elend preisgegeben. Mit seiner Künstlerlaufbahn war es dann aus, und er hätte das hilflose Geschöpf in ein Leben hineingerissen, dessen harten Anforderungen es auf keinen Fall gewachsen war. Er war durchaus nicht romantisch einfältig genug, um sich einzubilden, daß die Liebe auch in der trostlosen Ewigkeitsperspektive des Ehestandes über die plumpen Hindernisse einer jämmerlichen Wirklichkeit hinwegzuhelfen vermöchte.

Der Kellner brachte die Lampe und die Speisekarte. Florian bestellte das Beste, was zu haben war, und eine gute Flasche Wein dazu. Bei diesem Abschiedsmahl sollte es doch wenigstens nobel hergehen. Champagner bestellte er absichtlich nicht, denn der gilt für einen gefährlichen Gelegenheitsmacher, und er hatte sich selbst das Wort gegeben, keiner Versuchung nachzugeben.

Als der Kellner hinaus war, wollte er sich wieder auf seinen Platz ans Fenster begeben. Da warf sich ihm Thekla jäh um den Hals und flüsterte mit rührend ängstlichem Ausdruck: »Bist du mir denn nicht mehr gut?«

Das ist die drollige Frage, mit der jedes Mädchen am Anfang seiner Liebe immer gleich bereit ist und die ein verliebter Mann nie anders beantworten kann als durch Küsse und zärtliche Versicherungen. Auch Florian folgte dem altbewährten Brauch. Er setzte gleich wieder ein freundliches Gesicht auf – warum sollte er dem lieben Kinde auch das Herz schwer machen? Die paar Stunden heiteren Beisammenseins wollten sie sich gönnen; dann gab's ja doch wieder einen Abschied auf – ach, wer weiß, wie lange Zeit. Er nahm sie in den Arm und führte sie zum Fenster. Da lehnten sie hinaus und schwatzten zärtlich harmlos, bis das Nachtessen aufgetragen ward.

Sie hatten beide einen gesunden Hunger, und die gute Mahlzeit trug nicht wenig dazu bei, Florians Niedergeschlagenheit zu verscheuchen und Thekla die Zunge zu lösen. Mit einer Lebhaftigkeit, die er gar nicht in ihr gesucht hätte, gab sie ihm eine Schilderung ihres bisherigen Lebens, ihrer Erziehung und ihrer bescheidenen Erfahrungen mit Menschen. Es waren die gewöhnlichen nichtssagenden Erlebnisse einer wohlbehüteten Tochter aus gutem Hause. Aber die Art, wie Thekla davon sprach, enthielt eine unbewußte, höchst treffende Kritik dieses höheren Töchterdaseins im allgemeinen und ihrer Pflegeeltern im besondern und bewies zugleich, daß dies Kind sich bereits recht vernünftige Gedanken gemacht hatte über die Verkehrtheiten und lächerlichen, beschränkten Ansichten, die ihm überall hindernd in den Weg getreten waren. Florian hatte seine innige Freude an dieser Entdeckung, denn er hatte Thekla, wenn er sich 's ehrlich gestehen wollte, bisher für ein wenig dumm gehalten und außerdem für eins von jenen anmutigen, aber für alle ernsten Lebenszwecke gänzlich unbrauchbaren Geschöpfe, wie sie die höhere Gesellschaft als Luxusartikel in so gefährlichem Ueberfluß erzeugt.

Mit wahrem Entzücken hörte er ihr zu; nur als sie zuletzt im Eifer etwas laut wurde, rief er ihr ein beschwichtigendes »Bitt' schön, più piano« zu. »Die Leut' da nebenan brauchen des doch net alles zu hören!«

»Ach was!« wehrte Thekla leichtsinnig ab; »die hören uns nicht; die reden selber laut genug!«

Florian legte die Hand ans Ohr und horchte nach der Thür links. Ja, allerdings; dort wurde laut genug geschwatzt und gelacht, und wer an der Thür hätte horchen wollen, hätte gewiß manches verstehen können. Thekla nahm das Gespräch wieder auf, aber Florian war ganz unaufmerksam und spitzte immer noch ein Ohr nach der Thür des Nebenzimmers links. Das Lachen der jungen Frau da drin beunruhigte ihn – die Stimme klang ihm so bekannt, und dieser eigenartige Tonfall erinnerte ihn an . . .

Plötzlich sprang er auf, rief in großer Aufregung Thekla ein herrisches »Still doch!« zu und legte sein Ohr an die Thür. O, er hatte sich nicht getäuscht. »Er ist ein liebär Freind von mir, ein sähr bedeitender Kinstler!« hörte er die »junge Frau« da drin sagen. Jetzt blieb kein Zweifel. Der Begleiter der Dame sprach zu leise, als daß er ihn hätte an der Stimme erkennen können. Florian beugte sich zum Schlüsselloch hinab. Aber der Schlüssel war jenseits so herumgedreht, daß nichts zu sehen war.

»Ja. was ist dir denn?« flüsterte Thekla ängstlich erstaunt. »Du bist ja ganz blaß geworden – was sind denn das bloß für gräßliche Leute da drin?«

Florian war wieder an den Tisch getreten. Die Hand, mit der er sich darauf stützte, zitterte. Er wich Theklas fragendem Blick aus und antwortete ihr ganz verstört: »Wir sind verloren, wenn uns die da hier beisammen sehen!«

Er hörte nicht auf Theklas neugierige Fragen, noch auf ihre Vorschläge. sondern lief bald aufgeregt ein paar Schritte, auf den Zehen schleichend, hin und her, bald horchte er wieder an der Thür, bald setzte er sich wieder an den Tisch und quälte sich noch ein paar Bissen hinunter. Natürlich steckte er Thekla durch seine Aufregung an. Sie ließ das appetitliche Käsebrötchen, das sie sich gerade zurecht gemacht hatte, liegen und ging ihm nach. Mit ihrem eigenen Tüchlein tupfte sie ihm die kalten Angstperlen von der Stirn und bat flüsternd um Aufklärung über sein seltsames Benehmen. Er vermochte kaum zu reden. Mit einem wehmütigen Blick sah er zu ihr hinauf und würgte heiser hervor: »Das ist die Strafe!«

»Strafe – wofür denn?« flüsterte Thekla leicht gekränkt. »Was habe ich denn Böses gethan? Ist es denn Sünde, daß wir uns lieb haben?«

»Nein, nein, nein! Du bist unschuldig – ich . . . mich trifft's allein!« Damit raffte er sich auf und schritt nach der Thür, um zu klingeln.

»Was willst du thun?« rief Thekla ängstlich.

»Ich muß fort!« gab er flüsternd zurück. »Ich will nur zahlen und . . . das heißt: nein – es ist besser, ich lasse dir das nötige Geld da. Ich glaube, ich habe so viel, daß du bis München kommen kannst. Telegraphiere nur morgen früh gleich an deine Freundin und reise ab, so bald du Nachricht hast. Ich muß schauen, daß ich unbemerkt fortkomme – vielleicht geht noch ein Zug nach Weimar. Wir dürfen hier um keinen Preis erwischt werden!«

»Ja, aber wenn die Erna nun nicht da ist – was soll ich dann anfangen?«

»Ja, dann . . .« Florian stand unschlüssig da.

Thekla brach in Thränen aus. »Ach Gott, ach Gott! Jetzt willst du mich auch verlassen! Siehst du, daß du mich nicht lieb hast!«

»Grad weil ich dich lieb hab', Schatz!«

Er wollte zu ihr treten, um sie zu trösten, als er die Thür des Nebenzimmers gehen und das Paar von da drin in lebhafter Unterhaltung auf den Gang hinaustreten hörte. Lauschend blieb er stehen. Auch Thekla horchte gespannt. Die Schritte draußen entfernten sich. Florian überlegte, was nun zu thun sei, und Thekla wagte nicht, ihn in seinem Nachdenken zu stören. Ein paar Minuten vergingen so, ohne daß er zu einem Entschlusse zu kommen vermochte.

Da wurde es plötzlich wieder auf dem Gange lebendig. Hastige Schritte und aufgeregtes Flüstern näherten sich von der Treppe her, vor der Thür des Nebenzimmers erfolgte ein kurzer Wortwechsel – dann wieder ein paar rasche Schritte – und im nächsten Augenblick ging, ohne daß vorher angeklopft worden war, die Thür auf, und herein trat – Mister Crookes senior, gefolgt von Fräulein Ilonka Badacs! Ein zorniger Ausruf Florians, ein erschrockener Aufschrei Theklas und starres Erstaunen auf seiten der beiden andern. Dann that Thekla das Beste. was sie unter diesen Umständen thun konnte: sie hielt sich geschwind eine Serviette vors Gesicht und lief davon in das für sie bestimmte Schlafzimmer nebenan.

Florian that ein paar rasche Schritte ans Mister Crookes zu, streckte ihm eine geballte Faust entgegen und schrie ihn heiser an: »Herr, was wollen Sie hier – schauen Sie, daß Sie . . . .«

Mister Crookes nahm sofort Boxerstellung an und fiel ihm mit außerordentlicher Zungengeläufigkeit ins Wort: »O, Herr Mayr, ich freue mich, Ihnen zu treffen – Sie werden nicht schlagen, oder ich werde Sie niederboxen! Gehen Sie schnell mit dieser Dame hier daneben – meine Söhne kommen die Treppe herauf! Sie dürfen mich nicht mit dieser Dame finden – Sie verstehen? Wenn Sie nicht verstehen, so werde ich Sie niederschlagen!«

Florian wußte noch nicht recht, ob er verstehe oder nicht: er hatte sich auch noch nicht entschieden, ob er über den in seiner namenlosen Aufregung höchst komischen Engländer lachen, oder es auf einen kleinen Faustkampf ankommen lassen sollte, als Fräulein Ilonka ihn unsanft beim Arm packte und ohne ein Wort der Erklärung zur Thüre hinausbeförderte. Sie zerrte und stieß ihn über den Gang und in ihr Zimmer hinein.

»Was soll das heißen, was fällt Ihnen ein?« rief Florian schier atemlos.

Und Ilonka darauf, höhnisch lachend: »O Sankt Florian – scheuer Hailiger! Werd' ich olles erzählen in Waimar, wenn du nicht thust, wos ich befähl'. Marsch, dohin gesätzt auf Sofa – Orm um mich so herum – Säktglos in die Hand! Oho – kain Widerstand oder . . . So is recht; jetzt kann die Hetz angehen!«

Es war die höchste Zeit, denn in diesem Moment klopfte es an die Thür, und auf Ilonkas lautes »Herein« traten Bob und Dick Crookes, Herr Ispirescu und noch ein junger Lisztianer von der besonderen Gefolgschaft Ilonkas über die Schwelle und blieben mit einem Ausruf der Ueberraschung, der wie aus einem Munde erklang, und mit ellenlangen Gesichtern an der Thür stehen.

Florian machte sich unsanft aus Ilonkas Umarmung los und sprang auf die Füße. Seine Ueberraschung und Aufregung nahm sich so natürlich aus, daß die vier jungen Leute wohl oder übel daran glauben mußten. Keiner sprach ein Wort. Sie starrten einander alle vollkommen verblüfft und ratlos an.

Da kam es plötzlich wie eine Erleuchtung über Florian. Das war ja die Rettung! Nun hatte er ja Zeugen dafür, daß er mit einer andern nach Jena ausgeflogen war. Thekla Burmester war ja allen diesen Herrschaften nicht bekannt. Crookes sen. mußte unter allen Umständen reinen Mund halten, sonst war er der am ärgsten Blamierte. Es handelte sich also nur darum, Ilonka zum Schweigen zu bewegen; dann konnte das ganze gefährliche Abenteuer noch ohne üble Folgen bleiben. Aber daß es gerade diese Ilonka sein mußte, die ihn hier mit einer Nachfolgerin ertappte! Diese Ilonka, die er so schwer gekränkt hatte! Er war ihr nun völlig wehrlos in die Hand gegeben. Wenn sie sich rächen wollte, so hatte sie jetzt die beste Gelegenheit dazu. Da war also wieder einmal die Strafe der Missethat auf dem Fuße gefolgt, und Florian, der arme Sünder, kriegte einen gewaltigen Respekt vor der göttlichen Gerechtigkeit. Immerhin aber war er froh, daß vorläufig wenigstens die schlimmste Gefahr von Theklas unschuldigem Haupte abgewendet war, und das half ihm seine Fassung wieder gewinnen. Und er ging auf die vier jungen Herren zu und redete sie in angemessener Haltung an: »Ja, meine Herren, des is aber jetzt . . . wie kommen denn Sie daher? Ich finde das doch mindestens – merkwürdig.«

Die vier Jünglinge wußten sich durchaus keinen Rat. Einer schaute den andern hilflos an, und dann stammelten sie ein paar ganz ungeschickte Entschuldigungen und wollten sich beschämt wieder davonmachen, als Ilonka sie wieder auf ihren Platz bannte, indem sie in ein lautes Gelächter ausbrach.

»Ise zu kommisch – amisier ich mich furbar! Schau doch, liebär Freind Florian, wie sie dostehen, die scheuen jungen Härren! Ober Mister Bob und Mister Dick, wos wird Herr Votter sogen, wenn er heut' obend wird in Betten schaun und olles leer finden? Gerächter Gott, dos gibt ein grosses, grosses Unglück, wann Sie haimkommen! O die ormen jungen Härren!«

Die Crookes Boys wurden dunkelrot vor Aerger über den Hohn der bösen Dame. Sie sahen auch den Herrn Mayr lächeln und die Mienen ihrer beiden Begleiter verräterisch zucken. Sie waren überzeugt, daß man sich einen schlechten Scherz mit ihnen erlaubt habe, bloß um sie hinterher noch auszuspotten, wenn ihr strenger Herr Vater sie als Durchgänger hart abstrafte. Master Dick, als der temperamentvollere von den beiden Brüdern, fand zuerst den Mut, frei herauszureden Er trat ein paar Schritte auf den Tisch zu, hinter welchem Ilonka saß, machte eine kurze Verbeugung und sagte: »Ich bitte um Verzeihung, mein Fräulein, daß wir hier so hereingelaufen sind. Diese Kerle haben uns gesagt, wir würden unsern Vater hier finden!«

»Wos, Sie hoben Ihren Herrn Votter verloren?« rief Ilonka äußerst belustigt.

»O nein,« versetzte Dick keck, »wir haben schon gemerkt, daß unser Vater in Sie verliebt ist. Und diese Kerle haben uns gesagt, daß er heute mit Ihnen davongelauft war. Sie haben selber gesagt zu diese Kerle, daß Sie in diesem Hotel absteigen werden!«

»Ober maine junge Harren, ich muuß doch bitten!« fuhr Ilonka auf, die Beleidigte spielend.

Bob trat zu Dick heran, um ihn zu beruhigen. Aber Dick ließ nicht mehr mit sich reden. Er machte wilde Augen und drohte den beiden jungen Lisztianern mit einer recht vielversprechenden Faust: »Aoh, aoh, ich werde diese Kerle zur Erde schlagen! Damn the fellows! Come along, Bob, we'll knock 'em down!«

Er ging mit so bedrohlicher Gebärde auf die beiden Jünglinge los, daß diese, mit großer Geschwindigkeit zur Seite ausweichend, es für das Beste hielten, bei Florian und seiner Dame Schutz zu suchen. Eine ganze Weile lang redeten nun die sechs Anwesenden alle zugleich. Das Fräulein Badacs gab ihrer Entrüstung Ausdruck, daß in ihrer Gegenwart ein Faustkampf ausgefochten werden sollte; Dick fluchte und tobte auf englisch, während Bob ihn zu beruhigen suchte; Herr Ispirescu bemühte sich, Florian den Sachverhalt klar zu machen; der andre junge Lisztianer schimpfte auf die Badacs los, weil sie sie alle angelogen hätte; und Florian endlich versprach sämtlichen Herren, sie auf die Nasen zu klopfen, falls sie sich nicht sofort anständig zu benehmen gedächten. Schließlich zog Herr Ispirescu Florian in eine Ecke, und da gelang es ihm endlich, ihn über die Ursache des merkwürdigen Vorfalls aufzuklären. Er und sein Genosse hatten sich nämlich mit den jungen Crookes angefreundet und mit der Badacs sich verschworen, die beiden frischen, sympathischen Jungen von der unwürdigen Tyrannei ihres Vaters zu befreien. Zu diesem Zwecke hatte Ilonka die Verliebtheit des alten Engländers auszunutzen beschlossen. Mit leichter Mühe war es ihr gelungen, Mister Crookes dazu zu bringen, daß er ihr selbst den Vorschlag machte, eine kleine Vergnügungsreise mit ihm zu unternehmen, und dann hatte sie mit ihren Mitverschworenen die Verabredung getroffen, daß sie ihr nach Jena nachfahren und sie zu bestimmter Stunde im Gasthaus zum »Schwarzen Bären« im tête-à-tête mit dem strengen Abstinenzler überraschen sollten. Daß die beiden Herren Söhne mit von der Partie sein sollten, das war allerdings nicht im Programm der Verschwörer gestanden, das hatten die jungen Leute auf eigene Faust ins Werk gesetzt, weil sie sich davon eine ganz besonders sichere Wirkung versprachen.

Florian konnte sich nicht enthalten, gerade herauszulachen, denn die Vorstellung, daß der alte Tugendheuchler von seinen beiden Söhnen in einer so verfänglichen Situation überrascht würde, war allerdings unwiderstehlich komisch. Als die andern Florian lachen hörten, verstummte plötzlich das aufgeregte Durcheinander, und aller Blicke hefteten sich erwartungsvoll auf ihn. Er trat nun zu den beiden jungen Engländern, klopfte ihnen gemütlich auf die Schultern und sprach: »Also, meine Herren, die G'schicht ist ganz einfach – seien wir alle froh, daß es so ausgangen is. Sie brauchen niemanden von uns in Grund und Boden zu boxen, denn wir sind alle unschuldig wie die neugeborenen Lamperln – ich natürlich bin das größte Lamperl, denn ich hab' von gar nichts gewußt. Vorg'logen is Ihnen aber auch nix worden; denn daß Ihr Herr Vater so eine kleine Escapade vorgehabt hat, des is schon richtig. Aber schaun S', das Fräulein und ich – wir sind halt auch – gute Freunde, und wie ich's gefragt hab'. ob wir heut' abend ein bißl nach Jena 'nüber wollten, da hat 's halt meine älteren Rechte respektiert und is mit mir fort. Außerdem möcht' ich beschwören, daß es unsrer Freundin, Fräulein Ilonka, jetzt sehr angenehm ist, daß s' dem alten Herrn net so einen schlechten Streich g'spielt hat – net wahr?«

Ilonka warf Florian einen dankbaren Blick zu und erwiderte unmutig verschämt: »Ober gewiß – hot mir schon so laid gethan, daß ich eich jungen Leiten solche Dummhaiten versprochen hob! War doch gemain, den Herrn Crookes därmoßen zu frozeln. Wos kann der olte Monn dafir, doß är sich in mich verliebt?«

»No freilich!« rief Florian heiter. »Des is doch bei Gott keine Schand'! Schaut's es nur an, das Fräulein Ilonka!«

Durch diese galante Wendung war mit einem Schlage die allgemeine frohe Stimmung wieder hergestellt, und es blieb weiter nichts mehr zu thun, als den jungen Engländern die Furcht vor dem Zorn ihres Vaters zu benehmen. Und auch das erreichte Florian sehr einfach dadurch, daß er ihnen versprach, sich selber dem alten Herrn gegenüber als den Verführer hinzustellen, der sie zu dem kleinen Ausfluge verleitet habe. Man brach nunmehr auf, um den Rest des Abends möglichst fidel in irgend einem Bierlokal zu beschließen. Florian hatte klugerweise den Vorschlag, die Gaststube des »Bären« zu diesem Zwecke zu wählen, zurückgewiesen, weil ja in diesem Falle durch irgend eine Aeußerung des Kellners gar leicht die Anwesenheit des zweiten Paares hätte an den Tag kommen können. – –

Ilonka bat die jungen Herren, vorauszugehen. Dann drückte sie hinter ihnen die Thür ins Schloß und wandte sich rasch an Florian: »Bravo, liebär Freind!« rief sie lebhaft, ihm beide Hände drückend. »Dos host du sähr gut gemocht! Jetzt will ich dir auch helfen! Wos is dos fir ein junges Mädchen? Schnell heraus damit!«

Mit kurzen Worten sagte ihr Florian die ganze Wahrheit.

»Hm, hm – dumme Gäschichte!« murmelte Ilonka nachdenklich. »Is dos Mädchen brov? Will Sankt Florian dos Mädchen heiraten?«

»Ja, brav is s' schon und heiraten thät' ich s' auch gern, wenn ich könnt'!«

»Halt – waiß ich, wie wir mochen!« Sie nahm Florian unter den Arm und führte ihn über den Gang bis vor die Thür des Zimmers, in welches Thekla hineingeflüchtet war; dort mußte er anklopfen und leise ihren Namen rufen.

Sie öffnete sogleich und war nicht wenig erstaunt, die fremde Dame mit hereintreten zu sehen. Ehe Florian noch ein Wort sagen konnte, hatte Ilonka bereits Thekla in ihre Arme genommen und sie herzhaft auf beide Backen geküßt.

»Main liebes Freilein!« rief sie warm – »Main Gott, wie hoben Sie gewaint! Bitte, bitte, seien Sie ganze ruhig! Main Freind Mayr hot mir olles erzählt – wird schon olles gut werden, chère petite! Hob' ich zwai Bett' in main' Zimmer! Sie schlofen bai mir, und morgen frih wollen wir beroten olle drai, wos wir thun! Ich gebe Ihnen mein hailiges Aehrenwort, daß Sie nicht den scheißlichen Menschen heiraten werden!«

Die arme verweinte Thekla war offenbar froh, daß sich überhaupt jemand ihrer annahm, und folgte willig der fremden Dame auf ihr Zimmer. Dort klingelte Ilonka dem Kellner, um abräumen zu lassen, und trug Florian auf, sich nach dem unglücklichen Mister Crookes umzusehen.

Der hatte sich im Nebenzimmer eingeschlossen und harrte bang seines Schicksals. Nachdem Florian sich zu erkennen gegeben, öffnete er ein ganz klein wenig die Thür und lugte erst vorsichtig durch den Spalt hinaus. Erst nachdem er sich überzeugt hatte, daß Florian wirklich allein sei, ließ er ihn eintreten.

»Aber Mister Crookes, Sie machen ja schöne G'schichten!« redete ihn Florian mit drohend erhobenem Finger an. Er hatte Mühe, das Lachen zu verbeißen diesem vertrockneten alten Sünder gegenüber, der ihn mit kläglichster Jammermiene anstarrte.

»O dear, o dear!« stöhnte Mister Crookes, sich mit beiden Händen den Schädel haltend. »Ich habe die Stimmen von meinen Söhnen gehört. Was haben meine Söhne gesagt? Wie sind sie hierhergekommen?«

»O Mister Crookes, Sie sind unvorsichtig gewesen!« versetzte Florian ernsthaft. »Die Liebe hat Sie verblendet, ja, ja, ja! Ihre Söhne haben es wohl gemerkt und sie haben sich mit ihren Freunden verabredet, um Sie zu beobachten. Ja, wenn ich jetzt nicht zufällig hier gewesen wär' – geln S', da wären S' schön eingangen!«

Mister Crookes schüttelte nachdenklich den Kopf. »Dear me – ich begreife nicht, wie diese Knaben erfahren haben, daß ich nach Jena reise!«

»Ja, Dunnerwetter – des is freilich merkwürdig!« rief Florian und sann ein Weilchen nach. Dann fügte er schlau hinzu: »Wissen S', da wird Ihnen halt einer nachgangen sein, den S' net kennen, und der wird am Schalter erhorcht haben, wohin Sie 's Billet verlangten!«

»O dear, o dear!« seufzte Mister Crookes. »Ich hatte nie gedacht, daß diese Knaben so verdammt klug waren!«

»Ja, jetzt sehen S' es: so was rächt sich immer, glauben Sie mir, mein liebster Mister Crookes! Erwachsene Söhne darf ma halt net wie kleine Kinder behandeln. Aber ich will Ihnen was sagen: geben Sie mir Ihr Ehrenwort als Gentleman, daß Sie den Herren Dick und Bob künftig ihre Freiheit lassen wollen, wie sich's gehört – dann will ich Ihnen aus der Patschen 'raushelfen!«

Mister Crookes versprach mit Handschlag, was Florian von ihm begehrte, und dann hieß ihn der morgen früh mit dem ersten Zuge nach Weimar zurückkehren. Seinen Söhnen sollte er alsdann, wenn sie mit dem späteren Zuge heimkämen, ganz harmlos entgegentreten und sie nur wegen ihres Auskneifens ein wenig necken. Er wolle unterdessen den jungen Herren schon irgendwie ihren Verdacht ausreden.

Mister Crookes war außerordentlich dankbar und nannte Florian seinen besten Freund.

Draußen auf dem Gang wartete Ilonka bereits auf Florian. Er erstattete ihr Bericht über den glücklichen Erfolg seiner diplomatischen Mission, und dann wollte er zu Thekla hinein, um sich zu verabschieden. Aber das wollte Ilonka nicht dulden.

»Lossen Sie das orme Kind in Ruh'!« flüsterte sie ihm zu – »is viel zu aufgäregt! Morgen frih werden wir olle drai wos ausdenken. Dos Madl is so nätt – begraif' ich vollkommen, doß Sie's heiraten wollen. Solche Madeln müssen geheiratet werden! Wann sie so ainen groben Menschen wie Sie lieben kann – nun, ise ihr Soch', geht mich nix an! Ober helfen will ich ihr: dem Herr Konsul spuck' ich auf die Plotten und der gnä' Frau Mutter krotz' ich Augen aus!«

Sie gingen nebeneinander die Treppe hinunter, wie sie das sagte. Und Florian ergriff ihre Hand, drückte sie fest und flüsterte mit herzlicher Wärme: »Du liebe, unbegreifliche Ilonka – du bist doch ein grundguter Mensch!«


 << zurück weiter >>