Sophie Wörishöffer
Robert des Schiffsjungen Fahrten und Abenteuer auf der deutschen Handels- und Kriegsflotte
Sophie Wörishöffer

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Fünfzehntes Kapitel

Um die Erde

Am 21. Juni verließ die »Gazelle« den Hafen von Kiel, und zwar um zunächst eine Anzahl von Gelehrten zur Beobachtung des Venusdurchganges nach der Kergueleninsel zu bringen, dann aber auch, um in allen einschlägigen Fächern den Naturwissenschaften neues, reiches Material zuzuführen, namentlich jedoch den Meeresboden, diese nie zu betretende, nie zu ergründende, aber eben darum so hochinteressante Welt, möglichst näher kennen zu lernen.

Die Engländer hatten nacheinander mehrere Schiffe entsandt, hatten bedeutende Entdeckungen gemacht und mit ihren Schleppnetzen in der Tiefe von 1500 Fuß das Meer durchpflügt, – weshalb also sollten wir Deutsche weniger tun?

Die deutsche Regierung entsandte das Schiff »Gazelle«, dessen Doppelzweck wir so eben erläuterten, und schon im ersten Anfang des Monats Juli wurden Tiefmessungen vorgenommen, welche auf der Höhe von Madeira das Resultat von 4800 Meter ergaben. Robert hatte sich gleich in Kiel ein kleines, verschließbares Buch angeschafft, das er womöglich an jedem Tage zu öffnen und wahrend eines freien Augenblicks mit den Erlebnissen dieser interessanten Reise zu bereichern gedachte. Er fühlte sich stolz und glücklich, die hochwichtige Fahrt der »Gazelle« mitmachen zu dürfen, er wollte bei der Lebhaftigkeit seiner Natur jetzt in vollen Zügen genießen, alles sehen, alles auf das genaueste kennen lernen. Kein Kauffahrteischiff, kein Kriegsschiff im gewöhnlichen Verlaufe der Dinge konnte ihm je das gewähren, was er jetzt besaß und was vielleicht niemals wiederkehrte: zu reisen um des Reisens willen.

Die Handelsmarine entsendet ihre Fahrzeuge zum Zweck des materiellen Nutzens, sie will und muß vor allen Dingen Zeit ersparen, daher wählt sie die bekanntesten Verkehrswege, umgeht alle Gefahren und scheut jeden Aufenthalt, der nur dem Reeder Geld kostet, ohne das Geringste zu fördern. Robert wußte z.B., wie ungern die Kauffahrteikapitäne loten, und daß sie, sobald das Schiff seine hundert Faden Tiefe unter dem Kiel hat, sofort alle weiteren Versuche aufgeben, mithin den Grund des Meeres nur in sehr seltenen Fällen kennen lernen können. Um so interessanter waren ihm daher jetzt die Tiefmessungen, welche in bestimmten Zwischenräumen von Zeit zu Zeit wiederholt wurden.

In Funchal, der Hauptstadt von Madeira, lag das Schiff nur zwei Tage lang vor Anker, Robert konnte daher von der Umgegend nur sehr wenig kennen lernen, desto mehr aber erfreute ihn der Anblick des Pik von Teneriffa, jenes Vulkanes, der einige Tage später in Sicht kam, obgleich die Insel selbst nicht berührt wurde. Diese Bergspitze, schon in der Entfernung von zwanzig Meilen aus dem Meer hervorsteigend, war von großartiger, überwältigender Schönheit, und unser Freund bedauerte lebhaft, nicht zeichnen zu können, um den Eindruck dieses Bildes, so wie er es gesehen, für sich festzuhalten.

Um den Fuß des Berges zog sich ein üppiger Pflanzenwuchs der indessen stufenweise nach oben hin immer dürftiger wurde, bis endlich gegen den kegelförmigen Gipfel das Ganze in eintöniges Grau überging. Hier bestand der Berg nur noch aus vulkanischer Asche, Bimsstein und Lava, weshalb, wie Robert hörte, die Besteigung äußerst schwierig sei. Auf dem höchsten Gipfel schimmerte es von den letzten Überresten des kaum geschmolzenen Winterschnees, und aus mehreren Spalten drang fortwährend dichter Dampf hervor. Robert hatte bis jetzt keinen feuerspeienden Berg gesehen, daher bewunderte er auch hier wieder ein neues Zeugnis von Gottes Schöpferkraft, die in den verschiedenen Gebilden der Natur dem Menschenherzen viel näher tritt, als alle geschriebenen oder gesprochenen Beweisführungen.

Robert kannte den Dienst bis zum Tüpfelchen über dem »i«, er hatte sich längst hineingelebt in die militärischen Verhältnisse, war bei seinen Untergebenen beliebt, von den Vorgesetzten geachtet und durch die Hinterlassenschaft des Vaters ein unabhängiger Mensch, – es vereinigte sich mithin für ihn alles, um diese Reise zum Höhepunkt des Daseins zu machen. Wie hoch achtete er jetzt die Mannszucht, wie wichtig erschien ihm auch die unbedeutendste Einzelheit des großen Ganzen, dem er dienend und empfangend angehörte, wie klar stand vor seiner Seele der Beruf des Menschen, den er einst als wilder, unbändiger Junge so völlig verkannt!

Er hatte schwer gerungen und hart gebüßt, aber er war an das Ziel gekommen, er wußte, daß jedes lebende Geschlecht als Fußschemel des nachfolgenden dient, daß jedes seine Pfadfinder aussendet, um Wege zu erforschen in das unbekannte Land der Zukunft, daß aber keines von allen an das Ziel gelangen, keines das letzte Dunkel durchdringen wird, so viel Menschengeschlechter auch noch über die geduldige, alte Erde dahingehen mögen. –

Langsam versank, wie er erschienen war, der Pik von Teneriffa in das Meer, und wieder umgab jene Wasserwüste ohne Merkzeichen, an die sich das Auge, das Gehirn erst nach Jahren ganz gewöhnt hat, die Korvette. Dann aber kam San Jago in Sicht, und bei Praya warf das Schiff seine Anker aus, um sich mit Kohlen zu versehen.

Robert war natürlich wieder der erste am Lande. Er hatte nie auf der »schwarzen Liste« gestanden, beging keine Dienstfehler, ließ sich überhaupt nichts zu schulden kommen, daher wurde ihm die Erlaubnis, seinen Wissensdurst zu befriedigen und überall das Land aus nächster Nähe zu sehen, auch nie verweigert.

Diesmal freilich war die Ausbeute gering und der Vergleich mit Madeira, dem reizend schönen, üppig grünenden und blühenden Madeira, fiel für die Insel San Jago nichts weniger als vorteilhaft aus. Das ganze Land zeigte sich als wildzerrissene, zerklüftete, rötlichbraun angehauchte Felszacken, die nur an sehr seltenen Punkten mit einem sparsamen, unschönen Pflanzenwuchs bedeckt waren. Robert hörte, daß es hier nur zwei- oder dreimal im Jahre regne. Wieder eine neue Bemerkung für sein Buch! Wieder eine neue Seltsamkeit der Natur! Nur zwei oder drei Regenschauer im ganzen Jahre!

Da konnte freilich keine Pflanzenwelt gedeihen. Robert sah auch nichts, das auf Ackerbau oder Tierzucht hingedeutet hätte, sondern das ganze Bild zeigte schwarze Figuren auf schwarzem Hintergrunde, nämlich Neger und Steinkohlen, überall, wohin das Auge blickte, Steinkohlen, der einzige Artikel, um deswillen vorüberfahrende Schiffe diese unwirtlichen Küsten überhaupt anlaufen. Nachdem die »Gazelle« ihren Bedarf eingenommen, verließ sie bereits am 29. Juli, also nach zwei Tagen, den Hafen, um dafür die Negerrepublik Liberia aufzusuchen. Robert sollte jetzt auch Afrika kennen lernen, das geheime Ziel seiner Wünsche, Mongos Vaterland, von dessen üppiger Schönheit ihm der Alte so viel erzählt hatte. Das Königreich Dahomey mit den Ankerplätzen Palma und Lagos, lag südlicher als Liberia, das wußte er, aber dennoch war letzteres dasselbe Land und mußte dasselbe äußere Antlitz zeigen. Er freute sich also auf die Einzelheiten, welche ihm Mongo so oft beschrieben, und auf den Brief, welchen er aus seiner Heimat her dem Alten nach New York schicken wollte.

Konnte auch Mongo vielleicht nicht lesen, so gab es doch Leute genug, welche ihm den Inhalt des Schreibens mitteilen würden, und Robert sah schon im Geiste den Neger schmunzeln: »dieser junge Spitzbube!«

Weiter und weiter, vom Glücke begünstigt, verfolgte die »Gazelle« ihren Weg über das Meer. Jetzt mußte unser Freund einmal wieder die volle Hitze des tropischen Sommers ertragen; Bild schlaff hingen alle Segel herab, die Bretter des Verdeckes glühten im Sonnenschein, die Arbeit wurde auf das Unerläßlichste beschränkt und so viel als möglich den Leuten kleine Freiheiten gestattet. Nach sechs Tagen kam die afrikanische Küste in Sicht. Vom Kap Mesurado wehte die Flagge der Negerrepublik und dann, am 4. August, erschien der Lotse.

Diejenigen unter den Matrosen, welche bisher noch nicht in dieser Gegend gewesen und daher auch mit den Landessitten unbekannt waren, drehten sich ab, um ihre Heiterkeit zu verbergen. Der Afrikaner präsentierte nämlich seine mittelgroße, schlanke Persönlichkeit in einem Anzuge, der dem unserer ersten aus dem Paradies vertriebenen Voreltern in jeder Beziehung vollständig glich. Seine Ansprüche beschränkten sich auf einen Streifen Baumwollenstoff von drei Zoll Breite und zwei Ellen Lange, »Tontongee« genannt, und da hier selbstverständlich keine Taschen angebracht waren, so trug er das Lotsenpatent in einer Blechkapsel am Hals.

Seine vollständig tüchtige Kenntnis der Schiffahrt brachte indessen den schwankenden Respekt der Matrosen bald genug zurück, und am 5. August konnte die »Gazelle« an der Mündung des St. Paulsflusses vor Anker gehen.

Wie ganz anders, wie urweltlich und ursprünglich, der Zivilisation abgekehrt, wie vergessen im allgemeinen Fortschreiten der Bildung schien dies Ländchen. Die Stadt selbst nur ein Dorf mit ungepflasterten, unbeleuchteten Straßen, der Hafen klein und nichts weiter als die von der Natur gebildete, zum Ankern günstige Bucht, der St. Paulsfluß endlich, unmittelbar aus dem Urwalde hervorbrechend, durchaus so wie ihn Gott erschaffen, ohne eingehegte Ufer, ohne Brücken, Stege oder irgend ein sonstiges Zeichen menschlicher Nähe. Überhaupt begann sogleich hinter den letzten Häusern der bescheidenen dörflichen Stadt die Wildnis, so daß bei den ungeheuren Gefahren, welche hier jedes Eindringen verursacht hätte, von einem eigentlichen Erforschungsausflug ganz abgesehen werden mußte, d. h. zu Lande. Die Dampfpinasse dagegen machte schon am nächstfolgenden Tage eine Fahrt auf dem St. Paulsfluß und selbstverständlich war Seiner Majestät Bootsmannsmaat Robert Kroll hier wieder der erste, welcher ins Boot sprang, ohne ein Kommando abzuwarten. Der erste Offizier kannte ihn ja und wußte, daß er nach solchen Streifzügen lechzte, während viele andere, darunter namentlich Gerber, sehr zufrieden waren, wenn ihnen unnötige Strapazen erspart blieben. Diese übrigens ganz kurze Fahrt durch den Urwald gehörte späterhin zu Roberts schönsten Erinnerungen, und auch Doktor Hüsker, der Zoologe, welcher die wissenschaftliche Reise mitmachte, erfreute sich hier einer reichen Ausbeute von prachtvollen Schmetterlingen und den verschiedenen, auf der Oberfläche des Wassers lebenden Insekten, namentlich der Spinnen und Käfer, die in unglaublicher Anzahl vorhanden waren.

Der Fluß hatte eine zu große Breite, um in seiner Mitte befahren und an beiden Ufern zugleich beobachtet werden zu können; die Pinasse hielt sich daher an einer Seite, aber auch hier war die Szenerie abwechselnd und mannigfaltig, der Anblick so vieler Naturschönheiten wahrhaft entzückend. Etwas von der Stadt entfernt lagen zuweilen unter Palmen die leichtgebauten Hütten der Neger, während im Freien dicht davor die Anhäufung großer Steine den Herd anzeigte und über einem Holzfeuer der Eisenkessel mit Palmenkernen brodelte. Die Bereitung des Palmöls ist fast das einzige, was an Arbeit von der schwarzen Bevölkerung geleistet wird, und womit dieselbe etwas Geld erwirbt. Der Himmel schenkt in diesen gesegneten Breiten seinen hungernden Menschenkindern beinahe alles, was sie brauchen, umsonst; überall, wo die Frucht wächst, gehört sie der pflückenden Hand, wo das Wild dem Pfeil des Jägers entgegenläuft, ist es sein Eigentum, – was sollte also die Schwarzen bewegen, zu arbeiten?

Es gibt hier keinen Frost, keinen Winter, man bedarf keiner schützenden Wände und wärmenden Kleider, man kennt keinen Luxus, also wozu die Mühe, die Sorge?

Das Leben in Afrika wird wachend verträumt. Blühende Mimosen und Akazien, die hundert und aberhundert Schlingpflanzen voll prachtvoller, glockenförmiger oder langgestielter, lilienartiger Blumen, die schönen, schlanken Palmen, die Bananen-, Brot- und Parabäume mit ihren wohlschmeckenden Äpfeln, alles umsäumte das Ufer, welches sich zuweilen steil aus dem Wasser erhob, zuweilen auch flach und von grünem Moos überzogen dasselbe begrenzte. Robert sah Nashornvögel und mehr als eine träg im Sonnenschein daliegende zusammengerollte Schlange, aber ein größeres Raubtier war ihm noch nicht zu Gesicht gekommen. Hätte er doch an Land gehen und mit einigen Kameraden das Jagdglück versuchen dürfen!

Aber daran war nicht zu denken. Selbigen Tages schon sollte die Korvette wieder in See stechen, also wäre jede etwaige Verzögerung streng bestraft worden, – unser Freund schlug sich, obwohl seufzend, die Sache ganz aus dem Sinn.

Immer schöner und schöner wurde das Ufer. Dichte Laubwände, undurchdringlich, gleichsam feste Mauern aus Blättern und Blüten zogen sich bis an das Wasser hinab. Ein Strom von Wohlgeruch quoll den Schiffern entgegen, leise fächelte der Wind, fast betäubend drückte die Hitze.

Roberts Kugelbüchse kam nicht aus der Hand, sollte es denn Bild nichts, nichts zu schießen geben – gar kein Andenken dieses Tages?

Aber doch! doch! – Ein Schatten glitt über das Moos dahin, die Ranken brachen und zitterten, ein Paar glühende Augen sahen aus dem Gebüsch hervor.

Robert fuhr auf. Seine Handbewegung verständigte die übrigen. »Ein Leopard! – Ein prachtvoller Leopard!«

Und jetzt zeigte sich das Tier in ganzer Größe auf der Lichtung. Mit rollenden Augen und wild gesträubtem Haar, den schön gefleckten, schlanken Körper gekrümmt und leise mit dem langen Schweif peitschend, stand der Leopard am Wasser und hielt die Blicke fest auf das deutsche Fahrzeug geheftet. Offenbar kannte er die Gefahr, welche ihm drohte, noch nicht aus früherer persönlicher Anschauung. Der weitgeöffnete Rachen bewies, daß die Bestie von delikaten Bissen träumte, und daß sie vielleicht gar in ihrer Phantasie schon eine der lustigen Blaujacken zum Mittagsmahl verzehrte.

Die Pinasse hemmte ihre Fahrt, – langsam hob Robert die Büchse.

Schade, schade, wenn sich das stolze Tier auch nur einen einzigen Schritt weit zurückziehen sollte, wenn es nicht nach empfangener, tödlicher Kugel sogleich in das Wasser stürzen würde! – An eine Landung war ja nicht zu denken.

»Jetzt! Jetzt!« flüsterte Doktor Hüsker.

Der Schuß krachte, und sich überschlagend stürzte das Raubtier im Todeskampfe auf den Sand, Nahe, nahe am Wasser zuckte der Körper, vom letzten krampfhaften Ringen des fliehenden Lebens bewegt, schon schien es, als sei doch so hart am Ziel der Preis auf immer verloren, dann aber vollendete ein Schlagen und Dehnen mit allen Gliedern das Werk des Todes. Der Leopard fiel in den Fluß, daß die Wellen über ihm zusammenschlugen. Noch sekundenlang regte sich sein Körper.

Eben so schnell aber war er von der Pinasse aus mit einer bereitgehaltenen Schlinge eingefangen. Noch drei oder vier Minuten vorsichtiger Arbeit, dann lag die Ausbeute dieses Tages auf dem Verdeck, und Blut und Wasser liefen aus den Speigaten heraus.

Robert wurde von allen Seiten beglückwünscht und einstimmig als der Eigentümer des schönen Felles anerkannt. Doktor Hüsker verstand es, das Abziehen desselben sachgemäß zu leiten und später das Zubereiten und Trocknen selbst zu besorgen, – unser Freund durfte also mit Recht hoffen, dem Mütterchen daheim in Pinneberg für die kalten, nordischen Winterabende eine warme, weiche Decke übersenden zu können, er freute sich einmal wieder so recht aus Herzensgrund und empfand eine kleine, verzeihliche Eitelkeit, als von allen Anwesenden seine sichere Hand gerühmt wurde. »Mongo, alter Mongo, auch diese Geschichte will ich dir erzählen!« dachte er, »diese und überhaupt alle, welche ich erlebe. Du zumeist hast mich ja erzogen!«

Er dankte bescheiden, als ihm das Leopardenfell zugesprochen wurde, aber er seufzte, als man die Pinasse wendete. Lebe wohl, lebe wohl, du schönes Afrika mit deinen giftigen Sümpfen, deinen reißenden Tieren und deiner, inmitten schwellender Segensfülle hungernden, faulen Bevölkerung, die eine der reichsten auf Erden sein könnte, während sie, wie die Sachen einmal stehen, häufig am notwendigsten einen empfindlichen Mangel leidet.

Man fuhr zurück zum Schiff, von welchem aus der Kapitän, Freiherr von Schleinitz, bereits früher dem deutschen Konsul, Herrn Brohme, und dem Präsidenten Roberts einen Besuch gemacht hatte. Das Fell des Leoparden wurde allgemein bewundert und von mehr als einem aus der Mannschaft, namentlich von den Kadetten, mit liebäugelnden Blicken betrachtet, aber Robert bewahrte sein Eigentumsrecht, schon um ein Andenken dieses Tages mit nach Deutschland zu bringen.

Am Abend ging es fort, diesmal nach Ascension, jener kleinen mitten im Atlantischen Meer belegenen, einsamen Insel, die nur besucht wurde, um überall auf dem ganzen Wege, sei es an einer Küste oder im offenen Fahrwasser, zu loten und Tiefe und Bodenbeschaffenheit genau kennen zu lernen. Das wunderbare Glück der »Gazelle« bewährte sich fort und fort. Ohne Unfall wurde die kleine Himmelfahrtsinsel erreicht, wo Robert einmal wieder Gebirge bestieg, wenn auch nur wenig bedeutende und keineswegs interessante. Das »Grüne Gebirge« auf Ascension war bald in Augenschein genommen und außerdem am Strande ein paar riesenhafte Schildkröten als sehr angenehme Zugabe für den Tisch der Mannschaft erlegt, weiter bot das Eiland nichts Bemerkenswertes.

Im Meere aber entdeckte das Patentlot nördlich von Ascension bei einer Tiefe von 1640 und 1450 Faden zwei verschiedene, unterseeische Gebirge von 360 und 550 Faden Höhe, – eine sehr interessante Beobachtung, die ganz für sich allein den Ruhm dieser wissenschaftlichen Expedition in den Jahrbüchern vaterländischer Geschichte sichern wird.

Ein Tag in Ascension, dann wieder zurück nach Afrika. Kreuz und quer über den Atlantischen Ozean dahin. Das Glück fährt an Bord der »Gazelle,« es umschwebt ungesehen die stolzen Masten, – weiter, immer weiter.

Jetzt sollte der Kongostrom erreicht werden, der größte, bedeutendste Strom der Erde, dessen Wassermasse und Majestät selbst die des Mississippi bedeutend hinter sich läßt. Der Kongostrom ist erst neuerdings durch den berühmten Zug des Amerikaners Stanley in seiner ganzen Länge festgestellt worden, damals wußte man nur von der Mündung des Stromes, dagegen noch nichts von dem Laufe desselben. Es war der gefährlichen Stromschnellen wegen nicht möglich, weiter als nur etwa dreißig Meilen stromauf vorzudringen. Die Mannschaft der »Gazelle«, unter Führung des Kapitäns, erreichte auf der Dampfpinasse die holländische Faktorei Boma, wobei zugleich überall gelotet wurde, und beide Gelehrten, der Botaniker Stabsarzt Doktor Naumann, sowie der Zoologe Doktor Hüsker eine reiche Ausbeute machten. Besonders überraschend wirkte auf Roberts spähende Blicke der Affenbrotbaum, dieser Elefant der Pflanzenwelt. Stämme von 60–70 Fuß Höhe bei einem Durchmesser von 30 Fuß, also ganz ungestaltete, gleichsam verkrüppelte Wesen, waren hier nichts Seltenes. Als die unförmlichen Zweige, deren Länge von einem Ende zum andern häufig mehr als 150 Fuß beträgt, an einer Stelle über den Fluß hinauswuchsen, konnten die Matrosen einige reife Früchte mit Handspaken herunterschlagen, worauf dann jeder den Inhalt kostete, indessen nur wenige dieser derben, an viel Salz gewöhnten Nordländer fanden den süßen Brei einigermaßen schmackhaft. Interessanter war es schon, als Doktor Naumann erklärte, wie sich die Neger aus den zu Asche verbrannten Schalen der Frucht in Verbindung mit Palmöl eine sehr gute Seife bereiten. Robert gedachte dabei unwillkürlich der Rothäute Kaliforniens und wie wünschenswert für diese der Affenbrotbaum sei.

Auf dem Markt von Boma herrschte ein buntes, vielgestaltiges Leben. Die Neger tauschten dort ihre geringen Produkte gegen europäische Waren, und außerdem gegen Rum, dem sie sehr zugetan sind. Robert sah plötzlich einen sonderbaren Zug von offenbar Halbberauschten, die alle bei trockenstem Wetter unter bunten Regenschirmen einhergingen und in ihrer Mitte einen ganz Nüchternen führten, der sich wie ein Sieger, ein Triumphator gebärdete. Alles Volk staunte aus ehrerbietiger Ferne.

Die Europäer drängten sich natürlich neugierig vor und fragten so lange, bis ihnen ein alter Holländer die erwünschte Auskunft gab. Unter den Negern dieser Gegend herrscht noch die, bis zum vierzehnten Jahrhundert allgemein (auch in Deutschland) übliche Sitte der Gottesurteile, und zwar speziell die Anwendung des Hexentrunkes. Es wird aus bestimmten, wahrscheinlich in jedem Lande anders vorgesehenen Bestandteilen ein Trank gebraut und dem Verdächtigen eingeflößt. Erkrankt er oder stirbt gar, so ist seine Schuld bewiesen, konnte dagegen, vielleicht vorbereitet, sein Magen dem Angriff widerstehn, so wird er in feierlichem Zuge durch die Stadt geführt und mit allen Ehren freigesprochen. Er ist unschuldig, – Gott selbst hat gerichtet.

Nachdem der Kongo vermessen worden, ging die »Gazelle« zur Kapstadt, auf welchem Wege am 10. September ein wunderbar schönes Schauspiel die Augen der jetzt schon verwöhnten Seeleute entzückte. Es entstand plötzlich um das Schiff herum das sogenannte Meeresleuchten, nämlich die Helligkeit, welche einem ganz kleinen, spindelförmigen Tierchen, der Salpe entströmt, und die, wenn Millionen derselben auf einem Punkt versammelt sind, natürlich das Wasser weit hinaus beleuchtet. Der Zug schwamm vorüber und von Bord wurden mittels des Schleppnetzes eine Menge dieser kleinen Tierchen aus dem Wasser heraufgeholt, ohne jedoch den eigentlichen Wunsch des Zoologen zu erfüllen. Außerhalb ihres Elementes leuchten sie nicht mehr.

Am 26. September segelte die Korvette in die Tafelbai hinein, so genannt nach dem, in einer Höhe von 1100 Metern sich erhebenden Tafelberg, zu dem noch im Westen der Löwenkopf und im Osten der Teufelspik als kleinere Genossen hinzukommen. Die Kapstadt selbst machte auf unsern Freund keinen andern, als den Eindruck aller fremden Seestädte, deren er so viele schon gesehen, und die sich wohl hauptsächlich durch ihre geographischen, aber weniger durch ihre Kulturverhältnisse unterscheiden. Im Hafen das gleiche Getriebe, wo es auch sei, außerdem das Durcheinander von Weißen und Farbigen jeder Art, von Spaziergängern, Geschäftsleuten und Equipagen, – im ganzen ein Stück bereits entwickelten Daseins.

Robert sehnte sich zurück nach dem wilden, unentwickelten.

Schon die nächsten Tage sollten diesem Verlangen Rechnung tragen. Es begann jetzt auf der Reise nach der Kergueleninsel für die »Gazelle« eine weniger angenehme und sonnenbeleuchtete, aber immerhin doch noch sehr vom Glück begünstigte Fahrt nach dem südlichen Eismeer. Stürme, hoher Seegang, Nebel und heftiges Regenwetter wechselten miteinander ab, um die Mannschaft der »Gazelle« in Atem zu erhalten, dennoch aber erreichte am 26. Oktober das Schiff wohlbehalten die Insel und lief in die Bucht von Betsy-Corn, um dort, als an dem geschütztesten Ankerplatz, die Astronomen zu landen und sie, so gut es ging, unterzubringen.

Auf Kerguelen wollte der Kapitän etwa vierzehn Tage verweilen, Robert fand daher Gelegenheit, die Insel nach allen Seiten zu durchstreifen, obgleich er freilich nirgends einen besonders schönen, sondern nur einige großartige, bedeutende Punkte entdeckte. James Cook, der bekannte Weltumsegler, nannte Kerguelen einfach das »Desolationsland« (Verzweiflungsland) und wirklich schien es den Leuten von der »Gazelle«, als habe dieser Name viel für sich. Kein Tier außer den Wasservögeln, kein Baum, keine Blume, nur ein riesiges Gewächs, eine Art Kreuzblume, der Kerguelenkohl, welcher als Gemüse zubereitet vortrefflich schmeckte und dessen Saft Doktor Naumann ein probates Mittel gegen den Skorbut nannte. Diese Pflanze wächst außer auf Kerguelen an keiner andern Stelle der Welt, sie bringt aber auch niemand einen Nutzen, weil eben kein Kauffahrteischiff dem wüsten, unbewohnten Gebirge nahe kommt.

Um Kerguelen herum sah Robert wieder Walfische speien, ebenso bemerkte er auch Robben und alle Arten von Seevögeln, jedoch keinerlei jagdbares Wild. Am 12. November begann die »Gazelle« ihre Erforschungsreise nach der Westküste der Insel und von dort wurde unter persönlicher Führung des Kapitäns eine Expedition in das Innere unternommen.

Alles nur Stein und Stein, sonst nichts. Höchstwahrscheinlich hatte nie vorher ein lebendes Wesen, weder Mensch noch Tier, diese Gegenden betreten, und noch viel entschiedener könnte auch jedes derartige Unternehmen nur im Dienste der Wissenschaft gedacht werden, denn der Nutzen Kerguelens ist noch vollständig in Dunkel gehüllt, – seinen Wohnsitz wird dort nie irgend jemand nehmen.

Im Osten der Insel hatte sich ein schmaler Fluß zwischen Basaltblöcken von dreißig Meter Höhe förmlich eingekeilt; es schien unmöglich, auf den einzelnen, losgerissenen Felsstücken, über die er seinen Weg nahm, in das Innere dieser nach oben hin ganz verdeckten und verengten Höhle zu gelangen, dennoch aber versuchte es Robert, der hier überhaupt auf jedem Schritt an die Eiswüste des Nordpols erinnert wurde, immer wieder und wieder. Er war der einzige, welcher es nicht aufgab, den gefährlichen Weg über halbhängende Klippen, einzelne Vorsprünge und vom Wasser überströmte Steine doch zu erzwingen. Sollte er denn zum zweitenmal das Bett eines Gebirgsflusses in rätselhafter Weise aus den Augen verlieren, sollte er wieder, wie damals in Norwegen, das Land verlassen, ohne sein Geheimnis erforscht zu haben?

Schweißtropfen perlten ihm auf der Stirn. Er schüttelte den Kopf, als ihn die übrigen aufforderten, von dem vergeblichen Bemühen abzulassen. Hier konnte er, da das Schiff vor Anker lag, keine Gefahr in der Nähe war und überhaupt die Reise ausschließlich zum Zweck derartiger Entdeckungen gemacht wurde, – schon mehr tun was er wollte, also vorwärts, und noch dazu am liebsten ganz allein. Die alte Lust am Gewagten, die Neigung für das Seltsame, Außergewöhnliche, regten sich wieder mit voller Stärke. Robert watete bald, bald sprang er, dann kroch er auf allen vieren, dann ging er an schaurigen Abgründen oder schwang sich über die breite Kluft.

Was war das aber? – Er hatte es heimlich erwartet und dennoch packte es ihn erschreckend. Das Wasser versiegte unter seinen Füßen, weniger und weniger sickerte über die Felsen, bis es plötzlich ganz aufhörte, gerade wir in der eisigen Wildnis am Nordkap. Wo war der Fluß geblieben?

Er sah zurück. Aus einer schmalen Spalte drang es hervor, von rechts und links liefen kleine Adern bis zur Mitte, aber hier oben war alles trocken.

Roberts Herz pochte laut. »In Norwegen lag der See tief unten, und oben tobte der Wasserfall,« dachte er, »hier herrscht das umgekehrte Verhältnis. Ich muß hinauf, hinauf.«

Er sah an dem schneebedeckten Gipfel empor. Noch eine weite, weite Tour, gewiß ein stundenlanger, beschwerlicher Weg, aber was schadete das? Dort oben in schwindelnder Höhe, gleichsam das Haupt in den Wolken gebettet, getragen von den Riesenschultern der Berge, ein See! Ein blauer, stiller See, Tausende von Fuß über dem Meeresspiegel, – und er sollte Kerguelen verlassen, ohne ihn gesehen zu haben?

Nimmer!

So viel Mundvorrat als er brauchte, fand sich in seinen Taschen, der Tag war noch lang und das Wetter frostklar, also vorwärts, vorwärts, so freiheitsfroh und glückselig, wie es der Mensch nur dann empfindet, wenn ihm das Schicksal einen Lieblingswunsch erfüllt.

Der Weg bergauf war steil und mühevoll, aber doch nicht so beschwerlich als das Waten durch das wassergefüllte Flußbett. Robert wählte zum Emporklettern die Außenseite des Felsens, wo doch häufig ganze Strecken ohne viel Anstrengung überschritten werden konnten, wenn auch wieder andere mit ihren scharfen Zacken die Kleider zerrissen und die Haut der Hände verwundeten, so daß rote Tropfen auf den Schnee fielen.

Robert beachtete das alles nicht. Nahe und näher kam er einem Kranze von einzelnen, sonderbar geformten Felsblöcken, die wie Riesennadeln zum Himmel emporstarrten. Sie sahen aus, als ob von ihnen auf sturmbewegter Höhe, gleichsam zwischen zwei Welten, ein kostbares Kleinod behütet werde, sie schienen, eng gedrängt in seltsamen, oft schlangenartigen, oft großartigen Gestaltungen den Eintritt zu wehren in ein Heiligtum, das nie der Fuß des Menschen berührt, das versteckt lag, hoch oben über der Erdenwelt, nur gesehen von Gottes Auge, nur den Sternenbildern, der Sonne als Spiegel dienend.

Hier kein Durchgang, dort keiner, immer ein Riesenarm vorgeschoben, ein stummes Halt! aus der Steinbrust der Hüter, aber dennoch, dennoch wollte Robert das Innere sehen.

Er suchte und suchte. Endlich, hier hingen zwei Blöcke schräg gegen einander. Mit weiten, faltigen Mänteln und riesigen, von Haubenbändern umgebenen Köpfen schienen sie wie plaudernde, uralte Frauen. Nachbarinnen, die sich von der Vergangenheit erzählen, und wie früher alles viel besser gewesen, wie die Welt im Argen liege. Die eine trug unter dem Mantel eine Krücke und die andere hielt einen Korb. –

Robert bewunderte das seltsame Naturspiel. Wie von Künstlerhand grob gemeißelt, in riesenhaften Formen, erschienen die Gestalten.

»Laßt mich hindurchschlüpfen, ihr beiden,« lachte er. »So alte Großmütterchen können ja den Enkeln nichts abschlagen.«

Und auf Händen und Füßen kriechend gelangte er, Korb und Krücke streifend, an die andere Seite. Hier aber wäre er fast in die Tiefe gestürzt. Nur durch einen schmalen Felsstreif vom Abgrunde getrennt, sah er inmitten des kreisrunden Bodens einen See, dessen Spiegel keine Welle kräuselte. Weiße Kronen von Schnee lagen auf allen Ecken und Vorsprüngen, in jedem geschützten Winkel, im Inneren jeder Spalte, das Wasser aber war, blau und rein wie Samt. Am Himmel erschien in diesem Augenblick die Sonne. Wie Millionen funkelnder Diamanten glänzte es da unten im Bergesschoß, wie eine zweite, goldene, leuchtende Kugel schwamm das Bild der Tageskönigin auf dem Wasser.

Robert sah nichts als den Himmel und den See mit seinem Steinkranze. Über diesen hinwegzublicken war ganz unmöglich.

Lange, lange verweilte er in der kleinen, abgeschlossenen Welt da oben, wo kaum für seine Füße der nötige Raum vorhanden war, und wo es so still, so eigen feierlich seine Seele berührte. Er bedauerte beinahe die übrigen, denen der Weg zu weit und zu mühevoll gewesen, um ihn freiwillig zu unternehmen. Als er rückwärts kriechend, mit äußerster Vorsicht und nur um wenige Fußbreite von den geöffneten Armen des Todes getrennt, wieder hinausgelangte aus dem geheimnisvollen Zauberkreise innerhalb des Felsengürtels, da bot sich ihm ein um so reicherer, mannigfaltigerer Anblick der verschiedensten Fernsichten. Die Felsen ringsherum zeigten Schätze von Achat, Kristall und Amethysten, überall bildete der Basalt die merkwürdigsten Formen, und am seltsamsten erschien es unserem Freunde, so von oben herab seine schwimmende Heimat wie ein Kinderspielzeug auf dem Wasser liegen zu sehen, direkt auf die Toppen der »Gazelle« zu blicken, wie man sonst wohl das Auge zur schwindelnden Höhe derselben erhebt.

Er hatte, als er von diesem gefahrvollen Ausflug wieder auf dem festen Boden der Erde anlangte, einen so reichen Lohn geerntet, daß ihn seine geschundenen Kniee und blutenden Hände nur sehr wenig kümmerten. Doktor Naumann lächelte, als er ihn sah. »Nun, junger Freund, etliche Kobolde und Gnomen kennen gelernt?« scherzte er.

»Nur Nixen, Herr Doktor, – da oben ist ein See.«

»Alle Wetter, dann müssen wir ja hinauf, – ich fürchte nur, daß es einen starken Schneefall gibt. Auch das Croziergebirge wird aus diesem Grunde ununtersucht bleiben müssen.«

Und wie er gesagt, so geschah es. Der Besuch dieses vielleicht dem anderen sehr ähnlichen, aber bedeutenderen Höhenzuges mußte unterbleiben, wenn sich die kühnen Entdecker vor der Gefahr des Eingeschneitwerdens schützen wollten.

Es war auch jetzt von der Insel genug gesehen, um mit Sicherheit behaupten zu können, daß hier keine Ansiedelung möglich sei. Wenn im Hochsommer schon solche Verhältnisse herrschten, – wie sollte es dann im Winter werden?

Die Gelehrten und Photographen bezogen ihre Wohnung auf der »Gazelle« die Anker wurden gelichtet und fort ging es, tausend Meilen weit über den Ozean, nach der Tropeninsel Mauritius. Auf diesem Wege hing die Existenz der »Gazelle« mehr als einmal an einem Haare, es gab Kampf mit den Elementen in jeder Beziehung, aber doch wurde das Ziel unbeschadet erreicht.

Welche Veränderung erwartete hier die modernen Argonauten, Alles der schönste, südliche Flor, alles knospendes Leben und Treiben. Blume an Blume, Pracht an Pracht. Reife Früchte boten sich der pflückenden Hand, behagliche Wärme entströmte der Luft, eine idyllische, kleine Welt, der nur monatlich einmal ein Dampfschiff naht, zeigte sich den Wanderern. Die Tieflotungen waren unterwegs gemacht, Kohlen und Mundvorrat eingenommen, die Briefe zur Post gegeben und der ausgebrannte, völlig mit Wald überwachsene Krater im Inneren der Insel von Robert und mehreren anderen einer Besichtigung unterzogen, dann dampfte die »Gazelle« wieder hinaus in Sturm und Wetter, den australischen Gestaden zu. Hier kam Robert nicht vom Bord, da hauptsächlich nur die Haifischbai und der Dampiersarchipel ausgelotet werden sollten, aber das tat ihm auch weniger leid, denn aus früheren Erzählungen Mongos und anderer wußte er schon, daß im ganzen die Australischen Inseln wenig Merkwürdiges darbieten.

Am sehenswürdigsten erschienen die Sundainseln, und zwar speziell von diesen Timor, welches den unmittelbaren Übergang zu asiatischen Verhältnissen bildet und wo Robert wunderbar schöne Koralleninseln, ähnlich wie damals jene auf dem Wege nach San Francisco, wiedersah. Nur war hier die Szenerie um so schöner, als innerhalb dieser engumschlossenen Kreise ein Fels sich aus dem Wasser erhob, und Bäume und Gesträuch das Inselchen bedeckten.

Es wurden nun nacheinander während viermonatlicher, beschwerlicher Fahrt auf lauter Nebenwegen und bisher unbenutzten Fahrstraßen diejenigen Inseln, welche zusammen als die Melanesischen Inseln bekannt sind, einer genauen Durchforschung unterworfen, obwohl dabei, wie bemerkt, weniger Naturgeheimnisse und Naturschönheiten das Ziel der Arbeiten waren, sondern nur mit Rücksicht auf neue Verkehrswege, Tieflotungen und bisher unentdeckte Ankerplätze so mancher praktische Nutzen erreicht ward.

Gelandet wurde zuerst in Neuguinea und bei den drei kleinen Anachoreteninseln, wo für unseren wißbegierigen Freund das ganze Interesse der Reise wieder erwachte, als er mit völlig wilden Menschen verkehren konnte. Hier trug die Bevölkerung ein Lendentuch, besaß wohleingerichtete Kokospflanzungen und Kanots mit Segel und Masten, auch zeigten sich Männer und Frauen, nachdem die erste Scheu überwunden, als ein harmloses, friedliches Völkchen, das mit den Mannschaften von der »Gazelle« einen lebhaften Tauschhandel betrieb und gern die Produkte seiner Heimat gegen Messer, Scheren, Knöpfe und Beile an die Deutschen abließ. An der Südküste von Neuhannover wohnte ein ganz anderer Menschenschlag. Diese Leutchen, vollständig nackt einhergehend, waren schwarzbraune, hübsche Gestalten, mit rot oder gelb gefärbtem kurzem Haar, geschlitzten Ohrläppchen, Muscheln in den Ohren und am Hals und bunten Armbändern. Sobald die Korvette herankam, stürzten sich sämtliche Männer in die Kanots, um das fremde Wunderding aus nächster Nähe zu sehen, während am Ufer die Frauen schreiend, hüpfend und sich wie toll gebärdend zurückblieben. Aber schon sehr bald schien auch diesen die Neugier unerträglich zu werden, – sie sprangen ohne weiteres in das Wasser und schwammen den Booten Bild nach, waren aber ebensowenig wie die Männer zu einem Besuch an Bord zu bewegen.

An der entgegengesetzten Seite derselben Insel kam es mit den Eingeborenen sogar zu einem ernstlichen, wenn auch nur kurzen Streit. Hier sollte ein Fluß ausgelotet werden, und da die Korvette selbst denselben natürlich nicht befahren konnte,so mußte die Dampfpinasse diesen Weg zurücklegen und dabei auch mehrere von den gelehrten Teilnehmern des Ausflugs am Ufer absetzen, um Forschungen im Gebiete der Pflanzen- und Tierwelt vorzunehmen. Während aber ein kleines Boot, das den Verkehr mit dem Schiff vermittelt, auf dieser Tour zufällig einige Minuten lang allein blieb, wurde es von den Eingebornen seines ganzen Inhaltes beraubt; als die Matrosen zurückkehrten, waren Mundvorräte und Ausrüstungsgegenstände verschwunden, ohne daß sich einer der Wilden gezeigt hätte.

Am nächstfolgenden Tage, als die Besatzung im Flußwasser ihre Wollenkleidung gründlich gereinigt und dieselbe zum Trocknen zwischen den Bäumen aufgehängt hatte, kamen die Eingeborenen, jetzt schon dreister geworden, in hellen Haufen herangezogen und vertrieben durch einen reichlichen Hagel von Steinwürfen die friedlich beschäftigten Matrosen, wobei sogar zwei derselben erheblich verwundet wurden.

Von der Dampfpinasse antwortete sogleich ein Gruß aus dem Bootsgeschütz und darauf hin zogen sich die Wilden, offenbar sehr erschrocken, zurück, am andern Tage jedoch zeigte der ohrenzerreißende Lärm ihrer Kriegsinstrumente, daß sich die verschiedenen Stämme sammelten und daß eine offenbare Feindseligkeit im Plane lag.

Kapitän Schleinitz beschloß dem zuvorzukommen und auch an dieser entlegenen Küste den Insulanern zu zeigen, daß die deutsche Flagge nicht beleidigt werden darf und daß ihre Vertreter das Unrecht bestrafen, gleichviel wo und unter welchen Verhältnissen sie dasselbe antreffen.

Er selbst stellte sich an die Spitze von vierzig Mann, die alle vollständig bewaffnet waren, und dann wurde der Zug nach den nächsten Dörfern unternommen. Natürlich befand sich unter der kleinen Schar auch Robert, der erste, welcher bei solchen Gelegenheiten um den Vorzug der Teilhaberschaft nachsuchte. Er sollte indessen finden, das diesmal das Vergnügen sehr teuer bezahlt wurde.

Es mußte, um an das Dorf heranzukommen, vorerst ein hohes unwegsames, von Gestrüpp und Schlingpflanzen bedecktes Ufer erklettert werden, die Matrosen sahen sich gezwungen, ihre Waffen und Patronen wahrend des beschwerlichen Marsches über den Köpfen zu tragen, und als endlich die jenseitige Anhöhe glücklich erreicht worden war, da starrte das gestern gewaschene Zeug von Schlamm und Schmutz, da hatte sich die Nässe überall hin verbreitet und erschwerte sehr unangenehm den Marsch von wenigstens einer Seemeile.

Aber die Blaujacken ermüdeten nicht. Ein deutsches Lied verkürzte die Zeit, und frischer Jugendmut half über alle Belästigungen hinweg.

Zugleich mit dem, an einer Anhöhe malerisch belegenen Dorfe, umgeben von aller Schönheit tropischen Pflanzenwuchses sahen die Deutschen eine Anzahl von etwa zweihundert Wilden, die sämtlich mit Speeren, Keulen und Schleudern bewaffnet waren, sich aber sehr auf der Hut hielten und sogar bei Annäherung der im festen Taktschritt marschierenden kleinen Schar langsam zurückwichen, so daß schon sehr bald nur noch vier alte Männer, jedenfalls Häuptlinge vor dem Dorfe auf einigen Steinen sitzen blieben und die Fremden erwarteten.

Herr von Schleinitz, welcher selbstverständlich den Streit so rasch und so einfach wie möglich zu beenden wünschte, ließ an eine lange Stange ein weißes Tuch binden und ging dann, nur von einem Matrosen als Adjutanten begleitet, zum Dorfe hinab.

Wie viele heimlich bewundernde Blicke, wie manches geflüsterte »Bravo!« folgten aus den Reihen der ungern zurückgebliebenen Seeleute dem verehrten Führer, wie schwer wurde es unserem Freunde, so müßig dazustehen, indes andere handelten!

Aber die Disziplin verbot jede Weigerung. Er konnte nur von ferne zusehen und beobachten, wie Herr von Schleinitz durch Gebärden dem Wilden begreiflich machte, daß er sprechen, unterhandeln, aber nicht kämpfen wolle.

Ob ihn die rohen, aller Kultur angewandten Wesen verstehen, ob sie ahnen würden, was ihnen die weiße Flagge sagte?

Robert sah nur, brennend vor Begierde, dort an seines Kapitäns Seite zu stehen, er sah mit klopfendem Herzen und bebenden Händen hinüber. Eine einzige verräterische Bewegung der Wilden, und seine Kugel sollte die erste sein, welche den mutigen Anführer rächte. – Dahin kam es aber nicht. Die Wilden mußten offenbar verstehen, was das weiße Tuch bedeuten solle, sie banden schleunigst ein junges Huhn an Bild einen Stock und trugen diese sonderbare Fahne dem deutschen Kapitän entgegen. Damit war auch von ihrer Seite die Zusammenkunft als eine friedliche und zum Zweck der Verständigung vorgenommene anerkannt worden.

Herr von Schleinitz nahm mit dem Ausdruck höflichen Dankes, aber durchaus ernst und vom Bewußtsein seiner Würde durchdrungen, das Geschenk in Empfang und vergalt es sofort durch Überreichung eines Stückes Uniformtuch, das schon zu diesem Zweck vom Bord her mitgebracht worden war.

Dann aber, nachdem die Insulaner ihr Entzücken in kindischer Weise zu erkennen gegeben, bedeutete ihnen der Kapitän durch Hilfe der Gebärdensprache, daß er bestohlen worden sei, sowie daß er die Rückgabe des geraubten Gutes unbedingt verlangen müsse. Er fragte, ob die Häuptlinge von diesem Diebstahl Kenntnis erhalten.

Die Antwort war natürlich ein Nein.

Herr von Schleinitz zuckte die Achseln. Dann nahm er die Pistole und schoß im Angesicht der vier Häuptlinge einen jungen Baum durch den Stamm, so daß weißer Saft aus der Wunde hervorquoll; zu gleicher Zeit deutete er mit der Rechten auf die in einiger Entfernung stehenden Soldaten, als wolle er sagen: »Die dort verstehen alle das Gleiche und werden euch empfindlich bestrafen, wenn ihr nicht das gestohlene Gut sofort herausgebt.«

Die Wilden sahen in großer Angst auf den getroffenen Baum. Sie berieten leise untereinander, gaben offenbar heimliche Befehle in das Dorf hinauf und bemühten sich, eine freundliche Miene zur Schau zu tragen. Nach kurzer Zeit näherte sich ein junger Bursche, welcher den gestohlenen Mundvorrat im Korb am Arm trug und das Ganze dem Kapitän zu Füßen legte, wonach er sich mit Hasensprüngen wieder entfernte, wie es schien sehr froh, der Gefahr so glücklich entronnen zu sein. Das laute Gelächter der Seeleute folgte ihm nach.

Herr von Schleinitz hatte inzwischen den Korb durchsucht und wandte sich jetzt achselzuckend an die Wilden. »Das ist noch durchaus nicht alles,« sagten seine Gebärden, »es fehlen verschiedene Instrumente und andere Kleinigkeiten. Wir wollen eure Hütten in Brand stecken, um euch zu bestrafen.«

Das wirkte. Die Häuptlinge baten, das geraubte Gut den Weißen wieder zuschicken zu dürfen; sie wollten selbst im Dorfe eine Haussuchung vornehmen und ihr Möglichstes tun, um alles Verlorene herbeizuschaffen. Man möge nur ihre Wohnungen verschonen.

Herr von Schleinitz erklärte sich mit diesem Anerbieten durchaus einverstanden und die Seeleute konnten den Rückmarsch antreten, ohne von ihren Waffen Gebrauch gemacht zu haben, was freilich die meisten unter ihnen heimlich verdroß, da doch im Lazarett der Korvette die beiden verwundeten Kameraden noch immer leidend dalagen und einer sogar eine tüchtige Stirnwunde davongetragen hatte. Wie maßvoll und gerecht zugleich übrigens der Kapitän vorgegangen war, das mußten auch die Kampflustigsten anerkennen. Wozu hätte es genützt, den unwissenden, schlecht bewaffneten Wilden, welche noch nicht einmal bis zur Kulturhöhe irgend einer Bekleidung vorgedrungen waren, – hier um einiger Vergrößerungsgläser, Schleppnetze und Lotungsapparate willen eine blutige Lehre zu geben?

Die armen, ahnungslosen Geschöpfe wären dadurch nicht gebessert, sondern nur gekränkt worden; der deutschen Flagge aber hatte es nicht zum Ruhme gereicht, ihre zehnfache Überlegenheit an nackten Wilden erprobt zu haben!

Als die Soldaten an das Ufer kamen, fanden sich sämtliche gestohlene Gegenstände schon vor. Jedenfalls hatten die Insulaner, um sich keiner Gefahr auszusetzen, auf Nebenwegen irgend einen schnellfüßigen Burschen entsandt und in dieser Weise keinen als den Schuldigen gekennzeichnet. Vom Bord der Korvette war es beobachtet worden, wie mehrere Schwarze aus dem Gebüsch hervorkrochen, schleunigst die Sachen in das Gras legten und wieder verschwanden.

Die Würde des Reiches war also gewahrt worden, man hatte den Diebstahl gerügt und Rückerstattung des Geraubten erlangt, – Herr von Schleinitz konnte sich sagen, daß er einen schmalen Mittelweg richtig getroffen.

Nachdem diese Angelegenheit erledigt, verfolgte die Korvette ihren Weg zunächst nach Neuirland und den umliegenden Inseln, wobei indessen zu Roberts großem Leidwesen der Verkehr mit den Eingebornen gänzlich oder doch so viel als möglich vermieden wurde. Es ist dies eine der wenigen Gegenden, wo noch jetzt Menschenfresser leben, daher vielleicht hielt sich Herr von Schleinitz einem feindlichen Zusammenstoß so fern, als es die Verhältnisse erlaubten. Der Tod eines deutschen Untertanen hätte nur durch offene Kriegserklärung gerächt werden können, da aber für die Reise der »Gazelle« im Augenblick ein rein wissenschaftlicher Zweck vorgesehen war, so schien es das Klügste, derartigen unangenehmen Zufällen schon von weitem aus dem Wege zu gehen.

Für Robert war freilich diese Maßregel um so betrübender, als es ihm den höchsten Genuß gewährte, mit Wilden zu verkehren und bis in die tiefsten Geheimnisse ihrer Sitten, ihrer Lebensgewohnheiten und Einrichtungen vorzudringen. Er mußte hier so ziemlich auf alles Gehoffte verzichten, da von seiten der Gelehrten nur Vermessungen und Beobachtungen angestellt wurden, ohne jedoch dabei auf die Menschen überzugehen.

Einige Völkerschaften, z.B. die Anwohner der Byronstraße, zeigten sich herausfordernd und feindselig, während andere durchaus friedlicher Natur waren, entweder Ackerbau oder Viehzucht betrieben und den Weißen mit harmloser Vertraulichkeit entgegenkamen. Namentlich auf den Salomoinseln wurde Fleisch sowie frische Früchte und Gemüse von den Bewohnern in Kanots an Bord gebracht, wofür dann Kleidungsstücke und sonstige Kleinigkeiten als Zahlungsmittel dienten.

In Neubritain hatte die »Gazelle« eine eigentümliche Pflicht zu erfüllen. Vor langen Jahren sind an einigen Küsten dieser Insel gegen die Handelsfaktoreien der Hamburgischen Firma Godeffroy die gröbsten Gewalttätigkeiten verübt worden, und eben daher sollten jetzt die Wilden sehen, was sie bei etwaigen Wiederholungen zu erwarten hätten. Noch nach Verlauf mehrerer Jahre auf das früher verübte Verbrechen zurückzukommen war um so weniger möglich, als niemand an Bord die Sprache der Eingebornen verstand; Herr von Schleinitz begnügte sich daher, an eben der Stelle, wo damals Mord und Brandstiftung stattgefunden, auch jetzt wieder einen Haufen von brennbaren Gegenständen anzünden und einige Salven abfeuern zu lassen. Als die Wilden sahen, welche Verheerungen unter Bäumen und Sträuchern die Kanonenkugeln anrichteten, erschraken sie so sehr, daß ihnen die eiligste Flucht als das beste Schutzmittel erschien. Sie verschwanden wie in den Boden hinein.

Von hier aus fuhr die »Gazelle« nach den Aucklandinseln, wo noch jede Spur einer Bevölkerung fehlte. Die Forschungen der Gelehrten konnten zwar ohne Störung betrieben werden, doch lieferten dieselben keine besonders lohnende Ausbeute. Australien ist eben weit weniger interessant als alle anderen Weltteile.

Die »Gazelle« hat aber mit Bezug auf Hafenplätze und Tieflotungen gerade hier das Wesentlichste für Deutschlands Handel getan, und hat überhaupt die deutsche Flagge, als Sinnbild der Kultur und Aufklärung, der Bildung und des Fortschrittes, an allen diesen wenig bekannten, bisher immer übersehenen Orten bestens zur Geltung gebracht.

In Levuka, der Hauptstadt der Insel Viti-Levu (die größte Fidschiinsel), verkehrten die Offiziere der Korvette in äußerst freundschaftlicher Weise mit dem regierenden Landesherrn, König Thakembau, der sich mit Bezug auf alles, was militärische Angelegenheiten betraf, als denkender und gebildeter Mann bewies, und der auch seinerseits mehrere Male als Gast an Bord der Korvette empfangen wurde. Beim Abschied von derselben blieb er bis zum Augenblick des Ankerlichtens und konnte sich erst trennen, als die Maschine ihre Tätigkeit begann.

Von den Fidschiinseln ging die Korvette nach den Tongainseln, wo etwa 30 000 hellfarbiger und in gewissem Sinne gebildeter Menschen, zum Christentum bekehrt, ein ruhiges friedliches Leben führen. Wie ganz Australien, leidet auch diese Gegend an Wassermangel; es sind wenige Tiergattungen vorhanden und nur ein verhältnismäßig ausgedehnter Pflanzenwuchs. Dagegen haben aber die Bewohner schon feste Häuser, sie arbeiten und sind in sittlicher Beziehung die höchststehenden unter allen Völkern auf den Inseln des Großen Ozeans.

Auch hier sah Robert einen farbigen Fürsten, nämlich den ganz in blaues Tuch gekleideten, siebzigjährigen König Georg von den Tongainseln. Der alte Herr empfing äußerst höflich die Vertreter des deutschen Reiches, dankte für den erhaltenen Besuch und lud seine Gäste zur Tafel, wobei ein Missionar als Dolmetscher diente. Am Nachmittag machte er an Bord der Korvette einen förmlichen Gegenbesuch, der von seiten der Mannschaft mit einer Ehrensalve von einundzwanzig Kanonenschüssen begrüßt wurde, worauf sogleich am Lande die beiden einzigen vorhandenen Geschütze den Zuruf bestens erwiderten. Danach wurde an Bord eine Parade abgehalten und ein Abendessen eingenommen, bei welchem Herr von Schleinitz ein Hoch auf König Georg ausbrachte. Die Rede des Fürsten, bescheiden und dankbar, aber doch seine Würde als Landesherr vollständig wahrend, zeigte einen denkenden, für das Wohl seiner Untertanen eifrig besorgten Monarchen, der in wohlgesetzten Worten kundgab, wie sehr es ihn freue, mit Deutschland die besten Beziehungen angeknüpft zu haben und ferner noch knüpfen zu können, indem er den Auswanderern dieser Nation allen nur möglichen Schutz gewähre und sie den Eingebornen des Landes in jeder Beziehung gleichstelle.

Auf ihre dahingehenden Fragen erfuhren die Offiziere, daß diejenigen Deutschen, welche auf den Tongainseln leben, hauptsächlich mit »Kobra« handeln, d.h. mit den zerschnittenen Kernen der Kokosnuß, welche dort in unglaublicher Menge wächst und den bedeutendsten Verkaufsartikel bildet. Es lagen auch zugleich mit der »Gazelle« noch sieben europäische Schiffe im Hafen, sämtlich beschäftigt, ihre Räume mit Kobra zu füllen.

Es ist das Hamburgische, leider inzwischen durch geschäftliche Unglücksfälle erloschene Haus Godeffroy, welches diesen Handel angebahnt und dadurch den Tongainseln einen ganz bedeutenden Aufschwung verliehen hat; man sieht hieraus, wie die Tätigkeit und der Unternehmungsgeist eines einzelnen Mannes imstande sind, ganzen Völkerschaften dauernd zu nützen.

Von hier ging die Korvette nach den Samoainseln und traf nun wieder die schönsten, vom vollen Zauber der Tropenwelt umgebenen Landschaften. Am 24. Dezember ihre Anker auswerfend, landete die »Gazelle« im Hafen von Apia auf Upolu, und sogleich erhielt die Mannschaft Erlaubnis, in die Stadt zu gehen und den Weihnachtsabend möglichst froh zu verbringen.

Das war eine eigentümliche Feier. Die Matrosen konnten sich doch nicht entschließen, einzeln in den Wirtschaften zu lärmen, zu trinken und zu tanzen wie sonst, wenn sie nach langer Entbehrung alles Umganges und aller geselligen Freuden zum erstenmal wieder das Land betreten. Sie alle waren ja einmal in der fernen nordischen Heimat kleine, jubelnde Kinder gewesen, die am Geburtstage des Welterlösers den Tannenbaum umstanden und freudetrunken den Glanz seiner Kerzen auf ihre jungen Seelen zurückfallen sahen, sie alle hatten ja daheim ihre Lieben und wußten, daß jetzt die Gedanken dieser Teuren das Schiff umschwebten und sie selbst, die Weltumsegler, die Pioniere der Wissenschaft, – kein einziger tobte ausgelassen oder beging jene kleinen Tollheiten, die sonst von dem Treiben des Matrosen am Lande unzertrennlich sind.

Auch Robert war sehr ernst gestimmt. Tropische Bäume neigten in unvergleichlicher Schöne, ewig jung und frisch, ihre rauschenden Kronen, farbenprangende Blüten schmeichelten dem Auge, aber das Herz gedachte der deutschen Tanne. Robert glaubte den Harzgeruch zu spüren, er sah die kleinen, bescheidenen Lichter und die vergoldeten Früchte, sah das ganze, niedere Zimmer im Elternhause zu Pinneberg, – und auch die Gestalten der beiden teuren alten Leute wurden vor seinen Augen lebendig; die Mutter, welche vielleicht jetzt weinend und betend des einzigen Sohnes gedachte, der Vater, den er nie auf Erden wiedersehen würde, der so lange, lange in Rellingen ausruhte von der treuen Arbeit eines ganzen Lebens.

Es beengte ihm die Brust, – er mußte davon sprechen.

»Maaten,« sagte er, »wollen wir uns einen Christbaum machen?«

Mehrere Stimmen antworteten zugleich, und alle beifällig. »Daran dachte ich längst!« rief Gerber. »Die Fremde ist doch immer die Fremde, – man wird ganz weinerlich, wenn so die Erinnerungen an das alte Deutschland einen überfallen.«

»Aber einen Tannenbaum gibt's in ganz Apia nicht!« meinte ein anderer.

»Was schadet das? Grün ist Grün, und Lichter hat man ja auch hier.«

Gedacht getan. Die Blaujacken verschafften sich ein stattliches, mit Blüten und Früchten bedecktes Brotfruchtbäumchen, das samt seinen Wurzeln aus dem Boden gehoben und in einen großen Kübel gestellt worden war. Dann ging es an den Ausputz.

Jeder einzelne der ganzen Schar brachte seine Lichter in Gedanken den geliebten Angehörigen daheim in Deutschland, jeder erzählte von den Weihnachtsabenden früherer Jahre und wie doch die Kinderzeit so schön gewesen, so unsäglich glücklich. – –

»Am Lande möchte man nicht leben,« sagte Gerber, »wahrhaftig, ich hielte es nicht aus ohne die See, aber doch ist es ein eigen Ding, so Jahr nach Jahr auf dem Meer zuzubringen und nur selten für wenige Tage unter Menschen ein Mensch zu sein. Wenn ich jetzt nach Hause komme, finde ich lauter fremde Gesichter, – die alte Mutter starb, seit wir von Kiel fortgingen, und zwei Schwestern heirateten, – es ist alles anders geworden.«

Robert legte ihm die Hand auf die Schulter. »Keine trüben Erinnerungen, Gerber,« sagte er mit ermutigendem Tone. »Wir alle haben Schweres ertragen, für uns alle ist das Leben eine ernste Prüfungsschule, aber – was sagt unser großer Dichter, unser Schiller?

»Und ob alles im ewigen Wechsel kreist,
Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.«

»Laßt uns singen!« rief einer. »Das macht das Herz frei. Wetter noch einmal, wir sind ja doch jetzt auf der Heimreise begriffen, also warum denn erst weichmütig werden?«

Die Bowle, von allem Wohlgeruch tropischer Würze überhaucht, wurde gebracht, und unter dem eigentümlichen Weihnachtsbaum entfaltete sich ein buntes Bild. Die Blaujacken saßen und lagen um den Tisch, Zigarrendampf erfüllte das Zimmer, und der reiche Blütenflor des Dezembers in den Tropen spendete durch die geöffneten Fenster seinen Duft, seinen Regen von seinen azurblauen, rosigen und weißen Blumenblättern, so oft ein leichter Wind die Kronen schüttelte.

Zwischen den Lichtern blühte es und trug reife Früchte am eigenen Stamm. Fremdländische Gesichter sahen hinein in das Zimmer, horchten mit Erstaunen den Klängen der deutschen Sprache und summten im Takte die Melodie, ohne den Wortlaut zu ahnen:

»O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit«

Bild

Und das stille innige Heimatsgefühl, welches keine Nation so treu im Herzen trägt wie eben die deutsche, der Zauber der Erinnerung umwehte die Herzen. »Wißt ihr's noch, wie der letzte Weihnachtsabend verlief?« fragte Robert. »Vor Kerguelen im schrecklichsten Sturme, daß sich die alte »Gazelle« gleich einem Kreisel drehte. Was alles ist seitdem Gefahrvolles und Schweres an uns vorübergegangen! Wieviel Anregendes, Belehrendes, Großartiges haben wir gesehen! Jetzt laßt uns aber auch anstoßen auf Deutschlands, auf unseres Kaisers Wohlergehen, laßt uns ein Hoch dem Vaterlande darbringen, und daß der deutsche Mann allen anderen voran auf dem Pfade der Wissenschaft und Aufklärung leuchten möge!«

Alle Gläser erhoben sich, alle Herzen stimmten ein in den Trinkspruch, den unser Freund vorgeschlagen. Es war ein eben so sinniger als fröhlicher Weihnachtsabend, den die Matrosen von der »Gazelle« im fernen Apia verlebten. Erst spät, nachdem sich die Tropennacht längst in den neuen Morgen verwandelt, kehrten die jungen Leute zum Schiff zurück, singend zwar und angeheitert, wie es in der Matrosensprache heißt, aber durchaus eingedenk des heiligen Abends und ihrer eigenen Würde als Angehörige der deutschen Kriegsmarine. Kein einziger hatte sich dem vortrefflichen Punsche gegenüber vergessen.

Bepackt mit allen möglichen guten Dingen, um an Bord die Unglücklichen von der schwarzen Liste, welche Wache gehalten hatten, jetzt nachträglich noch zu bewirten, erschienen sie wie die verkörperten freundlichen Geister des Weihnachtsabends und brachten den Festjubel auch zu jenen Missetätern, welche einmal auf das frischgescheuerte Deck gespuckt, in der Nähe des Großen Mastes laut gelacht oder gar eine Stenge ungeschmiert gelassen hatten, wofür ihnen dann die Strafwache unweigerlich zuteil geworden war.

Am folgenden Tage ging es an eine Besichtigung der Umgegend. Soviel Schönheit wie hier hatte Robert kaum an irgend einem anderen Orte der Welt bemerkt. Die ganze kleine Insel glich einem Garten, in dessen dichten Laubmassen die einzelnen Ansiedelungen zerstreut unter den Bäumen dalagen. Upolu könnte tatsächlich ein reiches Ländchen sein, wenn nicht die Trägheit der Bewohner jeden eigentlichen Fortschritt hemmen würde. Was an Feldarbeit, bei Aussaat und Ernte geschehen soll, das müssen fremde Arbeiter verrichten, während die Polynesier gleich den Rothäuten Nordamerikas im Nichtstun ihre Tage verbringen. Die deutschen Handelshäuser haben auch hier für die Bedeutung des Ländchens unendlich viel getan. Sie betreiben den Aufkauf alles dessen, was die Inseln hervorbringen, und beschäftigen durch Pflanzungen von Kaffee, Mais, Baumwolle und Kokosnüsse viele Hunderte von Arbeitern.

Robert fand bei dem Streifzuge, welchen auch er mitmachte, auf Upolu keinen eigentlichen Urwald mehr, aber er traf wundervolle Fernsichten, bereicherte seine Sammlung von Mineralien und erkletterte wieder Gebirgszüge, die ihn den Wolken nahe brachten.

Und dann, nach kurzem Aufenthalt, lichtete die »Gazelle« jetzt zur direkten Heimkehr ihre Anker.

Um die Südspitze Amerikas herum, durch die Magelhaensstraße, welche unser Freund, wie wir wissen, schon einmal bereist hatte, ging jetzt die Korvette aus der Südsee in den Atlantischen Ozean, welchen sie jedoch nicht erreichte, ohne vorher noch ein sehr angenehmes Ereignis erlebt zu haben.

Nach einer unglaublich schnellen und günstigen Reise bereits am Neujahrstage in der Magelhaensstraße angelangt, begegnete ihr unerwartet die Korvette »Vineta«, und zwar aus Deutschland kommend mit frischen Nachrichten von zu Hause, so recht eine unvorhergesehene liebe Überraschung, ein Wiederfinden der Verwandten in weiter Ferne.

An dem großen Korallenriff, welches wir bei Roberts Reise von Bergen nach San Francisco eingehend beschrieben haben, war die »Gazelle« beigedreht worden, um die Inseln der Halbtiere durch Fahrten im Boot gründlich zu untersuchen, als plötzlich vom Ausguck her der freudige Ruf »Schiff in Sicht auf Backbord!« alle Matrosen und sogar die gelehrten Herren in Spannung versetzte. Die Magelhaensstraße wird von Kauffahrteischiffen nur in Fällen eintretenden Wassermangels Bild befahren, es war daher schon immer ein kleines Ereignis, hier irgend einem Schiffe zu begegnen.

Als sich vom Top der Korvette die deutsche Flagge im Morgenwind bauschte, da erscholl fast gleichzeitig hüben und drüben ein lautes jubelndes Hurra der Mannschaft. Kanonendonner erfüllte die Luft, möglichst nahe wurden beide Fahrzeuge aneinandergebracht und dann Boote ausgesetzt, um die gegenseitigen Beziehungen so eng als tunlich zu gestalten. Landsleute fanden sich, Freunde und Bekannte tauschten Worte des Wiedersehens, der eine erzählte und der andere horchte, kurz, es war ein Fest, das inmitten der Wasserwüste gefeiert wurde. Die Gelehrten machten hier eine reiche Ausbeute von besonders schönen, seltenen Korallen, von Muscheln, Schnecken und Fischen, sowie einer Anzahl Insekten der verschiedensten Art; die Matrosen erhielten einen freien Tag und eine außergewöhnliche Ration Grog, die Offiziere endlich konnten politisieren, von den dienstlichen Beförderungen zusammen sprechen und alte Erinnerungen austauschen.

Nachdem ein ganzer Tag diesem zwanglosen Beieinander gewidmet worden, nachdem die Mannschaft von der »Vineta« den heimkehrenden Kameraden noch Briefe und Grüße mit auf den Weg gegeben, wurden zum letztenmal die Anker gelichtet, und die »Gazelle« steuerte der Heimat zu.

Es ist bekannt, daß sie im April den Hafen von Kiel wohlbehalten erreichte und seitens des deutschen Vaterlandes mit endlosem Jubel, mit allen jenen Ehren und Auszeichnungen, die sie so überaus reichlich verdient hatte – auch empfangen wurde.

Und hier nehmen wir von unserem Helden Abschied. Robert ist in schwerer Schicksalsschule zum Manne herangereift, er ist geprüft worden und hat bestanden, aber seine Neigung für das Seewesen blieb unverändert die gleiche. Nachdem er bei dem alten Mütterchen ausgeruht, die Heimat wiedergesehen und die Jugendfreunde begrüßt, ist er abermals als Bootmannsmaat auf- und davongegangen. Vielleicht führt uns das Schicksal bald wieder in seinen Weg, und dann treffen wir den, dessen Laufbahn unter so schweren Stürmen begann, als – Deckoffizier.

Robert hat gegründete Aussicht, sehr bald Bootsmann zu werden.

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