Sophie Wörishöffer
Robert des Schiffsjungen Fahrten und Abenteuer auf der deutschen Handels- und Kriegsflotte
Sophie Wörishöffer

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Zweites Kapitel

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An Bord der Antje Marie

Die Matrosen liefen geschäftig an Deck hin und her, der kleine Dampfer arbeitete sich mit voller Maschinenkraft durch das Wasser, und die Galliote folgte gehorsam allen Bewegungen, welche er ihr vorschrieb. An Bord kommandierte der Lotse, denn obgleich das Schiff schon mehrere Tage vorher vollständig seeklar gemacht worden war, so unterwarf man doch jetzt jede Einzelheit einer nochmaligen genauen Prüfung. Verschiedene Wanten wurden nachgesetzt, die Befestigung des großen Bootes, das immer mitten auf dem Verdeck vor dem Großmast steht, untersucht, und die Segel auf den Raaen so weit gelöst, daß sie auf Kommando sofort gesetzt werden konnten.

Robert stand unweit des Matrosenlogis und sah hinter sich den Hafen von Hamburg allmählich verschwinden; dann folgte die Vorstadt St. Pauli mit dem ragenden Seemannshause auf ihrer höchsten Höhe und endlich Altona, dessen Hafenverhältnisse neben denjenigen Hamburgs als kaum nennenswert erscheinen. Und nun passierte die Galliote das reizende Neumühlen mit dem einzigen Schlosse, welches die Umgebung beider Städte aufzuweisen hat, dem Wohnsitz der Familie Donner, deren Schiffe alle Meere durchpflügen. Hier hatte im Vorherbst der »Blitz« gelegen, hier hatte damals die Sonne ein so bezaubernd schönes Landschaftsbild beschienen, und heute kräuselte ein tüchtiger Ostwind die Wellen am Bug zu weißem Schaum, heute pfiff es schneidend kalt durch das Segelwerk, und am Lande huschten in den Gärten die welken Blätter wie Gespenster wirbelnd durcheinander.

Niemand kümmerte sich um den Jungen, dessen Herz die widerstreitendsten Gefühle bewegten. Dort das schwindende Land, Holsteins schöne Küste, das waren des Cortez brennende Schiffe, und der sie in Flammen gesetzt, empfand alles, was vor Zeiten des tapferen Spaniers Brust durchwogt haben mochte, – ein Hochgefühl des errungenen Sieges und daneben eine tiefe Wehmut, so gedachte er der Kluft, die ihn von seiner Vergangenheit vielleicht für immer trennte.

Starr heftete der Knabe die Blicke auf das Ufer. Teufelsbrück, Blankenese, das Feuerschiff, – alles glitt schneller und schneller vorüber. Immer breiter wurde die Elbe, ja selbst schon einige »Dünung« (leichter Seegang) ließ sich spüren, und Robert stand noch ganz in Gedanken versunken, da legte sich eine Hand auf seine Schulter.

»Nun, mein Bürschchen, was treibst du hier?« fragte eine Männerstimme.

Robert fuhr auf. Der das sagte, war ein älterer Mann von mindestens fünfzig Lebensjahren, mit schwermütigem, kränklichem Gesicht und großen, tiefliegenden Augen, die jedoch freundlich und gütig auf den Knaben herabsahen. »Fühlst du Reue, Kind?« fragte der sonderbare Mann, »möchtest du lieber wieder zurück nach Hause? – Bei Glückstadt ist's noch möglich.«

»Mohr!« rief in diesem Augenblick die Stimme des Kapitäns von der Kajüttentür herüber, »Mohr, – mach keine Dummheiten, hörst du.«

Der Alte wandte sich ab. »Der Montag,« flüsterte er mit einem unterdrückten Seufzer, »der Montag. Es wäre so schade um das junge Blut!«

Robert hatte inzwischen Zeit gefunden, die gestellte Frage ganz zu verstehen. »Ich fühle durchaus keine Reue,« antwortete er lebhaft, »und ich will Seemann werden um jeden Preis. Aber – was ist denn mit dem Montag?« setzte er neugierig hinzu.

Der Seemann schüttelte leicht den grauen Kopf. »Er bringt kein Glück,« antwortete er, »die bösen Mächte heften sich an seine Fersen. Man soll nichts am Montag beginnen.«

Kapitän van Swieten kam breitspurig über das Deck gegangen. »Junge,« sagte er, »geh in die Kajütte und wasche das Kaffeegeschirr, hörst du. Nachher soll dir der Steuermann deine Obliegenheiten genau aufzählen, damit du sie ein für allemal kennen lernst.«

Die Worte wurden sehr freundlich, aber so bestimmt gesprochen, daß Robert die Absicht des Kapitäns, ihn von dem alten Matrosen zu trennen, klar durchschaute. Aber warum das? der Mann mit den weißen Haaren und den ernsten Augen hatte ihm so sehr gefallen.

Er begab sich, nicht ohne einige Mühe gehend, in die Kajütte und begann das Kaffeegeschirr zu reinigen. Während dieser Beschäftigung erschien der Steuermann, dessen mürrisches Gesicht dem Knaben von vornherein Furcht einflößte, und dessen roter Bart fast an eine Mähne erinnerte.

Nachdem er mit barschem Tone den neuen Kajüttsjungen nach Namen und Herkunft gefragt, sagte er stirnrunzelnd: Bild »Du scheinst mir eine sehr vorlaute »Back« (Maul) zu haben, das soll aber bald anders werden. Deine Arbeit ist vorläufig die eines Bedienten. Du hast die Kapitänskajütte und auch die meinige rein zu halten, Stiefel zu putzen, Kleider auszuklopfen und bei Tisch zu bedienen. Alles Geschirr befindet sich in deiner Obhut, und was du zerschlägst, das mußt du von deiner Heuer bezahlen. Deine Koje, wo du schläfst, werde ich dir späterhin zeigen. Über derselben befindet sich ein Wandschrank, und – aber geh nur gleich mit mir,« unterbrach er seinen eigenen Satz, – »du sollst den Schrank sehen, damit dir meine Befehle verständlicher werden.«

Er führte den Knaben zum Vorderteil des Schiffes und gab ihm einen kleinen Schlüssel. »Mach auf!« herrschte er, eine Tür bezeichnend, und fuhr dann, als der Befehl vollzogen worden, in seiner Erläuterung fort. »Hier steht das Geschirr, jedes in einem bestimmten Loche, um es vor dem Fallen zu sichern, und darunter befinden sich drei kleine Schubladen für des Kapitäns wöchentlichen Bedarf an Kaffee, Tee und Zucker. Das wird dir vom Untersteuermann an jedem Sonnabend zugewogen und damit mußt du auskommen. Ertappe ich dich bei einer Näscherei, so schmeckst du das Tauende.«

Robert errötete und erbleichte abwechselnd. Wie im Fluge kam ihm die Erinnerung an das gestohlene Geld, von welchem er freilich keinen Groschen für sich erhalten, um dessen Entwendung er aber doch gewußt, die er begünstigt hatte. Außerstande, zu antworten, schwieg er und ließ den Obersteuermann seinen Vortrag beenden.

»In jedem Matrosen siehst du deinen Vorgesetzten,« fuhr dieser fort, »und unterstehst dich nicht, eine vorlaute oder trotzige Antwort zu geben. Wenn der Kapitän nach dir klingelt, erscheinst du sofort mit der Mütze in der Hand und trittst bis zur Hälfte in die Kajütte hinein, darauf sagst du: »Was beliebt, Herr Kapitän?« – Wenn ich selbst dich rufe, so antwortest du gar nicht, sondern hörst nur, was ich befehle. Auf jeden Ungehorsam folgt eine Lektion mit dem Tauende, das merke dir hauptsächlich. Und jetzt geh an Deck, um mit anzufassen, wenn die Segel gesetzt werden.«

Er entfernte sich aus dem Logis, in dessen Nähe der Kapitän mit langsamen Schritten auf- und abgegangen war, offenbar um die Unterhaltung zwischen ihm und Robert deutlich zu hören. Jetzt winkte er dem Obersteuermann, welcher ihn in die Kajütte begleitete.

Kapitän van Swieten nahm aus dem Schrank eine Flasche, aus der er trank, und die er dann dem anderen anbot. »Renefier,« sagte er, »warum hast du den neuen Jungen so hart angelassen? Ich will die gewöhnlichen Schiffsgesetze auf meiner Galliote nicht eingeführt wissen, kann sie nicht brauchen, das habe ich dir schon oft gesagt. Ein Verräter untergräbt uns die ganze Zukunft, und du selbst weißt doch am besten, welche goldene Früchte das Geschäft trägt,«

Der Obersteuermann zuckte verdrießlich die Achseln. »Die Galliote ist nicht so ganz allein dein Eigentum, van Swieten,« antwortete er, »das vergiß nicht. Oder willst du mir im nächsten Hafen mein Anteil herauszahlen und dir einen anderen Steuermann suchen? Du selbst kannst kein Schiff über den Ozean führen, das weißt du.«

Der Kapitän wurde blaß vor Ärger, »Wenn du annimmst, daß ich's weiß, Renefier, so war ja deine Erinnerung überflüssig,« sagte er. »Was hast du davon, den Herrn zu spielen und vielleicht einen dummen Jungen gelegentlich durchzuprügeln?«

Des Steuermanns Augen blitzten. »Was ich davon habe, van Swieten?« wiederholte er. »Den nötigen Respekt bei der Mannschaft, daß du es nur weißt. Es geht auf der »Antje Marie« zu, als hätte ein Weib das Kommando. Komme ich nicht heute, so komme ich doch morgen. Das ärgert mich in die Seele hinein.«

Der Kapitän trank wieder. »Ta! Ta!« sagte er, »das ist dummes Zeug, Renefier, daran änderst du nichts mehr. Wir sind eine Welt für uns, wir bilden eine geschlossene Gesellschaft, deren einzelne Mitglieder untereinander vor allen Dingen gute Freunde sein müssen, – das geht aber nicht bloß vermittelst des Tauendes, mein Bester. Frißt der Schlingel ein paar Pfund Zucker, so tu, als hättest du es nicht gesehen und gibt er eine naseweise Antwort, so lache darüber, dann gefällt ihm das Leben an Bord und er ist treu. Zehn bis zwanzig Stück echte Spitzen im Hafen von Havana glücklich den Augen der Spürhunde entzogen, ein paar Kisten Champagner mit Geschick an Land gebracht, und er mag so viel Geschirr zerschlagen, wie er Lust hat. Ich sage dir, du sparst Pfennige, indes du Taler über Bord wirfst, oder glaubst du, daß sich der Bengel in strenger Zucht halten läßt, um später gehorsam wie ein Pudel die gefährliche Arbeit für unsere Rechnung willig auszuführen? – Ich mache die Reise zum sechzehnten Male und bin bei allen meinen Leuten beliebt; willst du, der erst seit acht Tagen die Planken des Schiffes beschreitet, mir Lehren geben?«

Der Obersteuermann nahm die Mütze ab und kratzte sich hinter dem Ohr.

»Wollte auch, ich hätte es nimmer getan,« brummte er. »Wie ist das Deck gescheuert und wie sind die Kojen gelüftet, wie ist der Proviant verstaut? Daß Gott erbarm!«

Van Swieten lächelte überlegen. »Kleinigkeiten,« schmunzelte er, »nichtsbedeutende Nebensachen. Jeder dieser Matrosen ist treu, weil es sein Vorteil heischt, und weil er weiß, daß ihm der Dienst auf der »Antje Marie« mehr einbringt, als er jemals mit Scheuern und Schruppen auf irgend einem andern Fahrzeug erwerben kann. Das ist's, was wir brauchen.«

Der Obersteuermann schwieg und ärgerte sich im stillen. Hätte er ahnen können, was im Logis die Leute flüsterten, so würde ihm vollends die Galle ins Blut getreten sein. »Du,« sagte einer, »wie gefällt dir der neue »Vater Grausen?« (Spitzname für den ersten Steuermann,) »Gestrenge Herren regieren nicht lange!« versetzte ein anderer.

»Der braucht einmal eine Sturzsee!« meinte der dritte. »So dreißig Fuß hoch aus dem Mast, – das kühlt den Eifer.«

Die übrigen lachten. »Wer weiß? Wenn er das Maul zu voll nimmt, regnet es vielleicht einmal unvermutet hinein.«

Robert hörte das alles mit heimlichem Erstaunen. Er hatte sich Georgs Schilderungen zufolge das Seeleben viel strenger und beschwerlicher gedacht als es hier zu sein schien. Die buntgewürfelte Gesellschaft der Matrosen besaß offenbar von Mannszucht und militärischem Gehorsam nur sehr schwache Begriffe; es war mehr so eine Art lustiger Zechkameradschaft, denn auch mehr als eine Flasche Rum und Branntwein sah Robert von Hand zu Hand gehen, obwohl ihm sein Freund häufig gesagt hatte, daß dergleichen nur ausnahmsweise und in geringen Mengen vom Steuermann verteilt werde.

Freilich, sobald an Deck ein Kommando ertönte, änderte sich wie durch einen Zauberschlag das nachlässige Wesen der Leute. Einer suchte es im Laufen und Klettern dem anderen zuvorzutun, einer war noch schneller, noch gewandter als der andere. Robert wurde, als er sich beeiferte mit Hand anzulegen, von den Matrosen mehrfach beiseite gedrängt, und einmal fiel er, – er wußte nicht, ob aus Versehen oder infolge einer kleinen Neckerei – sogar mit seiner ganzen Länge auf das Verdeck, als die Leute plötzlich ein Tau, an welchem er noch aus Leibeskräften riß, wie auf Verabredung losließen. Ein lautes Gelächter und der Ruf »Ahe, unser ›Schmierdieb‹ ist schon seetoll (seekrank)!« brachten ihn indessen schnell genug wieder auf die Füße.

Der Wind bauschte die Segel, das Schlepptau wurde vom Dampfer losgemacht und an Bord der Galliote geholt; unter dem lustigen Gesang der Matrosen glitt das Schiff durch die Fluten dahin. Der Lotse ließ sich vor Helgoland von einem kreuzenden Kutter an Bord nehmen, und jetzt erhielt Kapitän van Swieten das Kommando. Es wurden noch mehr Segel gesetzt und die Geschwindigkeit der »Antje Marie« auf neun Knoten geloggt. »Loggen« nennt man nämlich die Vorrichtung, mittels welcher ausgemessen wird, wieviel Seemeilen ein Fahrzeug in einer Stunde zurücklegt. Ein dreieckiges, zolldickes Brettchen ist in seinem Mittelpunkt an einer dünnen Schnur befestigt und diese durch Knoten in bestimmte Längen von je fünfundzwanzig Fuß geteilt. Die Schnur besteht zuerst aus einem »Vorlauf« ohne Knoten, und zwar um dem in das Wasser geworfenen Brettchen Zeit zu lassen, seine richtige Lage einzunehmen; eine der Seiten ist mit Blei benagelt, so daß das kleine Instrument immer aufrecht im Wasser steht, wahrend es durch die fortschreitende Bewegung des Schiffes nur in ganz geringem Grade mit vorwärts gerissen wird. Die dadurch entstehende Differenz läßt sich unschwer berechnen und wieder ausgleichen.

Legt nun beispielsweise ein Schiff in einer Stunde eine Seemeile zurück (gleich 1/4 deutscher Meile), so läuft es in einer Viertelminute den zweihundertvierzigsten Teil einer Seemeile (oder fünfundzwanzig Fuß), da diese sechstausend Fuß mißt. Wenn geloggt wird, so benutzt man zur Zeitbestimmung die Sanduhr, zwei Trichter von Glas, welche mit ihren Spitzen verbunden sind. Einer derselben ist mit ganz gleichkörnigem Sande gefüllt, dessen Menge so abgemessen sein muß, daß sich dieselbe nach fünfzehn Sekunden in den untenstehenden Trichter entleert hat. Die Anzahl der Knoten an der Leine, welche in diesen fünfzehn Sekunden durch die Hand des loggenden Matrosen geschlüpft sind und von diesem gezählt werden, gleicht genau derjenigen der Seemeilen, die das Schiff in einer Stunde durcheilt.

Die Praxis hat ergeben, daß man, um die durch das Nachschleifen des Loggbrettes entstandene geringe Unordnung wieder auszugleichen, in der Schnur den Knoten eine Entfernung von nur dreiundzwanzig Fuß geben und die Sanduhr auf vierzehn Sekunden einrichten muß.

Die Galliote legte also neun Seemeilen in der Stunde zurück und hatte daher die Insel Helgoland schon sehr bald im blauen Duft weit hinter sich gelassen. Es war völlig dunkel, als Robert fühlte, daß sich seiner ein ganz eigentümliches Unbehagen mehr und mehr bemächtigte. Das starke Auf- und Niederstampfen des Schiffes, die schiefe Lage nach der Leeseite erregten ihm Übelkeit. Seine Nase schien spitz geworden, die Lippen farblos und das Gesicht fast grünlich. Er saß auf seiner Kiste, von der er emportaumelte, als zufällig der mürrische Obersteuermann vorüberging. Er wollte schnell nach irgend einer Beschäftigung greifen, sank aber machtlos zurück und konnte nur einen angstvollen Blick zu dem gestrengen Vorgesetzten hinübersenden. Das Schiff, die Masten, das Meer, alles schien sich mit ihm in rasender Geschwindigkeit zu drehen, während die Kehle wie zugeschnürt war, und ein Krampf den Magen erfaßte.

»Seetoll«, brummte Renefier. »Geh auf Deck an die frische Luft, aber zuvor trink aus dieser Flasche einen tüchtigen Schluck Rum, das tut dir gut.«

Robert gehorchte mit vieler Mühe, aber sowie das scharfe Getränk herunter war, stürzte er zur Kajüttentür hinaus, beugte sich über Bord, und – –

O das tat ihm wohl, aber im Anfange glaubte er, daß es der Tod sei, welcher ihn so entsetzlich würgte und die Eingeweide fast zerriß. Er hatte nur halbes Bewußtsein, als ihn zwei Arme von hinten umschlangen und sanft emporhoben. Der alte Matrose war es, der Mann mit den schwermütigen, freundlichen Augen, und voll Mitleid trug er den Knaben in dessen Koje, wo Robert sofort einschlief, um erst mitten in der Nacht zu erwachen. Die Seekrankheit in ihrer Bild ganzen Stärke hatte ihn ergriffen. Diese eigentümliche, dem gesunden Körper niemals schädliche Krankheit entsteht bei den meisten, welche bisher auf dem Lande gelebt, in den ersten Stunden ihres Aufenthaltes zur See und ist die unmittelbare Folge der rastlos schaukelnden Bewegung des Schiffes, welches noch dazu fast immer nach einer Seite hinüberliegt. Wahrscheinlich teilen die Gehirnnerven zunächst dem Magen und den Verdauungswerkzeugen die erhaltene Störung mit, und dadurch entsteht später jenes furchtbar quälende Unwohlsein, das sich erst wieder hebt, wenn der ganze Inhalt des Magens entleert ist, und die Würgebewegungen desselben nur noch einen weißlichen Schleim absondern.

Es gibt Menschen, welche nie seekrank werden, während andere das Übel nur einmal durchleben müssen und ganz besonders Auserwählte jedesmal, so oft sie ein Schiff betreten, dem Meere ihren Zoll darbringen.

Robert ertrug die Sache verhältnismäßig leicht, hauptsächlich weil ihn die rege Vorliebe für das Seewesen über alle Schwierigkeiten hinwegsehen ließ. Er verspürte schon am folgenden Morgen einen wahren Heißhunger und schlich sich in die Kombüse, um etwas Genießbares zu erlangen. Der Koch reichte ihm auch sogleich ein tüchtiges Stück Pökelfleisch mit dem Überrest des Schwarzbrotes, das noch von Hamburg her an Bord war.

Robert hätte aber das Dargebotene vor Schreck fast zu Boden fallen lassen, als er dem Manne ins Gesicht sah. Das war Gallego, der Spanier, welcher vorgestern abend in Peter Vollands Schenke den Malaien verwundet, und den der Wirt so sorgfältig in Sicherheit brachte, bevor er den Polizisten die Tür öffnete. Der Knabe stand jetzt verwirrt und sprachlos vor dem rohen Patron, dessen braunes Gesicht, zerschunden und mit Pflastern bedeckt, noch die deutlichsten Spuren des Kampfes aufwies.

Sonderbarerweise war indessen der Koch gegen ihn sehr zuvorkommend, bot ihm alles mögliche, worüber er verfügen konnte, und riet ihm dringend, etwas Magenbittern zu trinken, wobei er lebhaft bedauerte, selbst von diesem unschätzbaren Stoff leider nichts zu besitzen. »Laß dir vom Untersteuermann etwas geben, mein Junge,« setzte er hinzu, »und dann kannst du mir immerhin ein paar Tropfen zukommen lassen. Bei diesem kalten Wind ist's ein wahres Labsal, weißt du, – ich mache es mit Fleisch und Kaffee wieder gut.« Robert wagte es nicht, den Spanier zu erzürnen, daher tat er, wie ihm geheißen worden, und Gallego stürzte den Branntwein auf einen Zug in die durstige Kehle hinab. Wahrscheinlich hatte er kein Geld mehr gehabt, um sich einige Flaschen Rum oder Genever vom Lande aus mitzunehmen. »Wir müssen gute Freunde werden,« raunte er mit vertraulichem Blinzeln dem Knaben zu. »Ich mag dich leiden, Kleiner.«

Aber Robert teilte diese Vorliebe durchaus nicht. Er ging dem Koch aus dem Wege, so viel als irgend möglich war, und sprach nur mit ihm, wenn er mittags seine »Back« (Napf) zum Füllen überreichte. Die dicke Erbssuppe wurde dann auf der Seekiste sitzend verzehrt, wobei jeder Mann den Napf zwischen seinen Knieen hielt. Robert erfuhr hier, daß alle Matrosen ihre Spitznamen hatten, weshalb er sich denn auch nicht mehr wunderte, von der ganzen Mannschaft »Schmierdieb« genannt zu werden. Außer ihm gab es einen »Speckesser«, einen »Rotfuchs«, »kleinen und großen Russen«, eine »Klappmütze« und so weiter. Den alten Matrosen, seinen Freund Mohr, hörte er den »Geisterseher« nennen.

An diesen Mann schloß er sich ganz besonders an, und von ihm lernte er die Einrichtung des Schiffes gesprächsweise kennen. Seine Fahrten mit dem Segelboot, und die Erläuterungen, welche ihm der Matrose vom »Blitz« gegeben, erleichterten zwar wesentlich das Verständnis des Ganzen, aber dennoch gab es so vieles, das er jetzt erst zum erstenmal sah. Und Mohr unterrichtete den Knaben, belehrte ihn und plauderte mit ihm, wo sich dazu die Zeit fand.

»Der Vorderteil des Schiffes heißt der »Bug«, sagte er, »und hier befinden sich auch »Klüsen«, d. h. auf jeder Seite des Buges durch die Schiffswände gehende Röhren von Gußeisen, in denen die Ankerketten fahren. Diese letzteren werden aufgewunden vermittelst einer Vorrichtung, welche, wenn sie wagerecht liegt, »Pumpspill«, und wenn sie senkrecht steht, »Gangspill« genannt wird. Auf Kauffahrteischiffen hat man meistens erstere, auf Kriegsschiffen letztere Einrichtung. Im Buge ist außerdem gewöhnlich noch eine kleine Überdachung, die »Back« genannt, welche dazu dient, den Vorderteil des Schiffes gegen hohen Seegang zu schützen, und zugleich dem dort befindlichen Matrosen, der die »Ausguckwache« hat, einen erhöhten Sitz zu gewähren.

»Im Buge, unter und auf der Back, enden alle Taue, durch welche die Vorsegel, d. h. die dreieckigen Klüversegel, regiert werden. Diese Taue, zum laufenden Gut gehörig, befestigt oder »belegt« man an »Klampen«. Das betreffende Kommando heißt dann »Belege das Ende!« oder »Hole an dem Ende!« oder »das Ende belege auf Backbord!« Dies letztere z. B. enthielte den Befehl, ein Tau auf derjenigen Seite des Schiffes, welche vom Bug aus gesehen rechts liegt, zu befestigen.«

Robert begriff ohne Mühe diese Kleinigkeiten. »Aber was bedeutet es,« unterbrach er, »wenn der Steuermann fragt: Alles klar?«

»Das heißt,« antwortete der Alte, »ob alles in Ordnung, alles vorbereitet ist, um irgend ein Segelmanöver auszuführen. Macht klar Deck! z. B. ist, alle Tauenden an ihren bestimmten Plätzen aufzurollen, so daß nicht allein alles ordentlich aussieht, sondern auch zum sofortigen Gebrauche bereit ist. Du weißt ja, mein Junge, Ordnung ist das halbe Leben.«

Robert seufzte heimlich. Wie manche Tracht Schläge hatte er zu Hause erhalten, bestens begleitet und verschärft durch diesen alten, dem Kinderherzen so schwer zugänglichen Spruch! –

Aber das war nur eine flüchtige Erinnerung. Die Gegenwart fesselte ja Geist und Sinn mit tausend Banden. »Was ist ein Taljereep?« fragte er weiter.

»Taljen, mein Junge, müßtest du eigentlich schon kennen, aber zur Vorsicht will ich dir die Sache nochmals klar machen. Taljen sind also zwei Blöcke mit einem Tauende darin, dem »Läufer«. Ihr Zweck ist es, die Zugkraft zu verstärken, und »Taljereep« dient auch zu nichts anderem, nur daß hier keine Blöcke verwendet werden. Das Taljereep ist ein Tauende, durch welches man ein anderes feststehendes Tau stramm zieht oder »setzt, holt«. Zum Beispiel laufen die Wanten an den Masten sowohl auf der Backbord- wie auf der Steuerbordseite des Schiffes um runde Holzkloben, »Jungfern« genannt, und an diesen befinden sich drei Löcher, durch welche man das Taljereep holt, um mittels der Wanten den Mast zu stützen. Ebenso werden die Haltetaue durch Taljereepen straff geholt.«

»Jetzt zum Hinterschiff,« drängte Robert, und der Alte folgte lächelnd dem Ungestüm seines Schützlings. »Die Erhöhung, worunter die Kajütte liegt,« begann er den zweiten Vortrag, »heißt das »Quarterdeck« oder auch »Quarter« allein. Das Hinterschiff ist ausschließlich der Aufenthalt des Kapitäns und der Steuerleute, – wir Matrosen dürfen es nur auf ausdrücklichen Befehl betreten. Eine Haupteinrichtung des Schiffes ist hier das Steuerruder, seemännisch das »Ruder« genannt. Im Kopfe desselben steckt eine eiserne Stange, die »Ruderpinne«. Das Steuerrad tritt mit derselben in Verbindung durch eine lange Kette, die sich ihrerseits um die Walze des Rades herumwickelt und durch dessen Drehungen den Lauf des Schiffes lenkt. Bei gutem Wetter steht ein Matrose am Ruder, bei schlechtem aber deren zwei.«

Robert hatte mehrere Male Miene gemacht, den Alten zu unterbrechen, jetzt endlich platzte er heraus mit der Frage, die ihm schon längst auf dem Herzen gelegen. »Steuert denn nicht der Steuermann selbst das Schiff?«

Der Alte streichelte das glühende Gesicht, welches so vertrauensvoll zu ihm empor sah. »Der Steuermann sieht während seiner Wache nach dem Kompaß,« belehrte er, »und beobachtet in dieser Weise, ob der Matrose am Ruder den richtigen Kurs innehält. Ist dieser z. B. Nord-Nord-West, wie wir jetzt laufen, so muß die Spitze der Kompaßrose, welche Nord-Nord-West zeigt, immer in der Mittellinie des Schiffes liegen, weicht sie aber nach rechts oder links ab, so muß so lange an dem Rade gedreht werden, bis sie wieder richtig zeigt,«

Robert nickte. »Noch eins!« bat er, »von Ihnen höre ich ja alles ohne die unleidlichen Neckereien, welche die Matrosen nun einmal beharrlich für Witz halten und immer wieder anbringen. – »Aufluven, in den Wind luven«, heißt: das Schiff mit dem Vorderteil in den Wind drehen, nicht wahr? aber was ist »Backlegen?«

»Backlegen heißt: die Fahrt des Schiffes hemmen. Zu diesem Zweck erleiden die Segel am Fockmast keinerlei Veränderung, am Großmast aber braßt man die Raaen so herum, daß der Wind auf sie von vornherein einwirken muß, dadurch treibt er mit derselben Kraft das Schiff nach hinten, wie er es durch die Vordersegel nach vorn treibt. Es entsteht also eine Gegenwirkung, ein Gleichgewicht der streitenden Kräfte, und das Fahrzeug bleibt regungslos liegen. Man wendet dies Manöver an, wenn ein Boot herabgelassen werden soll, oder wenn die Kapitäne zweier einander begegnenden Schiffe zusammen sprechen wollen, was wir »Preien« nennen.«

»Aber jetzt müssen wir uns trennen,« setzte er hinzu. »Ein anderes Mal mehr davon. Und höre noch, Junge, – wenn dich der Koch verleiten will, ihm von des Kapitäns Rum zu geben, so tue es nicht, Kind, das Unrecht bringt keinen Frieden.«

Robert senkte vor den milden Augen des Alten das errötende Gesicht. »Ich will es nicht tun, gewiß nicht, Onkel Mohr!« sagte er »zuverlässig.«

Der Matrose seufzte unhörbar, »Wirst auch nicht unversucht bleiben,« murmelte er, »wirst auch kämpfen müssen, wie alle, alle, und vielleicht fallen – o so tief – ins Bodenlose –«

Seine Augen sahen starr über das Meer, leise schüttelte er den Kopf. »Sollst mein Erbe werden,« flüsterte er, »sollst haben, was ich besitze, weil du mich »Onkel« genannt hast, weil mir dein unschuldiges Herz Vertrauen und Liebe entgegenbringt. Du bist noch ein Kind, – ein ahnungsloses Kind – und du bist seit Jahrzehnten der erste, welcher mich mit der Bezeichnung eines verwandtschaftlichen, menschlichen Bandes anredete. Hab Dank, Kind, – hab Dank! –« Er glitt mit der wetterharten Hand über Roberts Scheitel, und ging langsam davon, seinen Beschäftigungen nach. Mit den übrigen Leuten sprach er wenig, obgleich keiner sein Mütchen an ihm zu kühlen suchte, sondern vielmehr alle eine gewisse Scheu vor ihm an den Tag legten. Er war von der ganzen Besatzung des Schiffes derjenige, welcher am längsten mit demselben gefahren, und Kapitän van Swieten behandelte ihn fast wie einen gleichgestellten Freund. Irgend ein Geheimnis mußte aber doch den »Geisterseher« umgeben, und irgend ein Geheimnis umgab überhaupt das ganze Schiff – Robert fühlte es mehr, als er es hätte beweisen können.

Es blieb ihm auch nur wenig Zeit, an anderes als an seine Arbeiten zu denken. Man war in den englischen Kanal eingelaufen, und dieses Fahrwasser ist bekanntlich für den Seemann eines der allergefährlichsten. Es gibt viele Kapitäne, welche während der Reise durch den Kanal nur von Zeit zu Zeit in vollem Anzug auf dem Sofa einen Augenblick schlafen, sonst aber immer selbst an Deck sind, um alles mit eigenen Augen zu überwachen.

Auch Kapitän van Swieten und sein Obersteuermann verdoppelten ihre gewöhnliche Vorsicht, namentlich da sich bei Einbruch der Nacht das Schiff in dichten Nebel hüllte. Die grüne und rote Laterne wurden auf beiden Seiten in die Wanten gesetzt und eine weiße Laterne in den Vortop. Der Untersteuermann, seines besonders scharfen Auges wegen der »Fernkieker« genannt, verbrachte fast die ganze Zeit neben dem Matrosen auf dem Ausguck, und der Obersteuermann ging fortwährend an Deck von einer Seite zur andern, um ein vorübersegelndes Schiff rechtzeitig zu bemerken.

Die Matrosen haßten ihn heimlich. »Wenn er sich wohl einmal selbst vorbeilaufen wird?« fragten sie untereinander. »Der hat ja den Teufel im Leibe.«

Aber doch war diese Vorsicht nur allzu gerechtfertigt. Robert sah, wie nacheinander mehrere Schiffe in nächster Nähe rechts und links an der »Antje Marie« vorüber liefen, so nahe, daß zwischen dem einen und dem andern Fahrzeug nur wenige Schritte Entfernung lagen. Im Nebel gesehen nahmen diese Schiffe wahrhaft riesige Größen an, lautlos glitten sie durch die schwarzen Fluten dahin, Nachtgespenstern gleich, jedes den Tod an Bord tragend, den lauernden, den geheimnisvollen, dessen Ernte beginnt, wenn zwei unglückliche Schiffe mit voller Kraft gegeneinander stoßen, wenn sich die Panzerbrust des einen in den Rumpf des andern bohrt und nur noch ein eintöniges, gurgelndes Geräusch – ein letztes Sterberöcheln – die Stelle bezeichnet, wo vor wenigen Minuten der ragende Bau die Wellen zerteilte, welche jetzt ihre Arme ausbreiten und begierig das Opfer hinabziehen in den bodenlosen Schlund.

Der Obersteuermann trat in die Kajütte. »Ist kein Nebelhorn an Bord, van Swieten?« fragte er.

Der Kapitän nickte, »Doch, Renefier. Hier im Schrank muß es liegen. Such nur, – es ist entweder da, wo meine Kleider hängen oder bei den Notsegeln. Finden wirst du es!«

Der Steuermann warf ärgerlich durcheinander, was ihm zwischen die Finger kam. Seine Füße stampften vor Ungeduld den Boden. »Eine Teufelswirtschaft,« brummte er. »Im dichtesten Nebel das Horn nicht finden.Da soll doch – –«

Er brach ab, weil die Tuba, auf dem Boden des Kleiderschrankes, unter Stiefeln und Tauenden vergraben, endlich zum Vorschein kam. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, eilte er fort und drückte das Instrument dem nächsten besten Matrosen in die Hand. »Alle zwei Minuten!« befahl er. »Aha, dort wird es auch schon auf anderen Schiffen lebendig.«

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Und wirklich erschallten über das ruhige Wasser her von rechts und links die klagenden, langgezogenen Töne. Es lief kalt an Roberts Rücken herab, als er das sonderbare Konzert mit anhörte. Wie Warnungsstimmen aus einer anderen Welt klangen diese bald nahen, bald fernher kommenden Rufe. Sie wirkten auf das Gemüt des Knaben geradezu erschütternd.

»Geschieht es häufig, daß zwei Schiffe zusammenstoßen?« fragte er flüsternd einen der Matrosen, welcher neben ihm stand.

Dieser nickte. »Sehr oft sogar«, bestätigte er. »Mancher Mutter Sohn versinkt so ohne Kampf und Gegenwehr, ohne Hoffnung oder Trost in die grundlose Tiefe. Ich selbst bin einmal nahe daran gewesen – auf Haaresbreite, möchte ich sagen. Das war in der Nordsee und der Nebel so dicht, daß wir am Großmast das Bugspriet nicht sehen konnten. Plötzlich ertönte ein furchtbares Krachen – im Nu waren wir an Deck, aber da sank schon das Fahrzeug unter unsern Füßen, und das Wasser lief durch einen gewaltigen Leck herein. Ich weiß von dem ganzen Vorfall nur noch soviel, daß ich halb besinnungslos ein über mir erscheinendes Tau ergriff. Es war das Bugstag des anderen Schiffes; ich hielt mich mit allen Kräften daran fest und wurde auch schon nach wenigen Augenblicken durch ein Schlingtau an Bord geholt. Es war eine englische Brigg, welche am hellen Tage das Unglück veranlaßt hatte. Sie legte sich back, setzte ein Boot aus und versuchte es, auch die übrige Mannschaft des sinkenden Fahrzeuges zu retten, aber nachdem die nötigen Vorbereitungen getroffen, war alles zu spät. Vor unsern Augen verschwanden die Mastspitzen, als das Boot den Wasserspiegel berührte.«

Robert fühlte doch ein unbesiegliches Grauen. Er ging auch dann nicht zu Bette, als seine Wache abgelöst wurde, sondern blieb an Deck und horchte und spähte in den Nebel hinaus. Mit der Gewalt der Elemente zu kämpfen, dachte er sich groß und herrlich, aber so bei stillem Wetter im tiefen Dunkel übersegelt zu werden, der Gedanke machte ihn frösteln.

Gegen Mitternacht wurde der Wind etwas stärker, und sogar einzelne heftige Stöße (Böen) fuhren durch das Takelwerk. »Alle Hände an Deck!« erschallte die Stimme des Obersteuermanns, und die vor kaum einer Stunde zur Koje gegangene Wache mußte aus den warmen Decken wieder heraus und in der kalten Herbstnacht ihre beschwerliche Arbeit verrichten.

»Zwei Reffe in die Marssegel!«

Einer dem andern voran stürmte die Mannschaft in die Wanten hinauf, und jeder beeiferte sich, der erste zu sein. Selbst Gallego und der Kochsmaat, ebenso der Zimmermann, die während des gewöhnlichen Laufes der Dinge nur an Deck arbeiteten, mußten mit hinauf, so daß bloß die »Bramgäste« (Leichtmatrosen und Jungen) von diesem gefährlichen Dienst verschont blieben. Sie bedienten an Deck die Fallen und Brassen. Da bei der geringen Anzahl von Leuten nur immer ein Mast zur Zeit vorgenommen werden konnte, so mußte man, ehe der Wind seine volle Gewalt entfaltet hatte, schon die Segel klein machen.

Es blieb indessen alles ruhig, und am Morgen strahlte bei scharfer Kälte die hellste Sonne vom Himmel herab. Robert sah wieder, wenn auch nur als ferne dunkle Umrisse, die Küsten des festen Landes, er sah unzählige Fischerboote, die in größerer oder geringerer Nähe wie Nußschalen auf dem Wasser schwammen, und erlebte dann etwas, was ihn höchlichst interessierte. Einer der Matrosen, welcher erst in Hamburg an Bord gekommen, schrieb auf seiner Kiste einen Brief und steckte dann denselben in eine leere Weinflasche, die er zu diesem Zweck vorher gereinigt hatte. Zwei englische Schillinge folgten dem Papier, und dann erhob sich der Mann, um den Kapitän um etwas Siegellack zu bitten.

Roberts Blicke waren neugierig jeder Bewegung gefolgt. »Was tun Sie da?« fragte er unwillkürlich. »Wollen Sie die Flasche ins Meer werfen?«

»Beinahe!« lächelte der Mann. »Aber hast du vielleicht auch ein paar Worte an die Deinigen zu bestellen, so spute dich. Zehn Minuten will ich noch warten, und Papier ist hier.«

Robert ließ sich das nicht zweimal sagen, er ergriff mit Freuden die Gelegenheit, seine alten Eltern zu beruhigen und um Verzeihung zu bitten. Die Feder flog förmlich über das Papier, indes zufällig der Kapitän in die Nähe der Tür kam und den Knaben schreiben sah. Eilig ging er zur Kajütte zurück. –

Als dann der Matrose um etwas Siegellack bat, empfing er diesen sehr leutselig. »Holt nur ein Boot an,« versetzte er, »ich habe auch geschrieben und will die Flasche schon verschließen.«

Der Mann entfernte sich, aber kaum war er fort, als van Swieten mit einer langen Schere Roberts Brief aus der Flasche zog und in seinem Taschenbuch verbarg. »Besser so,« murmelte er, »Gott weiß, welche Namen der Bengel nennt. Könnte mir am Ende den preußischen Konsul auf den Hals hetzen! – Nein, nein, besser so!«

Der Matrose hatte indessen sein Taschentuch an eine Stange gebunden und mit dieser einfachen Flagge dem nächsten entgegen kommenden Boote ein Zeichen gegeben. Das emporgehaltene Ruder brachte Antwort, worauf sehr bald das kleine Fahrzeug in einiger Entfernung von der »Antje Marie« über die Wellen tanzte und dann fast unter den Bug herankam. Die an eine Leine befestigte Flasche wurde ins Meer geworfen, von den Fischern aufgefangen und im Vorratkasten des Bootes untergebracht. Noch ein Gruß von beiden Seiten, dann war die kurze Begegnung vorüber.

»Und diese Briefe werden wirklich auf die Post gegeben?« fragte Robert.

»Jedesmal!« versetzte der Matrose. »Das Geld ist nicht immer in ganz sicheren Händen – häufig wandert der Brief unfrankiert zum Schalter, und die lieben Angehörigen müssen das Porto selbst bezahlen, aber vernichtet oder unterschlagen wird kein Schreiben. Auch der ärmste Fischer würde solchen Betrug verschmähen.«

Robert sah mit leichtem Herzen dem Boote nach. Zum erstenmal seit langer Zeit empfand er eine wirklich reine Freude. Jetzt würden seine Eltern erfahren, wohin sich ihr einziges Kind gewendet, sie konnten beruhigt in die Zukunft blicken, und mußten doch auch verzeihen, wo er so innig, so beredt um ihre Vergebung gesteht! – Es war ihm wie zum lauten Jubeln. Seinen glühendsten Wunsch, das eine große Ziel seines Lebens hatte er erreicht, und wenn nun noch die Wiederaussöhnung mit den Eltern hinzukam, so war alles gut.

Ach, er ahnte ja nicht, daß unterdessen der Kapitän in aller Gemütsruhe seinen Brief an einem Licht verbrannte. Er handhabte mit wahrem Eifer den Scheuerbesen, welcher ihm den Weg zur Kapitänswürde bahnen sollte, und plauderte dann in der Freiwache mit dem alten Mohr, der ihn fortwährend unterrichtete. Jetzt näherte man sich auch schon dem Atlantischen Meere, der Wind wurde stetiger und der Kurs mußte etwas südlicher genommen werden. Robert hatte gegen Mittag mit zwei Leichtmatrosen das Bramsegel zu setzen und kam dabei ebenso schnell in die Wanten hinauf wie seine erfahreneren Genossen. Es waren ihm während der kurzen Zeit die »Seebeine« schon ganz nett gewachsen, und nur das »Schlingern,« d.h. das Werfen des Schiffes von einer Seite zur andern, machte ihm noch einige Beschwerde. Bei den großen Schwingungsbogen, welche da oben die Bramstenge in der Luft beschrieb, hieß es dann tapfer mit den Händen festhalten und sicher in den Pferden stehen, sonst geht's nach unten, und zerschmetterte Glieder oder gar der Tod sind die Folgen. ( Pferde werden diejenigen Taue genannt, welche ungefähr im Abstände von zwei Fuß unter jeder Raae hängen, und worauf die Matrosen bei ihren Arbeiten stehen, während sich der Oberkörper über die Raa biegt.) Das Großbramsegel war am ehesten gesetzt, und als die drei wieder an Deck kamen, erhielten sie sogar von dem mürrischen Obersteuermann ein Lob.

Am Abend kam indessen eine Geschichte vor, die unseres Freundes gute Laune sehr ins Schwanken brachte. Man hatte jetzt das offene Meer erreicht und es herrschte eine Kälte, die das Spritzwasser an Deck binnen wenigen Augenblicken zu Eis gefrieren ließ. Der Kapitän und der Obersteuermann unterhielten sich in holländischer Sprache sehr lebhaft miteinander, dann rief ersterer durch das offenstehende Fenster der Kajütte: »Robert, bringe mir mein Nachtglas!«

Der Knabe beeilte sich, einen »steifen« Grog zu mischen und denselben seinem Gebieter zu bringen, in der besten Meinung, den an jedem Abend üblichen Nachttrunk heute einmal auf dem Verdeck reichen zu sollen; aber o weh! – Van Swieten bemerkte das unterdrückte Lachen der Mannschaft, und da er seine eigene Schoßsünde nur zu wohl kannte, ärgerte ihn der Vorfall Bild nicht wenig. Ein blauer Fleck an Roberts Oberarm gab später von diesem ersten Verstoß unseres Helden ein redendes Zeugnis, aber nebenbei hatte er auch die Genugtuung, das Grogglas bereits geleert zu sehen, als er einige Augenblicke später den wirklich verlangten Gegenstand, das Nachtfernrohr, dem Kapitän überbrachte. Von der Mannschaft glaubte ihm kein einziger, daß dieser Irrtum in der Tat ein unabsichtlicher gewesen, und zu seinem Erstaunen sah er, wie ihn der ärgerliche Zwischenfall in ihrer Achtung gehoben. »Das sind so Jungenstreiche,« hieß es, »wir haben's ja selbst nicht besser gemacht, und der »Alte« säuft wirklich wie ein Schwamm.«

Die Kälte stieg mittlerweile fortwährend, und Renefier sprach gegen den Kapitän seine Ansicht dahin aus, daß Eisberge im Ansegeln begriffen sein müßten. Van Swieten meinte dasselbe, weshalb früh am nächsten Morgen ein Matrose in den Mars des Fockmastes geschickt werden mußte, um scharfen Ausguck zu halten.

Als die Dämmerung in den neuen Tag überging und die ersten Sonnenstrahlen das Meer mit rosigen Lichtern spielend vergoldeten, ertönte vom Mars der Ruf: »Eisberge voraus auf Backbord!« Die ganze Mannschaft stürzte an Deck, der Kapitän und der Obersteuermann gingen auf das Kajüttsdeck, und auch Robert drängte sich vor, um das nie geahnte Schauspiel in atemloser Spannung mit anzusehen.

Gegen Nordwesten erschienen hoch oben in der Luft, diamantenen Brücken gleich, von tiefdunklen Klüften durchschnitten, prächtig glühende, in Regenbogenfarben blitzende Spitzen, seltsam geformt, hier wie ein ganzer brennender Wald, dort wie ein einsamer, vom Abendrot überglänzter Fels, und wieder an dritter Stelle wie ein ragender Dom mit Kreuz und Kuppel. Blau und purpurn, violett und weiß, verschwammen und spielten die Farben, gleich den Bildern der Zauberlaternen wechselten die Gestalten. Je höher die Sonne am Himmel emporstieg, desto tiefer herab auf den Meeresspiegel fielen die glänzenden Lichter, desto blendender wuchsen und schwollen die rubinfarbenen Massen, bis endlich, als das große Tagesgestirn mit seiner leuchtenden Scheibe das ganze weite Meer in Gold und Purpur tauchte, einige Hunderte von Eisbergen in ihrer ganzen Pracht, bis zu dreihundert Fuß hoch, majestätisch langsam vor dem Winde treibend, erschienen.

Wohl alle diese erfahrenen und sogar meistens alten Seeleute hatten ein derartiges Schauspiel schon mehr als einmal gesehen, aber dennoch standen sie sämtlich regungslos, lautlos, im Anschauen versunken. Nur Robert konnte nicht schweigen. Das jugendliche Herz muß sich mitteilen um jeden Preis,

Er suchte verstohlen die Hand seines alten Freundes. »Wie schön!« flüsterte er, »ach, wie schön! – Solche Pracht spendet doch nur die Natur!« –

Der Alte nickte sehr ernst. »Mach deinen Frieden mit Gott, Kind,« sagte er leise. »Wenn so zwei von diesen Riesen das Schiff in ihre Mitte nehmen, dann kracht es einmal, schnell verschwindend, durch die Morgenluft, – schauerlich schnell – und die Riesendiamanten segeln weiter – auf dem Meere schwimmen Splitter« – –

Die dunkeln Augen des »Geistersehers« blickten wie im Traum, wie in eine körperlose Welt. Sein weißes Haar flatterte im Winde. »Laß mich's allein sein, Vater im Himmel,« murmelte er, »mich allein, nicht das unschuldige Blut um meiner Sünde willen! Laß es vorübergehn!« –

Gallego legte von hinten die Hand auf Roberts Achsel. »Der Alte hat seinen schwarzen Tag,« murmelte er, »bekümmere dich um ihn nicht. Du, geh in die Kajütte und hole mir ein paar Tropfen Rum, – jetzt merkt es keiner.«

Robert antwortete nur durch einen einzigen Blick, der den Elenden zurückscheuchte. Was mochte es sein, das die Seele des alten Matrosen so mächtig bewegte, das seine Aufmerksamkeit von der wirklichen Welt fast ganz ablenkte? – –

Aber zu Betrachtungen war jetzt keine Zeit. Das Kommando des Obersteuermanns ertönte, und das Schiff wurde erst in den Wind geluvt, dann back gelegt. Nur auf diese Weise konnte man hoffen, mit heiler Haut an der gefahrdrohenden Nachbarschaft vorüberzukommen.

Plötzlich entstand unter den kristallenen Riesen ein donnerähnliches Krachen und Prasseln; man sah, wie einige der vielzackigen Häupter sich neigten, plötzlich umfielen, sich gegenseitig zertrümmerten und die Fluten im Umstürzen himmelhoch emporspritzten, wie aus tausend Springbrunnen zugleich.

Dann entstand eine verhältnismäßige Ruhe, und nach wenigen Stunden war das prachtvolle Schauspiel gänzlich vorüber.

Diese im Atlantischen Ozean so oft angetroffenen Eisberge sind gleichsam Kinder der großen Gletscher, welche von Grönlands Hochgebirge bis ins Meer hineinragen. Sie können, namentlich bei Nacht oder Nebel, den Schiffen außerordentlich gefährlich werden.

Die gedachten grönländischen Gletscher schieben ihre Eismassen allmählich in das Wasser hinein, dieses letztere, wärmer als die Luft, unterhöhlt den Fuß des Berges so lange, bis dessen oberer Teil dem Gesetz der Schwere folgt, vom Gletscher abbricht und kopfüber in das Meer stürzt. So dem Spiel des Windes und der Wellen preisgegeben, treiben die Massen in dem großen Ozean, der herrschenden nördlichen Windrichtung folgend, gegen Süden, wo sie allmählich von unten zerschmelzen, ihren Schwerpunkt verlieren und stürzend in tausend Trümmer zersplittern.

Der alte Matrose nahm den Hut vom Kopf und sah über das Meer dahin. Robert wagte es nicht, ihn zu stören, aber als die beiden später allein waren, da fragte er: »Onkel Mohr, was dachtest du vorhin, als wir die Eisberge sahen? Du machtest so sonderbare Augen.«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Noch nicht,« versetzte er. »Das gehört mit zu meinem Nachlaß. Wenn mir hinter Ferrol sind, dann sollst du es erfahren. Diese Reise ist meine letzte.«

Der Knabe erschrak. »Du willst das Seeleben verlassen, Onkel Mohr?« fragte er. »Aber ob du es aushalten wirst am Lande?«

Der Matrose lächelte. »Ich gehe nicht an Land, Kind, – das große Seemannsgrab nimmt mich auf, die Nixenschleier werden mein Leichentuch. Ich sterbe.«

»Du? – Aber weshalb glaubst du das?«

»Still. Das erzähle ich dir zur rechten Zeit. Für heute wollen wir Fische fangen.«

Der Knabe fuhr auf. »Wo?« rief er. »Wie ist das möglich?«

»Siehst du nicht, daß uns fortwährend Fische aller Art begegnen?« fragte der Alte. »Besonders die kleinen Delphine, oder »Tümmler« und »Schweinfische« genannt, sind in Menge vorhanden. Sie schmecken vortrefflich, wie du bald erfahren wirst.« Gallego mußte nun ein kleines Stück Fleisch hergeben, das am Angelhaken befestigt wurde, um mit demselben auf dem Wasser zu treiben. An Stelle des Stockes diente eine Leine, die man von der Rolle ablaufen ließ und an Deck festhielt. Plötzlich zuckte es stark, so daß die Bewegung einen großen Fisch zu verraten schien. Zwei Matrosen sprangen hinzu, und mit vereinten Kräften zogen die drei Männer das zappelnde Tier bis unter den Bug des Schiffes. Hier wurde ihm eine Schlinge um den Kopf geworfen, hinter die Kiemen gehakt und nun der Fang an Bord geholt. Auf Deck hieb Gallego zunächst dem heftig schlagenden Fisch den Schwanz ab, und dann wurde das sieben Fuß große Tier mittels eines Schlages auf den Kopf getötet. Nachdem die Eingeweide entfernt, ließ der Koch das Blut ablaufen, wusch das Fleisch und zerlegte es in verschiedene Stücke. Der Rücken, mit Salz und Pfeffer eingerieben, wanderte in die Kombüse, um sogleich wie Roastbeef gebraten und dann von Kapitän und Mannschaft mit gleich großem Appetit verspeist zu werden. Auch weniger wohlschmeckende Gerichte würden auf hoher See schon willkommen sein, nur weil sie eine Abwechselung bieten. Der beständige Genuß von Pökelfleisch ist nämlich nicht die kleinste Plage des Seemannslebens; er ermüdet und erfordert zu seiner Verdauung eine kräftige Natur, hauptsächlich weil der Kreislauf derjenigen Gerichte, welche in beständiger Reihenfolge wiederkehren, ein so äußerst beschränkter ist. Jeder Tag hat seinen bestimmten Küchenzettel, von dem man nur notgedrungen Bild abweicht, nur dann, wenn der Mundvorrat aus irgend welchen Gründen nicht mehr ausreicht und die Rationen verkürzt werden müssen. Es kann also für den Matrosen auf alle Fälle nur schlechter, nie aber besser werden. Wie oft saß Robert gleich der übrigen Mannschaft mit seiner Schüssel auf der Kiste und würgte mühsam die schlimme Kost hinunter! –

Was dem Matrosen fast in aller Herren Länder gesetzlich zusteht, ist ein Pfund Pökelrindfleisch dreimal wöchentlich, dann ein halbes Pfund Pökelschweinefleisch viermal und als Zutaten abwechselnd an jedem Tage weiße und graue Erbsen, weiße Bohnen, Reis und Graupen, Kartoffeln, so lange sie vorreichen. Die großen Massen dieser dem Menschen gewohnheitsmäßig so unentbehrlichen Frucht können nämlich einerseits in dem beschränkten Raum des Schiffes nicht untergebracht werden und ebensowenig auch die Seeluft vertragen. Man nimmt daher nur für eine oder zwei Wochen Vorrat mit.

Einmal während der sieben Tage gibt es auch Klöße mit Pflaumen und dann und wann »Labskausch«, ein Gericht aus Fleischresten, das, ganz klein geschnitten, mit zerstampften Kartoffeln, Zwiebeln und Pfeffer tüchtig geschmort, sehr gut schmeckt.

Im Hafen wird natürlich die Sache anders. Jeder Kapitän sorgt alsdann für frisches Gemüse und Fleisch, schon um die Leute gesund und willig zu erhalten.

An Getränken gibt es Kaffee, Tee, Branntwein, Rum und Wasser, welches in eisernen »Tanks« oder in gewöhnlichen Fässern mitgenommen wird. Davon erhält jeder Matrose drei Quart täglich, Kaffee am Morgen und am Nachmittag einen »Kumpen« oder »Beul« voll. Tee und Grog nach dem Ermessen des Kapitäns, Branntwein 1/16 Quart pro Mann und Tag. Das Brot ist Schiffszwieback, wovon der Mann täglich ein Pfund erhält, außerdem vier Lot Butter. Kapitän und Steuermann haben einen etwas besseren Tisch, aber im ganzen müssen auch sie sich den Unbequemlichkeiten des Seelebens fügen.

Eingemachte Gemüse, Fleischextrakt, kondensierte Milch und Wein bringen freilich in das tägliche Einerlei die gewünschte Abwechselung hinein, aber gleichwohl essen die meisten Kapitäne mit von der Kost der Leute, und wäre es nur, um den Koch zu überwachen.

Ist aber auf diese Weise das Leben des Seemannes ein sehr einfaches, so ist es anderseits auch für den von Haus aus kräftigen Körper Bild ein sehr gesundes. Robert wurde von Tag zu Tag stärker und gewandter; er lernte alle Beschwerden ertragen, alle Mühseligkeiten überwinden und den Dienst immer besser kennen.

Als der spanische Hafen Ferrol erreicht war, ging er mit den übrigen in der fremden Stadt so keck spazieren, wie nur irgend einer. Die alte Munkejacke aus Peter Vollands Hinterzimmer hatte ihm Kapitän van Swieten gegen einen neuen glänzenden Schifferanzug vertauscht, aber Geld bekam er nicht in die Hand, und ebensowenig durfte er allein von Bord gehen. Es war immer einer der älteren Matrosen, welcher ihn begleitete.

»Onkel Mohr,« fragte er eines Tages seinen alten Freund, »wann wirst du denn endlich Urlaub nehmen, um die Stadt zu besehen?«

Der Matrose schüttelte den Kopf. »Nie, mein Junge.«

»Und warum nicht?« forschte Robert.

»Weil mein Fuß überhaupt die Erde nicht wieder betreten soll.«

Der Knabe schwieg, dann aber sah er treuherzig in das Gesicht des Alten. »Onkel Mohr, gehört auch das mit zu deiner Geschichte?«

Der Greis beugte sich über den jugendlichen Scheitel seines Schützlings. »Hinter Ferrol,« murmelte er, »wenn die Fahrt fast zu Ende geht, wenn – die Stunde schlägt!« – –

 


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