Sophie Wörishöffer
Robert des Schiffsjungen Fahrten und Abenteuer auf der deutschen Handels- und Kriegsflotte
Sophie Wörishöffer

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Elftes Kapitel

Bei den Comanchen

Schritt für Schritt der Wanderung unserer vier Freunde zu folgen wäre um so weniger lohnend, als ja eine solche Reise durch Urwald und Prärie der anderen vollständig zu gleichen pflegt und wir bereits Gelegenheit hatten, die Lage im allgemeinen zu schildern. Nur selten konnten die Wanderer eine Strecke weit mit der Postkutsche fahren, meistens mußten sie auf des Schusters Rappen ihre gemessene Anzahl von Meilen zurücklegen, und besonders für Gottlieb war dies äußerst unbehaglich. Er verwünschte während der ersten Tage aus Herzensgrund seine Nachgiebigkeit gegen Roberts verwegene Pläne, er gab zehnmal in einer Stunde das Leben verloren und hoffte auf nichts mehr; aber allmählich gewöhnte er sich, wie dies in der menschlichen Natur liegt, an das Unvermeidliche und fing an ein besserer Kamerad zu werden.

Nachdem er zuerst jedes Rascheln in den Zweigen für das Herannahen eines Bären oder sonstigen Raubtieres erklärt, nachdem er hundertmal geglaubt, das Stampfen der Büffelherde zu bemerken oder auf eine Schlange zu treten, erkannte er endlich das Lächerliche dieser immerwährenden Angst und schwieg wenigstens, bis allmählich die Sache zur Gewohnheit wurde und keine große Aufregung mehr hervorrief.

Robert war geradezu entzückt. Diese Sommernächte unter freiem Himmel, dies Wandern auf taufeuchtem Moos und in erster Morgenfrühe, wenn der Vogelchor erwachte und die Sonne langsam emporstieg aus den Schleiern der Nacht, – es berauschte ihn neu mit jedem Male. Und wie jubelte er, wenn seine Kugel den prächtigen Braten erlegt, wie stolz befestigte er an seiner Mütze die erste Adlerfeder!

Zwar hatte er ja in Norwegen schon früher den königlichen Vogel besiegt, allein der Körper desselben war, wie wir wissen, in den Spalten der Felsschlucht verloren gegangen, – hier aber konnte er seine Jagdbeute aus blauer Höhe herab sich zu Füßen fallen sehen, hier genoß er die volle Freude des glücklichen Schützen.

Und endlich kam auch der Tag, wo der Jaguar erklärte, daß vor Sonnenuntergang das Dorf der Comanchen erreicht sein werde. Gottliebs alte Unruhe überfiel ihn ruckartig noch einmal wieder, aber er hatte Besonnenheit genug, um sie ganz für sich zu behalten. Als der Rauch aus den Hütten der Rothäute zwischen den Gebüschen sichtbar wurde, da fing er an leise zu singen, und Robert und Mongo wechselten verstohlen einen lächelnden Blick. »Immerhin ein Fortschritt,« flüsterte unser Freund, »er jammert mindestens nicht mehr.«

Doch dazu schien auch wirklich keine Veranlassung vorhanden. So friedlich lag das Indianerdorf in der Talmulde, so stolz und ruhig, ganz entgegengesetzt den Wilden auf der Insel der Magelhaensstraße, erschienen die Gestalten der Männer, so anmutig zart die Frauen, daß Robert unwillkürlich staunte. Ihre schwarzen, schlichten Haare mit Perlen und Muscheln durchflochten, bis zu den Knöcheln verhüllt von den Falten eines selbstgewebten leichten Stoffes, schlank und anmutig, trugen diese Frauen entweder in Steinkrügen das Wasser aus dem Quell herbei, oder sie flochten Netze, Jagdtaschen und Körbe, sie stickten Mokassins und buken Maiskuchen zwischen zwei heißen Steinen. Von Männern waren nur wenige zu sehen, während einige Kinder im Sande umherspielten und die ganz kleinen Geschöpfe, welche noch nicht allein zu gehen vermochten, in Körben an den nächsten Bäumen aufgehängt waren.

Überall liefen Haustiere frei umher, Pferde weideten unfern der Hütten, eine Ziegenherde erkletterte die Abhänge.

Die beiden Hunde des Trappers, von ihren Kameraden unten im Dorfe mit lautem Gebell herausgefordert, sprangen voran und machten so gewissermaßen die Meldung von dem Eintreffen der kleinen Karawane, aber obgleich mehrere Indianerinnen die Gäste herankommen sahen, so zeigte doch niemand das geringste Erstaunen, schien niemand die Ankommenden überhaupt zu bemerken.

Der Jaguar schien das voraus gewußt zu haben und keineswegs befremdlich zu finden. »Meine roten Brüder leben gegenwärtig mit allen ihren Nachbarn im Frieden,« sagte er, »sie haben die Streitaxt begraben und wissen daher, daß sie nicht auf ihrer Hut zu sein brauchen. Der rote Mann ist nicht neugierig.«

Roberts Teilnahme war auf das höchste erregt. Welch ein weites Feld für die Befriedigung seiner alles umfassenden Wißbegier, wieviel Neues, Großartiges und Unbekanntes, das sich hier für ihn auftat.

»Jaguar,« fragte er, »hast du im Dorfe eine Hütte? Und bist du eigentlich Familienvater? Erwarten dich zu Hause Frau und Kinder?«

Der Trapper ging lange schweigend an unseres jungen Freundes Seite. »Einen Wigwam hat der Jaguar auch in diesem Dorfe,« versetzte er endlich, »aber – Kinder erwarten ihn nicht darin. Es brennt kein Feuer, das für ihn entzündet worden wäre, es harrt seiner kein zubereitetes Wild oder eine gestopfte Pfeife. Das Weib des Jaguars liegt seit dreißig Jahren im Walde unter den höchsten Bäumen begraben.«

Robert drückte stumm des anderen Hand. Es tat ihm leid, gefragt zu haben, und jetzt änderte er sofort den Gegenstand des Gespräches. Mit der Vergangenheit des Jaguars verknüpfte sich nach seiner Meinung überhaupt ein düsteres Geheimnis, deshalb war es geboten, jede dahin zielende Frage aus Zartgefühl gänzlich zu vermeiden.

»Auch nicht einmal die Kinder drängen sich herzu,« sagte er, »Diese Verschlossenheit muß doch tief im Blute liegen.«

»Nur mich schienen die kleinen Wesen mit ihrer besonderen Aufmerksamkeit zu beehren!« lächelte Mongo. »Einige flüchteten bereits in die Hütten hinein.«

Gottlieb beobachtete, viel dreister geworden, alles was sich seinen Blicken darbot. »Besser als bei den Patagoniern ist's,« versicherte er, »aber doch alles nur lottrig und schlottrig angelegt. Die faulen Kerle sollten, anstatt so auf den Büffelhäuten herumzulungern und zu rauchen, lieber ihren Zelten feste Wände bauen. Ich glaube, man arbeitet hier gar nicht.«

Das alles war aber weislich in deutscher Sprache zutage gefördert, so daß nur Robert es verstand.

»Hast du die roten Schufte gesehen?« flüsterte der erboste junge Pinneberger weiter, »sie lagen hinter jedem Zeltvorhang und ließen sich's wohl sein.«

Robert lachte. »Der Indianer arbeitet nicht,« versetzte er. »Krieg und Jagd sind seine einzigen Beschäftigungen, wahrend dagegen die Frauen das besorgen, was zum Hauswesen gehört. Ich bin sehr neugierig, das merkwürdige Volk kennen zu lernen.«

Gottlieb schüttelte sich. »Diese Malereien auf Brust und Armen sind abscheulich,« versetzte er. »Und wie mag es mit der Reinlichkeit beschaffen sein?«

Robert sah zu den himmelhohen Häuptern der Sierra Nevada empor. »Wie mag es mit dem verheißenen Golde beschaffen sein?« seufzte er. »Es wäre geradezu furchtbar, wenn wir uns darin getäuscht hätten.«

»Und das sagst du? Du, der diesem Wilden alles aufs Wort glaubte?«

»Dies geschieht auch jetzt noch, aber wer weiß, ob der Jaguar die Sache genau kennt, ob es wirklich Gold ist, das hier den Boden durchzieht?«

Gottlieb senkte den Kopf. »Ich mache mich auf alles gefaßt,« versetzte er.

Jetzt wurde das Gespräch der beiden für den Augenblick unterbrochen, denn der Wigwam des Jaguars war erreicht, und dieser ließ seine Gäste eintreten. Niemand von den Dorfbewohnern kümmerte sich um sie.

In dem Zelt von Büffelfellen befand sich durchaus nichts, vielmehr zeigte das üppige Moos des Fußbodens, daß sich dort seit längerer Zeit kein menschliches Wesen mehr aufgehalten habe. Unsere Freunde mußten verschiedene Käferarten und Eidechsen aus ihrer Häuslichkeit aufschrecken, bevor es ihnen gelang, ein Plätzchen zum Ausruhen der ermüdeten Glieder zu finden.

Nachdem er den dreien in dieser Weise seine Hütte zur Verfügung gestellt, entfernte sich der Jaguar, um zunächst für etwas Bequemlichkeit und für Lebensmittel zu sorgen. Die Goldgräber blieben einen Augenblick allein.

»Ein schönes Mauseloch, das hier,« murrte Gottlieb. »Wenn man sicher ist, nicht skalpiert und gemartert zu werden, so macht man mehr Ansprüche, als auf dem glatten Boden auszuruhen, nachdem man einen Spaziergang von zweihundert Meilen zurückgelegt hat. Das ist ja, als sei die ganze Bevölkerung taubstumm.«

Robert lachte. »Vermissest du die Neugier, womit sich in Deutschland sofort alles zusammendrängt, wenn irgend etwas Unerwartetes geschieht?« fragte er.

Gottlieb errötete. »Man spricht doch gern ein Wort, man verkehrt gesellig mit den Nachbarn und hilft einander aus,« brummte er. »Die Leute könnten wohl ein paar Stühle herbringen, finde ich.«

»Wenn sie nun aber selbst keine besitzen?« spöttelte Mongo, »Wenn sie nun entweder stehen oder auf Büffeldecken kauern?«

»O du großer Gott! Und das soll auch unser Los werden?«

»Wir können uns ja ungehindert mit hölzernen Sitzen versorgen, mein Bester. Auf mich macht das alles hier einen sehr guten Eindruck, wie ich offen bekennen muß.«

»Auf mich auch!« rief Robert. »Du bist nur noch allzusehr verwöhnt, Gottlieb, das tut es. Wenn du, wie Mongo und ich. unter den schmutzigen Lappen gelebt hättest, so würde dir dies hübsche, friedliche Dorf schon besser gefallen.«

Der junge Pinneberger senkte seufzend den Kopf. »Ich sehe nur noch gar keine Vorbereitungen für unseren eigentlichen Zweck,« gestand er. »O großer Gott, wann werde ich endlich meinen armen Eltern das erste Geld schicken können? – Hier umgibt uns die offenbare Wildnis, hier hat alle Gesittung, alle Arbeit ein Ende, – Himmel, wie wird es uns ergehen?«

Er legte den Kopf in beide Hände und schwere Tränen fielen durch die Finger herab. »Daß hier so gar keine Anzeichen von Beschäftigung oder Rührigkeit irgend einer Art aufzufinden ist,« bebte es von seinen Lippen, »das lähmt mich förmlich. Und wenn wir wirklich heute Gold aus dem Boden graben, so wird es uns ja aus der unverschlossenen Hütte in nächster Nacht wieder gestohlen.«

Hinter dem Verzweifelten teilten sich die Zeltvorhänge. Der Jaguar erschien, beladen mit Büffelfellen und Lebensmitteln. An seinem Arm hing eine sogenannte Kalebasse (ein ausgehöhlter großer Kürbis) voll frischen Wassers. »Mein junger Freund mag sich beruhigen,« sagte er mit weichem, freundlichem Tone, »alle seine Wünsche sollen erfüllt werden. Das rote Gold im Erdenschoße harrt seiner, und was er findet das gehört ihm allein. Der Indianer bestiehlt keinen Fremdling, welcher in seinen Dörfern weilt.«

»Und nun, meine Freunde, eßt und trinkt!« setzte er hinzu.

Robert und Gottlieb sahen einander etwas fassungslos ins Auge. Verstand der geheimnisvolle Mann, in dessen Hütte sie sich befanden, die deutsche Sprache? – Offenbar hatte er Gottliebs letzte Worte gehört.

Aber nachzufragen wäre unbescheiden gewesen. »Wir danken dir von ganzem Herzen, Jaguar,« rief Robert. »Wir hoffen zuversichtlich, daß uns eine reiche Ausbeute zuteil werde.«

Der Trapper neigte den Kopf, wie er immer tat, um seine Zufriedenheit, seine Beistimmung zu erkennen zu geben. »Der Jaguar wird morgen in aller Frühe die Häuptlinge der Comanchen zusammenrufen,« antwortete er, »und wird mit ihnen und seinen weißen Freunden die Friedenspfeife rauchen. Danach kann die Arbeit im Schoße des Gebirges ihren Anfang nehmen. Das Gold liegt überall.«

Gottlieb hob das heiße, noch von Tränen feuchte Gesicht zu dem des Trappers empor. Der schlimme Eindruck, welchen das schweigsame Dorf auf ihn gemacht, arbeitete in seiner Seele so stark, daß es ihm unmöglich war, denselben stumm in sich zu verschließen. »Jaguar,« flüsterte er leise und leidenschaftlich, »Jaguar, ist es wirklich so, wie Ihr sagt? Ist Gold – viel Gold hier zu finden?«

Der Trapper lächelte. »Du kannst ein reicher Mann werden,« versetzte er, »es hängt nur von dir ab.«

Die Worte waren so voll einfacher Würde, trugen so sehr den Stempel der Wahrheit, daß Gottlieb laut aufschluchzte. Ehe er vielleicht über das, was er tat, selbst nachgedacht hatte, ergriff und küßte er die Hand des Trappers.

»Gott segne dich, Jaguar,« preßte er mühsam hervor.

Robert lächelte gerührt. Er selbst war durch die schweren Schicksale, welche er bereits erlitten, mehr zum Manne herangereift, er war in sich fester und ruhiger als Gottlieb, dem noch das schüchterne, kindliche Wesen des unerfahrenen Knaben anhaftete. Auch jetzt, so sehr ihn heimlich die erneute Versicherung des Pelzjägers freute, begnügte er sich mit einigen kurzen, dankenden Worten. Darauf begann das Mahl, dem alle gleich tapfer zusprachen, und nachdem es beendet, wurden die Büffeldecken als Ruhestätten ausgebreitet.

Eine Nacht voll festen, traumlosen Schlafes folgte diesem ersten Eintritt in das Dorf der Rothäute.

Am folgenden Morgen bildete sich inmitten der kleinen Niederlassung ein Halbkreis ernster, schweigsamer Gestalten, die alle, bewaffnet mit Kugelbüchse und Tomahawk (Wurfhammer), in verschiedener Weise tätowiert, ähnlich wie der Jaguar gekleidet, nur mit langem, schwarzen Haar und nacktem, von einem Pelzmantel lose umgebenen Oberkörper – am Boden Platz nahmen, und ohne ein einziges Wort der Unterhaltung stumm dasaßen. Die Arme gekreuzt, mit der Würde eines Fürsten, harrte jede dieser Rothäute dessen, was da kommen werde.

Mitten im Kreise lag eine Pfeife.

Endlich erschien der Jaguar und mit ihm unsere drei Freunde. Roberts Blicke verschlangen, wie man zu sagen pflegt, das Bild, welches sich ihm darbot, Mongo war ein ruhiger Zuschauer, und Gottlieb murrte in sich hinein, da der Trapper deutsch verstand und also eine vertrauliche Mitteilung gegen einen der übrigen nicht mehr statthaft erschien.

Da sitzen die großen Lümmel, dachte unser biederer, junger Pinneberger, dem jegliches andere Interesse, als das am Nutzen, am Bürgerlich-Wohlanständigen durchaus fehlte, da sitzen sie und halten Maulaffen feil. Gott stehe mir bei, ihrer zwanzig erwachsene Kerle, alte Leute sogar, und betreiben nichts, sind nichts, arbeiten nichts. Da ist es kein Wunder, wenn die rote Rasse langsam ausstirbt.

Und nachdem er diesen, in seiner eigenen Meinung durchaus richtigen Schluß gezogen, besah er sich ziemlich dreisten Blickes die versammelte Schar, in deren Kreis der Trapper auch ihn und die beiden anderen Goldgräber einführte.

Keiner der Indianer schien die Neuangekommenen zu bemerken.

Und dann hielt der Jaguar eine lange Rede, von der natürlich die drei Fremden kein einziges Wort verstanden. Robert horchte nur mit reger Aufmerksamkeit den Lauten dieser seltsamen Sprache, welche ganz aus Vokalen zu bestehen schien und die bei der vorwiegenden Gleichartigkeit aller Silben gewiß außerordentlich schwer zu erlernen sein mußte. Der Trapper schilderte ohne Zweifel die seltsame Art und Weise, wir er die Goldgräber kennen gelernt, und fügte dann zum Schluß in fragendem Tone noch etwas hinzu, das sicherlich nur eine Deutung haben konnte: ob nämlich die Rothäute wagen wollten, auf seine, des Jaguars Bürgschaft hin, den Weißen zu erlauben, in ihrem Gebiet nach Gold zu suchen.

Als er geendet, erhob sich der Älteste des kleinen Kreises und antwortete ihm, worauf sich ein längeres Hin- und Herreden entspann, das schließlich in allgemeine Abstimmung überging. Ihr Ergebnis mußte sehr zufriedenstellend sein, denn der Jaguar wandte sich jetzt zum erstenmal an die stumm dasitzenden Goldgräber.

»Meine roten Brüder sind bereit, mit euch die Friedenspfeife zu rauchen,« sagte er, »sie bieten euch die Gastfreundschaft ihres Wigwams, sie versprechen euch, daß ihre Squaws (Frauen) für euch kochen und den Damper backen, daß sie euch Jagdtaschen und Mokassins sticken und eure Kürbisflasche mit frischem Wasser füllen sollen, sie wollen mit euch Salz essen und auf die Jagd gehen, aber vorher müßt ihr geloben, keinem Weißen das Geheimnis dieser Goldschlucht zu entdecken. Die roten Männer werden seit langer Zeit von den Jagdgründen ihrer Väter vertrieben, werden Jahr um Jahr weiter zurückgedrängt in die Gebirge, – es ist daher billig, daß sie ihre Weideplätze so lange als möglich zu beschützen suchen. Erkennen meine Freunde diese Notwendigkeit?«

Mongo und die beiden Weißen beeilten sich, die gestellte Frage zu beantworten und das Versprechen völliger Geheimhaltung zu erteilen. Von ihnen sollte niemand das Dasein der goldhaltigen Stelle, überhaupt ihre Anwesenheit in dem Indianerdorfe erfahren, sie baten zugleich, den liebenswürdigen Gastgebern auf das herzlichste in ihrem Namen zu danken.

Der Jaguar übersetzte auch dieses, worauf die Pfeife in Brand gesteckt und von dem Ältesten der kleinen Versammlung, nachdem er selbst sie angeraucht, dem Nebenmann übergeben wurde, um so, aus einer Hand in die andere gelangend, den ganzen Kreis zu durchlaufen. Als jeder einzelne die üblichen drei oder vier Züge getan, war der Zweck dieser Feierlichkeit erfüllt, und nun konnten sich unsere Freunde als Angehörige des Indianerdorfes betrachten. Die einen boten ihnen Pferde und Hunde zur Jagd, die anderen legten ihnen Geschenke in Gestalt von Waffen, Büffelfellen und selbstgefertigten Arbeiten zu Füßen, immer aber bewahrten alle diese Leute das Wesen von Audienz erteilenden Fürsten, und ebenso sprachen sie nur, um das Allernotwendigste zu sagen, während ihnen eine eigentliche Unterhaltung ganz unbekannt schien.

Durch alle Wigwams wurden unsere Freunde geführt, und alle Frauen setzten sich zum Zeichen ihrer Unterwürfigkeit ihnen zu Füßen oder küßten die Zipfel der Lederröcke. Nur Mongo erhielt von dieser Äußerung des Respekts keinen Anteil. Einmal drängten sogar mehrere Frauen neugierig an ihn hinan, und eine derselben fuhr mit ausgestrecktem Zeigefinger über sein Gesicht, worauf dann alle sorgfältig die Fingerspitze prüften, offenbar um zu erkennen, ob die schwarze Farbe echt sei. Der Neger nahm mit gutmütiger Ruhe diesen kleinen Scherz als das, was er wirklich war, nämlich kindliche Unwissenheit, – die beiden jungen Leute dagegen wollten sich vor Lachen ausschütten, besonders als die Indianerin, welche Mongos ehrliches Gesicht berührt hatte, sich heimlich die Hand an ihrem Kleide reinigte.

Nachdem das ganze Dorf in Augenschein genommen, ging es hinaus zu den Abhängen der Sierra Nevada. Der Jaguar und mehrere Indianer führten ihre Gäste bis in ein malerisches Tal, das vielleicht noch nie zuvor der Fuß eines Weißen betreten. Himmelhoch wölbten sich über den Häuptern der Männer die bewaldeten Gebirgszüge, unabsehbar fast erschienen in schwindelnder Entfernung die Baumwipfel auf unzugänglichen Kuppen; ganzen Wäldern gleich wogten die grünen Laubmassen auf vorspringenden Felsen, auf freien Flächen und jähen Abstürzen. Überall wuchs es und blühte und duftete in hundert Formen und Gestalten, überall bedeckte Moos den Boden und regte sich verschiedenartigstes Tierleben.

Der Trapper schien seinen Schützlingen eine unerwartete Überraschung bereiten zu wollen. Er stieß das schwere Jagdmesser tief in die lockere Erdschicht des Felsens hinein und warf Moos und Flechten mit der Hand zurück. Nachdem er dann von der härteren Unterlage ein Stückchen gewaltsam losgebrochen, hielt er es lächelnd ins Sonnenlicht.

»Robert,« sagte er, »schau her, mein Freund!«

Es blitzte und glänzte wie tausend Funken, es zog sich wie ein glühender Streif durch den Quarz dahin und blendete im ersten Augenblick förmlich den jungen Mann. Was hier der Trapper zwischen den Fingern hielt, das war mehr Gold, als sich in Lenchi während einer ganzen Stunde aus der Erde graben ließ.

Ein Schauder überrieselte Roberts ganzen Körper. So an den Pforten des ersehnten Paradieses zu stehen, gleichsam nur zugreifen zu dürfen, um das Glück beim Schopfe zu fassen, – das erschreckte ihn fast.

»Jaguar,« stammelte er, »Jaguar, – das ist Gold!«

Der Trapper nickte. »Für dich,« setzte er hinzu. »Für euch alle!«

»Gottlieb!« rief Robert, »Gottlieb, was sagst du dazu?«

Anstatt aller Antwort warf der junge Mensch den Rock von sich und begann mit fast wahnwitzigem Eifer den Boden aufzulockern, bis die Quarzschicht bloßlag, – dann erst wurde er ruhiger. »Jaguar,« rief er, »sprich, sag es mir noch einmal, – soll alles dieses wirklich uns gehören?«

Und mit beiden Händen die losgebrochenen Stücke emporhaltend, wühlend im goldhaltigen Gestein, gab er sich gänzlich dem Genusse des Augenblickes hin. Unbekannt mit den feineren Empfindungen, welche Roberts Seele durchfluteten, schwelgte er nur in dem Gedanken an den Reichtum, der ihm jetzt zuteil werden sollte. Am liebsten hätte er gleich angefangen zu graben.

»Aber wie bringt man das Gold aus dem Quarz heraus?« fragte er endlich den Trapper.

»Durch Klopfen,« erwiderte dieser. »Du schaffst die erbeuteten Stücke in unseren Wigwam und dort werden dir die Squaws helfen, das gelbe Metall von Schlacken zu säubern.«

Gottlieb blickte auf. Tief im Innersten seiner Seele regte sich immer noch das unbesiegliche Mißtrauen. »Warum in aller Welt lebst du Jahr aus Jahr ein neben dem unermeßlichen Schatze dahin, ohne ihn zu heben?« fragte er. »Warum tun es alle deine roten Freunde?«

Der Trapper lächelte. »Die farbigen Kinder des großen Geistes sind keine Kaufleute,« antwortete er, »sie arbeiten nicht und gehorchen keinem Zwange. Sie sind freie Männer, die auf dem Grund und Boden ihrer Väter leben, und ehe sie den Weißen dienstbar werden, viel lieber sterben, um in den ewigen Jagdgefilden wieder aufzuerstehen.«

Gottlieb schüttelte den Kopf. »Also sie arbeiten gar nichts?« fragte er.

»Nein, gar nichts. Die Arbeit ist Sache der Squaws.«

Gottlieb antwortete nicht mehr, aber was er im stillen Herzen dachte, das war für die armen Rothäute sehr wenig schmeichelhaft. »Ihr müßtet in die Tretmühle, wißt ihr das Wohl? Davon würden eure faulen Glieder schon geschmeidig werden und die königliche Haltung ein bißchen bescheidener. Lebt das Volk in den Tag hinein und läßt Gott einen guten Mann sein! – Hab' ich je dergleichen gesehen?« –

Und dann eilte er in das Dorf zurück, um Hacke und Schaufel und Korb zu holen, um zu arbeiten bis in die sinkende Nacht hinein und ganze Berge von Quarz aufzuhäufen. Er konnte unbekümmert das edle Metall draußen vor dem Zelt liegen lassen, niemand berührte es.

Auch Robert und Mongo waren nicht müßig. Während der Trapper an jedem Tag zur Jagd ging, wohl auch mehrere Nächte hintereinander fortblieb, und die Indianer entweder ein gleiches taten oder in ihren Wigwams auf den Büffelhauten lagen, türmte sich unter den rastlosen Anstrengungen unserer Freunde ein so großer Haufe von Quarz, daß jetzt endlich einmal an die Reinigung desselben gedacht werden mußte. Man arbeitete wieder wie in Lenchi gemeinschaftlich, und was den Gewinn betraf, in Teilung, so daß das ganze Unternehmen für jeden der drei Freunde von gleichem Interesse blieb.

Der Jaguar hatte aus weichem Antilopenleder einen Beutel künstlich gefertigt, und in diesem wurde das gewonnene reine Gold aufbewahrt. Sobald sich der Haufe von Quarz einigermaßen vergrößert, traf es einen der Freunde, auf mehrere Tage im Dorfe zu bleiben und mit den schweigsamen, sanften Frauen der Rothäute das Gold durch leichte Schläge aus dem bröckelnden Gestein herauszulösen. Robert sah es immer sehr gern, wenn ihm Gottlieb diesen Teil der Arbeit abnahm, während dagegen der junge Pinneberger weit lieber im Kreise der roten Damen den Angenehmen spielte, als daß er draußen die Hacke schwang.

Ein Büffelfell auf den Knieen, den schon hübsch rundlichen Sack mit Gold wie ein innig geliebtes Wesen in nächster Nahe, ihn zuweilen wägend, streichelnd, mit ihm liebäugelnd oder sein leises Klirren belauschend, saß er als eine Art von Alleinherrscher oder Fürst im Kreise der stummen, schüchternen Geschöpfe, die sich beeilten, seinem leisesten Winke zu gehorchen, und die er großmütig in den nützlichen Eigenschaften der Ordnung und Sauberkeit unterrichtete.

Ihre poetischen, allerliebsten Namen, ihre sanften Augen und ihr unbeirrbarer Gehorsam waren ihm recht angenehme Zugaben für das, was an Gebratenem und Gebackenem, sowie an der Arbeit bei den Quarzstücken die braunen Hände leisteten, aber trotzdem verachtete er die farbige Rasse zu gründlich, um jemals anders als von oben herab mit ihren Angehörigen zu verkehren. Während er im innersten Herzen die Männer ausschließlich mit den Bezeichnungen »langer Laban« oder »großer Lümmel« beehrte, ging er bei den Frauen und Mädchen nur wenig glimpflicher zu Werke.

»Du da,« hieß es wohl, »Magnolienblüte, sieh dich ein bißchen vor, hörst du, meine Beste. Es dürfen keine Stückchen Goldes bei Seite springen, oder du selbst mußt sie aus dem Grase wieder hervorsuchen.«

Und einer anderen sagte er: »Deine Kinder könntest du recht gern zu Hause lassen, Rehauge, ich mag die schmutzigen Bälge durchaus nicht leiden, namentlich wenn sie so unverschämt sind, mit ihren Bärentatzen in mein sauberes hübsches Gold hineinzugreifen. Ihr seid im ganzen recht gute, verträgliche Tierchen, nur müßtet ihr den Gebrauch der Seife besser kennen und eure Nasen putzen. – Ich danke dir bestens, Schwarzkätzchen!«

Diese letztere Gnadenbezeugung galt einer jungen Frau, welche immer sehr ordentlich und rasch fortarbeitete, ohne kleine Stückchen Goldes zu verstreuen oder ohne ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zuzuwenden. »Diese niedliche Person würde gut in einen Krämerladen hineinpassen,« dachte Gottlieb, »sie ist flink und behende und hat ein freundliches Gesicht. Aber was weiß die braune Sorte vom Handel? Was weiß sie überhaupt von einem christlichen, vernünftigen Leben? Unbegreiflich, wozu der liebe Herrgott diese Müßiggänger erschaffen hat.«

Während er auf solche Weise im Schatten dichtbelaubter Baume, auf schwellendem Moos und bestens verpflegt seine Tage unter den Frauen hinbrachte, hackte Mongo unverdrossen den leicht zerschlagenen Quarz aus dem Boden heraus und ließ inzwischen sehr häufig unseren Freund mit den Rothäuten zur Jagd gehen. Das waren für Robert allemal die höchsten Festtage. Sich so in Begleitung mehrerer Hunde, zuweilen auf dem Rücken eines wohldressierten Mustang (wildes Pferd) draußen in Wald und Steppe zu tummeln, den Hirsch, den Adler und häufig gar den Büffel oder braunen Bären zu erlegen, – ach, das entzückte ihn über alles. Mongo plauderte nicht; er ließ seinen Liebling gewähren, und wenn sich Gottlieb wunderte, daß so wenig Quarz geschlagen sei, dann sagte er: »Du mußt dich einmal selbst daran machen, mein Junge. Laß mich an deine Stelle treten und nimm du dafür meine.«

Das tat Gottlieb nicht gern. Er mochte sich von dem Goldsack keinen Augenblick mehr trennen, und fing an, Vorschläge zu machen, auf welche Weise ein Teil des bereits Erworbenen nach Pinneberg überführt werden könne. Seine sechshundert Taler war der angesammelte Vorrat immerhin schon schwer, also zweihundert konnte er den Eltern schicken, sie aus dem Armenhause erlösen, ihnen für die Zukunft goldene Berge versprechen, sie aus aller Not und Sorge auf einen Schlag herausreißen. Das war zu verführerisch, als daß es ihm länger Ruhe gelassen hätte. »Du, wie fangen wir es an?« fragte er unseren Freund. »Jetzt fehlt zum vollständigen Glücke nur noch die Postverbindung mit Deutschland! – Es wäre zu schön, Briefe schreiben und Briefe erhalten zu können!«

Robert seufzte leise. Die Mahnung an Pinneberg führte ihm alte trübe Bilder vor das geistige Auge, ließ ihn wieder zu recht erkennen, daß nichts auf Erden vollkommen ist, und warf über das Bild der lachenden Gegenwart einen düsteren Schatten. So durfte es, so konnte es nicht immer bleiben, und doch war es so schön! –

Ein breiter Fluß lief quer vor dem Dorfe dahin; die Rothäute besaßen Kähne und Ruder, – sie ließen ihren Gast oft ganze Tage lang mit denselben fahren, wohin ihm beliebte. Zwischen blühenden Ufern treibend, geschaukelt von den spielenden Wellen, die Büchse im Arm, Schießbedarf und Mundvorrat in Fülle neben sich, so lag er auf dem Rücken und war glücklich wie ein Gott. Erlöst von der Sorge um das tägliche Brot, frei, so frei wie der Vogel hoch über ihm im blauen Äther, unter guten, harmlosen Menschen, geliebt und von Herzen ihnen zugetan – was blieb zu wünschen noch übrig?

Und doch! – Und doch! –

Tief drinnen im Innersten seiner Seele lebte eine Stimme, die nie schwieg, und deren leise Vorwürfe er allen anderen, nur nicht sich selbst verbergen konnte. Sein Paradies war erschlichen, sein Glück gestohlen, er wußte es, und seltsam genug, in den höchsten Feierstunden drängte sich ihm die Wahrnehmung am stärksten auf.

Er arbeitete dann rastlos tagelang im Schweiße seines Angesichts, er brachte doppelt ein, was er versäumt hatte, aber der ersehnte Friede wollte nicht kommen. Grade jetzt, wo das Leben wie ein einziger Festtag erschien, drückte es ihn zuweilen gleich einer Zentnerlast. Mongo bemerkte das, und als Gottlieb von einer Sendung nach Deutschland zu sprechen begann, da sagte er so zufällig und indem er seinem jungen Schützling leise zunickte: »Du könntest dich jetzt aufmachen, Bob. Der Jaguar will hinunter nach Stockton und seine Felle verkaufen, – wie wäre es, wenn du ihn begleitetest?«

Robert errötete und erbleichte abwechselnd. »Mongo,« versetzte er nach einer Pause, »wenn ich von hier fortgehe, muß es – nach Hamburg sein. Ich würde in meinen eigenen Augen zum Schurken werden, könnte ich eine Heuer nehmen, die mich an einen anderen Ort brächte. Jetzt, wo das Gold vorhanden ist –«

Er brach ab. Den Kopf in die Hand gestützt, gab er sich ganz seinen erregten Gedanken hin. »Das eigene Urteil zu fällen und auch zu vollziehen, Mongo,« setzte er nach einer Pause hinzu, »es ist entsetzlich schwer.«

Der Schwarze nickte freundlich. »Du kannst ja immerhin von Stockton mit den übrigen wieder hierher zurückkehren, mein Bob!« sagte er.

Unser Freund schüttelte den Kopf. »So Unangenehmem entgegen zu gehen, Mongo,« seufzte er, »und aus einem so glücklichen Dasein heraus! – Gott weiß es, aber in Lenchi hatte ich das schmerzlichste Heimweh, sehnte ich mich nach Pinneberg, während hier der Gedanke daran ganz in den Hintergrund gedrängt worden ist.«

»So komme von Stockton wieder hierher!« beharrte der Neger.

»Aber auf wie lange? Die Sache bleibt immer die gleiche.«

Dann schwieg Mongo, als aber nach kurzer Frist der Jaguar erklärte, nunmehr in wenigen Tagen aufbrechen zu wollen, da sah er, daß jetzt die Trennung bevorstand. Ob der junge Brausekopf den Kampf zwischen Pflicht und Neigung würdig durchkämpfen könne, ob er fähig sei, dem Wunsche zu widerstehen und dem Gebote der Kindespflicht zu gehorchen, – wer wußte das?

Der Neger berührte die Sache nicht wieder, Robert dagegen schien gern so viel als möglich darüber sprechen zu wollen. »Du,« sagte er, als beide am letzten Abend allein waren, »ich glaube einen Ausweg gefunden zu haben.«

»Nun, mein Bob, so laß hören.«

Robert sah zur Seite, anstatt in das Gesicht des vor ihm Stehenden, – ein sicheres Zeichen, daß er mit sich uneinig war. »Mongo,« fuhr er fort, »ich denke mir die Sache so. Zugleich mit der Sendung Gottliebs an seine Eltern schicke ich meinem Vater etwa hundert Taler, also das, was ihm damals durch mich entzogen wurde, sage ihm wiederholt, daß ich den Knabenstreich bereue, und bitte ihn, mir zum Zeichen der Versöhnung einen Brief zu schreiben. Tut er das, so soll alles gut sein, – sonst aber –«

Eine Pause verging, dann sagte der Schwarze: »Nun, mein Bob, sonst aber?«

»Sieht mich Pinneberg nie wieder,« versetzte düster der junge Mann. »Du bist mein wahrer Freund, Mongo, der Jaguar hat mich gern, die Verhältnisse locken mit aller Macht, – soll ich mehr als Mensch sein, und von mir werfen, was mich beglückt, nur um eines Eigensinnes willen, den schwerlich irgend jemand gerechtfertigt finden würde?«

Der Neger lächelte trotz des tiefen Ernstes, welcher seine gutmütigen Züge beherrschte. »Du könntest das Leben unter den Wilden vollbringen wollen, mein Bob?« fragte er. »Du könntest dein Ziel für erreicht halten, indem du eine Hütte des Indianerdorfes bewohnst, und von deinesgleichen abgeschnitten wie eine Rothaut im Walde lebst? Du könntest endlich dem Meere entsagen wollen?«

In Roberts Augen blitzte es auf. »Nie!« rief er. »Nie! Aber warum nicht da sein Haupt zur Ruhe betten, wo ein weicher Pfühl winkt, warum nicht pflücken, wo Blumen blühen! Im Augenblick bin ich hier ein glücklicher Mensch, – laß mich's bleiben, so lange es möglich ist. Kommt die Sehnsucht nach neuen Gestaden in meine Seele zurück, so setze ich den Stab weiter, suche ein Schiff und treibe wieber anderen Verhältnissen entgegen.«

Der Neger schüttelte sehr ernst den Kopf. »Treibe wieder anderen Verhältnissen entgegen!« wiederholte er Roberts Worte. »Da hast du mehr gesagt, als in deiner Absicht liegen mochte, mein Bob. Nimm es dem alten Freunde nicht übel auf, aber dein Plan taugt nichts, Kind. Heißt das, sich für die Zukunft sicher stellen, heißt das, seinen inneren Menschen heranbilden und die äußeren Verhältnisse vernünftig ordnen, wenn man im Alter von neunzehn Jahren noch lebt wie ein Kind, das nur die Stunde begreift und nur von dem weiß, was es sieht? – Bist du nicht der Sohn deiner Eltern, die an dich geheiligte und begründete Ansprüche zu stellen haben, bist du nicht der Bürger eines zivilisierten Staates, und endlich, mein Bob, hat dir nicht Gott eine Seele geschenkt, die du vorbereiten sollst für den Lohn der Unsterblichkeit? Kannst du aber wohl alledem genügen, indem du dich irgendwie und irgendwohin treiben läßt

Roberts hübsches Gesicht war totenbleich geworden. »Mongo,« sagte er nach einer Pause, »es ist nicht das erste Mal, daß du in meine Seele einen Zwiespalt geschleudert, der mich seitdem nicht mehr verläßt. – Darf denn der Mensch nie ungestraft glücklich sein?«

Der Schwarze legte die Hand auf des bebenden jungen Mannes Achsel. »Im Gegenteil, mein Bob,« sagte er zuversichtlich, »im Gegenteil, der Mensch soll überall glücklich sein und zwar durch die Überzeugung des Rechten, des Guten. Das, was du den Zwiespalt deiner Seele nennst, ist nichts als das Bewußtsein entschiedensten Unrechtes. Und nun laß uns davon nicht länger sprechen, – solche Dinge muß der Mensch mit dem eigenen Gewissen ausmachen.«

Er ging, und unser Freund blieb in ärgster Verstimmung allein zurück. Welch ein paradiesisches Leben umgab ihn hier, wie konnte er jeden Wunsch, jede Laune ungehindert befriedigen, wie vereinigte sich alles, um seinen Neigungen zu schmeicheln. Freiheit, Ungebundenheit, der weite, grüne Wald mit tausend jagdbaren Tieren, die Ebene voller Büffel und Antilopen, der Fluß und das Gebirge, von dessen höchsten Zinnen er herab sah auf die Baumgipfel im Tal, auf das Dorf und die ganze Sonntagsfeier der Schöpfung, – wie schien das alles so göttlich, so großartig, wie berauschte es sein Herz. – –

Und doch sollte er es freiwillig vertauschen mit dem Schwersten, was die Erde kennt, dem Geständnis des eigenen Fehlers, doch sollte er fort, und von hier, wo er glücklich war, nach Pinneberg gehen, um sich einen Sünder, einen Missetäter nennen, um sich von der ganzen Bewohnerschaft des kleinen Städtchens angaffen und moralisch maßregeln zu lassen. »Robert Kroll ist wieder da,« würden die Leute sagen, »Robert Kroll, der vor drei Jahren seinem Vater das Geld aus dem Kasten stahl und heimlich auf und davon ging. Jetzt wird er wohl erkannt haben, was die Heimat wert ist, wird sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens zurücksehnen und de- und wehmütig wiederkehren, um Buße zu tun.«

Es war ihm, als hörte er die spöttischen Worte und als sähe er all die bekannten Gestalten, wie sie sich neugierig herzudrängten, um zu fragen, zu horchen, Gedankenzusätze zu machen und wohl gar voll heiligen Eifers ihre Ermahnungen vom Stapel zu lassen.

Das Blut kreiste schneller in seinen Adern, Schweiß trat ihm auf die Stirn. Wenn vielleicht gar der Vater unversöhnlich blieb, wenn ganz Pinneberg erfuhr, daß er das Haus seiner beleidigten Eltern nicht betreten durfte?

Ungeduldig wanderte er auf und ab. Alle diese Gedanken waren ihm nicht gekommen, als es in Lenchi so traurig ging, – damals hätte er jeden Tag abreisen können, damals hatte er schwere Opfer gebracht, um trotzig die Summe, welche er nicht besaß, seinem Vater auf den Tisch zu zählen, aber jetzt war das alles anders. Ein Leben, das ihn beglückte, dessen Zauber er stündlich neu empfand, eine Welt, in der sich seine Wünsche spielend verwirklichten, sollte er selbstverleugnend aufgeben, um den Kampf, dem er kaum entronnen, geflissentlich wieder heraufzubeschwören? –

Er schüttelte den Kopf. Wenigstens noch nicht, nein, noch nicht. Das Leben unter den Rothäuten würde vielleicht bald seinen Reiz verlieren, dann war es immer früh genug, die schwere Pflicht, welche ihm bevorstand, zu erfüllen. Einstweilen wollte er die Freuden der Reise bis nach Stockton so recht unbekümmert zu genießen suchen und sich den antwortenden Brief des Vaters für Ende September oder Anfang Oktober – zu welcher Zeit der Trapper eine zweite Fahrt beabsichtigte – erbitten. Sein Entschluß stand fest, und nun wurde er ruhiger. –

»Wenn ich zurückkomme, seid ihr bereits reiche Leute,« sagte er, als sich spät abends alle drei im Zelt zur Ruhe begeben hatten. »Du, Gottlieb, denkst dann vielleicht gar schon an eine zweite Sendung nach Pinneberg.«

Der junge Krämer war nicht eben in bester Stimmung. Mit dem tatkräftigen, entschlossenen Freunde ging ihm ein zu starker Halt verloren, als daß er die Veränderung ohne Unruhe hätte ertragen können. »Wenn nur nichts passiert!« seufzte er. »Der Trapper fort und du fort, – das ist unangenehm.«

»In längstens fünf Wochen bin ich ja zurück, Gottlieb.«

»Du? – Ich glaub's nicht.«

»Aber du wirst es sehen. Ich will noch länger in diesen Gebirgen herumstreifen, noch mehr Büffel und Hirsche schießen, – meinst du nicht auch, Mongo?«

»Hm, du junger Spitzbube, ich weiß nicht recht.«

Robert fuhr auf, offenbar gereizt. Er, der sonst so harmlos, so gutmütig war, nahm in letzterer Zeit alles übel.

»Ihr glaubt mir nicht?« rief er. »Wohlan, so –«

Des Negers Hand legte sich im tiefen Dunkel der Hütte ungesehen auf des erregten jungen Mannes Lippen. »Keinen Schwur, mein Bob.« flüsterte halb bittend, halb befehlend der Alte, »keinen Schwur!«

Robert wagte nicht, dem väterlichen Freunde zu widersprechen, aber er schwieg grollend. »Sie glauben, daß ich heimlich fortgehe,« dachte er, und das verdroß ihn über alle Maßen. »Ich will den beiden zeigen, daß ich ein Mann bin!«

Auch Gottlieb kroch leise an des Jugendgefährten Seite. »Robert,« flüsterte er, mit beiden Händen dessen Arm umklammernd, »Robert, wenn du nach Pinneberg kommst – sei nicht gleich so bös, ich sage ja wenn – dann besuche meine Eltern, obwohl sie im Armenhause wohnen, und erzähle ihnen von mir, willst du das?«

Unser Freund lachte, halb und halb ärgerte er sich. »Natürlich würde ich das tun, Gottlieb,« antwortete er. »wenn ich nämlich die Absicht hätte, nach Hause zu reisen. Aber daran wird gar nicht gedacht.«

Der schüchterne Gottlieb drückte seine Hand. »Laß uns einmal annehmen, du wärest wirklich dort,« versetzte er, »gleichviel ob es später geschieht oder nicht, – aber würdest du in das Armenhaus gehen, um dort jemand zu besuchen?«

»Hast du auch nur einen einzigen Augenblick daran zweifeln können, Gottlieb?«

Der andere lehnte sich zufrieden auf seine Felle zurück. »Nein, Robert,« antwortete er aufrichtig, »das habe ich nicht.«

»Nun, Gott sei Dank, das ist wenigstens etwas.«

»Du erzählst also meinen Eltern noch einmal mündlich alles, was ich ihnen schon längst geschrieben habe,« fuhr Gottlieb fort, »wie sehr uns das Mißgeschick verfolgte und wie teuer man hier lebt. Tröste den armen, alten, blinden Mann, Robert, und sag ihm, daß ich unermüdlich vom Morgen bis zum Abend arbeite, um ein paar tausend Taler zusammenzubringen, damit wir das Haus wieder aufbauen und das Geschäft neu begründen können. Aber im übrigen sieh zu, daß sich die Geschichte nicht gleich so herum spricht. Es braucht ja nicht jeder zu wissen, daß ich hier ein hübsches Stück Geld verdiene.«

Jetzt lachte Robert laut heraus. »Mensch,« rief er, »was fabelst du da? In fünf Wochen bin ich wieder zurück, ohne von unserer Heimat mehr gesehen zu haben als du, der hier bleibt.«

Gottlieb unterdrückte einen Seufzer. »Nun gut, Robert,« antwortete er, »es war ja auch bei allem, was ich sagte, vorausgesetzt, daß du nach Pinneberg kämest. Geschieht dies nicht, so erledigen sich natürlich meine Bitten von selbst.«

Damit endete das Gespräch, und am folgenden Morgen begannen die Vorbereitungen zur Abreise. Vier Indianer und sechs Pferde bildeten außer dem Trapper und Robert mit ihren Tieren den Bestand der kleinen Karawane. Zwei dieser Pferde sollten verwendet werden, um die Felle und Pelze des Jaguars nach Stockton zu bringen; man führte sie daher am Zügel mit sich bis zu dem Stapelplatz, welcher als die Hauptniederlage des Jägers in einiger Entfernung vom Dorfe belegen war.

Robert hatte den Indianern und ihren Frauen Lebewohl gesagt; nur noch seine Reisegefährten begleiteten ihn vor das Dorf hinaus.

Es war ein heller, sonniger Julimorgen, die Luft frisch und balsamisch, der Himmel heiter und die Erde in ihrer schönsten Schöne. Jedes Stampfen der Pferde erweckte Roberts Wanderlust.

Noch einmal kehrte er sich zu den beiden anderen. »Lebt wohl, Gottlieb und Mongo!« sagte er, ihnen die Hände schüttelnd, »lebt wohl, und – – auf Wiedersehn!«

»Verliere nur das Geld nicht,« flehte angstvoll der junge Pinneberger. »Ich bitte dich, Robert, ist unser Schatz sicher verwahrt?«

»Vollkommen sicher,« antwortete Robert zum zwanzigstenmal. »Der Jaguar hat mir einen Ledergurt gemacht, in welchem es bis zum jüngsten Tage sitzen könnte, ohne von irgend einem Unglück bedroht zu werden.«

Gottlieb betastete nochmals die Stelle, wo er an Roberts Körper seinen Schatz verborgen wußte. »Wir wollen das Beste hoffen,« seufzte er, »und nicht wahr, in Stockton gibst du den Betrag, nachdem du ihn zu Geld gemacht, auf die Post, damit diese für den Wert haftet?«

»Das werde ich tun, Gottlieb, sei ganz außer Sorgen. Die amtliche Quittung bringen wir dir wieder mit zurück.«

»Schön, Robert, schön, und Gott behüte dich auf allen deinen Wegen.«

Er trat bei Seite, um dem Neger Platz zu lassen. Jetzt lagen Roberts beide Hände in denen des gutmütigen, alten Mannes, Auge sah in Auge; die Herzen schlugen schneller.

»Denk zuweilen an mich, mein Bob!« bat mit leiser Stimme der Schwarze.

Robert versuchte es umsonst, seiner Stimme einige Festigkeit zu verleihen. Was ihn beherrschte, das verstand er selbst nicht ganz. »Mongo,« flüsterte er endlich, »Mongo, ich verdanke dir viel, du hast manch ernstes, mahnendes Wort zu mir gesprochen, du hast mich besser gemacht, stiller und besonnener, – hab Dank, Alter!«

Der Neger nickte. »Gut,« sagte er, »ich nehme ihn. Und nun geh, Kind, geh – Männer dürfen sich nicht so schwach zeigen.«

Er fühlte vielleicht die Träne, welche in seinen ehrlichen Augen schimmerte, er suchte nicht, sie zu verstecken. »Gott beschütze dich, mein Bob,« setzte er hinzu.

»Leb wohl, Mongo, leb Wohl!«

Und Robert ging sechs Schritte bis zu den Pferden, er wollte nicht noch einmal wieder zurückblicken, wollte es kurz machen und sich als vollkommen ruhig zeigen, aber – plötzlich kehrte er um und umschlang mit beiden Armen den Hals des Negers. »Leb wohl, – Leb wohl!«

Er küßte das schwarze Gesicht und dann eilte er fort, so rasch als möglich. Die vier Indianer und der Jaguar saßen schon in ihren Sätteln.

»Es ist ja nur für fünf Wochen,« wiederholte er sich unaufhörlich, Bild »es ist nicht der Rede wert, und doch tut mir's weh –« Noch ein letzter Gruß mit der Hand, ein Winken und Nicken, das die regungslos dasitzenden Indianer heimlich spöttelnd beobachteten, und dann flogen die schnellen Tiere der Steppe zu, dann waren die Reiter in Staub gehüllt und die Zurückgebliebenen allein, ganz allein unter den Wilden.

Gottlieb drängte sich näher an Mongos Seite. »Du,« sagte er, »wir machen es jetzt so. Bis ein tüchtiger Haufe von Quarz losgebröckelt ist, arbeiten wir miteinander draußen, und dann wird auch das Zerklopfen im Zelte gemeinschaftlich vollzogen, nicht wahr?«

Mongo lächelte. »Auf diese Weise trennen wir uns nie,« versetzte er. »Schlau genug bist du, Bursche, – aber ein tüchtiger Kerl wie der Bob steckt nicht darin.« fügte er heimlich seufzend für sich hinzu.

Und wehmütig blickte er in die Richtung, wo langst schon von den Reisenden nichts mehr zu entdecken war.

 

Fort ging es im scharfen Trab der kleinen wohlgepflegten Mustangs über Kies und Grasflächen dahin. Das Dorf entschwand den Blicken, die gewohnte Umgebung blieb allmählich zurück, und immer neue Schönheiten der Landschaft entwickelten sich, eine aus der anderen. Zu zwei und zwei in gleicher Linie ritten die sechs Männer dahin, und wenigstens zehn Hunde umsprangen bellend und freiheitsjubelnd den kleinen Zug. Gesprochen wurde wenig, was im Grunde unserm Freunde sehr gelegen kam, da er zu viel zu denken hatte, um sich abziehen lassen zu wollen.

In den Augen des Schwarzen stand mit lesbaren Zügen, daß für ihn nach seiner festen Überzeugung der Abschied ein ewiger gewesen, – Robert wiederholte sich's hundertmal, aber eben so oft schüttelte er den Kopf. »Mongo hält mich für besser als ich bin,« dachte er. »Es ist mir unmöglich, jetzt schon der Freiheit zu entsagen, und wäre es nur, um im September nochmals diese Reise zu machen. Wenn die Wälder in bunten Schattierungen erglühen, wenn der Himmel doppelt hoch über der Erde zu stehen scheint und die Luft kühler geworden ist, dann sich nach Herzenslust im Freien bewegen, die höchsten Bergeszinnen erklettern, auf den angeschwellten, schneller dahinschießenden Strömen zu fahren und mit der Büchse im Arm das Wild zu beschleichen, – welche Götterlust!« –

»Nein, Mongo, nein, diesmal irrst du. Dein Freund kommt zurück, beladen mit den Schätzen der Zivilisation, die er denen des Naturzustandes vereinigen will. Ein neuer Anzug, Schießbedarf, Seife, ein paar gute Bücher und einige Geschenke für die Frauen, das wird sich ja aus den Goldkörnern herausschlagen lassen. Auch Zimmermannsgerät will ich kaufen, um Tische und Stühle zu fertigen und dem »Wigwam« einige feste Wände zu verleihen. Werden aber Schwarzkätzchen und Magnolienblüte und wie die braunen Dinger sonst heißen, ihre Augen aufsperren, wenn ich einen Spiegel mitbringe, Messer und Gabel und dergleichen. Vielleicht macht mich der Stamm mit der Zeit noch zu seinem Häuptling.« –

Und lachend, voll geschmeichelter Eitelkeit, trieb er das Pferd zu lustigen Sprüngen. Er wollte sie nicht hören, die heimliche Stimme in seinem Herzen, er wollte sich nicht gestehen, daß das, was er dachte, unvereinbar sei mit den Gesetzen der Vernunft und Sittlichkeit. Vorwärts, vorwärts, das Leben ist kurz und die Stunden des Glücks' sind karg bemessen, – auch nur eine freiwillig aufzugeben wäre Wahnsinn.

Er sprengte allen voran, und sein langes, lockiges, von keiner Schere mehr berührtes Haar flatterte im Morgenwind, seine Augen leuchteten, seine braunen Wangen ließen das Blut ebbend und flutend hindurchschimmern, er sah aus wie die Verkörperung der Jugend und Kraft.

Einer der Indianer, welcher neben dem Trapper ritt, beugte sich über den Hals des Pferdes zu diesem hinüber. »Weiß der Jaguar, was sein Bruder, der fliegende Pfeil, in diesem Augenblick dachte?« fragte er leise.

Der Trapper senkte den Kopf. Er verwandte keinen Blick von Roberts Gestalt. »Ich weiß es,« versetzte er in den tiefen Tönen der Comanchensprache, »die Gedanken des fliegenden Pfeiles sind auch die des Jaguars. Vor dreißig Jahren zogen deutsche Auswanderer, arme Goldsucher, von San Francisco her mit ihrem einzigen Pferde, mit Kindern und geringem Hausrat in die Minenstädte, welche damals erst entdeckt worden waren. Bei dieser kleinen Karawane befand sich ein junger Bursche, die Hoffnung seiner Eltern, ihre Stütze, ihr Trost, – ein Bursche, so voll Leben, so feueraugig und mutig wie dieser –«

Der fliegende Pfeil blickte zum Himmel hinauf. »Eine weiße Wolke segelte über die Wälder,« setzte er hinzu, »und ein Stern stand über der Hütte des roten Mannes. Der schlanke Bursche blieb bei den Comanchen, und als ihn seine Eltern aufforderten, mitzuziehen in das Goldland, als sie ihn verzweifelnd baten, nicht seine jungen, frischen Kräfte dem Unternehmen voll Gefahr und Schwierigkeiten zu entziehen, da war er taub für die Bitten der alten Leute – und sein erzürnter Vater fluchte ihm –«

Der Jaguar war blaß geworden unter der braunen Hautfarbe. »Die Welt wird alt und verjüngt sich neu,« sagte er wie zu sich selbst redend, »die Menschen bleiben die gleichen. Jetzt sind der fliegende Pfeil und der Jaguar Männer mit grauem Haar, und jener Jüngling, damals noch ungeboren, entflieht den Seinen, um frei in der Wildnis zu leben. Möge ihm der große Geist gnädiger sein, als er mir war.«

Der Indianer hob sich im Sattel und überblickte die Gegend. »Noch vor Einbruch der Nacht müssen wir das Grab der Kirschblüte erreicht haben,« setzte er hinzu.

Der Trapper nickte, und dann versanken beide wenig gesprächige Männer wieder in das frühere Stillschweigen. Wie unser Freund selbst, so mochten sie ganz ihren Erinnerungen leben, ganz mit den Bildern vergangener Tage beschäftigt sein.

Gegen Mittag wurde Halt gemacht und unter schattigen Bäumen eine Mahlzeit von kaltem Fleisch mit Maiskuchen eingenommen. Nach kurzer Rast brachen die Reiter wieder auf, um noch vor Abend ein Reh oder einen Hirsch zu schießen. Hier, wo alle jagdbaren Tiere in Hülle und Fülle lebten, wo niemand Herr und niemand Diener war, sondern jeder einzelne seiner Willkür gehorchen durfte, ließ sich der Tisch so leicht und angenehm auf Gottes grüner Erde decken, ruhte sich's wie in Abrahams Schoß, auf dem schwellenden Gras, welches weit und breit die Prärie bedeckte.

Mit Antilope und Schlangentöter voran, ging es in den stillen, tiefen Wald hinein; die Jäger stellten bald einen prachtvollen Sechzehnender, der schon nach kurzem Bemühen ihren Kugeln zum Opfer fiel, sie nahmen die besten Stücke heraus, beluden damit eines der Packpferde und suchten dann die versäumte Zeit durch schnelleres Reiten wieder einzubringen. Gegen Abend mußte eine Höhle der Sierra Nevada, wo des Jaguars Pelze lagerten, erreicht sein. Robert war zwar etwas zerschlagen und kreuzlahm, als er diesen ersten Tag eines dauernden, angestrengten Rittes hinter sich hatte, aber daran dachte er nicht weiter, denn ihm winkte ein neuer Genuß. Die Höhle des Jaguars sollte in Augenschein genommen werden.

Starr und zerklüftet, ohne allen Baumwuchs, erhoben sich hier die Felsen der Sierra Nevada aus dem grünen Moosboden hervor. Zur Rechten lag dichter Wald, zur Linken ragten die riesigen Felsmassen himmelhoch, unabsehbar ins Blaue. Kuppe nach Kuppe, Vorsprung nach Vorsprung türmte sich zum großartigen Ganzen, fast verwirrend schien die Majestät dieser Formen.

Der Trapper und der fliegende Pfeil, als die ersten im Zuge, machten Halt, und nun ging es an ein emsiges, rühriges Treiben. Es wurde ein Feuer entzündet, die Hirschkeule an den Spieß gesteckt und ein paar flache Steine glühend gemacht, um dazwischen die Maiskuchen zu backen. Nur ungern schienen sich die Indianer diesen Beschäftigungen zu unterziehen. Robert bemerkte aufs neue, wie sehr die rote Rasse alle Arbeit verachtet und unter ihrer Würde hält. Was sonst die Squaws taten, das mußten ihre Herren und Gebieter jetzt notwendig selbst verrichten, aber es geschah mit sichtlichem Widerstreben, obgleich der Trapper und Robert auf das eifrigste Hand ans Werk legten und mit dem besten Beispiel vorangingen.

Nachdem der leckere Braten verzehrt, legten sich die Rothäute neben ihren Pferden in das Moos. Sie schienen um keinen Preis diese träge Gewohnheit aufgeben zu können, das mochte der Jaguar wissen, weshalb er unsern Freund aufforderte, mit ihm das Lager von Pelzen und Büffelfellen in Augenschein zu nehmen.

Zwei derbe Kienspäne waren bald aus einer nahestehenden alten Tanne herausgehauen und an dem verglimmenden Küchenfeuer in Brand gesetzt, dann ging es durch die Felsengewirre vorwärts. Trotz des reichen Harzgehaltes verbreitete doch das grüne Holz einen sehr starken Qualm, so daß die ganze großartige Höhe der Steinwände erforderlich war, um die Luft einigermaßen frei zu halten. Schon nach der Wanderung von einigen Minuten hätte Robert den Rückweg unmöglich wiederfinden können. Bald breit, bald sich vollständig verengend, kreuz und quer liefen die Gänge im Innern des Felsens neben- und durcheinander her, bis endlich, vielleicht eine Viertelstunde von der freien Außenwelt entfernt, eine breite Höhle sich den Blicken der Wanderer zeigte. Von oben her fiel überall und auch hier von Zeit zu Zeit das scheidende Tageslicht durch die Spalten im Gefuge herein, und gleichzeitig konnte der Rauch freien Abzug nehmen, dennoch aber blieben die Ecken und Winkel der weiten Halle in Dunkel gehüllt, und der Eindruck des Ganzen war ein höchst abenteuerlicher, aufregender.

Der Jaguar hob die Fackel empor. »Hier siehst du die Schätze, welche sich dein Freund auf seinen Wanderungen durch Wald und Steppe zusammenträgt,« sagte er. »Schau hin, der Bär und der Wolf, der Coyote und der Büffel, der Panther und der Biber, alle haben ihr Kleid ausziehen müssen, um es dem Menschen darzuleihen. Morgen werden wir mit dem Ertrag des Winters die Packtiere beladen.«

Roberts Blicke folgten der angedeuteten Richtung. Ganze Haufen von Pelzen und Fellen lagen im Hintergrunde der Höhle auf- und übereinandergeschichtet, alles nach der Sorte geordnet, alles sauber getrocknet und zusammengelegt wie in den Schränken der sorgsamsten Hausfrau. Es schien aber auch der Stolz und die Freude des Trappers zu sein, obwohl sich sein Haupt noch tiefer als gewöhnlich auf die Brust herabneigte und das dunkle Gesicht so ernst aussah, so verändert und wehmütig.

»Vor dreißig Jahren hat der Jaguar in diesen Felsen gewohnt,« sagte er halblaut, wie außerstande, dem Verlangen nach Mitteilung zu widerstehen. »Hier brannte sein Feuer, hier ruhte er von den Anstrengungen des Tages, und hier – fiel auf ihn die Hand des großen Geistes, der nicht will, daß das Unrechte Frieden gebe.«

Die letzten Worte sprach er halblaut, und als Robert voll herzlicher Teilnahme fragte, weshalb er sich so düsteren Selbstquälereien überlasse, da schüttelte er den Kopf. »Ein anderes Mal,« versetzte er. »Die Augen des Jaguars müssen hell bleiben und sein Geist frei, – er darf sich von seinen Erinnerungen nicht beirren lassen.«

»Aber komm,« fuhr er fort, »der Jaguar will dir noch mehr zeigen.«

Robert folgte dem Voranschreitenden bis zum Ausgang der Höhle, deren Vorhöfe nach rechts und links in einzelne Gänge abzweigten. Einen dieser Wege verfolgend, gelangten die beiden Wanderer zu einem freien Raume, dessen weit geöffnete Decke den Abendhimmel mit seinen tausend funkelnden Sternen deutlich erkennen ließ, und dessen Boden mit weichem Moos bewachsen war. Zwischen den steinernen Wänden mußte durch irgend einen besonderen Zufall dies Plätzchen ganz frei geblieben sein. Von allen Seiten eng umschlossen, glich es einem großen Grabe, und das war es auch in der Tat, Robert sollte seine Ahnung bestätigt finden.

Bild

Eine Pyramide von losgehauenen Felsstücken und kleinen Steinen schmückte die Mitte des grünen Fleckchens, während Wucherpflanzen, alles überkletternd und umspinnend, mit tausend Ranken diesen ganzen Bau umzogen und halb verhüllten. Weiße Blumen, an langen, schilfartigen Blättern wachsend, neigten überall im leisen Abendwinde ihre Glocken, – ein Vogelpärchen, das hier genistet haben mochte, huschte eiligen Fluges davon.

Der Trapper blies die Fackeln aus. »Wir brauchen sie notwendig, um den Rückweg zu finden,« sagte er, »während uns hier die Sterne leuchten. – Sieh, mein junger Freund, unter diesem Stein schläft Kirschblüte, das Weib des Jaguars.«

Robert empfand kein Erstaunen. Er hatte sich das schon gedacht und wußte auch, daß mit dieser Angelegenheit noch ein besonderes Geheimnis verknüpft sein müsse, aber danach zu fragen wäre unzart gewesen, er schwieg daher und sprach nur einige teilnehmende Worte, indes der Trapper ein paar herabgefallene Steine wieder an ihren Platz legte und die Ranken darüber hinzog. »Der Jaguar hat seit dreißig Jahren diese Stätte behütet wie seinen Augapfel,« sagte er leise, »es ist sein Gotteshaus, er betet zum großen Geiste, so oft er hierherkommt, und der große Geist hört ihn. Des Jaguars Seele hat Frieden gefunden.«

Er strich wie liebkosend über die Ranken des sonderbaren Grabmals hinweg. »Komm,« sagte er dann, »du bist jung und ein guter Mensch, du willst das Richtige, ohne es begreifen zu können – wie wir alle – der Jaguar wird dir in Stockton seine Geschichte erzählen, damit du erkennen lernst, ob dich dein Weg zurückführen darf in den Wigwam des roten Mannes, oder ob du über das große Wasser ziehen mußt und den Zorn deines Vaters in Segen verwandeln.«

Robert errötete stark. »Hat dir Mongo von meiner Geschichte erzählt, Jaguar?« fragte er.

Der Trapper bejahte. »Du bist ein Kind,« setzte er hinzu, »und der Jaguar ist ein Greis, das gibt ihm das Recht, dich zu warnen. Aber komm jetzt, die Zeit für das, was dir dein Freund zu sagen hat, ist noch nicht erfüllt.«

Er entzündete aufs neue die Fackeln und führte dann durch das Gewirr verschlungener Wege seinen Gast mit sich bis vor den Ausgang des Felsens. Robert empfand etwas wie lebhaften Ärger. Der Trotz, welcher ihn so leicht ergriff und so verhängnisvoll beherrschte, regte schon jetzt wieder die Flügel. »Und wenn alle behaupten, daß ich notwendig abreisen müßte, – ich will's nicht,« dachte er. »Es ist doch immer dasselbe, sobald man mit alten Leuten verkehrt, sie wollen herrschen und der Jugend jegliche eigene Bestimmung über ihr Schicksal entziehen. Aber zu befehlen hat mir niemand, auch Mongo nicht, obgleich er große Lust verspürt, mich zahm zu machen! Ich will nicht nach Deutschland reisen, jetzt erst unter keiner Bedingung, gerade weil alles dazu drängt und treibt.«

Und mit diesem mannhaften Entschlusse legte er sich neben den übrigen aufs Ohr, um zu schlafen, während die Hunde Wache hielten. Er redete sich in einen Verdruß hinein, den er ganz künstlich selbst heraufbeschwor, um das eigene Bewußtsein zu ersticken. Was kümmerte es den Trapper, ob er mit seinem Vater in Frieden lebte oder nicht? – Aber er konnte versuchen, was er wollte, erreichen würde er nichts.

Noch nachdem alle übrigen fest schliefen, drehte unser ärgerlicher Freund rastlos den Kopf von einer Seite zur anderen. »Warum läßt sich die Zufriedenheit nicht erzwingen?« dachte er, »warum möchte ich alles beißen und schlagen vor Zorn, anstatt zu verlachen, was mir ein Mann sagt, dem ich nicht zu gehorchen brauche? Mir scheint, auch ein paar Wilde sind zu viel Gesellschaft, – man muß ganz in die Wälder flüchten, um dem Ärger zu entgehen.« Und seufzend fügte er bei: »Wenn man zuweilen vor sich selbst fliehen könnte, das wäre das beste.«

Er lag bis an den hellen Morgen und konnte keinen Schlummer finden. Fast unwillig begab er sich daran, die Vorräte aus der Höhle tragen zu helfen, und selbst die im hellen Tageslicht so wunderbar schönen, großartigen Wölbungen des Felsens vermochten ihm heute kaum ein halbes Interesse zu erregen. Seit er von Mongos beobachtenden Blicken getrennt war, hatte er sich so ganz frei gefühlt, hatte er gewissermaßen einen beständigen Wächter abgeschüttelt, aber siehe da, die Freude sollte von kurzer Dauer sein, denn der Jaguar wußte alles.

»Heimtückischer Mongo, das hast du mit ganz bestimmter Absicht getan, aber warte nur, es wird dir versalzen werden. Wenn du mich wiedersiehst, lache ich ins Fäustchen.«

Er packte, nachdem alle Felle hinausbefördert, mit Hilfe des Trappers die Tiere, und dann wurde, obwohl langsamer, die Reise fortgesetzt. Bis nach Stockton waren es noch etwa zehn Tage, also galt kein Zögern, da doch immerhin mit solchem Ritt durch eine unbewohnte und von Raubtieren bevölkerte Gegend gar manche Gefahr verknüpft ist, die möglichst rasch umgangen werden muß, zumal wenn die Reisenden einen Wert von wenigstens zweitausend Dollar mit sich führen.

Robert besorgte während der Reise fast täglich die Küche d.h. er schoß den Braten, und der Trapper bereitete ihn für das Mahl. Die Nächte wurden unter freiem Himmel verbracht, am Morgen in einem der zahllosen Nebenflüsse des San Joaquin ein erfrischendes Bad genommen, und die Zeit der stärksten Mittagshitze verschlafen, mit einem Worte, es war ein Dasein, wie sich's unser Freund in seinen verwegensten Träumen nicht schöner gedacht. Nur daß ihm die See fehlte, kostete so manchen heimlichen Seufzer, aber alles zumal konnte das Schicksal nicht spenden, und Freiheit und Jagdlust waren auch Güter, die sein Herz berauschten.

»Ich bleibe so lange es mir gefällt bei den Wilden,« dachte er, »und dann suche ich in San Francisco ein Schiff, – ich will leben, um glücklich zu sein.«

Mit dem Trapper hütete er sich, unter vier Augen zu sprechen, und als endlich die Umgebung der Stadt Stockton erreicht war, als man nicht mehr jagen konnte, sondern von den Farmern das Fleisch kaufen mußte, da hatte die Reise für ihn den hauptsächlichsten Reiz verloren. »So in einer Stadt leben könnte ich nicht,« dachte er, »nein, nein, entweder auf dem Wasser, oder oben in der Wildnis bei den Rothäuten. Ach, wie will ich mich freuen, wenn erst die Pferde wieder rückwärts gewendet worden sind, – welcher Spaß wird es werden, beladen mit hundert Kleinigkeiten zu den Comanchen zurückzukehren!« –

Er übersah fast geringschätzig die Blicke der Farmer, denen dieser Zug von Indianern und Tieren die größte Neugier einzuflößen schien. Nur wenn ein deutscher Ausruf sein Ohr traf, dann schoß ihm das Blut in die Schläfen.

»Wo es mir wohl ergeht, da ist mein Vaterland!« sagte er sich, aber dieser Trotz konnte ihn doch nicht wahrhaft beruhigen, und seufzend fragte er einmal über das andere den Trapper, wie lange man sich notwendigerweise in Stockton aufhalten müsse.

»Fünf bis sechs Tage,« lautete die Antwort. »Der Jaguar will nicht allein seine Felle verkaufen, sondern sich auch mit allen unentbehrlichen Bedürfnissen für die nächsten Monate versehen. Er braucht Schießbedarf, Stiefel und Feuerwasser, er muß sich ein neues Messer kaufen und den Squaws, die seinen Wigwam besorgen, ein Geschenk mitbringen. Hat der junge Weiße so große Eile, wieder zurückzukehren in das Lager der roten Männer?«

Robert bejahte äußerlich gelassen, obwohl ihm das Blut in die Wangen trat. »Jede Entscheidung,« dachte er, »bringt einen Zustand verhältnismäßiger Ruhe, – nur das beständige Auf- und Ab der widerstreitenden Strömungen ist unerträglich. Gott gebe, daß wir erst wieder im Gebirge wären.«

Auf diese Weise wurde endlich an einem glühend heißen Tage, Ende Juli 1870, die Stadt Stockton erreicht, und Robert sah nach Verlauf fast eines ganzen Jahres zum erstenmal wieder einen Hafen und einige kleine Postdampfer, welche auf dem San Joaquin fahrend die Verbindung mit San Francisco unterhalten. Es fanden sich Holzschiffe, Kähne und Boote aller Art, kurz ein Abglanz derjenigen Herrlichkeiten, welche in den größeren Seestädten Roberts Auge entzückt hatten, begegnete ihm auch hier und ließ sein Herz schneller schlagen.

»Ich könnte nach San Francisco fahren und dort das Geld auf die Post geben,« dachte er, und war schon im Begriff, den übrigen diesen Entschluß mitzuteilen, aber dann fiel ihm auch wieder ein, daß irgend welche unvorhergesehene Umstände die Rückreise verhindern möchten und er infolgedessen von seinen Gefährten getrennt werden würde. »Nein,« beschloß er, »ich will der Versuchung widerstehen. Die beiden, der Jaguar und Mongo, sollen durchaus sehen, daß ich ein Mann bin, aber kein Knabe, der sich befehlen oder beeinflussen läßt.«

Er begleitete also die übrigen in eine Herberge vor der Stadt, wo sie bereits von früheren Reisen her bekannt waren, und wo sich sogleich das Volk in Scharen sammelte, um, die roten Fremdlinge anzustaunen. Während die Indianer mit ihrem unzerstörbaren Gleichmute, ohne irgend jemand zu beachten, auf dem Hofe des Wirtshauses ihr Zelt aufschlugen, ihre Felle ausbreiteten und sich rauchend darauf ausstreckten, ging Robert durch die Straßen der Stadt, um einen Goldkäufer aufzufinden. Das Geschäft war bald beendet und eine Summe von nahezu fünfhundert Dollar in seinen Ledergürtel gewandert, nach deutschem Gelde also für Gottlieb und ihn selbst je dreihundert Taler. Diesen Hälftenanteil seines Freundes brachte er mit einem schnell entworfenen Brief, den natürlich Gottlieb unter den Comanchen nicht hatte schreiben können, zur Post, und erst als er auf diese Weise die fremde Angelegenheit pünktlich und ohne Zeitverlust geordnet, hielt er sich für berechtigt, der eigenen Wünsche zu gedenken. Den schicksalsschweren Brief an seinen Vater wollte er spät abends, wenn um ihn und in ihm ein wenig Ruhe eingekehrt war, mit aller Ruhe aufsetzen und jedes Wort darin genau abwägen, vor der Hand aber die Stadt besehen, und – er dachte doch mit einigem Vergnügen daran, – in einem anständigen Gasthause einmal wieder nach europäischer Weise zu Mittag essen.

Der Trapper unterhandelte mit einer ganzen Anzahl langbärtiger Juden, er ließ sie durcheinander schnattern, jedes Fell besonders ausbreiten und tadeln, um jeden Cent auf das angelegentlichste feilschen und über die schlechten Zeiten im allgemeinen bittere Klage führen, ohne von seiner Forderung das Allergeringste abzulassen. Höchstwahrscheinlich kannte er die Art dieser Geschäftsleute schon ganz genau, denn er schwieg zu dem, was sie sagten, als sei er stocktaub. Robert dagegen fühlte sich, nachdem er die Sache fünf Minuten lang mit angesehen, auf das widerwärtigste berührt; er fragte den Jaguar, ob er ihm in irgend einer Weise nützen könne, und als dieser dankend verneint, ging er fort, um ein Gasthaus zu suchen.

»Freiheit,« dachte er, »Freiheit, du hohe Göttin! – Nur auf dem Meer oder in der Wildnis bist du zu finden. Ach, wäre ich erst wieder da oben, wo glückliche, ahnungslose Naturmenschen leben, wo der Genuß echt und das Leid unbekannt ist!«

Fast sehnsüchtig sah er über den Fluß bis an die Grenze des Horizontes dahin. Blaue Berge zeichneten sich ab, in Duft und Nebel verschwammen die letzten Ausläufer.

»Bald!« dachte Robert, »bald!«

Und dann suchten seine Blicke die Schilder über den Haustüren, bis mächtig große, deutsche Buchstaben ihm entgegenschimmerten. Ein schwarz-weiß-rotes Band trug die Inschrift: »Zur deutschen Heimat,« und ein überquellend gefülltes Bierglas daneben vervollständigte die Lockung, welche ohnehin für jeden Sohn der Altmutter Germania eine unwiderstehliche sein mußte. Auch Robert, gewaltig angezogen, trat in die weite, saubere Vorhalle, wo große Fässer lagerten, und von da in den Speisesaal.

An wenigstens zehn Tischen saßen Kopf an Kopf die Gäste. Lautes Gespräch schwirrte dem Ankommenden entgegen, deutsche Ausrufe tönten überall, deutsche Zeitungen gingen von Hand zu Hand, und auf den ersten Blick ließ sich erkennen, daß irgend ein besonderes Ereignis die Gemüter in Aufregung versetzt haben mußte.

Robert beachtete das anfänglich nicht, sondern hielt sich bescheiden zur Seite und forderte nach sorgfältiger Durchsicht der Speisekarte eine Portion seines Lieblingsgerichtes, dem er tapfer zusprach, und nach dessen glücklicher Besiegung er eine deutsche Zeitung, womöglich eine hamburgische, verlangte. Vielleicht konnte er ja daraus von der Heimat irgend eine Neuigkeit erfahren.

Der Kellner zuckte die Achseln, »Wir nehmen, seit die Nachricht kam, von jedem Blatte sechs Exemplare,« antwortete er, »aber dennoch ist nie eins zu erreichen. Die Stammgäste halten sie fest, als wären es Heiligtümer.«

Robert blickte auf. »Welche Nachricht?« fragte er.

»Nun, die von der Kriegserklärung natürlich.«

Auf Roberts Gesicht malte sich das unverkennbarste Erstaunen, »Eine Kriegserklärung?« wiederholte er. »Wo ist denn Krieg?«

Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Sie kommen wohl aus den Goldminen,« antwortete er, »na, gleichviel, Sie werden schon genug davon zu hören bekommen. Uns – ich meine natürlich unserem Wilhelm in Berlin – ist von den Parlevous der Krieg erklärt und alles was deutsch spricht, marschiert an den Rhein, um die Grenzen zu schützen. Ja, wer jetzt drüben wäre, wer die Muskete auf den Rücken nehmen und es dem Erzfeind herauszahlen könnte, was er anno Dreizehn verbrochen, als Marschall »Wut« ( Davoust) und General »Verdammt« ( Vandamme) das arme Deutschland marterten! – aber das sind fromme Wünsche, man muß in der Welt immer das, was man am wenigsten gern tut.«

Der Philosoph in der grünen Schürze entfernte sich mit seinen Tellern und Schüsseln und ließ unseren Freund in größter Aufregung zurück. Deutschland war von Frankreich der Krieg erklärt – und es wollte seine junge Einigkeit mit Blut und Eisen befestigen, wollte im Kampfe mit dem dritten Napoleon die Scharten auswetzen, welche des ersten Treulosigkeit und Verrat in Armins Schwert zurückgelassen, – das war ein kühnes, gewagtes Spiel, das hieß alles an alles setzen.

Robert fühlte, wie ihm das Blut heiß zum Herzen strömte. Fast ehe er selbst wußte, was er beabsichtigte, war er zu einer der Gruppen an den anderen Tischen getreten und hatte in deutscher Sprache gebeten, ihm von dem großen vaterländischen Ereignis womöglich mehr zu erzählen. Noch wußte er ja nichts einzelnes, sondern nur die Tatsache selbst.

Ein augenblickliches Stillschweigen folgte seinen Worten. Die angeredeten Herren musterten prüfend die Erscheinung des hübschen jungen Menschen. »Wahrhaftig,« sagte einer, »ich glaube, das ist ein Halbindianer. Wenigstens Mütze und Gürtel sind Comanchenarbeit.«

»Hallo,« rief der zweite, »kamt Ihr nicht heute früh mit noch mehreren anderen aus den Gebirgen herab? Ich denke, daß ich Euch wiedererkenne.«

Robert nickte. »Ihr irrt nicht,« versetzte er, »aber –«

»Alle Teufel, was tut Ihr denn bei den Rothäuten?« unterbrach der Frager. »Ein so junger Bursche kann doch unmöglich daran denken, Trapper zu werden?«

Die Adern auf Roberts Stirn schwollen höher an. »Ich glaube,« antwortete er nachdrücklich, »daß das meine Sache ist. Die Herren scheinen nicht geneigt, mir das, was ich zu wissen wünschte, mitzuteilen. Adieu also!«

Vom anderen Tisch herüber wurde ihm ein Bierglas gereicht. »Auf Deutschlands Sieg!« rief ein stämmiger Mann, dessen Äußeres deutlich den »Digger« verriet. Warst Wohl in Lenchi oder Idaho, was? Hast gute Beute gemacht und bist mit den Rothäuten hierhergekommen, um die teure Reise auf der Bahn zu sparen, denke ich.«

Robert, obgleich ihm vor Verdruß jeder Blutstropfen zitterte, nahm das dargebotene Glas und tat Bescheid. »Ich danke Ihnen, Sir,« sagte er. »Wirklich haben Sie das Richtige getroffen. Die Comanchen sind mir sehr liebe Freunde, Bild die meine vollkommenste Hochachtung besitzen.«

Mehr als einer der eifrigen Politiker lachte. »Es wollte auch niemand von uns die Rothäute beleidigen,« hieß es, »aber man wundert sich doch, von einem Weißen zu sehen, daß er gewissermaßen Kameradschaft mit den Farbigen macht.«

»Du,« rief wieder der Digger – »willst du jetzt nach Deutschland und den Franzosen besiegen helfen? Dann gehen wir miteinander.«

Dunkler Purpur färbte Roberts Wangen. »Ist es Wahrheit mit der Nachricht von einem bevorstehenden Kriege?« fragte er nochmals.

Nun endlich wurde ihm von allen Seiten Auskunft gegeben. Er nahm gedankenlos die Zeitung, welche man ihm reichte – sein erster Blick fiel auf den Erlaß des Kriegsministeriums in Berlin, bei allen Truppenteilen den Eintritt Freiwilliger zu gestatten.

Es wirbelte in seinem Gehirn, das Blut pochte in den Schläfen, – ein einziger Gedanke verdrängte alle übrigen. Das Vaterland rief mit lauter Stimme von Nord und Süd die waffenfähigen Söhne zum Kampfe, – der König erwartete, daß keiner, keiner von allen den Tausenden zurückbleiben werde, wo es galt, die Stätte, an der seine Wiege gestanden, vor Entehrung durch die Fremden zu schützen.

Drang nicht diese Stimme auch bis zu ihm? Rüttelte sie nicht mächtig und unwiderstehlich an den verschlossensten Pforten seines Inneren?

Deutschland in Not, Deutschland vielleicht ringend, zertreten von fremder, höhnender Übermacht, wehrlos preisgegeben das Land, welches ihn geboren, dem Sieger ohne Erbarmen, – und er, er, schwelgend in müßiger Ruhe, im Genüsse der Freiheit und des Wohllebens unter den Wilden, die doch auch ihre Streitaxt ausgruben und sie tapfer schwangen, sobald ein Feind die Grenzen bedrohte, – war das möglich? Ließ es sich auch nur denken?

Schamröte färbte seine braunen Wangen. Er wandte sich ab von dem Bilde des geschäftigen Müßigganges da oben in dem stillen, weltabgeschiedenen Dorfe der Comanchen, er erwachte mit plötzlichem Ruck aus dem geistigen Schlummer, welcher so lange seine Seele in Banden gehalten.

Aller Zwiespalt war vorüber, alle Zweifel gelöst. Es gab für ihn kein Ich mehr, keine persönlichen Interessen, keinen Trotz gegen seinen Vater oder gekränkte Eigenliebe, – das bedrohte Deutschland rief, und er mußte folgen, gleichviel um welchen Preis. Seine Blicke suchten den Goldgräber. »Ich gehe mit dir!« antwortete er fest.

»Bravo! Trotz deiner Jugend bist du ein ganzer Kerl. Komm, laß uns anstoßen.«

Die übrigen bestellten Wein, und alle Gläser klangen aneinander. Der Begeisterungsrausch, welcher damals ganz Deutschland ergriffen, widerhallte laut, wo sich an den fernsten Polen der Erde zwei Söhne des gefährdeten Vaterlandes begegneten. Man trank, bis die Köpfe erhitzt waren und einige Meinungsverschiedenheiten in handgreiflicher Form zum Austrag gebracht wurden. Robert, der nie einen Tropfen zu viel über seine Lippen kommen ließ, hatte sich rechtzeitig entfernt, um zunächst den Freunden mitzuteilen, daß jetzt die Trennungsstunde geschlagen, daß er mit dem morgigen Postdampfer nach San Francisco abreisen und sich von dort für Hamburg anmustern lassen werde. Seine Augen blitzten, als er sprach, seine ganze Gestalt schien sich höher aufzurichten. »Nicht wahr,« sagte er, »du begreifst das, Jaguar, du würdest es ebenso machen?«

Der Trapper fuhr mit der Hand über die Stirn. Er schwieg lange Zeit, während welcher er alte, trübe Erinnerungen zu bekämpfen schien. Die Nachricht Roberts mußte ihn offenbar sehr ergriffen haben.

»Komm,« sagte er endlich, »komm, der Jaguar will seinem weißen Bruder die Geschichte erzählen, von welcher er neulich schon gesprochen. Komm!«

Robert folgte ihm, und die beiden gingen langsam hinaus bis vor den Ort, wo endlich der Jaguar, als kein fremdes Ohr ihn hören konnte, dem anderen von seiner Jugend berichtete. Wir wissen aus dem Gespräch zwischen ihm und dem fliegenden Pfeil bereits, daß er derjenige war, welchen sein eigener Vater verfluchte, als er sich weigerte, ihn zu begleiten und das Indianerdorf wieder zu verlassen, aber mir wissen nicht, wie schrecklich der damals noch junge Mann vom Schicksal für diesen Ungehorsam bestraft wurde.

»Ich war verblendet,« sagte der Trapper, »ich hielt meine männliche Ehre für bedroht und fand Freude am Trotz gegen meinen alten Vater. Der fliegende Pfeil ging mit mir auf die Jagd, ich lebte in seinem Wigwam ohne Sorge und Arbeit, ich konnte tun was ich wollte, anstatt dem strengen Vater zu gehorchen und über jede, auch die kleinste Handlung Rechenschaft abzulegen. Das verlockte mich, zumal da dieser Streit zwischen ihm und mir keinesweges der erste war. Während ich die alten Leute weiter ziehen ließ, ohne mich um ihr Schicksal zu bekümmern, ging es mir selbst eine kurze Zeit lang vortrefflich. Ich heiratete Kirschblüte, die Schwester des fliegenden Pfeiles, und wohnte in den Felsen, wo sie begraben liegt, aber – nur für wenige flüchtige Wochen.

»Der große Geist hatte den Fluch des beleidigten Vaters gehört, er sandte das Verhängnis, welches ihn erfüllen sollte, er schlug das Auge des Jaguars mit Blindheit, daß er sein Liebstes nicht erkannte. – Drei Tage und drei Nächte hatte er den grauen Bären verfolgt, den gefährlichsten, blutdürstigsten der ganzen Gattung, drei Tage und drei Nächte lang hatte er nicht geschlafen und fast ohne Speise und Trank nur an das Raubtier gedacht, welches ihn wie der böse Feind zu necken und zu hänseln schien. Immer war es hinter ihm, er mochte gehen, wohin er wollte, immer entkam er, es mochte seines Zieles noch so sicher sein, der tödlichen Kugel.

»Aber gerade das reizte den Trotz des Jaguars. Er dachte an nichts mehr, als nur an diesen Bären, der den Felsen umkreiste, der beständig in der Nähe war und dessen er doch nicht habhaft werden konnte. Sein Blut strömte heiß durch die Adern, seine Ruhe war dahin, er schlief nicht eher, bis ihn die letzten Kräfte verließen und schon nach kurzer Frist taumelte er wieder empor, um das Raubtier zu verfolgen. Wenn er meilenweite Strecken zurückgelegt hatte und erschöpft auf das Moos des Weges sank, dann trabte hinter ihm gewiß der Bär und schien seinen ohnmächtigen Gegner verspotten zu wollen. Kugel nach Kugel pfiff harmlos an ihm vorüber – das Tier war offenbar gefeit.

»Zuletzt sah ihn der Jaguar in heller Mondnacht durch das Gebüsch kriechen, als er sich zufällig ganz in der Nähe seiner Höhle befand. Er schoß nicht, – es graute ihm bereits vor dem Klange der nimmer treffenden Büchse – aber er schlich nahe und näher heran, er wollte seinen Todfeind von Angesicht zu Angesicht sehen, und empfand das wahnwitzige Verlangen, Brust an Brust mit ihm zu ringen, ihm womöglich das Jagdmesser ins Herz zu stoßen und sich an seinen Qualen zu weiden. Lautlos schlich er heran.

»Der Bär zeigte sich in hellem Mondglanz nur für wenige Sekunden, er sah in des Jaguars Auge und dann verschwand er, als habe ihn die Erde verschlungen. Der Jaguar rührte sich nicht, er starrte nur immer auf die eine Stelle und wagte kaum zu atmen, aus Furcht, daß ihm sein Feind entgehen möge. Stunde nach Stunde verrann, die Einsamkeit und Totenstille der Umgebung drückten auf das Gehirn des Jaguars, aber er widerstand noch dem Schlafe, um immer nach jenem Gebüsche zu sehen, um im gleichen Augenblick, wo das Raubtier zurückkehren würde, ihm die Todeskugel in das Herz zu schicken.

»Und dann, –- dann kam das Verhängnis.

»Der Jaguar weiß nicht, ob er wenige kurze Augenblicke lang vielleicht geschlafen hat, er hörte plötzlich ein Knistern und Rauschen, er sah, wie sich's an jener Stelle hinter den Zweigen regte, und daß etwas wie grauer Pelz durch die Blätter schimmerte.

»Diesmal stand das Tier, er schien seinen Feind zu erwarten, er blieb auf demselben Platz, regungslos, wie der Jaguar selbst. –

»Wilde Freude schwellte des Jägers Herz, er hob lautlos die Büchse, – der Schuß krachte, daß ihn das Bergecho donnernd und widerhallend zurückwarf, aber – noch ein anderer schwacher Schall mischte sich hinein in das Getöse – –

»Es klang wie leises Wimmern aus Menschenbrust – –

»Der Jaguar taumelte auf. Eiseskälte rann über seine Glieder herab, das Blut schlug in stürmischen Wellen an sein Gehirn, er stürzte halb sinnlos zur Stelle, wohin er geschossen, und bog die Zweige auseinander – –

»Da lag Kirschblüte, das Licht seines Auges, sein junges, schönes Weib, und aus ihrer Brust strömten die roten Fluten über das Moos dahin. Nur zu sicher hatte diesmal des Jaguars Kugel das Ziel getroffen.«

Bild

Der Erzähler hielt inne, überwältigt von der Macht dieser schrecklichen Erinnerung, unfähig, seinem Zuhörer die Einzelheiten derselben zu schildern. Er stützte den Kopf in die hohle Hand und sah starr vor sich auf den Weg.

Robert versuchte kein Wort des Trostes. Was hätte auch gesagt werden können einem so vernichtenden Schmerz gegenüber? Aber er drückte voll herzlicher Teilnahme die Hand des schwer heimgesuchten Mannes. »War Kirschblüte tot, Jaguar?« fragte er nach einer Pause.

Dieser nickte. »Sie hat den Jaguar kaum noch erkannt,« fuhr er fort, »sie hat ihm nicht mehr erzählen können, weshalb sie dort in das Gebüsch gegangen, aber er weiß, daß sie ihn aufsuchen wollte, weil er während des ganzen vorigen Tages und der Nacht nicht nach Hause gekommen. Es war das Verhängnis, – der Fluch, welcher auf des Jaguars Haupt lastete.

»Und dann begann für ihn eine schreckliche Zeit. Die Comanchen wollten den Leichnam der erschossenen Kirschblüte nach Art ihres Volkes bestatten, das heißt im dichten Wald ein Gerüst aufschlagen, und dort den Körper, in Felle genäht, von der Luft zerstören lassen, aber der Jaguar verweigerte die Herausgabe seines toten Weibes. Da wo sie gelebt begrub er Kirschblüte nach der Weise des Christentums, in dessen Lehren er erzogen worden, und wenig kümmerte es ihn, was dazu die roten Männer sagten.

»Doch sollte die Strafe auf dem Fuße folgen. Der fliegende Pfeil grub die Streitaxt aus dem Boden, die Comanchen verfolgten den Jaguar wie ein reißendes Tier, das in ihre Hürden eingebrochen und ihnen ihr Eigentum geraubt. Er mußte in die Wälder flüchten, heimatlos, freundlos, er hatte kein Dach, das ihm Schutz gewährte, kein Feuer, an dem er sich wärmen durfte, und der Zorn des Ewigen schwebte über seinem Haupte. Einmal kam er in die Nähe einer Minenstadt, hungernd, frierend, ermüdet zum Sterben, – da sah er eine Hütte und in derselben ein Feuer, an dem Kinder spielten, wo der Rauch vom Bratspieß gen Himmel stieg, wo harmlose, zufriedene Menschen zu leben schienen.

»Es hatte geregnet, der Jaguar in seinen abgetragenen Kleidern war bis auf die Haut durchnäßt, er fühlte Fieber in den Adern und seine Füße bluteten, – schon wollte er sich der Hütte jener Goldgräberfamilie nähern und um einen Platz an ihrem Feuer bitten, da sah aus dem einzigen kleinen Fenster ein alter Mann. Das Haar war grau und das bleiche Anlitz von tiefen Furchen durchzogen, die Augen blickten düster und trübe – –

»Dieser Mann, den wenige Monate zum Greis gemacht, war des Jaguars Vater.

»Nahe, ganz nahe seiner Schwelle, stand der Sohn, dem er geflucht, ein Bettler in Lumpen, hungernd und frierend, eisig durchschauert vom Scheitel zur Sohle.

»Und dieser Sohn dachte an das Bibelwort von dem Verlorenen, der zurückgekehrt, an die Verheißung, daß dem Reuigen verziehen, werden soll, es stritten wilde, böse Mächte in seinem Herzen, aber der Trotz behielt den Sieg. Wäre er ein wohlhabender Mann und ein glücklicher Mensch gewesen, ja, dann hatte er mit tausend Freuden die Seinigen begrüßen können, aber zu ihnen, den Schwerbeleidigten, als heimatloser, fluchbeladener Bettler zurückkehren, sie bitten, ihre Hilfe in Anspruch nehmen? –

»Nie! -

»Er wandte den Schritt, er entfloh, wie von bösen Mächten verfolgt.

»Und Jahre vergingen, bis sein Trotz gebrochen war, bis er sich mit den Comanchen wieder aussöhnte und in ihrem Dorfe seinen Wigwam erbaute. Er hat das Antlitz des großen Geistes im Zorn gesehen und in der Versöhnung, er hat seine Stimme kennen gelernt in der Natur und in den Ereignissen, die ohne menschliches Dazutun aus den Wolken herab predigen. So wußte er auch, als sich seine und seines weißen Bruders Kugel im Fluge trafen, daß das ein Wahrzeichen sei und daß er einen Freund gefunden, dem die Kunde dessen, was er gesündigt und was er erlitten, als Warnung dienen könnte.

»Möge der junge weiße Fremdling des Jaguars gedenken, so oft ihn das heiße Blut zum Widerstand treibt, möge er sich allzeit erinnern, daß es ein anderes ist um die schnelle, trotzige Tat und um den langen, mahnenden Rückblick auf dieselbe.«

Er schwieg, und Robert drückte ihm tief erschüttert die Hand. Wieviel Reue barg das Leben, wie viele heiße Herzen waren der Versuchung erlegen, wie schwer hatten andere gebüßt und gesühnt, was sie gesündigt.

Er dachte an das stille, wellenumrauschte Grab an der Küste der kubanischen Insel. Auch dort ein Unglücklicher, dessen Bahn voll Dornen, dessen Seele wund bis zum Tode –

Und die Gestalten dieser beiden Männer, das melancholische Antlitz des Geistersehers und die hohe Erscheinung des Trappers, seine Züge voll Ruhe und Kraft, seine klare, vollbewußte Festigkeit – standen noch vor seinem Auge, als er längst mit den anderen in das Wirtshaus zurückgekehrt, als er zum erstenmal wieder in einem Bette schlief und wirre Bilder im Traume ihn umgaukelten. –

Am anderen Morgen nahm er Abschied von den Comanchen, denen der Trapper erzählt, um was es sich handle, und deren völlige Beistimmung er ihm ins Englische übersetzte. Sie alle begleiteten den Scheidenden bis an das Postdampfschiff, welches ihn nach San Francisco bringen sollte.

»Grüße Mongo und Gottlieb,« bat mit etwas unsicherer Stimme unser Freund, »und versprich ihnen Briefe von mir. Auch dir darf ich schreiben, nicht wahr, Jaguar?«

Der Trapper nickte. »Unter dem Namen des Wirtes, bei dem wir wohnen,« antwortete er. »Wenn ich im Herbst noch lebe, so erhalte ich dort den Brief meines jungen Freundes.«

»Gut also! und nun läutet die Glocke zum drittenmal, – leb wohl denn, Jaguar, lieber Jaguar, der du mir so viel Gutes getan, – leb wohl und herzinnigen Dank!«

Der Trapper trat, indes die Matrosen das Tau des Schiffes lösten, auf die Landungsbrücke. Er hielt noch immer Roberts Hand und sah ihm tief ins Auge. »Leb wohl,« sagte er in deutscher Sprache, »leb wohl, Kind, und der allmächtige Gott segne dich!«

Das Schiff begann sich zu drehen, die schrille Pfeife zerschnitt das Abschiedswort und die verschlungenen Hände lösten sich. »Hab Dank, Jaguar! Hab Dank!« –

Noch einmal grüßte der ernste Mann vom Lande herüber, noch ein Lächeln schwebte um die Lippen, welche nach dreißig langen Jahren das erste deutsche Wort gesprochen, gleichsam als Geschenk der milden, freundlichen Seele – und dann traten Alltagsgestalten dazwischen, dann sah Robert nur noch wie im Fluge die hohe, spitze Mütze und die schlanke Gestalt des Trappers. Als er sich auf die Zehenspitzen erhob, war alles verschwunden.

So schnell zerrissen das Band der letzten Monate, so ganz allein wieder unter Fremden, – das Gefühl war sonderbar wehmütig.

Aber dafür umgab ihn sein geliebtes Element. Er befand sich auf dem Wasser und hatte die Aussicht, jetzt in dieser, ihm am meisten zusagenden Welt sogar einem höheren Berufe folgen zu dürfen. Er sollte für sein teures Land kämpfen, Blut und Leben der geheiligten Sache widmen, – das tröstete ihn für alles.

Der Deutsche, welchen er gestern getroffen, befand sich ebenfalls auf dem Dampfer und wollte wie er zur Armee nach Deutschland gehen. Robert hatte also einen Reisebegleiter, mit dem er über Vergangenes und Künftiges sprechen konnte, einen Mann, der sowohl die Verhältnisse in den Minenlagern als auch aus früheren Jahren her die militärischen Angelegenheiten kannte. Es ließ sich vortrefflich mit ihm plaudern, bis der Dampfer die Suisunbai und die Pablobai durchschnitten hatte und in San Francisco landete. Da trennten sich ihre Wege, da der Goldgräber mit dem nächsten Dampfschiff nach Deutschland abging, während sich Roberts Angelegenheiten nicht ganz so schnell übers Knie brechen ließen. Unser Freund war, wie wir wissen, sehr sparsam, er wollte daher keineswegs als Passagier nach Europa fahren, sondern vielmehr bei Gelegenheit dieser Reise noch ein hübsches Stück Geld verdienen, um sich sogleich in Hamburg einen neuen Seemannsanzug zu kaufen und sowohl bei den Eltern, als auch namentlich bei dem Kriegsschiffskapitän, der ihn einstellen würde, einen möglichst guten Eindruck hervorzubringen. Er besaß überdies kein Stück Wäsche, sondern außer seinem Lederanzug nur noch das Taschenbuch des Spaniers mit der Nähnadel aus einer Fischgräte, – also mußte er vieles zusammenkaufen, um anständig erscheinen zu können.

Zunächst erstand er eine Seekiste mit festem Schloß und verbarg in derselben den Comanchengürtel; dann, nachdem dieser, welcher aller Blicke anzog, in Sicherheit gebracht war, versorgte er sich mit den nötigsten wollenen Unterkleidern, sowie neuen, derben Seestiefeln, zahlte den Betrag für einen vollständigen Anzug und weiße Wäsche noch außerdem ab, und rechnete dann heraus, was ihm in Hamburg zu Gebote stehen würde. Mit der Heuer, welche er zu verdienen gedachte, etwa zweihundert Taler, also nach Abzug des Betrages, den er seinem Vater schuldete, noch hundert Taler, – genug, um in Pinneberg nicht als Bettler aufzutreten und sich dort bei den Leuten in Achtung zu setzen.

Wie tausendfach segnete er im innersten Herzen den Trapper. – Durch die Hilfe dieses Mannes war er in den Stand gesetzt, würdig und mit berechtigtem Stolz, wie er es nannte, im Vaterhause wieder zu erscheinen. Der Jaguar hatte ja ganz dasselbe gefühlt, was ihn so unwiderstehlich beherrschte, er war lieber krank und hungernd in die Wälder zurückgeflüchtet, als daß er um Gnade gebeten hätte. Freilich, das nannte er jetzt eine große Sünde, das tat ihm noch in der Erinnerung weh, aber – –

Robert schüttelte den Kopf. Es war doch schön, sich unabhängig zu wissen und dem Vater sagen zu können: »Nur dein Segen ist es, den ich suche, Brot besitze ich selbst.«

Er wechselte das Geld in Banknoten um, packte es in die Brieftasche und diese selbst in die Kiste, dann aber machte er sich auf, um ein Schiff zu suchen, und schon am folgenden Tage war er unterwegs nach Hamburg.


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