Ernst v. Wolzogen
Der Kraft-Mayr
Ernst v. Wolzogen

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Dreizehntes Kapitel.

Ein Wiedersehen.

Nach langer, sorgfältiger Vorbereitung sollte um Mitte Juni Liszts Legende von der heiligen Elisabeth auf dem weimarischen Hoftheater scenisch aufgeführt werden. Nicht wenige Träger bekannter Namen aus der Musikwelt fanden sich zu diesem Ereignis in Weimar zusammen. Am Tage der Aufführung selbst war der Baron von Ried mit Florian Mayr mittags auf den Bahnhof gegangen, um die Berliner Bekannten zu empfangen.

Der Zug brauste heran – und richtig, da ward Raphael Silbersteins ungeheure Nase an einem Coupéfenster sichtbar. Der Zug hielt kaum, als jener Erzengel des göttlichen Gais auch schon die Thür öffnete und diensteifrig voraussprang, um dem großen Peter, sowie seinem Gefolge beim Aussteigen behilflich zu sein. Dies befolge bestand aus Herrn Tomatschek nebst Fräulein Tochter und noch einer zweiten Dame, die weniger durch Schönheit als durch resoluten Ausdruck auffiel. Der Baron genierte sich nicht, den großen Tonsetzer mitten in dem Bahnhofsgetümmel durch ein laut heraustrompetetes Motiv aus einer seiner Opern zu begrüßen, wofür jener mit gnädigem Kopfnicken dankte. Peter Gais hatte im Laufe der letzten Monate einen noch dickeren Hals bekommen, wodurch er wahrscheinlich auch genötigt war, den Kopf noch höher zu tragen als früher. Die energisch blickende Dame mit dem kurzgeschnittenen Krauskopf stellte er kühl als seine Schülerin und ergebene Freundin vor. Herr Tomatschek war so schön wie immer. Er trug eine schwarze Samtjoppe und ein weißseidenes Hemd mit einer weißseidenen Krawatte dazu. Und seine Tochter Libussa sah bei all ihrer lieblichen dunklen Schönheit auch am hellen Tage bleich, übernächtig und abgehärmt aus. Man schritt dem Ausgang zu. Peter Gais mit seiner ergebenen Freundin voran, hinter ihnen Raphael Silberstein mit zwei Handkoffern und verschiedenen kleineren Gepäckstücken belastet, dann der Baron mit Libussa Tomatschek am Arm und zuletzt Florian mit dem Vater dieses eigenartigen Mädchens.

Auf der Terrasse vor dem Bahnhofsgebäude machte der kleine Trupp Halt, um sich über die Wahl eines Gasthauses schlüssig zu werden. Da klang plötzlich eine bekannte Stimme an Florians Ohr. Er wandte sich rasch um und sah sich – Thekla Burmester gegenüber! Das Mädchen schrie leicht auf: »Ach, Herr Mayr!« Und damit ergriff es den neben ihr herschreitenden Vater am Arme, um ihn aufmerksam zu machen. Aber Herr Burmester that, als sähe er Florian nicht, und suchte eifrig in seinem Portemonnaie nach kleiner Münze für den Gepäckträger. Seine Gattin jedoch, die ein paar Schritte zurückgeblieben war, hatte Florian sofort erkannt. Im Vorbeistreifen warf sie ihm einen bösen Blick zu und packte ihre Tochter beim Arm, um sie rasch die breite Steintreppe hinunterzuführen. Thekla ließ es sich aber doch nicht nehmen, sich noch einmal umzuwenden, und da zog Florian rasch seinen Hut und nickte ihr freundlich lächelnd zu. Im selben Augenblicke hastete eine Gestalt an ihm vorbei, die er gleichfalls zu kennen meinte: Schlapphut, üppiges dunkles Haar und ein melancholisch nach unten herabgezogener Schnurrbart – das war doch . . .? Der Herr stieg den Burmesters nach in den Omnibus des »Russischen Hofes«. Natürlich, es war Antonin Prczewalsky, der weiche Künstler! So – also er reiste mit den Burmesters und stieg mit ihnen in demselben Hotel ab, wahrscheinlich auf Kosten des Konsuls – vielleicht war er gar der Familie noch näher verbunden? Florian stampfte mit dem Fuß auf und blickte grimmig dem davonrasselnden Wagen nach.

Herrn Tomatscheks Stimme rief ihn wieder zu sich: »Kennen Sie vielleicht die Herrschaften, mit denen der Kollege Prczewalsky gereist ist?« fragte er neugierig. »Ich habe die Herrschaften nämlich schon in Berlin mitsammen einsteigen sehen.«

»So, so . . . also den verdammten Prositlaus kennen Sie auch?« erwiderte Florian. »Ich habe dem Fräulein Burmester Klavierstunden gegeben – das war nämlich der Konsul Burmester aus der Markgrafenstraße. Hat sich der Lump vielleicht herausgenommen . . .?«

»Ja freilich. er soll doch mit ihr verlobt sein!« fiel Tomatschek rasch ein. »Da steckt Geld dahinter, was? Ich habe so etwas von einer Million läuten hören – manche behaupten sogar Thaler?«

»Sie, mein lieber Herr Tomatschek,« sagte Florian plötzlich mit komischer Feierlichkeit, indem er den schönen Toby fest beim Arm packte. »Sie sollen mich einen Lausbuben heißen dürfen, wenn ich diesen edlen Polen ungeprügelt aus Weimar wieder auskommen laß! Der hat bei mir noch was auf dem Kerbholz. Also Sie sind Zeuge von meinem Schwur!«

»Mit Vergnügen!« erwiderte Tomatschek freudig. »Wenn Sie vielleicht Zuschauerkarten ausgeben wollen, bitte mich vorzumerken. Den Kerl, den Prczewalsky, kann so kein Mensch ausstehen! Ein Ohrwurm ist der Kerl, eine Wanze, die sich überall einnistet und nicht zu vertreiben ist – natürlich nur, wo's was zu holen gibt. Und dabei kann er nichts. Diesen Winter hat er ein Konzert von eignen Kompositionen in der Singakademie gegeben – wird ihm natürlich der Herr Konsul bezahlt haben – ich sage Ihnen, das war schon das Blödeste, was mir in meinem ganzen Leben vorgekommen ist! Sogar die Freibillete sind hinausgelaufen, nach der ersten halben Stunde schon – da können Sie sich vorstellen, wie viel Leute am Schluß noch drin waren! Und das hübsche Fräulein da hat ihm gar noch einen großmächtigen Lorbeerkranz mit Schleifen in den polnischen Farben, Weiß und Rot, überreicht.«

»Was, die Thekla?« brauste Florian auf. »Ja, mein Gott, ist denn das ganze Weibsvolk vom Deixl besessen!?«

Peter Gais und seine Freunde hatten sich endlich für das »Gasthaus zum Adler« entschieden und krochen in dessen Omnibus hinein, während der Baron von Ried es vorzog, mit Florian zu Fuß in die Stadt zurückzukehren. Der Baron war ebenso heiterer als Florian schlechter Laune.

»Weiß der Kuckuck!« begann er lebhaft; »diese Libussa Tomatschek macht mir warm. Was ist das bloß für ein reizendes Köpfchen – und diese wundervolle seidige Perücke!«

»A was, lassen S' mich aus!« murrte Florian. »Ich begreif' net, wie man sich noch über die Mädeln aufregen kann. Ich bin fertig mit der Bagage!«

»Herrgottsakra, ich reg' mich aber auf!« rief der Baron lachend; »bal' mi die Madeln nimma g'freun sollten, nacha möcht' i scho lieber glei' hin werden!« Der Baron hatte die Eigentümlichkeit, von jedem Dialekt alsbald angesteckt zu werden, und so verführten ihn Florians bayrische Anklänge sofort in das schönste Bühnengebirglerische zu verfallen.

Florian schaute ihn ein wenig mitleidig ironisch von der Seite an und sagte: »Ich mein', man sollte froh sein, wenn man von der G'sellschaft endlich einmal sei' Ruh' hätt'. Das gescheitste ist am End' doch, man heiratet bald: dann braucht man sich doch bloß über die eine Gans im Hause zu ärgern und net a noch über alle die, die draußen noch umanandalaufen!«

Der Baron blieb stehen und lachte laut heraus: »Ach, Sie liebe Unschuld Sie! Jetzt passen S' auf, ich werd' Ihnen eine sichere Wahrheit verkündigen: Sie brauchen höchstens ein Jahr verheiratet zu sein, so haben Sie die heiligste Ueberzeugung gewonnen, daß alle Gänse ohne Ausnahme der Ihrigen vorzuziehen seien – oder vielmehr, daß gerad' Sie Unglücklicher die Ur-, Erz- und Normalgans erwischt hätten, gegen die sämtliche ledige Frauenzimmer Ihrer Bekanntschaft die reinen Engerln wären!«

Florian blickte den Baron mißtrauisch an: »Ja, haben denn Sie solche angenehme Erfahrungen machen müssen?«

»Bitt' schön, wir wollen lieber nicht persönlich werden!« antwortete Herr von Ried, plötzlich wieder ernst werdend. »Lassen Sie sich nur das Eine gesagt sein: ein ordentlicher Künstler soll überhaupt nicht heiraten, oder höchstens – nein, die Ausnahmen sind zu schwer zu konstruieren!«

»Demnach scheinen Sie aber auch keine hohe Meinung von den Weibern zu haben?«

»Ich? O! Ich habe mich immer nach Kräften bemüht, gerecht zu sein. Ich will Ihnen was sagen, mein lieber Herr Mayr: die Frauen werden am höchsten geschätzt von Männern, die viel Glück in der Liebe gehabt haben und dabei selbst immer noble Kerle geblieben sind; erst in zweiter Linie von den ganz zufriedenen Ehemännern, und am allerwenigsten von den reichen Lebemännern. Wer die Liebe zu kaufen gewohnt ist, der wird immer die Frauen verachten – gerade so wie die sehr jungen Burschen, die noch von keinem ordentlichen Weibe für voll angesehen werden, oder die Männer, die ihrer vollendeten Pöbelhaftigkeit wegen bei feiner empfindenden Frauen niemals Erfolg gehabt haben.«

An der nächsten Straßenecke verabschiedete sich der Baron von Florian, nachdem sie verabredet hatten, nach dem Theater mit ihren Freunden zusammenzukommen. Florian ging allein nach dem Restaurant, wo er sein langweiliges Mittagessen einzunehmen pflegte. Ihm war recht elend zu Mut. So viel weise Sprüche hatte er nun über die Frauen gehört von seinem Meister und von diesem hervorragenden Schriftsteller, der als Seelenkenner von Profession doch auch in Betracht kam – und dennoch konnte alle diese eingesogene Philosophie ihm nicht dazu verhelfen, seinen Gemütszustand wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Er bereute seine Roheit gegen die Badacs und er hatte sie sogar schriftlich um Verzeihung gebeten, weil sie sich nicht von ihm sprechen lassen wollte. Eine Antwort hatte er von ihr nicht empfangen, wohl aber hatte sie seinen Gruß auf der Straße freundlich erwidert, bei der ersten Wiederbegegnung in Liszts Salon jedoch deutlich zu verstehen gegeben, daß sie eine Aussprache zu vermeiden wünsche. Das hatte ihn nun wieder geärgert, denn er fühlte sich doch immer noch als der zuerst Beleidigte. Sie war für ihn das erste Weib gewesen, er aber sollte für sie so ganz ohne Belang, eine reine Null gewesen sein! Das kränkte ihn tief, darüber kam sein Stolz nicht hinweg.

Und nun war auf einmal die andre wieder aufgetaucht, das gute, vielgequälte Kind, das sich mit solchem Vertrauen an ihn hatte hängen wollen, trotzdem er es mißhandelt hatte! Der Blick, mit dem sie sich noch einmal nach ihm umgewendet hatte vor dem Bahnhof, hatte der nicht deutlich gesprochen: »Komm, hilf mir doch, sieh doch, wie unglücklich ich bin!« – Und er hatte sich mit keinem Gedanken ihrer erinnert, solange er in Weimar war! Wie ein ganz einfältiger Grünling war er in ein Abenteuer hineingetappt mit einer Person, für die seine hausbackene deutsche Empfindung gewiß eine Lächerlichkeit war, und hatte darüber die liebe kleine Thekla, die sicherlich besser zu ihm paßte, hilflos ihrem Schicksal überlassen. Wenn sie wirklich mit dem gräßlichen Polen verlobt war, wenn sie wirklich dem Ekel öffentlich einen Lorbeerkranz überreicht hatte, so war sie gewiß dazu gezwungen worden, und nur die Hoffnungslosigkeit hatte ihren Widerstand zu beugen vermocht. Ja, ja, so hing die Sache sicherlich zusammen: er war selber daran schuld, daß der freche Polack sich das liebe Mädchen und ihr schweres Geld dazu erschleichen konnte. – Mußte denn einem ehrlichen Kerl notwendig alles schief gehen, sobald er mit Frauen zu thun bekam? Wie behaglich hatte er sich sonst in seiner Haut gefühlt – und jetzt kam er sich so nichtswürdig und elend vor!

Das Essen schmeckte ihm nicht. Er ließ den letzten Gang unberührt stehen und trieb sich ein paar Stunden zweck- und ziellos umher. Traurig verging ihm der Nachmittag, zumal da der Empfang bei Liszt der bevorstehenden Aufführung wegen abgesagt war. Im Theater fand er endlich Zerstreuung und Aufmunterung.

Das alte kleine Haus war bis auf den letzten Platz besetzt, und man bemerkte im Parkett wie im ersten Rang eine ganze Anzahl von musikalischen Berühmtheiten, auswärtigen Kritikern und vornehmen Freunden des Altmeisters. Die großherzogliche Familie mit ihrem Hofstaat nahm in der großen Mittelloge Platz, was an sich schon der Vorstellung eine gewisse Feierlichkeit verlieh. Die Familie Burmester saß im ersten Rang rechts, auf der ehemals adeligen Seite, und zwischen der überschlanken Frau Konsul und der rundlich holden Thekla blähte sich Antonin Prczewalsky auf. In der Fremdenloge saß Jean d'Oettern neben dem Prinzen eines mediatisierten Fürstenhauses und dessen schöner Gattin. Er benützte fleißig sein Opernglas und nickte lächelnd bald hierhin, bald dorthin Bekannten zu. Der Baron von Ried, Toby Tomatschek nebst Tochter, Peter Gais mit seiner ergebenen Freundin und Florian Mayr saßen im Parkett bei einander. In der kleinen Orchesterloge des Intendanten erschien kurz vor Beginn der Vorstellung Franz Liszt. Man hatte ihm ein Tischchen mit zwei Kerzen in die Loge gestellt. Darauf legte er seine Partitur, um während des Spiels nachlesen zu können. Auf der linken Seite des ersten Ranges bemerkte Florian mit lebhafter Verwunderung Ilonka Badacs in Gesellschaft des dürren Mister Crookes. Die Boys waren nicht dabei – die durften vermutlich noch nicht ins Theater gehen!

Florian behielt bis zu Beginn des Vorspiels die Burmesters soviel als möglich im Auge. Er bemerkte, wie der Pole mit zur Schau getragener Zärtlichkeit fortwährend Thekla ins Gespräch zu ziehen versuchte, während diese sich immer wieder ungeduldig abwandte und eifrig ihr Opernglas benutzte. Suchte sie vielleicht ihren ehemaligen Lehrer und treulosen Freund? Jetzt verfolgte ihr Glas die Reihen des Parketts von hinten nach vorn. Florian erhob sich und drehte dem Orchester den Rücken zu. Da . . . jetzt schien ihn ihr Blick erfaßt zu haben. Er grüßte sie mit den Augen und mit einem leichten Neigen des Kopfes, und sie legte das Glas beiseite, und es wollte ihm scheinen, als ob auch sie das dunkle Köpfchen ein wenig gegen ihn neigte. Im selben Augenblick brachte Prczewalsky seinen Mund dicht an ihr Ohr und flüsterte ihr etwas zu. Sie hob ärgerlich die Achseln empor und lehnte sich in ihren Sitz zurück. Der schöne Antonin nahm ihr das Glas aus der Hand und richtete es nun seinerseits auf Florian. Aber just in dem Moment wurde das Haus verdunkelt, und das Vorspiel begann.

Es dauerte keine Viertelstunde, so hatte Florian alles um sich vergessen und befand sich völlig im Banne des merkwürdigen Kunstwerks. Er gehörte zu den wohl nicht sehr zahlreichen Zuhörern, die mit ungeteilter Aufmerksamkeit und aufrichtiger Bewunderung den etwas wirren Pfaden folgten, die der Geist des Meisters in der »Heiligen Elisabeth« eingeschlagen hat. Das Werk ist von allem Opernhaften zu weit entfernt, zu kirchlich in seinem Stil und überdies im Aufbau zu undramatisch, als daß es auf der Bühne stark zu wirken vermöchte. Die naiven Zuschauer langweilten sich denn auch ganz gehörig, wachten nur beim Kreuzrittermarsch und bei der Gewitterscene aus ihrem sanften Kirchenschläfchen auf und waren froh, als die Geschichte ausgestanden war, während die Fachleute und besonders die näheren Freunde des Meisters und seiner Richtung über die vielen musikalisch bedeutsamen Einzelheiten und die religiöse Weihestimmung, in die das ganze Werk getaucht ist, einig und voll Entzückens waren. Nach Schluß der Vorstellung blieben zahlreiche Gruppen, besonders der zugereisten Fremden, im Vestibül oder vor dem Theater stehen, um Liszt beim Herauskommen zu sehen. Zu diesen gehörte auch die Familie Burmester, sowie Peter Gais nebst Anhang. Der arme kleine Herr Konsul war, schon während sie die Treppe hinunterstiegen, von seiner Gattin wegen seines vielen Gähnens an diesem Abend gehörig gerüffelt worden. Thekla, die dicht hinter der Mutter hergegangen war, hatte es gehört und machte sich im Vestibül an den Papa heran, um ihm tröstend zuzuflüstern: »Mach dir nichts draus, Väterchen – ich fand es auch furchtbar langweilig!«

Da trat Prczewalsky herzu, einen jüngeren Herrn geleitend, der gleichfalls zu dem weiteren Kreis der Lisztianer gehörte, und stellte ihn als seinen Freund vor. Frau Burmester zog den Herrn sogleich in ein Gespräch und wollte alle möglichen Intimitäten über Liszts Lebensweise und sein Verhalten zu seinen Schülerinnen wissen. Die Auskunft, die ihr der junge Herr geben konnte, genügte ihr durchaus nicht. Sie beobachtete mit ihrem langgestielten Lorgnon die harrenden Gruppen, ließ sich verschiedene Namen nennen und platzte dann auf einmal heraus: »Sagen Sie, wie kann man an Liszt herankommen? – Man macht einfach Besuch, nicht wahr? Es würde uns ungeheuer interessieren, einem seiner berühmten Nachmittagsempfänge beizuwohnen – nicht wahr, Willy?«

»Jawohl, riesig,« erklärte der Konsul pflichtschuldigst.

»Ja, wenn Sie irgendwelche Beziehungen haben,« sagte der Herr.

»O, wir kennen die ganze musikalische Welt Berlins!« rief Frau Burmester fast herausfordernd. »Außerdem hat unser zukünftiger Schwiegersohn dem Meister erst heute nachmittag eine sehr gewichtige Visitenkarte abgegeben, die Partitur seiner neuesten symphonischen Dichtung.«

»Ah!« rief Antonins Freund mit einem etwas sonderbaren Lächeln, »das ist freilich . . . Morgen abend ist übrigens großer Empfang bei Liszt. Der Hof ist da, eine Menge hervorragender Künstler und sonstige Berühmtheiten. Es dürfte ein ungemein interessantes Programm für die musikalischen Darbietungen geben. Der Böhme Smetana wird ein neues Klavierquartett vorspielen, ein hervorragender russischer Sänger wird sich hören lassen und dann – ja richtig: Daniela von Bülow kommt eigens von Bayreuth herüber, hab' ich gehört – Sie wissen doch: die älteste Tochter von Frau Cosima!«

»Da müssen wir hin!« rief die Konsulin aufgeregt. »um jeden Preis! Wir geben noch einen Tag zu; nicht wahr, Willy?«

»Wir sind ja noch gar nicht einmal vorgestellt,« wandte Herr Burmester schüchtern ein.

»Ach was, wozu haben wir denn einen Schwiegersohn in spe!« lachte Frau Olga übermütig. »Nicht wahr, lieber Antonin, du besorgst uns das?«

Antonin fuhr sich durch die Locken und schniefte, hilflos um sich blickend: »Khn, khn – ich weiß doch nicht . . .«

»Ja mein Gott, dann machen Sie sich doch an eine einflußreiche Persönlichkeit heran!« entschied Frau Burmester ungeduldig. »Wer hat denn hier bei Liszt am meisten zu sagen?«

Antonins Freund verzog höhnisch den Mund und antwortete: »Ja wenn Ihr Herr Schwiegersohn die Ehre hätte, den berühmten Herrn Mayr zu kennen, dann dürften Sie vielleicht noch hoffen, meine Herrschaften.«

»Wer ist Herr Mayr?« fragte Frau Olga, die spitzen Schultern hochziehend.

»Oh, kennt man den berühmten Mayr in Berlin noch nicht? Er wirft Damen die Treppen hinunter und spielt den grimmigen Cerberus vor dem Allerheiligsten. Dem guten Meister suggeriert er einfach alles, was ihm beliebt, dieser berühmte Herr Mayr, mit a–y–r – Florian Mayr.«

»Papa, hast du gehört?« flüsterte Thekla aufgeregt und drückte ihres Vaters Arm heftig an sich.

Der Konsul nickte, und dann wandte er sich an seinen zukünftigen Schwiegersohn und sagte mit freundlichem Hohn: »Das paßt ja vortrefflich. Sie kennen ja den Herrn Mayr so gut!«

Der edle Pole wurde blaß vor Wut und stieß sein gräßliches »Khn, khn« so heftig durch die Nase, daß seine weichen Barthaare sich sichtbar sträubten.

Frau Olga setzte ein bitterböses Gesicht auf und verwies ihrem Gatten seine Ungezogenheit mit einem strengen Blick.

In diesem Augenblick betrat Liszt durch eine der Seitenthüren die Vorhalle. Zu seiner Rechten schritt der Hofkapellmeister Lassen, der die heutige Aufführung dirigiert hatte, und zu seiner Linken Florian Mayr. Die anwesenden Herren zogen den Hut und verneigten sich tief vor dem ehrwürdigen Meister, und auch einige von den Damen führten einen regelrechten Hofknix aus. Einige ältere Herren traten auf ihn zu und redeten ihn an.

Florian hatte die Burmesters sogleich entdeckt. Er faßte Thekla fest ins Auge und grüßte sie überaus freundlich. Da wurde das Fräulein dunkelrot und machte einen Knix wie ein kleines Mädchen. Sofort bekam sie von ihrer Mutter einen heimlichen Stoß versetzt.

»Was fällt dir ein – wir kennen den Menschen nicht!« raunte sie Thekla zu.

Fast gleichzeitig flüsterte Antonins Freund hinter der vorgehaltenen Hand ihr zu: »Gnädige Frau! Das ist der berühmte Herr Mayr! Sehen Sie bloß, jetzt stellt ihn Papa Liszt dem alten Herrn vor – ach Gott, wie zärtlich er ihn streichelt – unbegreiflich, was er an dem Menschen für einen Narren gefressen hat!« Und dann wandte er sich an Prczewalsky: »Na, machen Sie sich doch heran an Ihren Freund Mayr!«

»Oh, ich werrde den Menschen eines Tages noch tötten!« knirschte Antonin ingrimmig.

Nun wandte sich Liszt dem Ausgang zu, und die ganze Gesellschaft folgte ihm nach. Antonin wollte seiner Braut den Arm reichen, aber sie wies ihn mit einem Schauder ab und klammerte sich noch fester an ihren Vater.

»Komm, Papa, komm schnell fort von hier!« flüsterte sie erregt. »Ich halte es nicht mehr aus!«

Die Frau Konsul bemerkte das rasch davonschreitende Paar, ergriff ihres Schwiegersohnes Arm und redete, während sie ihn rasch mit sich fortzog, ärgerlich auf ihn ein: »Da sehen Sie, jetzt läuft sie wieder von Ihnen davon – was ist das nur? Ich glaube, Sie wissen sich keinen Respekt zu verschaffen – Sie müssen dem Kinde imponieren!«

»Oh, soll ich sie vielleicht schlagen, wie dieser Herr Mayr?« versetzte Antonin gekränkt. – »Das scheint ja die sicherste Manier zu sein, Fräulein Thekla zu imponieren!«

»Und was thun Sie?« gab Frau Olga gereizt zurück. »Sie erzählen ihr immer nur von Ihren fabelhaften Erfolgen bei allen möglichen großen Damen und prahlen mit Ihren fürstlichen und sonstigen berühmten Bekanntschaften. Wenn Sie doch lieber einmal mit Ihren Werken Erfolge hätten oder sonst Ihre Persönlichkeit durchzusetzen wüßten – so wie dieser Herr Mayr. Aber Sie können einem nicht einmal eine Einladung zu Liszt verschaffen!«

»O bitte, erlauben Sie, Frau Mutter!« widersprach Antonin erregt. »Ich werrde Ihnen Einladung verschaffen – ist doch Kleinigkeit für mich. Liszt hat mich ersuchen lassen, morgen früh um neun Uhr zu ihm zu kommen, um mein Werk mit mir durchzugehen. Er wird sich serr freuen, meine Bekanntschaft zu machen, hat er mir sagen lassen. O, Sie werrden sehen, Frau Mutter, ob ich ihm nicht imponieren werrde – khn, khn!«

»Na, wir wollen das Beste hoffen!« versetzte die Konsulin ohne sonderliche Ueberzeugung.

»Nicht wahr, liebe Frau Mutter,« fuhr Antonin mit zärtlicher Betonung fort: »Sie stehen mir bei, daß die Hochzeit nun bald festgesetzt wird? Ich versichere, Theklas Sträuben ist nur jungfräuliche Sprödigkeit. Ich werrde dieselbe glänzend zu überwinden wissen, sobald ich Gatte bin. Bitte, khn – ich habe den Stolz der Gräfin Leszczynska besiegt, und die kleine Komtesse . . .«

»Jawohl, ich weiß, die eigentlich ins Kloster gehen wollte, es aber dann vorzog, sich von Ihnen entführen zu lassen – Sie haben mir die Geschichte ja schon öfter erzählt, lieber Antonin! Ich bedaure in Ihrem Interesse aufrichtig, daß unsre Thekla so wenig von dem Temperament Ihrer polnischen Komtesse besitzt.« Frau Olga sagte das zweifellos ironisch.

»Oh, ich werrde – khn,« begann Prczewalsky aufs neue, sich gewaltig in die Brust werfend.

Aber seine künftige Frau Schwiegermama schnitt ihm ungeduldig das Wort ab, indem sie, seinen Ton nachahmend, rief: »Ach, Sie werrden! Was werrden Sie nicht alles? Sie sind der größte Zukunftsmusiker, der mir noch vorgekommen ist. Aber die Thekla sollen Sie nun wirklich bald heimführen, schon damit diese ewigen, langweiligen Scenen mit meinem Manne aufhören! Der hat nun einmal unglücklicherweise das Vorurteil gegen Sie. Machen Sie das Kind glücklich – es bleibt Ihnen nichts andres übrig, wenn Sie den Konsul für sich gewinnen wollen.« Damit waren sie vor ihrem Hotel angekommen. – – – –

Florian brachte unterdessen seinen Meister nach Hause und überließ ihn alsdann seinen älteren Freunden und Bewunderern, um der Verabredung mit seinen Berliner Bekannten gemäß sich nach dem »Sächsischen Hofe« zu verfügen. Um jedoch den weihevollen Eindruck des eben gehörten Kunstwerks in seiner Seele harmonisch ausklingen zu lassen, bevor er sich wieder in Gesellschaft von Menschen, und noch dazu von Berlinern, begab, ging er nicht durch die Stadt, sondern hinter der Hofgärtnerei herum durch den Park.

Als er in die Nahe des Rondells kam, wo an schönen Sommersonntagen die Militärmusik zu spielen pflegte, vernahm er von dort ein verliebtes Taubengurren, und als er näher herangekommen war, sah er auch das Pärchen auf einer der Bänke sitzen. Er trat vom Kiesweg auf den Rasen und lauschte. Er fand selbst, daß das eigentlich nicht hübsch von ihm sei, aber er folgte dennoch dem plötzlichen Gelüste, einmal zu erfahren, wie es unter ordnungsmäßigen Liebesleuten zuzugehen pflegte. Es war etwas wie Neid dabei; denn seit er bei seinem ersten Versuche in der Liebe so schlecht gefahren war, trug er ein stetig brennendes Bedürfnis nach Liebe mit sich herum.

»Mein armes Herzl, du thust mir furchtbar leid,« hörte er den Mann sagen. »Es ist freilich kein Wunder, wenn du dir über die Welt und über uns Männer besonders so wunderliche Ideen in den Kopf gesetzt hast. Das ist ja eine ganz ungesunde und anormale Atmosphäre, in der du aufgewachsen bist!«

Die Stimme kam Florian so bekannt vor. Sollte dieser gebildete Liebhaber nicht . . .?

Aber da begann das Mädchen zu reden. Gar nicht zärtlich. Laut und mit der Fußspitze heftig in den Kies stoßend, sagte es: »Ich will aber gar nicht bemitleidet sein – ich weiß gar nicht, was Sie wollen: Ich habe einen Vater, der mich anbetet, ich genieße die Freundschaft bedeutender Männer. ich habe meine ganze Gedankenwelt für mich . . .«

»Das ist ja eben das Unglück,« fiel der Herr eifrig ein. »Wenn du bloß ein bißchen weniger denken und ein bißchen natürlicher empfinden wolltest, dann würden dir alle Herzen zufliegen, und du könntest eine außerordentliche Gewalt über die Menschen ausüben. Sieh mal, ich bin überzeugt, daß eine große Künstlerin in dir steckt, aber du läßt sie nicht aufkommen gegen das widerborstige, verzogene Kind in dir. Ihr habt's ja so leicht, gerade auf der Bühne: der natürliche weibliche Reiz macht ja drei Viertel eurer Künstlerschaft aus. Also lerne erst einmal ein liebes, nettes Mädel sein, dann fällt dir das übrige alles von selbst in den Schoß.«

»Ich bemerke, daß Sie mich seit zehn Minuten konsequent duzen, Herr Baron!« sagte das Mädchen ungerührt. Und nun wußte Florian auch ganz genau, wen er vor sich hatte: es war der Baron von Ried. der sich da um das Seelenheil des Fräuleins Libussa Tomatschek verdient machte.

»Herrgott, Mädel!« rief jetzt der Baron in komischer Verzweiflung, »du bist ein Frosch mit Eichenlaub! Das mußt du doch allmählich gemerkt haben, daß ich dir gut bin, zum Donnerwetter nochmal! Stör' mir doch nicht immerzu das Konzept mit deinen frivolen Bemerkungen! Ich will doch nicht etwa ein Verhältnis mit dir anfangen! Weshalb sträubst du dich denn so dumm? Ich will doch weiter nichts, als dich zur Vernunft bringen und mir einen Gotteslohn damit erwerben.«

»Aha, und darum raten Sie mir, unvernünftig zu sein?«

»Gewiß, vortrefflich bemerkt! Wahrlich, ich sage Ihnen, mein gnädiges Fräulein, wenn Sie nicht vernünftig werden wie die Verliebten, so ist es nichts mit dem Himmelreich – – auf Erden nämlich!«

Fräulein Libussa lachte laut hinaus, und der Baron umfing sie mit beiden Armen und rief ungemein vergnügt: »Ei sieh doch, wie wunderhübsch du lachen kannst! Komm, dafür kriegst du ein Libusserl!«

»Oh!« machte das Fräulein und sträubte sich ein wenig, aber der Baron hatte es schon beim Schopf und schloß ihm den Mund so fest, daß es nicht mehr mucksen konnte.

Jetzt hielt es Florian aber doch für seine Anstandspflicht, sich eilends davonzuschleichen. Die Nacht war so weich, und der Mond schien so listig kupplerisch wie eine einsame Laterne in einer dunklen Gasse – und alle fünfzig Schritt begegnete Florian einem in zärtlicher Verschlingung dahinwandelnden Pärchen. Es war zum Tollwerden! Wenn er jetzt so mit der guten Thekla Burmester hätte lustwandeln dürfen, ihr dunkles Köpfchen an seine Schulter gelehnt, den Arm um ihre Taille geschlungen – es wären ihm gewiß auch genug zärtliche Dinge eingefallen, die er ihr hätte ins Ohr flüstern können, und er war überzeugt, daß er sich nicht in die Notwendigkeit versetzt gesehen hätte, sie »Frosch mit Eichenlaub« zu titulieren, wie der Baron sein seltsames Verhältnis. Der angebliche Bräutigam hätte ihn wahrhaftig nicht geniert – Theklas Augen hatten es ihm zu deutlich verraten, daß ihre Gesinnung gegen ihn die alte geblieben war.

Im Garten des »Sächsischen Hofes« fand Florian eine ziemlich mißvergnügte Gesellschaft beisammen: Peter Gais hatte sich soeben mit seiner ergebenen Freundin gezankt und kaute mißmutig an seiner Cigarre herum. Raphael Silberstein rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und besann sich vergeblich, wie er wohl den Titanen auf andre Gedanken bringen könnte. Toby Tomatschek hatte der ganzen Gesellschaft den Rücken gewendet, um die Eingangsthüre im Auge behalten zu können, und wühlte aufgeregt in seinem krausen Haar herum.

»Wo haben Sie meine Tochter?« rief der schöne Mann Florian entgegen, sobald er sich dem Tische näherte.

Florian zuckte die Achseln und stellte sich ganz erstaunt und unwissend. Er nahm neben dem Geigerkönig Platz und schaute verwundert von einem zum andern. Niemand redete ein Wort.

Plötzlich stieß Peter Gais ein unnachahmlich verächtliches »Hö!« hervor und schob seine Cigarre vom rechten in den linken Mundwinkel. Alle blickten ihn erwartungsvoll an, aber der Titan hatte vorläufig noch nichts zu sagen. Florian machte unterdes seine Bestellung beim Kellner.

Toby Tomatschek seufzte schwer auf und näherte seinen Mund Florians Ohr: »Mir schwant Unheil,« flüsterte er ihm zu.

»Warum net gar!« gab Florian mit unziemlicher Heiterkeit zurück.

»Der Baron ist mit meiner Tochter durchgegangen, was wollen Sie wetten?« flüsterte der schöne Toby melancholisch. »Er liebt das Mädchen schon lange. Sie wissen doch, daß er eigens eine Rolle für sie geschrieben hat? – Das wissen Sie nicht? Meine Tochter wird dieselbe an einer der ersten Berliner Bühnen kreieren. Das Stück heißt: ›Der Lumpenhund‹.«

Florian fuhr zusammen: »Jessas na, des is aber a kräftiger Titel!«

»Hm, ja – es liegt Mark und Nachdruck darin,« pflichtete Tomatschek sinnend bei. Dann blies er einen Mund voll Rauch langsam hinaus und begann wieder zu flüstern: »Würden Sie mir raten, an seine Frau zu depeschieren?«

»Wie denn, was denn – an wessen Frau denn?«

»Natürlich doch an die Frau des Barons. Ich dachte mir ungefähr folgenden Wortlaut: – Meine Tochter soeben durch Ihren Gatten entführt. Beantragen Sie Scheidung? Sonst Vorstoß meinerseits. – Wie finden Sie das?«

»Oh – Vorstoß find' ich ausgezeichnet,« versetzte Florian, der sich kaum mehr das Lachen zu verbeißen vermochte.

»Hm,« machte der Geigerkönig wieder nachdenklich, »Sie begreifen: die Ehre über alles – man kann doch nicht so mit sich spaßen lassen! – Im übrigen sind mir die Motive des Barons verständlich – ich würde an seiner Stelle auch mit meiner Tochter durchgehen. Oh, Libussa ist ein dämonisches Weib! Der Baron hat ihr phänomenales Talent zur Schauspielerin sofort entdeckt. Sie würde selbstredend ihr Glück auch ohne diese Heirat gemacht haben.«

»Welche Heirat denn?« fragte Florian ganz verwirrt.

»Nun, der Baron wird sie doch selbstverständlich heiraten, nachdem er sich hat scheiden lassen.«

»Ach so, entschuldigen S', des hatt' ich schon wieder vergessen, daß sich der Baron scheiden läßt,« versetzte Florian, heimlich kichernd.

Peter Gais hatte eben einen tiefen Schluck aus seinem Glas genommen und stellte das nun mit einem kräftigen Stoß auf den Bierfilz zurück, indem er dabei laut und deutlich das Wort »Blech« verkündete.

Raphael Silberstein blickte begeistert zu ihm auf, als erwarte er eine weitere Offenbarung, und da auch die ergebene Freundin sowie die beiden andern Herren ihn fragend anschauten, so fühlte sich der Titane schließlich doch veranlaßt, sich näher zu erklären. Er hielt eine längere Rede, deren Zusammenhang zwar recht unklar war, aus der jedoch die Meinung hervorzugehen schien, daß es höchste Zeit sei, Wagner und Liszt zu überwinden.

»Die sind ja bereits überwunden!« äußerte Raphael Silberstein, als ob das etwas ganz Selbstverständliches wäre, und schmachtete dabei mit seinen sanften Augen den Titanen zärtlich an. »Mit dem ›Satan‹ sind Sie doch einfach über die ›Götterdämmerung‹ hinweggeschritten!«

»Mein Gott, Silberstein, Sie werden immer gleich persönlich,« verwies der Schöpfer des »Satan« seinen Jünger. »Ueber meine Stellung in der Musikgeschichte wird man erst in zwanzig Jahren das richtige Urteil gewinnen. Darauf bin ich vollkommen gefaßt.«

In diesem Augenblicke hatte die ergebene Freundin den Baron von Ried mit Fräulein Libussa entdeckt, die sich suchend zwischen den Tischen herumdrückten. Man erhob sich und winkte ihnen, bis sie aufmerksam wurden und an den Tisch herankamen. Es setzte allerlei Neckereien, die aber weder den Baron, noch das Fräulein besonders in Verlegenheit brachten. Sie erklärten ganz harmlos einen kleinen Spaziergang gemacht zu haben. Libussa sah wunderhübsch aus. Ihre Augen glänzten und sie hatte sogar etwas Farbe. Sie aß mit ausgezeichnetem Appetit zu Abend und unterhielt sich lebhaft mit dem Baron, aber auch mit Florian. Papa Tomatschek beobachtete sie scharf und schien nicht recht zu wissen, was er von ihrem Benehmen halten sollte. – Der Baron war gleichfalls ausgezeichnet aufgelegt und brachte das Gespräch in lebhaften Fluß. Bald befand sich der ganze Tisch in heißem Kampfe, denn Peter Gais stellte immer tollere Behauptungen auf, und als die Mitternacht gekommen war, war er dahin gelangt, so ziemlich allen hervorragenden Geistern dieses Jahrhunderts sämtliche bürgerlichen und sonstigen Ehrenrechte aberkannt zu haben. Es war eine Massenabschlachtung, wie sie die Könige von Dahome zur Feier ihrer Thronbesteigung zu veranstalten pflegen. Und das Endergebnis war dies, daß Peter Gais als einziges Genie auf dem Throne saß. Der Baron hatte anfangs noch ernsthaft opponiert, später jedoch zur Ironie seine Zuflucht genommen, während Florian bald genug grob geworden war. Es fehlte wenig, so wäre es zu Handgreiflichkeiten gekommen. Raphael Silberstein hatte bereits erklärt, daß ihn nur die Rücksicht auf die Damen abhielte, Florian und den Baron auf Säbel zu fordern. Darauf hatte ihm Libussa im Scherz einen Bierfilz an die Nase geworfen, und diesen Schimpf wiederum verschwur er sich, an ihrem Vater zu rächen – kurz und gut, es wurde ein höchst fideler Abend, und wutentbrannt trennte man sich zu später Nachtstunde.


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