Ernst v. Wolzogen
Der Kraft-Mayr
Ernst v. Wolzogen

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Sechstes Kapitel.

Katzenjammer.

Frau Stoltenhagen befand sich am andern Morgen in nicht geringer Aufregung. Herr Mayr hatte um acht Uhr nicht nach dem heißen Wasser in den Gang hinaus geschrieen. Um halb neun Uhr hatte sie an seiner Thür gehorcht und keinen Laut vernommen. Um neun Uhr hatte sie durchs Schlüsselloch geguckt und sogar zu klopfen gewagt – beides vergeblich. Nun war es halb zehn Uhr, und noch immer rührte sich nichts hinter der verschlossenen Thür! Sollte sie am Ende den Schlosser kommen lassen? Herr Mayr ging doch täglich zwischen halb und dreiviertel zehn Uhr fort.

Kurz vor zehn Uhr erschien eine hübsche junge Dame und begehrte Herrn Mayr zu sprechen. Die junge Dame war billig, aber nett angezogen und sah gerade aus, wie so eine, mit der ein junger Herr schon mit Vergnügen eins von den solideren Verhältnissen eingehen könnte, – eine Tochter besserer Leute, wo aber ein junger Künstler gerade noch ohne viel Schwierigkeit ankommen könnte. Frau Stoltenhagen war ungeheuer aufgeregt. Endlich war doch mal was los mit ihrem Herrn Mayr!

»Also zu Herrn Mayr wollen Sie?« wiederholte sie zweimal auf die Frage des Mädchens und musterte es dabei von Kopf bis zu den Füßen. »Ja, ich weiß nicht, ob Herr Mayr da ist. Herr Mayr ist, glaub' ich, noch nicht aufgestanden.«

»Ach das macht nichts,« versetzte das Mädchen dreist. »Sagen Sie nur, die Marie aus der Markgrafenstraße wäre da, denn wird er schon wissen.«

Frau Stoltenhagen riß die Augen weit auf und keuchte vor Aufregung. »Haach nee, die Marie aus de Markgrafenstraße? Nu seh mal einer an! Das trau ich mir gar nich. Er hat sich ja überhaupt eingeschlossen.«

»Denn lassen Sie mich man, Madamchen. Mir wird er schon aufmachen.« Und das Mädchen schritt ohne weiteres an der verstörten Frau vorbei, ließ sich die rechte Thür weisen und klopfte energisch an. Frau Stoltenhagen, die Nichte aus Pommern und das Dienstmädchen standen erwartungsvoll um sie herum.

»Kreuzdunnerwetter! ja – was gibt's denn? Zum Heiligkreuzbombenelement nochmal, mei Ruh will ich haben!« knurrte ein ergrimmter, arg belegter Baß von drinnen.

»Gott sei Dank, er lebt noch!« rief Frau Stoltenhagen. »Ich dachte schon, es wär'n was passiert.« Und dann näherte sie sich der Thür und schrie mit beschwichtigender Freundlichkeit: »Regen Sie sich man nich auf, Herr Mayr! 's is ja das Freilein Marie aus de Markgrafenstraße.«

»Das Fräulein Marie soll mich gefälligst – sonstwo kennen lernen! Hier bin ich nicht zu sprechen,« scholl es von drinnen zurück.

Aber das Mädchen ließ sich nicht irre machen, sondern rief ganz ungekränkt: »Herr Mayr, ich bin's ja. Ich bringe einen Brief von's gnäd'ge Fräulein. Ich soll auf Antwort warten.« Und zu den neugierigen Weibern gewendet, fügte sie lächelnd hinzu: »Es is man bloß von wegen die Klavierstunde.«

Von drinnen: » Was will die Person? Was für'n gnädiges Fräulein?«

»Herrje, von Fräulein Thekla!«

»Thekla? Ach so, –warten S' a bißl, gleich komm' ich.«

Das Bett drinnen krachte, und die drei Zuschauerinnen vom Stoltenhagenschen Hausstande flohen eiligst von dannen, nicht ohne daß die Nichte aus Pommern unterwegs die Tante in die Seite gepufft und ihr in fieberhafter Aufregung zugeraunt hätte: »Siehste Tante, Thekla heißt se.«

Gleich darauf ward die Thür ein wenig aufgethan, und Florian Mayr steckte seine Tatze durch den Spalt, um den Brief in Empfang zu nehmen. Er trat damit an ein Fenster, zog einen Rollvorhang in die Höhe und versuchte den Brief zu lesen. Aber sein Geschau war noch nicht recht in Ordnung. Auch fror ihn an den bloßen Beinen – und der Schädel – o weh der Schädel! Er steckte den Kopf ins eiskalte Wasser, prustete und plantschte und schlupfte dann schnell in die notwendigsten Kleidungsstücke. Dann rief er die Marie aus der Markgrafenstraße herein und ersuchte sie, Platz zu nehmen. Er glaubte zu bemerken, daß das Mädchen ihn eigentümlich ansehe. Er warf im Vorübergehen einen Blick in den Spiegel und bemerkte, daß sie recht habe. Er meinte, ihr eine Erklärung schuldig zu sein, und sagte: »Schau, schau, des muß ja sehr wichtig sein, daß mich das gnädige Fräulein schon bei nachtschlafender Zeit aus dem Bett holen läßt.«

»Aber Herr Mayr, 's is doch schon um Zehnen,« lächelte die Marie bescheiden.

»Was ist dees?« rief er ungläubig und lief nach seiner Uhr, die noch auf dem Nachttisch lag. »Ja was is jetzt dees! Halb Fünf! Ich glaub' gar, ich hab's vergessen aufzuziehen. Wissen S', Fräulein Marie, des macht, weil ich eine kleine Magenverstimmung . . . ui jeh, mich zwickt's noch!« Und mit abgewandtem Gesicht schlich er beschämt nach einem Stuhl am Fenster und las das blaßblaue Schreiben des gnädigen Fräuleins.

Das lautete also:

»Ach lieber Herr Mayr, ich bin ganz verzweifelt, Sie müssen mir helfen. Also denken Sie sich, der gräßliche Herr – ich habe die Karte nicht da und kann seinen Namen nicht so schreiben – er war heute nachmittag noch einmal bei Mama und hat es geklatscht, daß er uns auf der Straße zusammen gesehen hat. Sie wären ein ganz gefährlicher Mensch, hat er gesagt, und dafür berüchtigt, daß Sie es immer so machten mit den jungen Damen, wo Sie im Hause Unterricht gäben. Mama hat gesagt, ›du gibst dir Rendezvous mit deinem Klavierlehrer, dich laß ich nicht mehr allein auf die Straße‹. Und wissen Sie, wie sich der Herr zu Mama entschuldigt hat, warum er die Klavierstunden nicht geben wollte, wo es doch nur war, weil er sich vor den Prügeln fürchtete, die Sie ihm versprochen hatten. Er hat gesagt, ich hätte gleich beim ersten Anblick einen so tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht und hielte er es mit seiner sittlichen Manneswürde nicht vereinbar, das für einen Lehrer nötige Vertrauen von mir in Anspruch zu nehmen. Andre Leute möchten sich kein Gewissen aus so etwas machen, aber er als ein Edelmann vom ältesten polnischen Adel wüßte schon, was sich in solchem Falle schickte. Mama war ganz hingerissen von so viel Zartgefühl und hat mir solches als Beispiel vorgeworfen, damit ich daran den Abstand von Ihnen abmessen sollte, ist das nicht scheußlich? Sie müssen mir helfen, lieber guter Herr Mayr! Was soll ich thun? Ich glaube Prügel helfen nicht, der Herr ist zu gemein! Ich baue ganz auf Sie und bitte um umgehende Nachricht durch die Marie, da ich nicht mehr in der Lage bin, mir die Antwort von der Post zu holen. Bitte, bitte, verlassen Sie nicht

Ihre unglückliche

Thekla B.

P. S. Marie weiß alles.«

Florian ließ seine Rechte mit dem Schreiben schlaff herabsinken, stützte den linken Ellenbogen aufs Knie und verbarg sein Antlitz schwer aufstöhnend in der mächtigen Undezimentatze. Er schwieg eine lange Weile, krabbelte mit den langen Fingern in seinem annoch wüsten Schopf herum und gab nur von Zeit zu Zeit einen schweren Seufzerich von sich.

Die gute Marie wurde ungeduldig und fragte, ob Herr Mayr dem Fräulein denn nicht einige Zeilen als Antwort zu schreiben gedächte.

»Schreiben? Jetzt? A – oooh! Ich – ich schreibe nie vor dem Frühstuck.«

»Soll ich vielleicht mündlich was ausrichten?«

»Ach ja bitte, – thun Sie das,« rief Florian, indem er sich mit einem Ruck aufraffte und sich breitbeinig vor Fräulein Marie aufpflanzte. Mit schmerzlich gespannter Teilnahme betrachtete er von seiner Höhe herab das Mädchen und schien von ihm eine weitere Anregung seiner Denkthätigkeit zu erwarten.

Marie lächelte verständnisvoll. »Sie sind wohl nicht recht wohl, Herr Mayr?«

Er grinste verzweifelt heiter. »O doch, ich bin körperlich ganz wohl, aber die Gemütsbewegung wissen S', – das arme Fräulein Thekla! So was schlägt mir immer gleich auf die Kopfnerven. Was würden denn Sie in meinem Falle thun, Fräulein Marie?«

»Na, da soll doch 'n Hering jut jejen sein.«

»Hab' ich von mir geredt? Sie, wollen Sie mich vielleicht verhohnakeln? Ich mein', das Fräulein Thekla: was soll ich denn jetzt dem verschreiben? Ich kenn' mich doch nit aus mit die jungen Damen in solchen Fällen.«

Die Marie lächelte verschmitzt. »Ja, Herr Mayr, wenn ich mir einen Rat erlauben darf – ich dächte, die Sache wäre eigentlich doch janz einfach: das gnädige Fräulein is doch so sehr traurig, weil sie keine Stunde mehr bei Ihnen haben soll und überhaupt nicht mehr mit Ihnen zusammenkommt – und nu hat se auch noch Angst gekriegt, daß se am Ende jar noch den polnischen Herrn mit de Schmachtlocken und de Kalbsaugen heiraten soll, wo se doch nich in de Hand zusagt.«

»Dem Kerl wenn ich amal a paar Watschen runterhauen könnt'!« knirschte Florian.

»Ach lassen Sie den doch laufen, das kost' ja Strafe. Is doch viel einfacher.«

»Was denn?«

»Herrjeses, Herr Mayr, das müssen Se doch jemerkt haben, daß unser Fräulein Ihnen jut is? Also was kann da sein? Heiraten Sie se doch selber!«

Florian riß die Augen weit auf und tippte sich mit dem riesigen Zeigefinger auf die Hemdenbrust. »Ich?«

»Ja warum denn nich?« versetzte Marie zuversichtlich. »Der Herr Konsul und unsre Gnädige, die werden natürlich nischt von wissen wollen, aber das is ja meistenteils so. 'n Künstler sind Sie ja doch auch, und die Gnädige hat sich doch sonst so sehr mit die Künstler. Na und übrigens: mit Jeduld und Spucke . . . Sie wissen ja, wie das Sprichwort sagt. Man immer dreiste! Wenn zwei junge Leute man ernstlich wollen, denn müssen die Alten ja doch schließlich klein beijeben. Das wär' ja auch nich das erste Mal, daß 'n feines Fräulein mit ihrem Klavierlehrer durchgeht, nich wahr? Na, und so was Besonderes is Fräulein Thekla ja am Ende auch nich. Des wissen Se doch, daß Fräulein Thekla jar kein richtiges Kind von die Herrschaften is? – Was, des wissen Se nich? Nu natürlich, bloß anjenommen. Von ganz einfache Leute stammt se her. Und wenn se auch mal nich das janze Jeld mitkriegt, – der Herr Konsul is doch 'n juter Herr, der wird sich schon nich lumpen lassen.«

Die Marie war warm geworden. Sie hatte sich erhoben und war dem langsam zurückweichenden Florian nachgegangen bis zu dem Kanapee, auf das er sich seufzend fallen ließ. Er hielt sich den Kopf mit beiden Händen und war kaum im stande, ihrer überaus fließenden Rede zu folgen. Als sie endlich fertig war, schlug er sich auf die Kniee und dann mit der Faust auf den Tisch und knirschte: »Herrgottsakrament, jetzt hören S' aber auf mit dem verrückten G'schwätz! Hat Ihnen das Fräulein vielleicht so was aufgetragen? – Na also, nah behalten S' bitte Ihren Unsinn für sich.«

»Nanu? Wer'n Se auch noch grob?« fuhr das Mädchen gekränkt auf. »Is des der Dank, wenn man's so jut mit Sie meint? Da kann ich ja auch gleich wieder jeh'n und Fräulein Thekla ausrichten, was Sie für 'n freundlicher Herr sind. Liegt morgens um Zehn noch ins Bette mit so 'n ekligen Kater! Na ich danke! Wie sich bloß feine junge Damen für so was interessieren können! Na adje, Herr Mayr; kriechen Se man wieder in die Posen. Ich wer' Sie schonst nich wieder belästigen.«

»O mein Gott, diese Frauenzimmer! Was sind's denn gleich so zuwider? Berücksichtigen Sie doch meinen leidenden Zustand.« Er wollte sie beim Rock erwischen, aber sie wich geschickt aus und ging gleich bis an die Thür.

»Ach was, Fräulein Thekla hat auch 'n leidenden Zustand. Das kann einen wirklich jammern, wie sich das arme Fräuleinchen abängstigt, und Sie wollen nich mal 'n paar Zeilen schreiben! – Was soll ich denn nu ausrichten?«

Florian erhob sich seufzend vom Sofa, ging ihr nach und sagte schwach: »Wissen S' was, Jungfrau Maria, Sie könnten mir einen G'fallen thun. Ich werd' mein' Kopf so übers Waschbecken bucken, und jetzt sein S' so gut und gießen S' mir amal ganz langsam aus dem Krug 's Wasser übern Schädel. Vielleicht daß ich davon einen klaren Verstand krieg'.«

Die Marie mußte lachen. »Ne, was Sie auch allens von 'n Menschen verlangen, Herr Mayr, Jott bewahre! Na denn kommen Se man her. Des kann Ihnen so nischt schaden, wenn Se mal den Kopp 'n bißchen gewaschen kriegen.« Und sie legte Schirm und Muff beiseite und goß ihm, wie er's gewünscht, den ganzen Inhalt der Waschkanne über das schmerzende Haupt.

Er hatte sich das Haar nach vorn über den Kopf gestrichen. Die langen Strähnen tropften noch, indem er sich mit einem Handtuch das Gesicht abrieb. Breitbeinig stand er da, weit vornübergebeugt und rann immer noch wie eine schadhafte Dachtraufe, wenn der Regen im Aufhören begriffen ist, als stark an die Thür gepocht wurde und gleich darauf, ohne das Herein abzuwarten, eine hohe, stolze Männergestalt in langem grauen Havelock und breitkrempigem braunen Plüschhut über die Schwelle trat.

Florian war so erstaunt, diesen Herrn bei sich zu sehen, daß er in der Beschäftigung des Abtrocknens innehielt und sogar guten Morgen zu sagen vergaß. Aber wie ihm das kalte Wasser den Rücken hinunterlief, kam er plötzlich zu sich und sagte, indem er eifrig den nassen Schopf mit dem Tuch zu bearbeiten begann: »Ach, grüß Gott, Herr Tomatschek! So früh schon wieder auf? Was verschafft mir die Ehre?«

Der Herr war wirklich Toby Tomatschek, der Geigerkönig, und er blieb der schöne Mann selbst in dieser fahlen Wintermorgenbeleuchtung. Die schwere Sitzung der vergangenen Nacht machte sich in seinem edlen Gesucht nur durch die interessante Blässe bemerkbar. Langsam nahm er seinen Hut ab, schüttelte die Locken zurück, knöpfte seinen Havelock vorn auf und schlug ihn ein wenig zurück, so daß das schwarze Sammetjackett darunter zur Geltung kam. Dann zog er seine starken Brauen zusammen und musterte mit scharfem Blick – immer noch ohne guten Morgen zu sagen – das Fräulein Marie aus der Markgrafenstraße. Endlich eröffnete er die Unterhaltung mit der merkwürdigen Frage: »Gehört diese Dame vielleicht zur Familie?« Und da Florian ihn gänzlich verständnislos anblickte, fügte er erläuternd hinzu: »Ich meine, ist die Dame eine nähere Verwandte von Ihnen, da ich sie doch in dieser immerhin intimen Situation . . .«

»Nanu, was soll denn das heißen?« unterbrach ihn die Marie entrüstet. »Wollen Sie mich vielleicht verutzen, Sie? Mein Name ist Haase, ich bin 'n anständiges Mädchen, – versteh'n Se mich? Das hat man von seine Jutmütigkeit. Und Sie steh'n da, Herr Mayr, und reden keen' Ton und lassen mir in Ihre Räumlichkeiten beleidigen. Na is jut, nu kann ich ja dem gnädigen Fräulein so unjefähr Bescheid sagen, was Sie für einer sind und wie das hier bei Ihnen zujeht! Wenn Se nu hinterher noch mit solide Absichten kommen wollen, denn dürfte det am Ende nischt mehr nutzen. Adje, Herr Mayr, soll ich vielleicht sonst noch was ausrichten?«

»Ja, bitt' schön, schauen S', daß weiterkommen!« schrie Mayr wütend. »Und Ihrem gnädigen Fräulein richten S' g'fälligst aus, 's thät' mir ungemein leid, daß an solchen Affen zum Dienstmäd'l hätt'. So, jetzt sin mir zwei fertig miteinander!«

»Was haben Se jesagt? Affe haben Se jesagt?« zeterte das Mädchen in der offenen Thür. »Na, warten Se, den Affen werd' ich Ihnen anstreichen! Soll Ihnen wohl schwer werden, unser Fräulein nochmal zu sprechen. Da machen Se sich man keine Hoffnungen mehr. Die Sache is rum!« Sie drohte noch einmal mit dem Schirm ins Zimmer hinein und dann huschte sie, da Florian Mayr Miene machte, ihren Abschied zu beschleunigen, hinaus und warf die Thür hinter sich zu.

Florian wankte zum Kanapee, indem er eine etwas allgemein, aber kräftig gehaltene Verurteilung des weiblichen Geschlechts vor sich hin knirschte. Er wand sich das feuchte Handtuch wie einen Turban ums Haupt und dann legte er sich mit verschränkten Armen, trübe vor sich hinlächelnd, in die Sofaecke zurück.

Toby Tomatschek schritt langsam herzu, stemmte eine Hand auf den Tisch vor dem Sofa und sprach in strengem Ton: »Sie scheinen mir ja ein ganz gefährlicher Don Juan zu sein.«

»Wer? Ich?« rief Florian matt. »Na, wissen S', mein lieber Herr Tomatschek, wann Ihnen die G'schicht gestern so gut bekommen ist, so freut mich das aufrichtig, aber ich für mein Teil bin heut durchaus nicht in der Stimmung für schlechte Witze.«

»Ich auch nicht,« versicherte der schöne Mann mit imposanter Festigkeit. »Ich bin gekommen, um Sie zu fragen, ob Sie vielleicht beabsichtigen, meine Tochter zu heiraten.«

»Wie? Was? – Ihre Tochter?«

»Jawohl, meine Tochter Libussa. Haben Sie die Absicht, meine Tochter zu heiraten?«

»Wa . . .? Nein! Durchaus net! Aber auch ganz und gar net, mein lieber Herr Tomatschek!« stöhnte Florian, indem er sich mit kläglichem Ausdruck auf dem Sofa wand. »Au weh, mein Kopf, – wie kommen Sie bloß auf die Idee?«

Toby Tomatscheks schöne, hohe Stirn rötete sich; aber bevor er noch seiner Entrüstung Ausdruck zu geben vermochte, ging die Thür auf und auf der Schwelle stand, Muff in der einen, Regenschirm in der andern Hand drohend emporgereckt, Fräulein Marie aus der Markgrafenstraße, und hinter ihr im Korridor wurde durch die offene Thür der Chorus der Damen Stoltenhagen nebst Anhang sichtbar.

»Das wollt' ich Ihnen bloß noch sagen, Herr Mayr,« rief die erzürnte Zofe mit weniger melodischer als kräftiger Stimme dem Schmerzgebeugten zu: »Solche Behandlung bin ich nich gewöhnt, so was lass' ich mir überhaupt nich jefallen und ich werde überhaupt mal meine Gnädige drauf aufmerksam machen, daß Sie Fräulein Thekla entführen wollen. Sie haben's ihr ja schriftlich gegeben. So – adje! Mit so 'n Herrn will ich überhaupt nischt mehr zu thun haben.« Krach! flog die Thür zu – kurzer, aufgeregter Wortwechsel draußen und – bum! die Außenthür.

Dann war's stille. Aber nur für wenige Sekunden; denn nunmehr ergriff Toby Tomatschek den nächsten Fauteuil, hob ihn ein wenig in die Höhe und stieß ihn so unsanft gegen den Boden, daß eines seiner wackligen, kurzen Beinchen abbrach. Und dies that er nur, um den Eindruck seiner kühnen Behauptung zu verstärken, daß Florian Mayr ein ganz gefährlicher Don Juan sei.

Der riß seinen Turban herunter, griff mit allen zehn Fingern in seinen nassen Schopf und versuchte, sich das Haar zu raufen. »Des is aber amal ganz gewiß gelogen!« rief er verzweifelt. »Schau' ich aus wie ein Don Juan? Himmeldunnerwetter, bin ich jetzt närrisch oder Sie, meine Herrschaften?«

»Ja, haben Sie denn überhaupt kein Gewissen?« rief der Geigerkönig, indem er mit der Linken seinen Havelock vorn zusammenraffte und den Zeigefinger der Rechten drohend emporhob. »Oder haben Sie ein so überaus kurzes Gedächtnis? Da ist eine junge Dame, die Sie entführen wollen und mein einziges Kind wollen Sie verführen! Sie wissen wohl nicht, mit wem Sie's zu thun haben, Herr Mayr? So wie Sie mich da sehen, habe ich mich vor allen gekrönten Häuptern Europas hören lassen. Diese Krawattennadel hat mir die Kaiserin Eugenie verehrt. Mit meinem einzigen Kinde bandelt man nicht so ohne weiteres an, Herr!«

»Ja, wer möcht' denn schon damit anbandeln?« fragte Florian mit einem tiefen Seufzer.

»Sie!« rief der Geigerkönig mit niederschmetterndem Blick. »Sie haben sich ja nicht gescheut, meinem Kinde ausdrücklich Ihre Absicht anzukündigen.«

Jetzt huschte ein Lächeln über Florians verstörtes Antlitz. Er beugte sich über den Tisch vor und zupfte den schönen Mann am Havelock. »Wissen S', des is aber jetzt doch spassig. Des war ja ich gar net, des war ja der Baron!«

»Der Baron? Hm, – sind Sie dessen sicher?« Herr Tomatschek wurde plötzlich nachdenklich.

»Aber ganz gewiß; ich hab' selber gehört, wie das Fräulein Badacs . . .« Hier unterbrach sich Florian, denn er besann sich, daß man doch keine Dame in Ungelegenheit bringen dürfe. Er wollte ablenken und verständigte den gekränkten Vater davon, daß er noch nicht gefrühstückt habe und brennenden Durst nach einer Tasse Kaffee verspüre. Herr Tomatschek nickte zerstreut und nahm auf dem nächsten Stuhl Platz, wo er sich dem weiteren Nachdenken ergab, während Florian nach dem heißen Wasser rief und die Vorbereitungen für sein Frühstück traf.

Herr Tomatschek schlug ein Bein über das andre und nahm sein rundes Apollkinn in die Hand. »Es schien mir,« sagte er bedächtig, »als ob meine Tochter einen gewissen Eindruck auf den Baron gemacht hätte.«

»Freilich, freilich, einen sehr gewissen sogar,« entgegnete Florian ruhig.

»Hm. Und Sie können beschwören, daß er den Ausdruck ›anbandeln‹ gebraucht hat?«

»Gott soll mich bewahren! Woher wissen denn Sie überhaupt die G'schicht' von dem Anbandeln?«

»Meine Tochter hat mir gestern auf dem Heimweg erzählt, daß Sie wörtlich zu ihr gesagt hätten: Thun Sie mir den einzigen Gefallen und lernen Sie erst einmal einen wirklichen Mann kennen, ehe Sie so dummes Zeug über die Männer schwatzen. Hätten Sie keine Lust, sich von einem recht netten Kerl verführen zu lassen? Jawohl, Herr Mayr, so sollen Sie wörtlich gesagt haben. Und als meine Tochter selbstredend diese Frage verneinte, sollen Sie dies für höchst bedauerlich erklärt haben – hören Sie? Höchst bedauerlich!«

»Lieber Herr Tomatschek,« entgegnete Florian, »wissen denn Sie so ganz genau, was wir gestern g'red't haben? Ich nit – wenigstens was nach zwei Uhr morgens g'wesen is. Daß ich dees net g'meint hab', dees weiß ich amal ganz g'wiß. Na und im übrigen wär's doch auch nit unmöglich, daß Ihr Fräulein Tochter mich mit dem Baron verwechselt hat. Aehnlich sehen wir uns freilich net, aber – du mein Gott, nach der so und so vielten Flasche! . . .«

»Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß meine Tochter betrunken gewesen sei!« rief Herr Tomatschek, den Kopf aufwerfend.

»Also meine Hochachtung! Dann kann das Fräulein mehr vertragen als ich – denn ich war amal betrunken, des is jetzt amal ganz sicher. Au weh, mein Schädel!«

»Hm,« machte der Geigerkönig und versank abermals in tiefes Nachdenken.

Da trat die pommersche Nichte mit dem heißen Wasser herein. Sie sah ganz verstört aus und hatte geschwollene Augen. Offenbar hatte sie eben geweint. Mit zitternden Händen setzte sie das Präsentierbrett mit Wassertopf, Milch und Kaffeetasse auf den Tisch vor Florian nieder und wollte sich darauf eiligst wieder entfernen. Aber Florian erwischte sie gerade noch beim Arm und rief: »Ja, Herrgottsakrament, wie schaun denn Sie aus? Was hat's denn bei euch geben? Haben Sie sich mit der Frau Tante zerkriegt oder was? Guten Morgen könnten S' mir doch wenigstens wünschen!«

Das Mädchen riß sich heftig los, brach aufs neue in Thränen aus und heulte: »Lassen Sie mich los, Herr Mayr! Mit Sie rede ich gar nicht mehr – Sie sind auch ein schlechter Mensch – hu uuuu!« Damit stürmte sie hinaus und schlug die Thür hinter sich zu.

Gänzlich ungerührt staunte Florian ihr nach, dann schüttelte er mit einem tiefen Seufzer seinen nassen Kopf und sagte, indem er das heiße Wasser in das Kaffeemaschinchen goß, so recht in sein Schicksal ergeben: »So is recht: jetzt verachtet mich diese Gans auch noch! Is des vielleicht Gerechtigkeit, Herr Tomatschek? Ich kann Sie auf Ehre versichern, ich lebe so solide wie ein pensionierter Stadtrentamtshilfskonzipist – heut passiert mir's zum erstenmal so lang ich in Berlin wohne, daß ich ein paar Stunden später als gewöhnlich mit einem scheußlichen Brummschädel aufwach', und was ist die Folge? Eine um die andre kommen s' dahergelaufen, diese Weibsbilder, mit geschwollene Köpf' wie die kalekuttischen Göckel, eigens um mir ihre Verachtung in die Zähne zu schleudern! Ich behaupte, das ist keine Gerechtigkeit – eine Gemeinheit ist das, behaupte ich! Und zum Ueberfluß kommen auch noch Sie daher, mein Lieber, wie der reinste Odoardo und schimpfen mich einen raffinierten Don Juan und verlangen, ich soll Ihre Tochter heiraten! Oha mi stimmst! Wissen S', Herr Tomatschek, wegen meiner könnten mir gleich alle Damen meiner Bekanntschaft am Buckel nunterrutschen – Ihr Fräulein Tochter inklusive, mein lieber Herr Tomatschek! – Also nix für ungut. Sie haben wohl schon gefrühstückt? Aber vielleicht darf ich Ihnen einen Schnaps anbieten? Ich besitze einen feinen alten Kräuterliqueur.«

Der Geigerkönig zeigte sich nicht weiter gekränkt, sondern nahm im Gegenteil den Schnaps dankend an. Florian setzte sich zu ihm und genoß sein einfaches Frühstück. Dabei wurde ihm ein wenig behaglicher zu Mute. Die ihm innewohnende Menschenliebe begann wieder zu erwachen und er beobachtete mit Teilnahme den schönen Toby, wie er, das edle Haupt auf den linken Arm gestützt, sorgenvoll und düster in das geleerte Schnapsgläschen hineinstierte. »Belieben Sie vielleicht noch einen?« fragte er liebenswürdig.

Herr Tomatschek nickte nur mit dem Haupte. Auch nachdem er den zweiten Alpenkräuterbittern sich einverleibt hatte, sagte er zunächst noch immer nichts. Er schleckte sich die Lippen ab, putzte sorgfältig sein schwarzes Bärtchen und dann holte er ein tulasilbernes Etui hervor und zündete sich eine Cigarette an. Nun endlich fand er Worte. »Würden Sie mir raten, den Baron aufzusuchen?« fragte er mit finsterem Ernst.

»Ja wie so?« erwiderte Florian. »Was wollen S' denn von dem? Wollen Sie ihn vielleicht anpumpen? Ich glaub', der hat selbst nichts übrig.«

»Anpumpen!« wiederholte der Geigerkönig indigniert. »Daran dachte ich – zunächst nicht. Ich meine, ob Sie es für richtig halten, ihn zu fordern? Da Sie der Ansicht sind, daß er es war, der gestern nacht meine Tochter beleidigt hat, so bin ich doch als Ehrenmann und Vater verpflichtet, Genugthuung zu fordern.«

»Hm, ja,« versetzte Florian, den Kopf bedenklich hin und her wiegend. »Schon möglich, daß Sie damit dem Baron maßlos imponieren; aber für Sie wird's weiter keinen Zweck haben, meine ich; denn ich glaub' net, daß der Baron sich mit besonderem Vergnügen schießen wird, als mehrfacher Familienvater.«

»Was, der Baron ist verheiratet?« rief der schöne Toby mit langem Gesicht. »Wissen Sie das bestimmt?«

»Das Fräulein Badacs hat mir's gestern erzählt. Wissen S', er hat in jungen Jahren sich verplempert, wie's halt die meisten Künstler machen, und da hat er eine rechte blitzdumme und ausgesucht z'widere Person erwischt. Er ist schon Mitglied von elf Vereinen geworden, bloß damit er eine Ursach' hat, möglichst jeden Abend auszugehen, weil ihm die Frau Baronin daheim die Hölle gar zu heiß macht. Mir ist's leid um den Mann. Ich mein', der könnt' ganz etwas andres leisten und ganz eine andre Stellung einnehmen, wenn er net die Dummheit g'macht hätt', des Weib . . .«

»Ach, was geht denn mich der Baron und seine Familienverhältnisse an?« unterbrach Herr Tomatschek schroff. Er erhob sich von seinem Sessel, warf seinen Havelock ab und schritt einigemal im Zimmer auf und ab. Dann trat er vor Florian hin und sagte, mit dem Finger auf sein Schnapsglas deutend: »Sie könnten mir von Ihrem harmlosen Liqueur noch einen Tropfen geben.«

Florian beeilte sich, seinem Wunsche nachzukommen. Herr Tomatschek schlürfte das Gläschen im Stehen aus und legte dann seine wohlgepflegte Rechte schwer auf die Schulter seines jungen Freundes. Er seufzte tief auf und sprach: »Ich versichere Sie, Herr Mayr, es ist ein Hochgefühl, Vater einer genialen Tochter zu sein!«

»So, so – ist das Fräulein Libussa genial?« fragte Florian ohne besondere Aufregung.

»Ich versichere Sie, Herr Mayr, sie ist genial,« bestätigte der Geigerkönig mit einem kräftigen Druck auf Florians Schulter. »Aber sie ist mein einziges Kind, und ihre unvergeßliche Mutter starb, als sie kaum zehn Jahre alt war. Von da an hat das Kind mein Wanderleben teilen müssen. Die Schule konnte sie natürlich nicht mehr besuchen. Ich war ihr einziger Lehrer – das übrige mußte die Lektüre thun. Sie hat sich außerordentlich rasch entwickelt, körperlich und geistig. Sie ist eine Schönheit geworden, das werden Sie doch zugeben, Herr Mayr?«

»Ei freilich,« bestätigte Florian, »sie sieht Ihnen ja so ähnlich!«

»Allerdings, so sagt man mir allgemein,« versetzte der schöne Mann, indem er sich befriedigt lächelnd durch sein üppiges Haar strich. »Aber sehen Sie, Herr Mayr, jetzt kommt das, was ich Sie fragen wollte: was fange ich jetzt mit dem Mädchen an? Was soll aus der Tochter des armen Spielmanns werden? Sehen Sie, diese Frage ist der Alp meiner schlaflosen Nächte. Wissen Sie eine Antwort darauf, Herr Mayr?«

Florian besann sich ein Weilchen, dann sagte er: »Ja, wenn's so genial is, das Fräulein, was schafft's denn dann?«

»Wie meinen Sie?«

»Ja, sie muß doch für irgend eine Kunst oder Wissenschaft oder sonst was inklinieren, meine ich. Ist sie denn musikalisch?«

»Enorm! Aber sie hat kein Instrument gelernt.«

»Ja, hat S' denn keine Stimme?«

»Oh eine süße, eine bezaubernde Stimme; aber klein, klein, winzig klein.«

»Also is nix damit. Hm, hm – sonst hat S' keine Neigungen gezeigt?«

»O doch – fürs Ballett; aber das ist vorbei – sie hat das Ballett überwunden. Fürs Theater hat sie überhaupt eine phänomenale Begabung; aber sie verachtet das schale Komödiantenwesen.«

»So, so. Wie wär's denn nachher mit der Schriftstellerin?«

»O ich sage Ihnen, Herr Mayr, dazu ist sie geradezu auserkoren!« rief Herr Tomatschek begeistert. »Aber leider fühlt sie sich in der Orthographie nicht ganz sicher. Außerdem ist sie viel zu feurig und vorwärtsdrängend, um die langsame, ermüdende Schreibarbeit auszuhalten. Aber Ideen hat sie – das ist einfach fabelhaft!«

Jetzt verlor Florian die Geduld. Er sprang auf und rief: »Ja, Kreuzdonnerwetter. mein lieber Herr Tomatschek, wenn s' nix weiß und nix kann und nix mag, wo sitzt denn nachher die Genialität?«

» Inwendig, mein junger Freund,« erwiderte der schöne Toby bedeutend. »Es ist das große Herz, wissen Sie – ihre ganze Seele ist voll von hohen Gedanken und feinsten Empfindungen. Der schaffende Künstler, dessen Muse sie einst werden sollte, der erobert sich einmal die Welt – das steht für mich bombenfest.«

Florian war in gelinder Verzweiflung. »Wenn S' des so gewiß wissen, Herr Tomatschek, so warten S' doch ruhig ab, bis der schaffende Künstler seine Muse selber entdeckt.«

»Ja, das ist ja eben das Tragische bei unserm Schicksal. Zum Abwarten fehlen uns die Mittel,« rief Herr Tomatschek mit einem kläglichen Seufzer. »Mein Gott, mein Gott, kann denn niemand diese Sorge von mir nehmen? Mein lieber junger Freund, Sie sehen doch, ich reibe mich positiv auf. Wissen Sie denn niemanden, der mein Kind wenigstens einstweilen – adoptieren könnte, oder so was?«

Florian griff sich mit beiden Händen an den Kopf: »Jesses hör'n S' auf, Herr Tomatschek; mir war schon ganz gut, aber jetzt brummt mir der Schädel wieder. Wie soll denn ich Ihnen helfen – a junger Kerl von dreiundzwanzig Jahren und a armer Teufel dazu? Geh'n S', fragen S' amal den Baron, der kennt sich vielleicht mit solchen Sachen besser aus.«

Der Geigerkönig ließ einen hoheitsvollen Blick an Florian Mayr hinuntergleiten, schüttelte das Lockenhaupt und warf sich den langen Mantel wieder über die Schulter. »Ich habe mich in Ihnen getäuscht,« sagte er, die Augenbrauen hochziehend: »Sie haben kein Herz für die Sorgen eines Vaters. Entschuldigen Sie die Störung. Guten Morgen.«

Er griff nach seinem Hute und schritt zur Thür. Auf der Schwelle blieb er stehen, dachte ein Weilchen nach und wandte sich dann nochmals um. »Pardon, Herr Mayr: Sie sagten vorhin, daß der Baron in einer höchst unglücklichen Ehe lebe: glauben Sie vielleicht, daß er eventuell Lust hätte, sich scheiden zu lassen?«

»Warum denn net? Fragen Sie ihn doch selber.«

»Hm ja. Aber ich kann ihn doch nicht gut mit einer solchen Frage in seiner ehelichen Wohnung aufsuchen.«

»Ja, mein lieber Herr Tomatschek, so schicken S' ihm doch einen eingeschriebenen Brief!« rief Florian außer sich.

Der Geigerkönig erfaßte die Ironie. Er reckte sich hoch auf, schleuderte seinen Plüschhut auf die Locken und verließ mit einer verächtlichen Handbewegung gegen Florian das Zimmer.

Der gute Florian Mayr hatte in der That einigen Grund, an dem Vorhandensein einer sittlichen Weltordnung zu zweifeln. Du himmlischer Vater, wie führten sich andre junge Männer seines Alters auf – und nun gar junge Kunstbeflissene, möblierte Herren ohne Familie, ohne Sorgen, ohne Pflichten! Was geschah denn denen, wenn sie lustig ihr Leben genossen, ihrer Väter Geld verlumpten und von dem ganzen kleinen Katechismus höchstens noch das fünfte und siebente Gebot berücksichtigten? Gar nichts geschah ihnen – im Gegenteil, je toller sie's trieben, desto mehr Ehr' und Ansehen gewannen sie – besonders bei den jungen Damen. Er dagegen hatte so gut wie niemals über die Stränge geschlagen, war stets ein Muster von Fleiß und Pflichterfüllung gewesen, kostete seinen Eltern schon seit Jahr und Tag keinen Pfennig Geld mehr und blickte auf seinem Wege bergan zu den höchsten Zielen seiner Kunst weder rechts noch links. Und was war nun sein Lohn? Eine einzige erste Nacht in Gesellschaft lustiger und merkwürdiger Menschen bei gutem Wein verjubelt, zog ihm sofort die Verachtung einer ganzen Reihe sonst doch friedfertiger und wohlgesinnter Leute zu! Und die Ereignisse dieses grauen Morgens waren dabei nur das vielversprechende Vorspiel zu einem erbaulichen Konzert von lauter Widerwärtigkeiten. Im Laufe der nächsten Wochen sagten ihm nicht weniger als vier Herrschaften die Klavierstunden für ihre Töchter ab. Wie auf Verabredung hatten all diese Damen plötzlich an ihrer Gesundheit einen derartigen Schaden gelitten, daß ihnen ihr Arzt das Klavierspielen untersagen mußte. Nur eine der Herrschaften war ehrlich genug, den wahren Grund ihrer Absage anzugeben: Frau Konsul Burmester hatte sie gewarnt vor ihm, als vor einem rohen und obendrein gewissenlosen Menschen, der sich nicht scheute, seine Vertrauensstellung zu mißbrauchen, um unerfahrene Mädchen zu bethören. Ja sogar bis zu den Ohren seines Konservatoriumdirektors waren jene böswilligen Gerüchte gedrungen. Es half Florian nichts, daß er den Herrn Direktor darüber aufklärte, daß jene Verleumdungen lediglich das Werk des rachsüchtigen Prczewalsky seien, der Direktor fürchtete, durch sein Verbleiben Schülerinnen einzubüßen – außerdem war ihm hinterbracht worden, daß Florian dicke Freundschaft geschlossen habe mit seinem Todfeinde Toby Tomatschek, welcher einmal sein Institut in einer Kritik fürchterlich heruntergerissen hatte. Florian Mayr wurde zum 1. Januar seine Stellung als Professor der Meisterklasse gekündigt.

Ein wahres Glück war's, daß er in den fetten Jahren so sparsam gelebt und sich ein hübsches Stück Geld auf die Seite gelegt hatte. Vor der Not war er so doch auf längere Zeit geschützt, und die unfreiwillige Muße benützte er, um sich mit verdoppeltem Fleiß in der virtuosen Technik zu vervollkommnen. Er mied die Gesellschaft, las Schopenhauer, verachtete die Weiber und bestärkte sich täglich mehr in der Ansicht, sich auf einer denkbarst schlecht eingerichteten Welt zu befinden.


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