Sophie Wörishöffer
Robert des Schiffsjungen Fahrten und Abenteuer auf der deutschen Handels- und Kriegsflotte
Sophie Wörishöffer

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Dreizehntes Kapitel

Auf dem Meteor

Auf dem Verdeck des Kanonenbootes »Meteor« im Hafen von Havana standen zehn Marinesoldaten und vor ihnen der Befehlshaber des kleinen Fahrzeuges, Kapitänleutnant Knorr, er hatte besonders einen der Ankömmlinge fortwährend im Auge, und erst nachdem er die persönlichen Verhältnisse der andern neun in Erfahrung gebracht, wandte er sich an diesen letzten, »Sie wollen also als Freiwilliger eintreten?«

Robert – denn er war es – bemühte sich, eine möglichst dienstliche Haltung anzunehmen. »Nur um kurze Zeit zu früh, Herr –«

»Keine lange Rede!« unterbrach etwas barsch der Offizier. »Ja oder nein?«

Robert errötete bis unter die Haarwurzeln. Dieser Ton war keineswegs nach seinem Geschmack. »Ja!« versetzte er mit erzwungener Ruhe.

Über das wetterbraune Gesicht des Offiziers flog ein Lächeln, »Die Antwort heißt in diesem Fall künftig »Zu Befehl!« belehrte er und fuhr dann fort: »Welchen Grad haben Sie in der Handelsmarine bereits erreicht?«

»Ich bin Leichtmatrose, Herr –«

Die ungeduldige Hand hob sich mit dem Notizbuch schon wieder zu halber Nasenhöhe. »Bootsmann!« rief der Offizier.

Der Gewünschte erschien in vorschriftsmäßiger Haltung. »Zu Befehl, Herr Kapitänleutnant.«

Der Offizier fing an auf und ab zu wandern. »Da schickt man uns von Kiel einen Freiwilligen,« sagte er halb seufzend. »Hole der – – «

»Na, Bootsmann, nehmen Sie ihn hin und geben Sie ihn einem der Maaten zum Einpauken. Ist das ein – – hm, ich meine, daß die Reservebataillone am Lande schon mit allem, was Freiwilliger heißt, ihre Not haben, aber auf See –«

Er hielt wieder inne und ein neuer, ärgerlicher Blick streifte den unwillkommenen Gast. »Die anderen Leute werden als Matrosen dritter Klasse eingestellt,« fügte er bei. »Mit dem Freiwilligen müssen Sie mir bei allen Dienstmanövers gänzlich fortbleiben, Bootsmann, bis er wenigstens nichts mehr verdirbt und keinen Anstoß gibt. Sorgen Sie dafür.«

»Zu Befehl!« antwortete dann der Bootsmann und ein Wink seiner Hand beorderte die Ankömmlinge unter Deck, woselbst die geschulten Mannschaften den ferneren Weg schon ohne Mühe allein zu finden wußten, während Robert, etwas enttäuscht, etwas vom Trotzgelüste befallen, stehen blieb und erwartete, was man ihm ferner befehlen würde.

Der Bootsmann mochte es unter seiner Würde halten, den Freiwilligen besser zu bewillkommnen, als dies der Kapitänleutnant selbst getan. Er kümmerte sich um ihn weiter nicht mehr, sondern rief mit Stentorstimme in den Raum des ganz gefüllten Zwischendeckes hinein einen einzelnen Namen: »Gerber!«

Darauf erschien einer der Bootsmannsmaaten (Unteroffiziere), und sowie unser Freund dieses Gesicht sah, dieses gutmütige, blaue Auge und die ganze Hünengestalt des blonden, echt deutschen Kriegers, da fragte er sich, wo ihm dieselben Züge schon einmal begegnet sein konnten. Er mußte den Mann kennen.

»Gerber,« sagte der Bootsmann, »in Ihrer Backschaft (Sektion, Abteilung) fehlt ja, seit wir die Cholera an Bord hatten, ein Mann, nicht wahr? – Na, gut, da haben Sie ihn, aber so wie er geht und steht. Den Kriegsschiffsmann müssen Sie ihm erst beibringen. Soll tüchtig gezwiebelt werden und nicht mit an Deck, bis er die Sache versteht.«

Der blonde Maat begnügte sich, zu nicken. Was der Bootsmann ist, das kann er selbst noch werden, und was er ist, das war früher der Bootsmann auch, diese Tatsache verwischt meistens jenen Rangunterschied, welcher die gesamte Mannschaft von den Offizieren so gebieterisch trennt, sie macht die Inhaber der verschiedenen unteren Grade entweder zu heimlichen Feinden oder zu guten Kameraden, die außerdienstlich keinen besonderen Unterschied anerkennen.

»Komm hierher, mein Junge,« sagte der Bootsmannsmaat, »erst laß dir in der Kombüse deine Back füllen und dann wollen wir weiter sehen. Sind ja alle einmal grüne Jungen gewesen, denke ich.«

Und mit diesen, für unsern Freund so sehr wenig schmeichelhaften Worten führte er ihn zu der Stelle, wo künftig sein Kleidersack hängen sollte und wo er das angeschraubte flache Kistchen erhielt, welches mit den üblichen 14 Zoll Länge und 9 Zoll Breite das ganze Eigentumsgebiet des Seesoldaten ausmacht. »Du hast deine Nummer und deine Uniform,« sagte er, »hier die Reservestücke und hier die Waffen. So, das wäre das. Eigentlich müßte ich dich Sie titulieren, die Instruktion will's so, aber es ist mir nicht gemütlich, und wenn wir außer Dienst sind, geht es keinem Deubel was an. So – du da, Röder, geh' mal mit ihm, daß er seine Back gefüllt kriegt. Wie heißt du denn, mein Junge?«

Robert nannte seinen Namen und beschloß bei sich, diesen gemütlichen Vorgesetzten demnächst zu fragen, wo er ihm früher schon bekannt geworden sein könne, vor der Hand aber ließ er sich die gute und reichliche Mahlzeit des preußischen Marinesoldaten vom Koch verabfolgen, obwohl er nur wenig zu essen vermochte. So ganz, ganz anders hatte er sich die Sache gedacht, so durchaus verschieden von der Wirklichkeit!

Seine Eitelkeit hatte ihm, bis er den Fuß auf das Kriegsschiff setzte, vorgespiegelt, welche Begeisterung, welche warme, kameradschaftliche Anerkennung ihn bei dem Eintritt in die Reihen der Soldaten notwendig empfangen müsse; er hatte geglaubt, daß jeder Freiwillige mit offenen Armen bewillkommnet werde, und tatsächlich war die harmlose Äußerung des Maaten, daß ja doch am Ende jeder einmal ein grüner Junge gewesen, das Höchste, was ihn zum Schutz gegen ein unverhülltes Mißfallen der Vorgesetzten überhaupt gespendet wurde. Unser Freund war, wie man zu sagen pflegt, aus allen seinen Himmeln gefallen.

Trotzdem aber mußte er ein ruhiges Gesicht zeigen. Die Mannszucht an Bord gestattete keinerlei Ausnahmen, das wußte er nur zu wohl, und fort von hier konnte er jetzt unter keiner Bedingung. Seine Vaterlandsliebe hatte keineswegs eine Einbuße erlitten, aber er dachte sich doch die Ausübung derselben, die äußerliche Kundgebung ganz anders, als er sie hier gefunden. Niemand war dem Freiwilligen grün, niemand dankte ihm, daß er gekommen, sondern er wurde wie eine Art von nicht zu vermeidender Belästigung mit guter Manier ertragen, mehr schienen die Leute nicht tun zu können.

Nachdem gegessen worden, näherte sich Robert seinem neuen Vorgesetzten. »Ich muß Sie jedenfalls schon früher einmal gesehen haben, Maat.« begann er.

»Das ist sehr leicht möglich, mein Junge. Wie heißt du doch gleich? Aha, Kroll, ich weiß schon, ist mir aber leichter, wenn ich dich Nummer acht nenne, das macht sich so gemütlich und bleibt immer dasselbe, wenn auch der Mann einmal wechselt, wie es uns kürzlich in Venezuela passierte, als die Cholera an Bord kam. – Na, was sagtest du noch?«

»Wo ich Sie möglicherweise schon gesehen haben könnte, Maat?«

»Ja, Kerl, da besinne dich einmal. Leg dein Gehirn in die Weiche, wie wir bei uns zu Hause sagen. Ich bin in der halben Welt herum gewesen, auf Handelsschiffen und auf Seiner Majestät Flotte. Vielleicht kennst du mich vom ›Blitz‹ her.«

Vom »Blitz!« – Das eine Wort brachte in Roberts Gedächtnis die ganze Begegnung zurück. Jetzt wußte er, wo ihm das gutmütige Gesicht schon früher erschienen. »Maat,« rief er, halb erfreut, halb errötend in dem Gedanken an das nun folgende notwendige Geständnis seiner vergangenen Irrfahrten, »Maat, erinnern Sie sich noch der Tage, wo im Herbst das Kanonenboot ›Blitz‹, auf der Elbe vor Neumühlen ankerte? Damals kam ein Knabe zu Ihnen an Bord, wissen Sie's nicht mehr?«

Der Unteroffizier nahm die Tonpfeife aus dem Munde, um zu flöten. »Oho, Nummer acht, also das warst du? Der Schneider, dem ich mein Schiff und mein Buch schenkte. Nun beichte nur gleich alles, du Sappermenter, bist doch richtig durchgebrannt, nicht wahr?«

Robert nickte. »Richtig durchgebrannt, und hab's richtig büßen müssen, Maat,« versetzte er. »Will all die Fährlichkeiten, welche ich seit unserer damaligen Begegnung überstehen mußte, wahrhaftig nicht noch einmal ertragen, obgleich jetzt die ganze Geschichte vergeben und vergessen ist. Der Alte hat mich für meinen Eintritt in die Armee mit Geld und Kleidern bestens versorgt, war auch von Herzen einverstanden, daß ich dem Könige dienen wolle.«

Der Unteroffizier legte zwei Finger an die Schläfe, als grüße er respektvoll. »Das mag ich leiden von dem Alten,« sagte er, »ist ein hübscher Zug von Vätern, wenn sie mit Moses und den Propheten nicht gar zu hinterhältisch sind. Da kommst du wohl direkt vom Hause, Nummer acht?«

»Geradesweges, Maat, und zwar auf Ihre Freundschaft angewiesen! Wir müssen nun sehen, daß ich den Dienst an Bord so rasch als möglich lerne, damit, wenn ein Gefecht entsteht, doch jedenfalls für mich dabei ein Platz in der vordersten Reihe sicher ist.«

Der gewiegte Unteroffizier berührte mit der Spitze seiner Tonpfeife die Brust des jungen Freiwilligen. »Du bist ein Rappelkopf,« entschied er, »ein Wildfang erster Klasse. Aber tröste dich! Wenn es zur Schlacht geht, so kannst du auch ohne Befehl und Kommando mit einspringen, das sage ich dir jetzt schon.«

Roberts Herz klopfte schneller. »Haben wir dazu Aussichten, Maat?« fragte er.

»Hm, ist allemal nicht zu wissen. Läuft uns was Französisches auf den Ärmel, so putzen wir es weg, dafür sind ja die Kanonen an Bord.«

Unser Freund lachte. »Zeigt sich denn bis jetzt kein französisches Kriegsschiff hier in der Nähe?« fragte er.

»Nicht die Bohne, mein Junge. Du kannst aber am Ende doch Geduld haben, bis die Geschichte so weit ist. Ich muß dir ja erst beibringen, wie man ein Geschütz bedient oder mit dem Seitengewehr einen Franzmann heruntersäbelt. Und das will ich dir nur gleich sagen, Nummer acht, wenn ich beim Exerzieren mal ein bißchen ungemütlich werden sollte und so einige Brocken wie »Millionenhund« oder »Himmelsappermenter« dir an den Kopf fliegen, dann mußt du dabei nicht das Geringste denken. Es ist so Gewohnheit und tut den Burschen gut.«

Robert lachte wieder. »Wollen wir gleich anfangen, Maat?« fragte er.

Der Unteroffizier schüttelte den Kopf. »Ne!« versetzte er gleichmütig. »Ne! bis zwei Uhr gehört uns die Mittagszeit, und davon beißt bei mir die Maus keinen Faden ab. Du sollst übrigens von der Geschichte dein gerütteltes Maß haben, das verspreche ich dir. Für den Augenblick laß uns eine Partie Dame spielen, um die Ehre natürlich, was dich keineswegs verhindert, wenn wir einmal zusammen an Land gehen, ein paar Knöpfe springen zu lassen. Karten sind an Bord verboten.«

Robert fügte sich dem Wunsche des liebenswürdigen Maaten, obwohl er selbst freilich lieber das Schiff und alle seine Einrichtungen einer genauen Besichtigung unterzogen hätte, als daß er die Zeit nutzlos mit dem langweiligen Spiele totschlug. Aber auch wahrend der Partie erwarb er sich einige notwendige Kenntnisse seiner neuen Laufbahn.

»Wo befinden sich hier die Kojen der Mannschaft?« fragte er einmal.

Der Maat überlegte rauchend, mit in der Luft schwebendem Arm, seinen nächsten Zug. »Die Kojen, mein Junge? – Hierhin oder dorthin? Hm! Ich schlage dir zwei Mann, hast du's gesehen? Und beim folgenden Manöver, das ich ausführe, hopse ich richtig bis in die Ecke hinein und setze den dritten Stein übereinander, verstanden? – Und von Kojen sprachst du? Potz Michel, im ganzen Schiff ist keine einzige.«

Robert sah zweifelnd hinüber. »Aber wo schläft man denn?« fragte er.

»In Hängematten, mein Sohn. Du bekommst sie zur Zeit der Freiwache zugeteilt und mußt sie später sauber wieder aufrollen und an Deck in die ›Finkennetzkasten‹ legen. Wird dir Schweiß genug kosten, alles zu lernen, und unser erster Leutnant ist noch dazu ein Scheuerteufel durch und durch, kann ich dir sagen, alles unter uns freilich, wie der Fuchs meinte, als er den Hasen auffraß.«

Robert erschrak einigermaßen. »Scheuern,« wiederholte er, »tun das denn nicht die Schiffsjungen und Leichtmatrosen allein? Ich denke, wer Soldat ist –«

Der Unteroffizier maß ihn mit einem sorgenvollen Blick. »Du,« sagte er, »Nummer acht, wenn du klug bist, so denkst du gar nicht, sondern hörst nur und tust danach. Das Denken wird unsereinem doch nur für inwendiges Räsonnieren ausgelegt, weißt du. Scheuern müssen alle, und wenn sie – na, wenn sie – des Großmoguls Söhne wären. Übrigens schlage ich dir hier deinen vorletzten Mann.«

Die Partie war sonach für unsern Freund kläglich verloren, und auch bei der zweiten erging es nicht besser. Dann aber kam die Stunde, in welcher jeder Bootsmannsmaat seine Backschaft im Exerzitium mit den Handwaffen einübt. Heute und abwechselnd auch an den nächstfolgenden Tagen sollte indessen Robert ganz allein zugelehrt werden, während die übrigen Soldaten aus Gerbers Abteilung unter die sonstigen Bootsmannsmaate verteilt wurden und dort die längst bekannten Handgriffe wiederholten.

Da folgten denn für den leidenschaftlichen, heftigen Robert die Tage, von denen er sich sagte, daß sie ihm nicht gefielen. Fort und fort dieselben gleichgültigen Handgriffe ausführen, fort und fort Einzelbewegungen machen wie ein Kind, das seine Glieder gebrauchen lernt, und dabei nicht sprechen, nicht nach eigenem Ermessen handeln, ja, nicht einmal zornig werden, wenn der gemütliche Maat aus seiner urfreundlichen und leutseligen Stimmung gelegentlich ganz heraus und in einen Eifer hineingeriet, welcher sich durch die Zusammenstellung aller erdenklichen Kraftausdrücke Bahn brach, »Sie neunundneunzigmal gesottener Satanskerl!« konnte er ausrufen, »sechs Millionen Schock Granaten sollen Ihnen in den Bauch fahren, wenn Sie nicht bald den Schießprügel richtig anzulegen lernen, Sie Bombenschwerenöter! Bild Schauen Sie hierher, so wird's gemacht, Milchbart!«

Und dann arbeitete er sich in eine Aufregung hinein, die bei seiner kleinen Neigung zum Dickwerden die hellen Schweißperlen auf das gutmütige Gesicht brachte, und die unser Freund am liebsten mit Faustschlägen beglichen hätte. Er war ein Freiwilliger, er diente aus Begeisterung für die heilige Sache des Vaterlandes, und doch konnten Kapitänleutnant und Offiziere diese Behandlung, welche ihm widerfuhr, mit anhören, ohne sich irgendwie in die Sache hinein zu mischen. Das war unerhört und warf auf den Militärdienst einen, wie Robert meinte, höchst verdunkelnden Schatten.

Das Hergebrachte, der Zwang, die persönliche Unterordnung, – wie haßte unser leidenschaftlicher Freund alle diese Feinde seiner freiheitsbedürftigen Natur.

Er war kaum fähig, seinen Maat ohne Haß zu betrachten, wenn sich dieser nach abgehaltenem Exerzitium das rote Gesicht mit dem Taschentuch trocknete, und dann, sobald er gewissermaßen ins Privatleben zurückgetreten war, vielleicht flüsternd sagte: »Nachher machen wir noch eine Partie Dame, Nummer acht. Jetzt bist du mir bereits siebzehn Silbergroschen neun Pfennig schuldig, – du erinnerst dich doch?«

Mehrere Male stand er im Begriff, eine Handvoll Taler zu nehmen und dem gutmütigen Burschen vor die Füße zu werfen, aber nach und nach sah er auch wieder die Sache mit ganz andern Augen und konnte nicht umhin, ihr eine Art von widerstrebender Achtung zu zollen. Alles so schön sauber, so geordnet, so bis ins Kleinste hinein vorzüglich gut eingerichtet, das entsprach zu sehr seinen eigenen Neigungen, um nicht bei vorurteilsloser Betrachtung auch notwendig von ihm gewürdigt zu werden. Nur daß der Einzelne kaum atmen durfte wie ihm beliebte, sondern fast völlig Maschine war, das schmerzte immer noch äußerst empfindlich. Wenn Robert hörte, daß Deckoffiziere oder Kadetten den Offizieren mit »Zu Befehl!« antworteten, dann empörte ihn das innerlich. Ein ja oder nein hätte auch genügt, meinte er, und wäre des Mannes würdiger gewesen.

Erst nachdem einige Wochen verflossen und unseres Freundes aufrührerische Empfindungen ein wenig in das gewohnte Geleis zurückgekehrt waren, gewann er so viel geistige Freiheit, um sich nach einem Ausflug in die Umgegend zu sehnen. Nur etwa drei Stunden weit entfernt lag ja die Insel, wo er sein erstes Abenteuer bestanden, wo er dem Tode so nahe ins Antlitz gesehen und wo unter den düsteren, breitblätterigen Mangobäumen sein alter Freund den letzten Ruheplatz gefunden. Er wollte Mohrs Grab sehen, ehe vielleicht der »Meteor« plötzlich durch irgend ein Ereignis von hier abgerufen wurde, und zu diesem Zweck fragte er eines Tages den Unteroffizier, ob es nicht möglich sei, auf kurze Zeit Urlaub zu erlangen.

Der blonde Maat pfiff durch die Zähne. »Das wird schwer halten!« meinte er.

»Aber ich bin ja doch ein Freiwilliger!« rief Robert, »könnte morgen die Sache wieder aufgeben, wenn ich wollte!«

»Hui! wie das in die Wolken hineinfliegt! Könnte morgen die Sache wieder aufgeben! Daß du die Nase im Gesicht behältst, mein Junge! Ich sage dir, du stehst unter den Kriegsartikeln so gut wie irgend einer, der bei den Haaren von seiner Mutter Schürzenband weg zum Soldaten herangezogen worden ist, und du kannst das einmal Abgemachte nicht wieder umstoßen. Ein Wort, ein Mann, du unruhiger Geist!«

Robert errötete. »Ich denke ja auch nicht daran,« versetzte er hastig. »Aber was könnte es denn schaden, wenn ich einmal mit der Barkasse auf sechs bis acht Stunden abwesend wäre?«

Der Unteroffizier schob vor Schreck die Mütze in den Nacken. »Das ist nicht schlecht, wahrhaftig! Also auch die Barkasse sollte das Vergnügen mitmachen! Da müßtest du ja wenigstens sechs Mann zur Bedienung haben!«

»Die will ich im Hafen schon auftreiben und bezahlen. Kleinere Boote sind für den Weg durch Klippen und Strudel nicht so recht ratsam. Nahe der Insel, welche ich besuchen möchte, liegt ein unterseeisches, sehr gefährliches Korallenriff, auf dem damals mein Schiff strandete, überhaupt führt ja der Pfad durch offenes Meer.«

Gerber schüttelte den Kopf. »Das laß dir gänzlich vergehen, Nummer acht,« sagte er. »Solche Erlaubnis wird in allen meinen Tagen nicht gegeben.«

»Aber warum denn nicht? Ich bitte Sie, warum nicht?«

Der Unteroffizier wiegte seinen ganzen Oberkörper taktmäßig nach rechts und links. »Weil das eine Unmöglichkeit wäre, Nummer acht, weil das – na – ich sage, es geht nicht. Wenn du mit der Barkasse spazieren fährst, so möchte ein anderer vielleicht an Bord eine Gesellschaft geben und der dritte sonst irgend eine Laune befriedigen. Wer Soldat ist, der muß an keinen eigenen Willen mehr denken.«

Unser Freund schwieg, aber die Sache selbst lebte in seinem Geiste fort. Von den Franzosen zeigte sich nichts, das Erforderlichste an Handgriffen hatte er jetzt gelernt, überhaupt die neuen Verhältnisse etwas besser begriffen und sich hineingelebt, daher plagte ihn die Langeweile ebensosehr, wie es seinen Trotz herausforderte, so vollständig unmündig zu sein. Auf hoher See wäre noch alles anders gewesen, aber im Hafen stillzuliegen, täglich mit dem ungeladenen Gewehr zu exerzieren und in den Freistunden auch noch einer strengen, militärischen Disziplin unterworfen zu sein, das war gräßlich.

Eines Tages, als Robert zur Steuerbordwache gehörte, und daher fünfzehn Minuten vor acht Uhr abends wie gewöhnlich Hängematten erhielt, da hatte er seinen Plan nicht allein fertig, sondern auch schon beizeiten vorher in allen Einzelheiten überlegt und vorbereitet. Der Mond schien fast tageshell, das Meer lag ruhig und ehern wie eine Decke von blauem Samt, – kurz, es verlockte ihn über alle Widerstandsfähigkeit hinaus.

Er schlief nicht, obwohl das seine nächsten Nachbarn glauben mußten, sondern erwartete mit pochendem Herzen den Augenblick, wo die Bootsmannspfeife ihre Triller durch das Zwischendeck senden und wo der Ruf »Ronde! Ruhe im Schiff!« auch das letzte Wort auf den Lippen der Mannschaft ersticken würde. Nachdem das endlich geschehen, drehte er geschickt die Kleider seines Nebenmannes so, daß sie den Schimmer der großen Sicherheitslaterne für die Stelle, an der er schlief, total verhüllen mußten, und dann stand er behutsam auf.

Die Ronde war vorüber; oben an Deck der Rapport abgestattet, die Tagesbefehle ausgegeben und die Wache verteilt, – tiefe Stille herrschte im ganzen Schiff.

Robert fuhr geräuschlos in die Kleider und kroch an Deck, ohne bemerkt zu werden. Einmal hier, war er geborgen, obgleich eigentlich jetzt das Schwierige seines Unternehmens erst zu beginnen schien. Aber er hatte vorgesorgt. Der Mann, welcher am Vorderteil des Schiffes Wache hielt, war auch ein Holsteiner, ein naher Landsmann und sehr arm, er sah also gegen Entgeld von einigen Talern gerade zufällig nach der andern Seite, als Robert mit vieler Geschicklichkeit und unter dem Schatten eines naheliegenden Kauffahrers über Bord kletterte, da wo die Jolle bereit lag, ihn an ein größeres Fischerboot zu bringen, das häufig zwischen dem Hafen und den Inseln kreuzte. Ebenso sollte er, wenn um zwölf Uhr nachts die neue Wache namentlich verlesen wurde, anstatt seines Landsmannes antworten, – Gerber tat nichts, um die Geschichte ruchbar zu machen, das wußte Robert, und davon war auch der andere überzeugt, sonst hätte er sich wohl gehütet, auf den gefährlichen Handel einzugehen.

Der gemütliche Maat, eine grundehrliche Haut und der beste Soldat unter der Sonne, würde zwar in aller Stille Donner und Wetter fluchen, den millionenmal gehenkten Halunken noch Spießruten laufen und kielholen lassen, aber dabei doch die ganze Geschichte bis an die letzten Grenzen der Möglichkeit hin vertuschen, dafür kannten ihn alle.

Und Robert dachte nicht einmal so weit. Er wollte nur erreichen, was ihm auf gütlichem Wege nicht gewährt wurde, und schlug zu diesem Zweck die Folgen gänzlich in den Wind. Wie er am vorhergehenden Tage den Fischer hierherbeordert, so sprang er jetzt leichtfüßig in die Jolle, nur bekleidet mit weißem Leinen, das Herz voll froher Hoffnung, unbekümmert um das, was daraus entstehen konnte. Er atmete hoch auf, als das leichte Fahrzeug unter ihm tanzte und der Wind spielend seine weiten Kleider blähte. So lange er sich seit der Abreise von Kiel auf dem Kriegsschiff befunden, hatte er den Druck des Zwanges nicht abschütteln können, hier jedoch war das ganz anders. Und solche Freude, nach der sich sein Herz sehnte, bezahlte leider der unvernünftige junge Mann immer mit jedem geforderten Preise, – das war trotz aller Erfahrungen in ihm noch nichts anders geworden.

Die Jolle hatte ihre Insassen in das große Segelboot abgegeben und nun steuerte dies in fliegender Fahrt über das Meer dahin. Der Fischer kannte die Straße, welche er nehmen mußte, ganz genau, also war nach kaum zweistündiger Reise das Eiland, welches früher unser Freund bewohnte, in Sicht. Noch wenige Minuten, dann rauschten die Wellen an das sandige Ufer, und Robert konnte den Boden betreten, der einst für ihn fast zum Grabe geworden wäre. Tageshell schien der Mond, ein frischer Wind fuhr durch die Zweige, und Robert sprang leichtfüßig davon, um zunächst die Schlummerstätte des alten Matrosen aufzusuchen. So bekannt war das alles, so unverändert, er hätte den Weg im Dunkeln gefunden.

Aber wirklich, hier, wo der Geisterseher schlief, war es in der Tat dunkel! Die Wellen spielten wie sonst an das blumige Ufer, die uralten Bäume neigten ihre Zweige bis aus den Wasserspiegel herein und ringsumher wuchs es mit üppiger Fülle, aber der Schatten, welcher an dieser Stelle herrschte, wurde zur völligen Nacht.

Robert ließ ein Streichholz aufflammen, entzündete die schon dazu mitgebrachte Wachskerze und schützte mit der Hand das Licht. Tausende von Blumen blühten auf der Stätte, wo Mohr begraben lag, Goldkäfer krochen über die grünen Ranken dahin, leise spielte der Wind in den dichten Blättern.

Wo war die letzte Blume, welche Robert vor zwei Jahren zum Abschied hier gepflückt? – Er dachte mit Grauen des Augenblickes, der sie vernichtete, als ihm hoch oben am Nordkap die Eismassen und das spritzende, halberstarrte Wasser auf den Strand warfen. Alter Freund, alter Geisterseher, wüßtest du, was alles dein begünstigter Liebling erlitten, seit er hier an dieser Stelle dir das letzte Bette grub?

Die Nähnadel aus Fischgräten befand sich in Pinneberg und war heimlich Meister Krolls kostbarstes Besitztum, eine Art Reliquie, die zugleich zeigte, welch ein tüchtiger Kerl sein Sohn und welch ein unentbehrliches Gerät die kleine Nähnadel, – aber das Blümchen, trocken und zerknittert wie es war, ging damals spurlos verloren. Robert legte heute in das Taschenbuch des Spaniers eine neue, purpurne Blume, ehe er noch einmal mit langem Abschiedsblick das Grab überflog. Weiter, weiter, die Zeit drängte, er wollte ja auch noch jene andere Insel wiedersehen, wo er unter Räubern und Mördern gelebt hatte, obwohl freilich der Fischer ihm abriet, dort an Land zu gehen. Die Piraten bewohnten noch immer ihren Schlupfwinkel, und man konnte doch nicht voraussagen, ob sie dem Eingeweihten aller früheren Verbrechen gestatten würden, lebend zum zweitenmal die Insel zu verlassen.

Aber wiedersehen wollte er das Dach, unter welchem er einstmals Schutz gefunden.

Das Fischerboot nahm seinen Kurs wieder auf, es glitt durch die engen Wasserstraßen zwischen den einzelnen kleinen Inseln und kam auch bis an die flache Küste, wo Rafaeles Fahrzeuge lagen, wo fernher sein Wohnhaus durch die Bäume schimmerte und die Hunde ein lautes Gebell erhoben, als sich das fremde Boot dem Strande näherte.

Auch hier alles, wie es Robert verlassen, damals am Tage des Messerkampfes zwischen den beiden Räuberbanden, damals, als das französische Schiff für ihn zur Rettung wurde. Wie sich doch die Verhältnisse geändert hatten! – Jetzt hätte kein Fahrzeug der grande nation wagen dürfen, den Weg des »Meteor« zu kreuzen, und jetzt wäre es mit lautem Jubel begrüßt worden, wenn ein Kriegsschiff dieses selben Volkes den Kampf auf hoher See herausgefordert hätte. Wie sehnten sich die preußischen Blaujacken danach, wie hofften sie an jedem neuen Morgen, daß auch ihnen ein Anteil an den großartigen Siegen der Landarmee vom Schicksal vergönnt werden möge. Und Robert selbst war ja der Ungeduldigste, gerade er konnte am allerwenigsten den Augenblick erwarten, wo es »losgehen« würde, er freute sich maßlos auf den endlichen Beginn der Feindseligkeiten zur See.

Aber dazu schien ja noch immer keine Aussicht. Der »Meteor« lag tatlos an seinen Ankerketten, indes die Landarmee von Sieg zu Sieg vorwärts stürmte. Alle paar Tage kamen Zeitungen an Bord, man las mit Jubel, wie der Feind überall im Weichen begriffen war und wie sich die deutschen Truppen im Kampfe auszeichneten, – ohne selbst dreinschlagen zu dürfen.

Das ärgerte alle, vom Kapitän bis zum Schiffsjungen herab, und am meisten unseren ungeduldigen Freund.

Er hatte jetzt auch die Pirateninsel wiedergesehen, hatte aller der alten, hier in die Tiefe versenkten Freunde von der »Antje-Marie« im Herzen wieder gedacht und sich die Bilder der damaligen Zeit ins Gedächtnis gerufen, – das Fischerboot wendete und kreuzte gegen den Wind auf, und mit Hilfe der Ruder zum Hafen zurück.

Wenn um vier Uhr abermals die Wache abgelöst wurde, so ließ sich seine Entfernung vielleicht nicht mehr verheimlichen, und er hatte sowohl sich selbst, als auch jene anderen in Strafe gebracht, daher durfte jetzt keine Zeit mehr verloren werden.

Die bewaldeten Ufer der Insel traten weiter und weiter zurück, das Meer hob sich im kühleren Morgenwind, – noch einmal ließ Robert den Blick über die ganze prachtvolle Rundsicht dahingleiten.

Was war das dort? – Ein weißer Punkt auf dem Hintergrunde des dunkelumrandeten Ufers. Ein Schiff!

Der Fischer blickte auf, als er Roberts plötzliche Aufmerksamkeit sah. »Das ist ein Kriegsschiff,« sagte er gleichgültig. »Ich habe es schon seit mehreren Tagen zwischen den Inseln bemerkt.«

Roberts Herz stand fast still. »Von welcher Nation, Pedro?« fragte er atemlos.

»Ja, das weiß ich nicht. Ich sah nur die Kanonen.«

»Nun, so laßt uns gleich wenden und uns von der Sache genau überzeugen, Freund. Ich bezahle ein paar Piaster mehr, wenn Ihr mich bis unter den Bug des Schiffes bringt. Ihr als spanischer Untertan könnt dabei keine Gefahr laufen.«

»Das weiß ich wohl,« nickte gleichmütig der Mann. »Kann mir auch schon recht sein, wenn Ihr die Fahrt bezahlt.«

Das Steuer wurde nochmals gedreht, und jener weiße Punkt und das Fischerboot näherten sich einander zusehends. Robert erkannte sehr bald die französische Flagge, konnte drei Geschützpforten zählen und las den Namen » Bouvet

Jetzt wußte er genug, um daheim auf dem »Meteor« alles in Alarm zu versetzen. Ein französisches Kriegsschiff nahe beim Hafen, der langersehnte Gegner endlich gekommen, das Zeichen zum Kampfe gegeben!

»Schnell, schnell,« befahl er dem Fischer. »Die festgesetzte Stunde ist zwar jetzt längst vorüber, aber dennoch eilt die Sache im höchsten Maße. Wir können schon morgen miteinander handgemein werden.«

Der Fischer antwortete nicht, und so kam es, daß die Rückfahrt ohne viele weitere Worte bewerkstelligt wurde. Man hatte sehr bald den »Bouvet« aus den Augen verloren.

Es war heller Tag, als das Fischerboot neben dem »Meteor« anlegte. Ein Besuch von verschiedenen deutschen Bewohnern der Stadt mit Damen und Kindern hatte das Schiff überschwemmt, so daß Robert, der ohne Uniform war, vielleicht ganz glücklich hätte hindurchschlüpfen können, aber das wollte er nicht einmal. Aus Selbstsucht und um einer Strafe zu entgehen die Nachricht vom Herannahen des Feindes zu verschweigen, das hätte er für ehrlos gehalten. Unter Deck eilen und sich in die Uniform werfen, war das Werk von zwei Minuten, eben so schnell aber hatte ihn auch schon der gemütliche blonde Maat erwischt und festgehalten. »Du siebenmal,« – begann er seine Rede, wurde jedoch an der Fortsetzung derselben durch einen bedeutsamen Wink unseres Freundes verhindert. »Still,« flüsterte Robert. »Große Neuigkeiten, Maat, der Franzose kommt, – ich will selbst mit dem Kapitänleutnant sprechen.«

»Daß du die Motten kriegst! Junge, du bleibst monatelang auf der schwarzen Liste, wenn er dich nicht sogar einsperrt! Und was fabelst du da von dem Franzosen?«

»Warten Sie's nur ab, Maat. Ging denn heute nacht alles gut?«

»Du Schwerenöter hast ja einen Mitschuldigen, der für dich antwortet und einsteht! Noch ist nichts bemerkt worden, aber ich sage dir, wenn du mehr solche Streiche machst, verpurre ich dir die Geschichte. Du bist ein Ausreißer von Profession, wahrhaftig.«

Robert lachte. »Meinen Sie, daß ich bestraft werde, Maat?« fragte er.

»Und das gehörig. Du mußt die höchsten Stengen schmieren, alle Tage scheuern, den Rost von den Ankerketten schaben, die Gallion waschen und die Messingplatten putzen. Du bekommst nur eine halbe Stunde Mittag, deine Grogration fällt aus und du hast Bordarrest, wenn nicht eine richtige Gefängnisstrafe für dich herausspringt. Das glaube ich noch eher, also behalte die Mitteilung für dich, hörst du.«

Robert schüttelte den Kopf. Unmöglich, das konnte er nicht, und als die Fremden vom Bord waren, ließ er den Kapitänleutnant um ein kurzes Gehör bitten.

Dieser sah ihm verwundert entgegen. »Nun,« fragte er, »was haben Sie?«

Robert stand jetzt in schönster dienstlicher Haltung vor ihm, etwas blaß zwar, weil er die entehrende Strafe fürchtete, aber doch ruhig und ernst.

Mit wenigen kurzen Worten erzählte er, was geschehen, und hatte die Genugtuung, seinen Vorgesetzten auf das höchste überrascht zu sehen. Er sprang vom Sitz auf und ging händereibend hin und her. »Ein Franzose also? Und welcher Art?«

»Der ›Bouvet‹ soviel ich aus einiger Entfernung erkennen konnte, Herr Kapitänleutnant. Es waren, wie mir schien, drei–«

»Ja, ja, drei Kanonen, ich weiß schon. Nun, das kann – –«

»Aber,« fügte er, sich plötzlich unterbrechend, hinzu, »weshalb haben Sie mir die Sache gemeldet, da doch kein Zeuge gegenwärtig war, welcher Sie verraten konnte? Ist Ihnen bekannt, daß für sämtliche Schiffe der deutschen Marine im Augenblick die außergewöhnlichen Gesetze des Kriegszustandes in Kraft getreten sind? – Ich könnte Sie als Deserteur behandeln und bestrafen lassen.«

Robert zuckte unter dem Anhören des schmachvollen Wortes. Er schwieg, da es schien, als sei hier keine Entschuldigung möglich, aber doch wich die letzte Farbe aus seinen Wangen und das Herz klopfte zum Zerspringen.

Der Kapitänleutnant sah ihm fest ins Auge. »Weshalb meldeten Sie mir die Sache?« fragte er noch einmal.

»Weil ich das für meine Pflicht hielt, Herr Kapitänleutnant.«

»Sie, der ohne Erlaubnis von Bord ging?«

»Ach,« sagte ziemlich unwillkürlich unser Freund, »das ist ja nichts. Lieber, als daß ich der Strafe entgehe, will ich aber doch melden, was eine so wichtige Angelegenheit betrifft. Ein Deserteur bin ich nicht, und – Sie wissen das, Herr Kapitänleutnant.«

Der Offizier drehte sich ab, um ein ganz undienstliches Lächeln zu verbergen. Dann aber kam er zurück und legte die Hand auf Roberts Achsel.

»Sie sind ein etwas außergewöhnlicher Charakter, Kroll,« sagte er sehr ernst, »ein Schwärmer und nebenbei von bedeutendem Eigensinn, den Sie ganz irrtümlich für Männlichkeit halten. Lernen Sie erst die Mannszucht und das unbedingte Gehorchen jedes Einzelnen, er sei Offizier oder Soldat, gründlich als das kennen, was es in der Tat ist, die Grundlage und der Mittelpunkt aller militärischen Unternehmungen, alles Kriegsglückes, – bevor Sie künftig Fälle, wie den gegenwärtigen, für ein ›Nichts‹ erklären. Ihre Strafe ist Ihnen geschenkt, und zwar um des Ehrgefühls willen, welches Sie zu Ihrer Meldung trieb. Denken Sie an das, was ich Ihnen soeben gesagt, Kroll, und nun gehen Sie.«

Unser Freund blieb trotz der erhaltenen Weisung doch noch einen Augenblick lang stehen. Es brauste vor seinen Ohren, und ein sonderbares Gefühl, halb Beschämung, halb Stolz, erfüllte seine Seele. »Ich danke Ihnen, Herr Kapitänleutnant,« preßte er hervor. »Ich – werde Ihre gütigen Worte nie vergessen.«

Und dann ging er wie im wachen Traume hinab in das Zwischendeck, wo ihn Gerber mit heimlichem Herzklopfen erwartete. Auf einem so kleinen Fahrzeug wie der »Meteor,« bei einer Besatzung von fünfundsechzig Mann muß notwendig jeder Maat seine Leute von Angesicht zu Angesicht kennen, es ist undenkbar, daß er bei der namentlichen Verlesung in Wirklichkeit getäuscht werden könnte, und eben daher war auch dem braven Gerber nicht so ganz wohl zu Mute. Er glaubte, daß, wenn der Schock-Millionen-Mal mit neunschwänziger Katze gestrichene Halunke, der Kroll, wenigstens auf zwei Monate hinaus schwarze Liste und Bordarrest erhalte, für ihn selbst außerdem noch ein besonderes Verhör bei dem Kapitänleutnant nebst entsprechender Verschärfung der dienstlichen Instruktionen herausspringen werde, – das rote, behäbige Gesicht sah daher dem Ankommenden etwas unruhig entgegen.

»Nun, Nummer acht, du Erzbösewicht?«

Unser Freund schüttelte den Kopf. »Es ist alles gut gegangen, Maat,« sagte er.

»Und keine Strafe, Kerl?«

»Keine äußerliche wenigstens!«

Der Unteroffizier erhob sich vom Sitz, »Nanu,« raunte er, »das verstehe ein anderer. Sprich deutsch, Nummer acht, was hast du abgefangen?«

Robert lächelte unwillkürlich. »Nur einen Hering, Maat, aber er liegt mir doch schwer im Magen. Der Kapitänleutnant hat eine eigene Art, zu sprechen.«

Über Gerbers Vollmondsgesicht glitt ein Sonnenstrahl der Befriedigung. »So, so,« schmunzelte er, »nun begreife ich. ›Du Satanskerl,‹ hat er gesagt, – vielleicht ein bißchen seiner gedrechselt, mit Glaceehandschuhen angetan, – ›du Höllenbrand, diesmal will ich's schießen lassen, weil dir der Pottfranzose, der Parlehvous, in die Zähne lief und du mir die gute Nachricht nach Hause gebracht hast, aber tu's nicht noch mal wieder, du Galgenholz, sonst sollen dich alle siebentausend Haifische zumal fressen.‹ War's nicht so?«

»Ganz ähnlich!« lächelte Robert.

»Siehst du wohl, ich wußte Bescheid. Spiegelberg, ich kenne dir! Kann ein Gesicht machen, daß alle Ratten im Schiff Reißaus nehmen möchten, und ist doch eine Seele von einem Mann. Na, laß dir's gesagt sein, Nummer acht, und verfertige keine solchen Dummheiten wieder.«

Damit war zu Roberts größter Genugtuung das Gespräch beendet; er konnte sich nunmehr ganz ungestört seinen Gedanken hingeben, konnte sich wieder den Augenblick vergegenwärtigen, wo ihn der Offizier so ernst und wohlwollend zugleich ermahnte, ferner nicht mehr Eigensinn und Männlichkeit miteinander zu verwechseln. Konnte es denn wirklich gerade die mannhafteste Stärke und Willensfestigkeit sein, sich scheinbar vollständig unterzuordnen?

Er seufzte, aber doch wußte er gewiß, daß ihm seine letzte Übereilung nicht wieder begegnen werde; hatte er denn diesem ernstblickenden und dabei so milden, gerechten Vorgesetzten gegenüber mit dem trotzigen Davonlaufen des Schulknaben wirklich gezeigt, daß er ein selbständiger Mann sei, oder vielleicht eher, daß ihm selbst noch die Grundbegriffe der bürgerlichen und gesetzlichen Ordnung vollkommen fehlten?

Das Blut kehrte in seine Wangen zurück, heiß sogar und stromweise. Möchte doch heute noch der »Bouvet« kommen, dachte er, möchte doch der Kampf beginnen und ich als der erste an Bord des feindlichen Schiffes klettern können, damit mich Kapitän Knorr loben und mir nachsagen müßte, ich sei doch ein Mann und ein guter Deutscher dazu!

Er war an diesem ganzen Tage so aufgeregt, daß Gerber mehrere Male heimlich lächelte. »Hat der Kroll aber Ambition,« dachte er, »würgt noch an dem schweren Bissen, den ihm unser Kapitänleutnant ins Maul gesteckt. Na, alles einerlei, er kriegt noch mal Schmalz an den Kragen, und das gehörig, kann Deckoffizier werden, ehe unsereiner sich dessen versieht. Er spielt sich auf einen »Gebildeten,« das habe ich lange weg.«

Dabei aber regnete es, trotz dieses schmeichelhaften Selbstgesprächs, doch Ermahnungen und Belehrungen in dem unverfälschten, nervenerschütternden Unteroffiziersdeutsch, überall, wo sich dergleichen angebracht zeigte. Der Kommandant ließ ja jeden Winkel des ganzen Schiffes, obgleich nirgends der kleinste Fehler aufzufinden gewesen wäre, dennoch an diesem Tage einer abermaligen gründlichen Untersuchung unterwerfen; besonders die Kanonen wurden geputzt, untersucht und geschmiert, die Munitionsvorräte nachgezählt und nachgemessen, die Waffen einer genauen Besichtigung unterzogen und die Dampfmaschine geprüft. Alles war in doppelter und dreifacher Tätigkeit.

Gegen Abend endlich erschien der »Bouvet« und legte sich in dem neutralen Hafen Seite an Seite neben den »Meteor.« Etwas größer, von etwas mehr Pferdekraft, mit einer Überzahl von zwanzig Mann Besatzung und besseren Geschützen, war dieser Avisodampfer dem »Meteor« ziemlich in jeder Weise überlegen, ein schlankes, schnellsegelndes Schiff, das, hübsch und zierlich von Bau, alle Vorteile neuester Erfindungen in sich vereinigte. Bord an Bord lagen die Vertreter der beiden kämpfenden Nationen auf dem blauen Wasser da.

»Eine wunderliche Welt,« sagte Gerber. »Da ist der ›Bouvet,‹ welcher bei Helgoland zusah, als wir die Dänen pfefferten, – nun läuft er selbst unseren Geschützen in die Zähne. Hole übrigens der Satan lotweise die verdammten Gelbgesichter.«

Bei diesem freundnachbarlichen Wunsche zeigte sich wohl in den Zügen des biederen Pommern der Haß gegen das welsche Blut so stark, daß notwendig von drüben eine gleiche Kundgebung erfolgen mußte. Die Franzosen streckten die Zungen heraus.

»Wißt ihr was, Jungens,« raunte beim Essen der blonde Maat in die Ohren seiner Backschaft, »wißt ihr was? Ich möchte, daß ein Paar von den Hundesöhnen hier nebenan das Schiff verließen und am Lande eine Kneipe aufsuchten. Dann könnten wir's ihnen eintreiben, was deutsche Fäuste sind, so, wie ihr die Übersetzung ins Französische kennt, Purzle-vous de Treppen hindal! – Das müßte ein ungeheures Vergnügen sein und hätte doch das Völkerrecht nicht verletzt. Die Kümmelinsel, wo gekeilt wird, ist allemal neutral.«

Die Seeleute zeigten sich diesem Plane durchaus geneigt, aber Gerber schüttelte schmerzlich das Haupt. »Wird nichts, Kinder,« versetzte er, »waren nur Gedankenspäne, fromme Wünsche, wie man zu sagen pflegt. Ihr sollt sehen, daß es schon morgen in aller Frühe eine Vermahnung setzt. Immer Augen links, wenn ihr auf Backbord über das Schiff marschiert, und Augen rechts, wenn's von Steuerbord hergeht. Ich kenne das.«

Und richtig, wie er vorausgesagt, so geschah es. Am folgenden Morgen wurde Generalmarsch geschlagen, und als bis auf den letzten Mann die ganze Besatzung an Deck versammelt war, da hielt der Kapitänleutnant eine Ansprache, in welcher er den Leuten befahl, sich jeder Berührung, jedes Verkehrs mit den Franzosen zu enthalten, namentlich aber am Lande bei etwaigem Begegnen sofort das Lokal zu verlassen und auf keine Herausforderung einzugehen.

Die Franzosen auf dem »Bouvet« sahen sich diese ganze Szene mit an, indem sie laut sprachen, lachten und mit den Fingern einzelne der Deutschen bezeichneten. Sie schienen den Inhalt der Rede, welche dort gehalten wurde, vollkommen zu begreifen, und vielleicht eben deswegen erhielten ungewöhnlich viele aus ihren Reihen am Abend Urlaub. Die Deutschen auf dem kleinen, machtlosen Kanonenboot, das neben dem »Bouvet« in allen Stücken verlor, diese dreisten Deutschen sollten womöglich eins draufkriegen.

Wenigstens vierzig Mann von der Besatzung des französischen Schiffes hatten das Land betreten, und auch der gewohnten Anzahl von Deutschen war Urlaub erteilt wurden. Fast zu gleicher Zeit verließen die Preußen und die Franzosen ihre schwimmende Heimat, wobei ihnen der Kapitänleutnant mit gerunzelter Stirn nachsah. »Reibungen werden sich nicht vermeiden lassen,« äußerte er gegen den ersten Leutnant. »Die Kerle brennen förmlich vor Begier den Franzosen zu zeigen, daß sie nicht minder gut zuzuschlagen verstehen, wie ihre Brüder am Lande.«

Der erste Leutnant lächelte bedeutsam. »Und wir selbst?« fragte er halblaut.

»Nicht minder, wenn auch in anderer Form,« versetzte Knorr. »Ich wollte übrigens, daß die Sache bald entschieden wäre, namentlich da ich an diesem entlegenen Punkt ohne alle Instruktion, ganz nach eigenem Ermessen handeln muß. Der ›Bouvet‹ ist uns überlegen, das leidet keinen Zweifel.«

Der erste Offizier schwieg in jener auffallenden Weise, welche mehr als die längste Rede ausdrückt, so auffallend, daß ihm der Kapitänleutnant fragend ins Auge sah. »Sie würden den Kampf aufnehmen, Herr Leutnant?«

»Ohne jegliche Widerrede.«

Der Kapitänleutnant nickte leicht. »Ich tu's auch!« bestätigte er.

Damit war diese Unterhaltung beendet, aber die innere Unruhe des Kommandanten zeigte sich deutlich in jedem Schritt, jeder Bewegung, namentlich als um die festgesetzte Stunde nur ein Teil der beurlaubten Mannschaft an Bord erschien, die übrigen aber ausblieben. Man fragte diejenigen, welche sich rechtzeitig eingestellt hatten, nach dem Aufenthalt der anderen, aber die Antworten lauteten so unbestimmt und ausweichend, daß sich der Argwohn des Kapitänleutnants bis zur Überzeugung steigerte. Trotz aller Verbote mußte eine Schlägerei stattgefunden haben.

Das Gebaren der Franzosen auf dem »Bouvet« gab dieser Schlußfolgerung neue Sicherheit. Sie riefen Herausforderungen zum »Meteor« hinüber und schnatterten durcheinander in einer Weise, die deutlich ihre lockere Mannszucht verriet. Die Offiziere gingen an Deck umher, kümmerten sich aber um diese Ausschreitungen anscheinend gar nicht. Es wurde zwölf Uhr nachts, bis spanische Polizisten die ausgebliebenen Matrosen vom »Meteor« mit starkem Geleite an das Schiff brachten. Mehrere derselben waren verwundet, andere betrunken, aber kein einziger zeigte über das, was er verbotenerweise getan, die mindeste Reue. Franzosen und Deutsche hatten, nachdem erstere den Streit herausgefordert und es ihren Gegnern moralisch unmöglich gemacht, den Fehdehandschuh unbeachtet am Boden liegen zu lassen, gehörig miteinander gerauft und sich gegenseitig nach Kräften geschadet, obwohl niemand Sieger geblieben und niemand besiegt worden war.

Die grande nation verfehlte indessen nicht, mit großem Lärm und Geschrei zu verkünden, daß ihr der gebührende Sieg zuteil geworden, daß die » Prusiens« zu Paaren getrieben und in Schrecken versetzt seien. Sie gebärdeten sich und redeten, daß man deutlich sah, ihnen war von seiten ihres Kapitäns keine Zurückhaltung anbefohlen worden.

Kapitänleutnant Knorr ließ die Verwundeten in das Lazarett bringen und die übrigen, so mäßig als es die Gesetze erlaubten, bestrafen, wobei jedoch sein ganzes Benehmen zeigte, daß er die Ursache der Übertretung im Herzen begriff.

Ja, er tat noch mehr. Er schickte dem Kapitän des feindlichen Schiffes drei Tage nacheinander eine Herausforderung zum Kampfe auf offener See, aber da zeigte sich das Franzosentum mit seiner Großsprecherei, seiner Prahlsucht und inneren Hohlheit im vollsten Glanze. Vor den Augen von ganz Havana lehnte der französische Kommandeur den Zweikampf mit den Deutschen von der Hand, weigerte sich, im ehrlichen Kriege das anzuerkennen, was er mit so vollen Backen ausposaunt hatte, als seine vierzig Mann über sechs bis zehn Preußen herfielen, und blieb vor Anker liegen, als sei nichts geschehen.

Die Folge davon war, daß sich die Besatzung des »Bouvet« am Lande nicht mehr sehen lassen konnte, sondern wo sie erschien, offen verhöhnt wurde.

Auf die Dauer mochten das die französischen Flunkerhänse denn doch unbehaglich finden, und siehe da, eines Morgens war der »Bouvet« verschwunden.

Jetzt brach auf dem »Meteor« der laute Jubel los. Nach vierundzwanzig Stunden durfte man den Feind verfolgen und ihn außerhalb des Hafens angreifen, – mehr brauchte es nicht, um die Blaujacken zu entzücken.

»Wenn er nur nicht entflieht!« hieß es. »Wenn er nur stand hält!«

Auch Robert war voll Hoffnung, daß nun endlich, nach so langem, geduldigem Harren, nach so schwerer Prüfungszeit für ihn die Freude eines ersten Schlachttages beginnen solle. Er konnte kaum den folgenden Morgen erwarten, konnte weder essen noch schlafen, bis sich entschieden haben würde, ob der Franzose den Kampf aufnahm.

Als das Kanonenboot die Anker lichtete und zum erstenmal, seit Robert an Bord war, der Dampf aus den Schloten strömte, da umstanden Tausende von Menschen, namentlich alle Deutschen, die in der Stadt wohnten, das Ufer, und fast in jeder Sprache der zivilisierten Welt, außer in der französischen, wurde den braven Deutschen ein Lebehoch gebracht, wurden ihnen tausend Glückwünsche zugerufen und aller Segen des Himmels auf den »Meteor« herabgesteht. Die Besatzung antwortete mit einem dreifachen Hurra.

Und dann rasselten die Ankerketten herauf, das Schiff drehte sich, die Bevölkerung grüßte mit Hüten und Taschentüchern, und die Jagd auf den entflohenen Franzosen begann. Hinter dem »Meteor« dampfte das spanische Kriegsschiff, der »Hernan Cortez«, welcher an Bord die sämtlichen europäischen Konsuln bei sich führte, und außerdem noch viele Havaneser, die ebensowohl dem bevorstehenden Kampfe zuschauen, als auch die Neutralität des Hafes wahren und für den Fall eines bedeutenderen Unglückes in der Nähe sein wollten.

Wie pochte Roberts Herz, als das Schiff unter seinen Füßen die Salzflut durchschnitt. Jetzt erst war er Soldat, jetzt erst hatte er das Ziel seiner Wünsche erreicht, aber so freudig ihn auch die Vaterlandsliebe und der begeisterte Mut durchglühten, so ernst dachte er trotzdem an diejenigen, welche seinen Tod beweinen würden. Ein Abschiedsbrief an die alten Eltern lag in dem kleinen, verschlossenen Kästchen, das Uhr und Geld und Papiere verbarg, ein kindliches »Vater, vergib uns unsere Schuld« stieg aus tiefstem Herzen zum Himmel empor, ehe die für den Fall des Gefechtes zu treffenden äußerlichen Vorbereitungen beendet waren, dann aber spähte von der ganzen Besatzung des »Meteor« vielleicht kein Auge so sehnsüchtig nach dem Rauch des entschwundenen französischen Schiffes, als eben das unseres Helden. Er war es auch, der zuerst den »Bouvet« entdeckte.

»Dort!« jubelte er, »dort, Herr Kapitänleutnant, – ich sehe es deutlich.«

Der Kommandeur ließ sich das Glas reichen, und dann verkündete ein Kopfnicken der ganzen Mannschaft, daß Robert richtig geurteilt. Es war in der Tat der »Bouvet,« dessen Besatzung mit einer neuen Unüberlegtheit den Kampf eröffnete. Eine Kugel kam über das Wasser dahergeflogen und schlug in weiter Entfernung vom preußischen Schiffe unschädlich in die Flut hinein, – ein lautes Spottlachen an Bord des »Meteor,« das leider die Franzosen nicht hören konnten, beantwortete den Schuß.

»Wir schießen nicht, bis die Entfernung zwischen beiden Schiffen auf zwölfhundert Schritt herabgesunken ist,« sagte ruhig Kapitänleutnant Knorr.

Ein Hoch auf den braven, kaltblütigen Führer des »Meteor« antwortete diesem Ausspruch. Jedes Herz schlug erwartungsvoll den kommenden Ereignissen entgegen, während das Schiff mit höchster Anstrengung seiner Dampfkraft durch die Wellen dahinschoß.

Schuß auf Schuß erschütterte vom Bord des »Bouvet« die stille Morgenluft und erschreckte im Meeresgrunde die ahnungslosen Fische, sonst aber erreichten die Franzosen mit diesen Kundgebungen der Übereilung nichts, als daß auf dem »Meteor« gleichsam zur Herausforderung alle drei Masten die Toppflagge lustig in die Welt hinauswehen ließen. Immer noch fielen die Kugeln unschädlich in das Wasser.

Endlich aber kam die Zeit, wo das deutsche Geschütz antworten konnte. Auf dem »Meteor« blitzte es, und ein erster Gruß aus seinen Stückpforten pfiff durch das Takelwerk des Franzosen. Im gleichen Augenblick freilich schien sich das Verhängnis gegen die Deutschen zu kehren. Es erhob sich ein plötzlicher Wind, dem das Kanonenboot entgegenarbeiten mußte, während er anderseits den »Bouvet« mit rasender Fahrt in die Breitseite des Feindes trieb.

Das alles war das Werk weniger Minuten, und die Entfernung beider Schiffe auf dreihundert Schritt verringert, ehe noch die Besatzung des »Meteor« von der so schnell eingetretenen Veränderung einen vollständigen Überblick gewonnen. Nachdem freilich das Schlingern des weit kleineren Fahrzeuges zu stark geworden, um noch ein richtiges Zielen zu gestatten, erkannten auch die Unerfahrensten den drohenden Ernst des Augenblickes.

Ein Schreckensruf brach sich Bahn. »Er will uns in den Grund bohren!«

Nur der Kapitänleutnant behielt seine volle Geistesgegenwart. Er stand auf der Kommandobank und übersah mit festem Blick die Lage. »Ruhe,« befahl die tiefe, wohlklingende Stimme. »Ruder hart Steuerbord! Klar zum Entern!«

Mit Gedankenschnelle, ohne ein lautes Wort, wurde der Befehl vollzogen. Robert, dessen Gefechtsrolle ihn hart neben den Radkasten gestellt hatte, unser leidenschaftlicher Robert sah mit einer Art von begeisterter Verehrung auf den Kommandeur, welcher dort so vollkommen ruhig, so bewußt und so sicher das Ganze überblickte. Kein Aufflammen, kein Schwanken, kein trotziger Haß, obwohl das alles so natürlich gewesen wäre, – nichts als eine Ruhe, eine Besonnenheit, die im Angesicht der Gefahr nur noch immer mehr zu erstarken schien.

Die Blässe innerer Bewegung bedeckte unseres Freundes hübsches Gesicht. »Ein solcher Mann will ich werden!« dachte er. »So markig, so von Eisen, ohne dem Blute eine Herrschaft über den Geist zu gestatten!«

Und das Zündnadelgewehr, obwohl es in seiner Hand zitterte, wurde nicht voreilig gebraucht, – Robert beherrschte sich, so sehr es die jugendliche Kampflust verlangte, den ersten Schuß abzufeuern und damit in die Reihen derer, welche das deutsche Land verteidigten, auch tatsächlich eingetreten zu sein.

Alles an Bord war totenstill, aller Augen sahen auf den Kommandeur. Über die hochgehenden, fast tobenden Wellen hinweg brausten beide Schiffe einander entgegen. Jetzt – jetzt nahte die Entscheidung.

Nur noch Augenblicke, dann sind vielleicht fünfundsechzig Menschen in den Meeresfluten begraben, dann berichten die Zeitungen von einem glänzenden Siege der Franzosen, und das Andenken des kleinen »Meteor« ist verschollen, vergessen, ist das eines Toten.

Höher schlagen die Männerherzen – letzte Grüße trägt der Gedanke zu den Teuren, die vielleicht jetzt für den bedrohten Angehörigen beten –

Und nun, nun, – beide Fahrzeuge berühren einander –

Aber da fliegt ein stolzes Lächeln über das Gesicht des Kommandanten, da atmet er auf, tief, wie erlöst – –

Sein geübter Blick hatte ihn nicht betrogen, seine Maßregeln waren die richtigen gewesen. Im spitzen Winkel trafen beide Schiffe zusammen, es knirschte und krachte, Bord an Bord, etwa zwei Minuten lang sahen die Feinde aus nächster Nähe einander ins Auge, und dann war die ärgste Gefahr vorüber. Weder Freund noch Feind hatten Zeit gehabt, ans Entern zu denken. Jetzt aber eröffneten die Franzosen ein stetiges Kleingewehrfeuer, das von den Deutschen lebhaft erwidert wurde. Neben Robert fiel der Steuermann und stürzte, sofort getötet, auf die Deckplanken, unseren Freund und mehrere andere, die sich in der Nähe befanden, mit seinem Blute überspritzend.

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Nur noch ein unverständlicher, gurgelnder Laut, dann war das Leben entflohen.

Robert sah auf. Ein heißer, glühender Zorn leuchtete aus seinen Augen. Er suchte mit den Blicken auf dem hohen Bord des »Bouvet« denjenigen, der diesen Schuß abgefeuert haben konnte, und nur zu bald hatte er ihn entdeckt. Halb von der Takelage verborgen, lauerte ein braunes, falsches Gesicht, und schon hatte sich das Gewehr seines Eigentümers, rasch geladen, zum neuen Mordwerk erhoben. Es war unverkennbar der Kapitän, auf welchen jetzt das Auge des Schützen zielte.

Das erkennen und unbekümmert um die eigene Sicherheit zwischen die Kugel und ihr Ziel springen, war für unseren begeisterten Freund das Werk eines Augenblickes. Er deckte mit seinem Körper den des geliebten Kommandeurs.

Zum Zielen und Schießen war es zu spät, – der Sprung wurde glücklich vollführt.

Vom Bord des »Bouvet« blitzte es auf. Die Kugel flog herüber und traf Roberts linke Schulter, so daß er im Augenblicke schwankte, dann aber raffte er seine schwindenden Kräfte zusammen, legte an und gab Feuer.

Wie damals in der Prärie des Westens der getroffene Adler, so stürzte der Franzose aus den Marsen herab. Ein lautes Bravo des Kapitänleutnants belohnte den glücklichen Schützen.

»Sie haben für mich Ihr Leben in die Schanze geschlagen, Kroll,« sagte laut der Kommandeur. »Ich danke Ihnen und werde nicht vergessen, das höheren Orts gebührend anzuerkennen.«

Die Worte waren in fliegender Eile gesprochen, dann näherten sich mehrere Soldaten, unter ihnen der blonde Maat, unserem Freunde, um ihn in das Lazarett zu bringen. Robert schwankte, aber ein Hochgefühl, ein Entzücken, wie er es nie gekannt, durchflutete sein Herz. Jetzt hatte er zurückgezahlt, was ihm der Kapitänleutnant neulich geschenkt, als er den unüberlegten Streich verzieh und die entehrende Strafe fernhielt.

»Bleibt!« stammelte er, »bleibt – ich kann allein gehen.«

Aber Gerber ließ nicht los. »Du Tausendsassa, du Schwerenöter,« raunte er. »Kommt das grüne Bürschchen kaum eben an Bord, hat noch keinen Schuß abgefeuert und tut es schon allen zuvor. Na, das hätte aber leicht dein letzter Augenblick werden können.«

Robert lächelte matt. »Was lag an mir?« flüsterte er. »An dem Kommandanten alles.«

Und dann verließ ihn das Bewußtsein. Gerber trug ihn wie ein kleines Kind ins Zwischendeck, wo der Schiffsarzt mit seinem Gehilfen bereit stand, um die Verwundeten zu empfangen. »Schnell, Herr Doktor,« bat der keuchende Unteroffizier, »bitte, sagen Sie mir schnell, ob der arme Kerl verloren ist. Ich möcht's gern wissen und muß doch wieder hinauf.«

»Das Kleingewehrfeuer hat aufgehört,« bemerkte der Arzt, indes er Roberts Kleider öffnete und die Wunde untersuchte. »Wie kommt das?«

»Gotts ein – –«

Der gemütliche Maat hätte fast einen Kernfluch vom Stapel gelassen, aber er besann sich noch zur rechten Zeit, daß auch der Arzt ein Schiffsoffizier sei, wenigstens dem Range nach, und verschluckte seinen energischen Satz, indem er laut sagte: »Zu Befehl, Herr Doktor, die Entfernung ist dafür zu groß geworden. Aber wie steht es denn mit der Wunde?«

»Die ist nichts!« entschied der Arzt. »Das Fleisch ist zerrissen und die Muskeln haben stark gelitten, – Knochen oder edlere Teile sind nicht verletzt.«

Gerber lächelte sehr zufrieden. Er ergriff sofort seine Mütze und eilte davon. »Der Pottfranzose hat auch sein Teil!« rief er im Fortstürmen. »Ich sah das Blut strömen, als er aus dem Mast fiel. Hurra für Deutschland!«

Und fort war er, indes Robert verbunden und in die Hängematte gelegt wurde. Oben an Deck hatte während dieser kurzen Zeit die Lage eine völlige Veränderung erlitten. Im Vorüberstürmen des »Bouvet« waren die Boote vom »Meteor« vollständig weggerissen, die Fockraa abgebrochen und die Wanten zerschnitten, der Großmast aber durch den schweren eisernen Kranbalken des Franzosen sogar eingeknickt. Bald nach dieser unheilvollen Begegnung erfolgte also natürlich der Sturz des beschädigten Mastes, welcher seinerseits den Besanmast umriß und die Kommandobrücke in tausend Trümmer schlug. Und nun entstand eine heillose Verwirrung. Alles Holzwerk stürzte über Bord, indes es die im Schiff befestigten Taue trotzdem nachschleiften und dadurch die Fahrt fast vollständig hinderten. In diesem Augenblick hätte der »Bouvet« entern und alles gewinnen können, aber mit dem Scharfblick seines Kommandeurs mußte es nicht besonders gut bestellt sein, denn ein derartiger Versuch wurde nicht gemacht.

Der »Meteor« kroch jetzt langsam durch die Wellen dahin, aber auch diesen Umstand wußte Kapitänleutnant Knorr auf das beste auszunutzen. Er gebot einem Teil der Mannschaft, die Taue zu kappen, und eilte dann zu den Kanonieren, denen er anbefahl, mit der größten Sorgfalt auf den Dampfkessel des »Bouvet« zu zielen.

Das geschah, und als der Schuß krachte, sahen alle mit atemloser Spannung zu dem feindlichen Schiffe hinüber. Hatte die deutsche Flagge Glück gehabt?

»Er sticht!« murmelte, mit dem Fuß stampfend, der Kapitänleutnant, »wahrlich, er flieht! – Noch eine einzige halbe Stunde und der Hafen ist erreicht!«

Aber da sahen plötzlich alle eine weiße Wolke, die sich rings um das Schiff verbreitete, stärker und stärker anschwoll und endlich den »Bouvet« ganz verhüllte. Es konnte nicht zweifelhaft sein, daß die Maschine getroffen war.

»Hurra!« schrie es aus hundert Kehlen. »Hurra, das war ein glücklicher Schuß.«

Der »Hernan Cortez,« welcher sich immer ganz in der Nähe des »Meteor« gehalten, setzte ein Boot aus und wollte mehrere Ärzte sowie Erfrischungen und Verbandmittel an Bord des deutschen Kriegsschiffes bringen, ebenso nahmen alle seine Insassen auf das entschiedenste gegen den Franzosen Partei, aber Kapitänleutnant Knorr lehnte mit höflichem Danke jede Hilfeleistung ab, teils um zu zeigen, daß auf seinem Fahrzeuge alles in schönster Ordnung sei, und ebensowohl auch, um bei der Verfolgung des kampfunfähig gewordenen Franzosen keine Zeit zu verlieren. Noch immer war der »Bouvet« in eine weiße Wolke gehüllt, noch immer lag er auf demselben Fleck, aber auch das deutsche Schiffchen hatte genug zu tun, um die Schraube von Splittern und Tauwerk zu reinigen und alles zu kappen, was hüben und drüben die Fahrt hinderte.

Der Kapitänleutnant ging von einer Seite zur andern, wie ein Löwe im Käfig. »Wir müssen entern!« wiederholte er, »wir müssen ihn nehmen!«

Aber das Schicksal wollte es anders. Die Maschine des »Bouvet« war total zerstört, das Dampfrohr durchschossen und die Fahrt gehemmt, daher beschloß sein Kommandeur, welchem offenbar alle Sicherheitsmaßregeln sehr geläufig waren, so rasch als möglich zu flüchten.

Im Augenblick, wo die Maschine des »Meteor« wieder in ihre volle Tätigkeit eingetreten war, hatten die Matrosen des »Bouvet« Segel gesetzt, und nun begann die Flucht nach dem Hafen von Havana.

Mit letzter Anstrengung aller ihrer Kräfte arbeitete die Dampfmaschine des »Meteor,« glühende Wünsche beseelten die tapferen Blaujacken, aber – die Entfernung zwischen beiden Schiffen wurde größer und größer, die Kugeln des Buggeschützes auf dem Kanonenboot begannen unschädlich in das Meer zu fallen und die Verfolgung mußte aufgegeben werden. Zudem verkündete ein Schuß vom Bord des »Hernan Cortez«, daß jetzt das Gebiet des Hafens wieder erreicht worden, also verbot es das Völkerrecht, von den siegreichen deutschen Waffen noch weiteren Gebrauch zu machen. Nach einer halben Stunde lagen beide Schiffe wieder friedlich nebeneinander auf ihren alten Plätzen.

Robert hatte während dieser ganzen letzten Zeit körperliche und geistige Qualen zu bestehen. Sein Bewußtsein kehrte bereits unter den Händen des Arztes zurück, und die Schmerzen, welche er erlitt, waren furchtbar, aber mehr noch sehnte er sich nach einer tätigen Teilnahme an den Ereignissen, deren Verlauf er sogar vom Bett aus mit lebhaftem Interesse verfolgte. Von Zeit zu Zeit kam jemand in das Zwischendeck, und dann fragte der neugierige Arzt so lange, bis er – und mit ihm Robert – alles gehört hatte.

Erst als die Ankerketten durch die Klüsen rasselten und nun auch der Doktor Zeit fand, sein gelehrtes Haupt aus der Decksluke hervorzustecken, erst dann legte sich unser Freund auf die Seite, um zu schlummern.

Wie nahe war er wieder einmal dem Tode gewesen, und doch, wie viel stolze Freude lebte in seinem Herzen. Er hatte dem Schiffe den Kommandeur erhalten, hatte bewiesen, daß er bereit sei, Leib und Leben der vaterländischen Sache zu widmen, und daß er dankbar vergelten wolle, was ihm der Kapitänleutnant Gutes getan.

Trotz der heftigsten Schmerzen in dem verwundeten Gelenk erinnerte er sich keiner so seligen, so gehobenen Stimmung, wie sie dieser Abend brachte.

Robert konnte sich selbst nicht klar machen, was ihn so beglückend durchdrang, aber es war nichts anderes, als das Bewußtsein freiwillig erfüllter Pflicht, das Frohgefühl der guten Sache, dieses höchste aller irdischen Güter. Als ihn der Arzt in Begleitung des Kapitäns vor Nacht nochmals besuchte und als der Kommandeur lange und freundlich mit dem jungen Freiwilligen gesprochen, da meinte Gerber im tiefsten, verborgensten Innern seines Herzens, daß doch der verwetterte, siebenmal übersegelte und von neun Millionen Haifischen gefressene Halunke, der Kroll, ein wahres Glückskind sei. »Um diese Wunde beneide ich ihn,« dachte er, »sie ist eine – hm – na, ich will sie eine Schicksalswunde nennen. Hast du nicht gesehen, wird die Beförderung zum Maaten hinterdreinfliegen, wenn auch der Herr Chargierte erst eben ausexerziert hatte, als die Geschichte losging.«

 

Und der gemütliche Maat sollte recht behalten. Als Robert mit dem Arm in der Binde, blaß und abgemagert, nach vier Wochen wieder umhergehen konnte, da kam aus Kiel eine Depesche, in der Kapitänleutnant Knorr zum Inhaber des eisernen Kreuzes ernannt wurde, und die außerdem mehreren Leuten eine Beförderung brachte. Robert wurde richtig, wie es Gerber vorausgesehen, zum Maaten ernannt, obgleich der Kapitänleutnant lächelnd dieser Botschaft hinzufügte, daß, wenn die da in Kiel ganz genau wüßten, wie kurz erst – –

Robert erlaubte sich gegen alle Dienstordnung die privatim gesprochenen Worte seines Vorgesetzten zu unterbrechen. »Der ganze Winter wird ja vergehen, bis die umfassenden Ausbesserungen an Bord des ›Meteor‹ beendet sein können,« rief er, »so lange bleibt auf dieser entlegenen Station doch wohl alles beim alten, und ich werde erst dann wirklich Bootsmannsmaat, wenn mich mein Kapitän für dieses Amt fähig erklärt.«

Ein Lächeln seines Vorgesetzten belohnte den bescheidenen jungen Mann, dem der Kommandant vom Tage dieser Ernennung an die Uniform des Maaten sowie dessen höheren Sold und geringe Standeserhöhung sogleich zukommen ließ, der aber nach wie vor den Dienst des Gemeinen verrichtete und sich jetzt mit verdoppeltem Eifer bemühte, seine beiden hervorragenden Fehler, den Trotz und die leidenschaftliche Aufwallung nach Möglichkeit zu überwinden.

Er hatte kennen gelernt, was es heißt, durch die Bande der Mannszucht und Unterordnung aus einer Anzahl von fünfundsechzig Menschen gewissermaßen einen Leib und eine Seele zu machen, die, beide zusammen dem leisesten Wink gehorchend, mit vereinten Kräften ein großes Ziel erreicht, oder doch wenigstens ein großes Unglück abgewendet hatten.

Was wäre aus Schiff und Besatzung geworden, wenn sich gegen die Befehle des Kapitänleutnants auch nur eine Stimme hätte erheben dürfen?

Der ›Bouvet‹ würde alsdann den ›Meteor‹ in den Grund gebohrt und dessen ganze Mannschaft unter seinen Trümmern begraben haben.

Robert erkannte nun klar genug als unerläßliche Notwendigkeit, was ihm im Anfang wie eine Beschimpfung seiner männlichen Ehre erschienen war, aber trotzdem kamen noch häufig Augenblicke, wo ihm das Blut heiß zum Herzen drang und er die Faust ballte, im heimlichen, brennenden Verlangen, sofort zuzuschlagen. Eine gründliche Erziehung braucht eben viel Zeit, und um sich von einer Schoßsünde loszusagen, dazu gehört ein sehr männlicher Wille, den erst die Jahre langsam heranreifen müssen.

Unser junger Freund war noch längst kein besonnener Charakter, obgleich ihn die Leute mit ›Maat‹ anredeten und er es verstand, sich vor groben Fehlern zu hüten. Während des ganzen Winters, als der ›Meteor‹ ausgebessert wurde und also der Dienst beinahe ganz aufgehoben war, bemühte er sich, die spanische Sprache zu lernen, oder er trieb Geographie, Geschichte und andere nützliche Wissenschaften, ebenso schrieb er fleißig nach Hause und an die Freunde hoch oben in den Bergen der Sierra Nevada. Was er von diesen letzteren hörte, das trieb ihm, eingedenk seines früheren Wunsches, in dem Indianerdorfe zu bleiben, eine kleine Schamröte ins Gesicht. Gottlieb hatte sich damals Tinte, Federn und Papier aus Stockton mitbringen lassen, deshalb war er imstande, einen eigenhändigen Brief durch einen der vielen umherstreifenden Indianer nach Lenchi zu befördern, von wo er per Post über San Francisco und Panama nach Havana gelangte.

»Mir geht es äußerlich wohl,« schrieb der junge Krämer »und wenn ich mich nicht so sehr nach den Eltern und nach geordneten christlichen Verhältnissen im allgemeinen zurücksehnte, dann müßte ich sagen: auch innerlich. Wilde Tiere kommen nicht bis in unser Dorf, das steht fest, die Comanchen skalpieren niemand, der mit ihnen die Friedenspfeife geraucht hat, das weiß ich jetzt auch, denn so ganz heimlich erlausche ich mir die Sprache der Rothäute und habe sie über alles ausgefragt, nämlich die Squaws, die sind so dumm wie die Gänse, sie erzählen mir, was ich wissen will. Mongo arbeitet jetzt beständig beim Losbrechen und ich beim Auskörnen, – du solltest mich nur sehen, wie gemütlich ich's habe, Robert. Den Platz vor unserm Wigwam, in welchem du mir täglich fehlst, haben die Squaws von Moos und Wurzeln gänzlich reinigen müssen, und Mongo hat ihn mittels einer Lehmschicht, die wir tüchtig einstampfen, so glatt und so fest gemacht, wie den besten Holzfußboden. Darauf wird nun das Gold ausgesucht, und der Lederbeutel ist jetzt schon ganz gefüllt. Ich habe auch einen kleinen Reiserbesen hergestellt, womit mir ›Rehauge‹ und das ›hüpfende Wasser‹ und ›Schwarzkätzchen‹ und alle diese roten Frauen mit den Tiernamen das Gold zusammenfegen müssen. Wie ein Fürst komme ich mir vor, brauche nur zu befehlen und alles gehorcht, brauche nur zu winken und alles fliegt. Meistens lasse ich mich während des ganzen Tages nicht stören, sondern arbeite immerfort, indes mir meine Gehilfinnen herbeischleppen, was ich brauche, Essen, Trinken oder ein paar Früchte zum Naschen und vielleicht einen Schluck Branntwein. Die Rothäute machen es ja ebenso, also weshalb sollte ich es nicht tun? Sie sehen mir auch jetzt, während ich vor einem großen, flachen Steine auf den Knieen liege und mühselig schreibe, in einiger Entfernung über die Achseln, näher heran aber kommen sie nicht, aus Furcht vor dem Zauber. Ist das nicht zum Totlachen?

»Soviel von mir und nun zu dir, du lieber, alter Kerl, den ich so gern hier bei mir hätte. Also du bist auf einem Kriegsschiff und fühlst dich ganz wohl da, wo es von Gefahren wimmelt. Gottlob, denke ich hundertmal an einem Tage, daß ich hier sicher sitze, hoch oben im Gebirge, wo mich die Einberufungsordre nicht treffen kann, und du – du suchst die Kugeln auf, damit sie doch um alles in der Welt nicht an dir vorbeifliegen mögen. Hab ich doch jemals einen Unsinn gehört, so ist es dieser. Tat's nicht greulich weh, als die Wunde genäht wurde? – denn du mußt nur wissen, daß wir drei, der Trapper, Mongo und ich, die ganze Geschichte genau kennen. Als der Jaguar im Oktober wieder nach Stockton reiste, hörte er, daß ein französisches Schiff vor dem Hafen von Havana kreuzte, und nun ruhte er nicht eher, bis es ihm gelang, trotz aller Beschwerden gegen Ende November nochmals dieselbe Tour zu machen, nur aus heimlicher Sorge um dich, den er seinen ›weißen Bruder‹ nennt und sehr ins Herz geschlossen hat. Er brachte uns beiden, dem Neger und mir, alle Zeitungen mit, in denen das Gefecht beschrieben stand, auch, daß du dem Kapitän das Leben gerettet hast und selbst verwundet bist. Gott segne meine Seele, wie kann man dergleichen aufsuchen? – Ich habe sofort, als der Krieg ausbrach, den Alten in Pinneberg geschrieben, daß sie nicht verraten, wo ihr Sohn lebt. Weit davon ist gut vorm Schuß.

»Aber jetzt leb wohl, du Wagehals, der imstande wäre, das Tollste zu tun, um seinem Übermut die Zügel schießen zu lassen. Mein Privatpostbote, eine Rothaut, die auch den Trapper spielt und überall herumkriecht, um sich ohne Squaw durchs Leben zu bringen, steht da und wartet. Gott befohlen Robert, und schreib zum März wieder, dann geht der Jaguar nach Stockton.

Mit vielen herzlichen Grüßen, dein Gottlieb.«

Unser Freund hielt diesen zerknitterten, schwärzlich gefärbten und nicht eben nach Ambra duftenden Brief, welchen der Indianer in seinem Ledergürtel durch die Wildnis bis nach Lenchi befördert, zwischen den Fingern, und sah träumend ins Leere. Hatte er wirklich noch vor wenigen Monaten wünschen können, dies Leben, wie es Gottlieb schilderte, auch seinerseits weiterzuführen, hatte er seinem Berufe als Mensch und Sohn, als Bürger eines Kulturstaates Genüge leisten wollen, indem er gleich einem Tier der Wüste nur atmete, anstatt zu leben, indem er sich's verhältnismäßig wohl sein ließ, indes sich das Schicksal ganzer Völker blutig entschied und Millionen deutscher Herzen in Angst und Hoffnung erbebten?

Kaum glaubte er's noch. Aber freilich, damals flüchtete er vor sich selbst und suchte Schutz in äußerlichen Zerstreuungen, damals hatte er keinen Frieden, keine Ruhe, – ihm stand noch bevor, was sich seitdem so günstig entschieden, die Wiedervereinigung mit dem Vater.

Ja, ja, das war es. Jetzt stand sein Wollen und Sein auf dem festen Boden des Rechten, jetzt blickten die Augen voll Sicherheit vorwärts und voll Ruhe zurück, ach – und darin war alles enthalten. Er fühlte es tief und freudig gerade wahrend des Lesens dieses Briefes, der ihm einen Vergleich zwischen dem Einst und dem gegenwärtigen Augenblick so lebhaft aufdrängte.

Gottliebs Brief wanderte als Andenken der Ferienzeit in den Gebirgen der Sierra Nevada mit zu seinen übrigen Schätzen und als bald darauf die Nachricht vom endlich abgeschlossenen Frieden zugleich mit der Heimberufungsordre für den ›Meteor‹ in Havana anlangte, da hatte Robert vorher noch Gelegenheit gehabt, die kleine Insel, auf der er so lange als Einsiedler gelebt, auch bei Tage und mit Muße wiederzusehen.

Ihrer acht Mann erhielten sogleich die Erlaubnis, einen ganzen Tag auf diesen Ausflug zu verwenden, und mit Robert an der Spitze durchzogen die fröhlichen Blaujacken das ganze Eiland, indem sie singend und jubelnd alle Vögel aus ihrer Ruhe aufscheuchten, und dann von der halbverfallenen Hütte unseres Freundes feierlichst Besitz nahmen, um auf seinen leeren Weinkisten den mitgebrachten Mundvorrat auszubreiten und zu verzehren.

Nur am Abend, nachdem Robert der lustigen Schar die Geschichte des hier begrabenen Geistersehers erzählt, wurden doch die lauten Stimmen ernster, und mehr als einer der jungen Leute behielt von dieser Vergnügungsfahrt einen Eindruck, wie ihn stärker und nachhaltiger kein Gottesdienst hätte hervorbringen können. Am folgenden Tage lichtete der ›Meteor‹ die Anker und dampfte nach Europa, wo er im Hafen von Kiel wohlbehalten anlangte.

Robert hatte schon gleich nach Beendigung des Feldzuges darum nachgesucht, seine dreijährige Dienstzeit auf der Flotte ohne Unterbrechung vollenden zu dürfen, und da ihm das bewilligt worden war, so kam er als Bootsmannsmaat auf die Korvette ›Gazelle‹, welche im Sommer 1871 mit Kadetten nach Westindien und Brasilien abgehen sollte, auch Gerber wurde diesem Schiffe zugeteilt, und nur der Abschied von dem verehrten Kapitän Knorr verursachte unsenn lebhaft fühlenden Freunde einen wirklichen Schmerz. Er trennte sich von diesem ebenso strengen wie gütigen Vorgesetzten nur äußerst ungern, nachdem aber der Kapitänleutnant halb scherzend, halb ernsthaft gefügt: »Wir finden uns noch einmal wieder, Kroll, wahrscheinlich, wenn Sie bereits Deckoffizier sind, denn zur Handelsmarine kehren Sie ja doch nicht mehr zurück!« – da lächelte er getröstet. Wie doch dieser Mann in den Tiefen des Menschenherzens zu lesen verstand! Wirklich, es hätte jetzt ein harter Entschluß werden müssen, die sauberen, geordneten Kriegsschiffe mit ihrer unfehlbaren Gerechtigkeit, ihrer guten Verpflegung und interessanten, anregenden Aufgabe wieder gegen die Kauffahrer zu vertauschen, bei denen doch im Grunde die reine Willkür des Kapitäns gegen seine ganze Mannschaft in bezug auf ihr leibliches Wohl und Wehe den Ausschlag gibt.

Aber daran brauchte er vor der Hand nicht zu denken. Noch standen ihm fast drittehalb Dienstjahre bevor, und was dahinter lag, das fand sich später. Erst gab es einmal Urlaub in die Heimat, und an einem frischen, kühlen Aprilmorgen machte unser vielgewanderter Freund die Reise von Kiel nach Pinneberg, kam also diesmal aus entgegengesetzter Richtung in das kleine Städtchen zurück. Am Bahnhof stand der Alte, noch mit demselben großväterischen Rock, den er vor dreißig Jahren als Bräutigam eigenhändig genäht, noch mit dem riesigen Hut und den Vatermördern von Anno Tobak, die er sich nur gestattete, wenn irgend eine besondere Festlichkeit gefeiert werden sollte, – ein Spießbürger und Philister vom reinsten Wasser, aber doch sein Vater, sein lieber, guter Vater, dem er sich in die Arme warf und ihn jubelnd begrüßte, wer es auch sehen und vielleicht spötteln mochte.

Aber freilich, während dieser Zeit tat das niemand. Zu viele Herzen hatten im Wiedersehensjubel, nach langer schwerer Trennung von ihren Lieben, den ganzen Hochgenuß des Erdenglückes selbst empfunden, zu viele hatten heimlich den Todesstoß erhalten, wenn so die Bahnzüge mit Beurlaubten in die Heimat ankamen, und ihr suchendes Auge vergeblich die Reihen überflog, um den einen, Geliebten, die teure, unvergeßliche Gestalt des Erwarteten endlich zu finden, wenn von Wagen zu Wagen die Nachforschung vergeblich war und niemand – niemand Kunde gab von dem, den längst der Todesengel auf weißen Fittichen emporgetragen in die ewige Heimat.

Es lächelte keins, als Robert so leichtfüßig heraussprang und den Alten umhalste und küßte, viele aber drängten sich herzu, um ihre Glückwünsche, die Worte innigster Teilnahme, gleich beim ersten Wiedersehen auszusprechen.

Und Meister Kroll schaute so stolz drein, er schien allen Leuten, die einst sein schweres Weh gesehen, setzt auch zurufen zu wollen: »Nun ist's aber anders geworden, was?«

Und dann, nachdem der erste Rausch verflogen, drängte er zur Eile. Mütterchen in ihrer altgewohnten Bescheidenheit, in dem ganzen Vorurteil des kleinen abgeschiedenen Örtchens, hatte es ja nicht schicklich gefunden, am hellen Morgen schon im besten Putz spazieren zu gehen, als gäbe es vor dem Herd und in der Küche gar keine Arbeit mehr, sondern sie war daheim geblieben, kochte und buk und lief, als sie das Pfeifen der Lokomotive hörte, in jeder Minute ans Fenster, um zu spähen, ob er noch nicht komme, ihr Sohn, ihr Einziger.

Wie war das alles jetzt so ganz anders als damals im vorigen Herbst, wo Robert nur bis auf den Flur gelangte, wo er trotzig und zürnend davonging, ohne im väterlichen Hause auch nur einen Labetrunk erhalten zu haben. –

Mütterchen wischte mit dem Schürzenzipfel die Tränen aus den Augen. Aber als nach ein paar Minuten endlich die Erwarteten erschienen, als sich die Nachbarinnen an die Fenster drängten und einzelne miteinander flüsterten, da flossen sie doch wieder, die klaren Perlen, und das erste Wort von den Lippen seiner Mutter, ihren ersten Willkommen hörte Robert, ohne den Inhalt mehr als nur zu ahnen.

Jetzt hatte er gutgemacht, was er früher verschuldet, in dem Blute, das der junge Mann für Kaiser und Vaterland vergossen, hatte er den leichtsinnigen Streich wieder abgewaschen, den einst der Knabe begangen.

Jetzt durfte er für längere Zeit ausruhen, durfte mit Recht und nachdem er seine Schuldigkeit getan, nun auch die erlaubten Mußestunden genießen. Und was hatte er nicht alles zu erzählen, wie wurde der schlanke, braune Unteroffizier mit der südlichen Hautfarbe und dem gewandten Benehmen bald der Held des Tages, dem alles die Hand schüttelte, und den jeder gern kommen sah.

Er verlebte in dem kleinen, engen Heimatstädtchen wahrhaft glückliche Tage, aber dennoch begann die Sehnsucht nach dem Wasser in seiner Seele schon sehr bald leise wieder zu murren, und als der Juni herankam, da ging es fort nach Kiel, um auf der ›Gazelle‹ den Dienst anzutreten. Diesmal begleitete ihn der Alte bis an die blaue Ostsee. »Das Schiff geht für zwei Jahre fort,« meinte er, »und ist's gut, wenn sich der Mensch auf alles vorbereitet. Mich deucht, ich werde dich nicht wiedersehen, mein Junge, habe so eine Ahnung, die nicht mehr weichen will.«

Robert suchte ihm den trüben Gedanken auszureden, aber der Alte schüttelte den Kopf. »Ich sterbe ja nicht, weil wir davon sprechen,« fügte er lächelnd, »aber doch will ich dir jetzt schon mitteilen, daß meine Ansichten und Absichten in vieler Beziehung anders geworden sind. Die Mutter behält, so lange sie lebt, alles was ich hinterlasse, nach ihrem dereinstigen Ableben aber magst du in Gottes Namen das Haus verkaufen, das Kapital kündigen und dir einen Anteil an einem Schiff dafür erstehen. Ich segne noch mit warmer Hand, wie man zu sagen pflegt, diesen Plan und – das war's, was ich dir als Abschiedsgruß mit auf den Weg geben wollte.«

Robert umarmte innig gerührt seinen treuen, alten Vater. »Ich glaube ja nicht an deinen Tod,« flüsterte er, »im Gegenteil, du hast eine ausdauernde Gesundheit, und wirst wie dein Vater und Großvater gewiß ein hoher Achtziger werden, aber dennoch möchte ich dich bei dieser Gelegenheit nach Einem fragen. Hast du mir den Schmerz und die Schande, welche ich dir damals bereitet, so recht von Herzen verziehen? Ist auch das letzte trübe Andenken verwischt?«

Meister Kroll lächelte wehmütig. »Mehr noch, mein Junge,« sagte er nach einer Pause, »mehr noch. Auch ich habe eine ernste Lehre erhalten. Mein Eifer für dein Wohl war immer der ehrlichste, aufrichtigste, aber vielleicht –«

»O Vater, Vater,« unterbrach Robert, »um Gottes willen, verteidige dich nicht deinem schuldigen Sohne gegenüber.«

»Laß mich ausreden, Kind. Ich habe erkannt, daß selbst die reinste Absicht den Menschen irre zu leiten vermag, – ich bin vielleicht aus voller, herzlicher Väterliche oft willkürlich verfahren, und auch mir hat die gütige Vorsehung zu weisem Zweck jene Zeit des Schmerzes gesandt. Aber nicht wahr, mein Sohn, wir haben uns jetzt verstanden und werden uns geistig nie wieder trennen, ob auch vielleicht unsere Blicke sich auf Erden nicht mehr begegnen? Versprich mir das.«

Fest verschlungen lagen die Hände des Vaters und des Sohnes ineinander. Erst jetzt, in der Scheidestunde, hatten sich diese beiden stolzen und trotzigen Charaktere gegenseitig ganz ausgesprochen, und Robert fühlte wohl, was ihm mit dem gemachten Geständnis sein eigensinniger, in so ganz anderen Verhältnissen erzogener Vater geschenkt. Er flüsterte wie ein reuiges Kind Worte voll Liebe und Zärtlichkeit, er vermochte kaum sich loszureißen, als endlich die unerbittliche Trennung heranrückte. »Grüß noch viel tausendmal die Mutter,« preßte er hervor, »und denk nicht an trübes, nicht an den Tod, Vater. Wir sehen uns wieder.«

Meister Kroll nickte sehr ernst. »Wir sehen uns wieder,« sagte auch er, »das ist meine feste Zuversicht. Und nun laß es uns kurz machen, mein Junge. Behüt dich Gott auf allen deinen Wegen, und bleib gut, bleib ein braver Mensch!«

»Das will ich Vater!« beteuerte Robert. »Das will ich gewiß. Mit mir zieht ja dein bester Segen!«

Nochmals drückte der alte Mann die Hand des Sohnes. »Leb wohl, mein Kind! – Leb wohl!«

Er wandte sich, um zu verbergen, daß seine Fassung schwankte, er sah auch nicht mehr zurück, sondern ging langsamen Schrittes davon. »Weh tut's doch,« dachte er, » bitter weh, daß das alles so kommen mußte und nicht anders. Ich habe von Herzen vergeben und von Herzen gesegnet, aber Gott weiß, welche Kämpfe es kostete. Glaube doch, ich hätte mich noch im Grabe gefreut, den Jungen als Schneidermeister zu sehen, der sich sogar bis zu der Kundschaft des gestrengen Herrn Bürgermeisters und des Branddirektors aufgeschwungen haben würde. Aber das wäre wohl zu viel Glück gewesen, – es sollte nicht sein.«

 


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