Heinrich Wölfflin
Die Kunst Albrecht Dürers
Heinrich Wölfflin

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Die frühen Bilder

1.

Es ist nicht wahr, daß die Farbe für Dürer keine Bedeutung gehabt habe. Gerade seine Jugend ist durchaus farbig gestimmt und ich wüßte nichts, was einen unerwartetern Eindruck machen muß als die landschaftlichen Aquarelle dieser Zeit. Sie enthalten farbige Beobachtungen, die überhaupt eine ganz andere malerische Entwicklung in Aussicht stellen als wir sie kennen. Von Anfang an folgt die große Malerei dem Kolorismus der Zeichnungen nur von weitem und innerhalb der Bildaufgabe unterscheidet Dürer zwei ganz verschiedene Stile, je nachdem er mit Öl auf Holz oder mit Wasserlösungen auf Leinwand malt. Die erstere Art ist die volkstümliche und hier nähert er sich am meisten seinem Holzschnittstil, die zweite ist die vornehme, die er in Italien sich angeeignet hatte und wo er sich in Hinsicht auf Linienbewegung zu einer so merkwürdigen Enthaltsamkeit zwingt, daß man den Zusammenhang mit dem übrigen Werk fast aus den Augen verliert.

Gleich am Eingang steht ein Rätsel. Ich nenne so den Dresdner Altar, der nirgends recht hinpaßt, widersprechende Eigenschaften einschließt und den Biographen Dürers immer – ob sie es zugestanden oder nicht – eine Verlegenheit gewesen ist. Ein Triptychon: in der Mitte Maria, das schlafende Kind anbetend;Das Mittelbild ist oben, offenbar wegen Beschädigung, etwas verkürzt worden. Antonius und Sebastian auf den Flügeln. Lebensgroße Halbfiguren. Die Technik eine dünne Malerei mit Wasser- oder Leimfarben auf Leinwand.

Es ist ein Bild, das man nicht leicht wieder vergißt: reizlos und herb, aber groß und von einem ergreifenden plastischen Ernst. Man bemerkt sofort, daß Flügel und Mitte nicht denselben Stil haben. Die heiligen Männer sehen einen vertraut an und schließen sich leicht mit Dürerschen Erinnerungen zusammen, aber die Maria ist von einer so versteinernden Kälte und alles um sie her so kahl und starr, daß man stutzig werden muß: ist es möglich, daß der Zeichner der Apokalypse das gemacht hat? Der junge Dürer, dem sich alles umsetzt in bewegte Linie, der die Bildfläche bis in alle Winkel lebendig durchfurcht, wäre 110 er imstande, plötzlich ein so ganz anderes Gesicht zu zeigen? Und man ist nicht minder erstaunt, in der Durchführung des großen Verkürzungsthemas Kleinlichkeiten, und in der Körperzeichnung (des Kindes) Lahmheiten zu finden, die weder mit Dürer noch überhaupt mit einem großen Künstler sich zu vertragen scheinen.

Kritische Untersuchungen der jüngsten Zeit haben ergeben, daß wir ein durchaus entstelltes Bild vor uns haben. Die Pfeiler mit der (perspektivisch auffallenden) Fugenzeichnung sind neu, ebenso das Lesepult mit dem Tüchlein, Boden und Deckenzeichnung, die Ausstattung des Hinterraums usw. und in den Figuren, wo sie kleinlich und energielos sind, ist eine fremde pedantische Hand der Zeichnung nachgegangen.Vgl. L. Justi, Dürers Dresdner Altar, 1904, und meine Ergänzung dazu im Dresdner Jahrbuch 1905, S. 20 ff.

Offenbar liegt ein italienisches (venezianisch-paduanisches) Motiv zugrunde. Was Dürer festhalten wollte, war das Packende einer lebensgroßen Verkürzung. Hier handelt es sich nicht mehr um dekorative Flächenfüllung, sondern um Körperlichkeit und Räumlichkeit. Mit rein linearen Mitteln ist der Eindruck gewonnen, aber es hat noch jetzt etwas Verblüffendes, wie der Kopf sich uns entgegenneigt, innerhalb der damaligen deutschen Kunst bedeutet das Bild etwas Unerhörtes. Auch unter Dürers andern Bildern steht es isoliert. Im Typus vergleicht sich die Maria am ehesten mit jener stehenden Frau im Kupferstich der Eifersucht. Allenfalls kann man auch noch die Meerkatzenmadonna heranziehen. Jedenfalls gehört das Stück in jene Jahre der Hochblüte des Italianismus und nicht in die Zeit unmittelbar nach der Rückkehr von Italien. Wie bei einer Badekur kam die rechte Wirkung Italiens bei Dürer erst als er schon wieder eine Weile zu Hause gesessen hatte.

Die Flügelfiguren sind sicher jünger, ich möchte sie auf 1504/5 datieren. Sie haben weniger gelitten, obgleich sie auch nicht intakt sind. Das Engelgewimmel wird man sich etwas ins klare gelichtet denken dürfen. Antonius (mit unechten Ungeheuern) ist ein schöner Greisenkopf, mit den Zeichen von Mühe und Sorge – er ist vorbereitet durch die Josephstypen im Holzschnitt –, Sebastian, der sympathische, treuherzig-betende Jüngling, höchst wichtig als Beispiel einer lebensgroßen Aktfigur des neuen Stils. Das Gefüge der Brust- und Schulterpartieen prachtvoll durchempfunden und bildnerisch vollkommen klar ausgebreitet.In Bremen gibt es zwei kleine Holztafeln mit den unvollendeten Figuren eines Onophrius und eines Johannes Baptista, von denen der eine sich gut mit dem Sebastian vergleichen läßt. Sie stammen aus dem Jahr 1504. Die Hände (leider stark ruiniert) müssen ein Meisterwerk gewesen sein. Eine fast identische Zeichnung ist später im Zusammenhang der Apostelstudien 111 für den Helleraltar (1508, L. 507) entstanden. Auf der Brüstung steht ein Wasserglas mit einer Blume drin: das Motiv findet in den malerischen Tendenzen gerade dieser Zeit leicht seine Erklärung; doch ist der Effekt modernisiert worden, so breit und schillernd hat Dürer nie gemalt.Für die übrigen Korrekturen, die an dem Bilde vorzunehmen sind, muß ich auf meinen oben erwähnten Aufsatz verweisen.

Die Technik der Temperamalerei auf feiner Leinwand, mit großer Reserve im farbigen Ausdruck, muß Dürer gefallen haben. Er braucht sie noch später, wenn er etwas Besonderes sagen will und für Kunden arbeitet, die etwas von der Sache verstehen. Das Selbstporträt, das er dem Raphael verehrte, war so gemacht. Sie entsprach seiner Neigung für die ganz bestimmte Zeichnung, den entscheidenden Eindruck von dem metallisch-harten Stil solcher Malereien hat er aber zweifellos durch Mantegna empfangen.

Ein Porträt der Berliner Galerie schließt sich unmittelbar an die Dresdner Maria an. Ein seltsam-düsteres, großäugiges Porträt, in dem man den Kurfürsten von Sachsen Friedrich (den Weisen) erkennen will. Es wäre dann derselbe Herr, dem der Dresdner Altar gehörte. Schon das Format sagt, daß etwas Bedeutendes versucht werden sollte: lebensgroße Halbfigur mit Händen. Auffallend ist aber auch hier eine Starrheit, die man sonst bei Dürer nicht kennt; alle übrigen Porträts sind anders behandelt, Dürer verzichtet auf die Mittel der bewegten Linie, ohne die es doch sonst kein Leben für ihn giebt. Der diagonale Mantelzug wirkt sogar schleppend und mühsam. Und das scheint in diesem Bilde beinahe Temperamentssache zu sein: auch die Hände liegen matt übereinander und lassen die Energie der Funktion entbehren, die Dürer sonst selbst der ruhenden Form mitteilt (die eine ist übrigens beschädigt). Ob er etwas Italienisches nachahmen wollte? Ich komme über den Eindruck von etwas Innerlich-Widerspruchsvollem auch beim Kopf nicht hinaus. Das große Schema ist nicht ganz lebendig geworden. Ein Rest von Leere blieb unüberwunden. Aber es ist hier ein Versuch gemacht für menschliche Größe eine Form zu finden, der Dürer wahrlich nicht zu Unehren gereicht und in der deutschen Kunst vom Ausgang des 15. Jahrhunderts als etwas ganz Unvergleichliches dasteht.Die Arme wirken auffallend klein und schwächlich, beim linken ist die Verbindung mit der Hand unverständlich. – Die Benennung auf Friedrich gründet sich wesentlich auf gewisse Übereinstimmungen mit der Büste des Hadrianus Florentinus im Dresdner Albertinum von 1498. (Vgl. Fabriczy im Jahrb. der preuß. Kunstsammlungen 1903, S. 83 ff. und Bode, ebendort 1884 S. 57 ff.). Das Gemälde möchte ungefähr gleichzeitig entstanden sein. In der allgemeinen Stimmung geht der Kopf nah zusammen mit dem Satyr der »Eifersucht«. 112

 

2.

Dürers Vater von 1490 (Florenz)

Dürers Vater von 1497 (London)

Das lehrreichste Beispiel, um zu erfahren, wie es mit Dürers Menschenauffassung damals stand, liefert das Bildnis seines Vaters aus dem Jahre 1497, sieben Jahre also nach der ersten Aufnahme gemacht. Das Bild muß berühmt gewesen sein, es kommt mehrfach vor (München, Frankfurt, zweimal in England): das Exemplar des Britischen Museums hat den Vorzug, ohne das Original zu sein, doch die vertrauenerweckendste Zeichnung zu enthalten; das ist wirklich derselbe Mann wie auf dem Bilde, das Dürer vor Antritt der Wanderschaft machte.In die von Friedländer vorgeschlagene Porträtzeichnung des Vaters (Repert. 1896, S. 12 ff.) habe ich mich nicht hineinfinden können. Aber jetzt bringt er an den alten Goldschmiedmeister seinen Begriff von großgesehener Natur hinan, aus der befangenen und kümmerlichen Gestalt von ehemals wächst der Greis zu einer fast mächtigen Erscheinung empor. Die neue Wirkung beruht nicht allein auf dem andern Verhältnis von Figur und Raum, auf dem Aufnehmen der Gestalt in größerem Abschnitt, so wenig wie sie durch die bedeutendere Führung der Linien im Gewand und in der Kappe erklärt werden könnte; auch das Motiv der auswärts blickenden Augen (bei seitlicher Wendung des Kopfes), so wirksam es ist, ist doch nur eine Nebensache; entscheidend ist, daß der Kopf nach seinen großen und wesentlichen Formen gesehen ist und daß der Beschauer nicht auf Einzelheiten hingeleitet wird, sondern auf das Ganze. Dadurch kommen ganz andere Accente heraus. Jetzt erst antwortet den breiten Backenknochen das breite Kinn. Es ist Dürer klar geworden, was die Kinnladen in der Architektonik eines Kopfes bedeuten. Die Stirn ist freigelegt. Nase und Augen bekommen eine führende Rolle. Und dann ist freilich wahr, daß Dürer mit einer andern Stimmung seinem Modell 113 gegenübertrat, er sah jetzt das Großartige in den Zügen dieses alten Lebenskämpfers. Die Linie des Mundes ist gesättigt mit Ernst und die Bewegung der emporsteigenden Augenbrauen ist, in bestimmter Wirkungsabsicht, vielleicht über die Natur hinaus gesteigert worden. Das ist ein rechtes Linienkunstwerk, so wie man es vom Autor der Apokalypse erwartet. Ganz ähnlich in der Ansicht mit dem »Kurfürsten« und doch ganz anders in den Ausdrucksmitteln. Das Original war offenbar auf Holz gemalt.

Noch ein Porträt gibt es aus dem Jahre 1497 von unmittelbar überzeugendem Charakter, trotzdem nur Kopien erhalten zu sein scheinen, die Fürlegerin (mit den aufgebundenen Haaren). Ein munterer Mädchenkopf, knorrig in der Linie und fast heftig in der Bewegung der Flächen. Brustbild mit ineinandergefügten Händen. Der Raum mit einer seitlichen Fensteraussicht vertikal geschlitzt.Verf. kennt nur die Reproduktion der Gesellschaft für kunstgeschichtliche Publikationen (Jahrgang 1905), die das Exemplar Speck von Sternburg gibt, eine offenbar sehr getreue Kopie.

Ich erwähne das Bild deswegen, weil es eine zweite berühmtere Fürlegerin gibt mit offenen Haaren (die bekannten Exemplare in Augsburg und Frankfurt)Im übrigen vgl. Weizsäcker im Katalog des Städelschen Instituts., die ebenfalls auf 1497 datiert ist, wo aber alles zweifelhaft ist, Datum 114 und Name und Monogramm. Von den zwei genannten Exemplaren ist jedenfalls keines das Original. Es mag ein sehr schönes Bild gewesen sein: der leise gesenkte Kopf von den Wellen des reichen Haares umrahmt, mit großer, ruhiger Lichtverteilung, breit füllend in die Fläche gesetzt – man denkt an Lionardo. Zu Jugendarbeiten Dürers ist es schwer, Beziehungen zu entdecken. Eher könnte man im Kreis der venezianischen Arbeiten von 1506 Stimmungsanalogien finden: der Christusknabe des Barberinibildes ist eine ähnliche lionardeske Inspiration gewesen.Daß es aus jener mittlern Zeit eine Zeichnung gibt (L. 96), die das »Fürlegerin«-Motiv in fast vollkommener Identität enthält nur ohne die Hände und ohne die Haare, habe ich früher gelegentlich schon angemerkt (Jahrb. der preuß. Kunsts. 1904, S. 204). Allein solange man auf Kopien angewiesen ist, kann man überhaupt kaum etwas Entscheidendes sagen. Zu erklären bliebe immer, wieso die Jahreszahl 1497 auf die Kopien gekommen ist (schon Hollar hatte eine solche Kopie vor sich). Vielleicht liegt ein Ausweg in der Annahme, das Original sei ein Leinwandbild gewesen im Stil der oben genannten Bilder, wobei dann an die lionardesken Elemente der Meerkatzenmaria erinnert werden könnte.

Die Linie geht nun weiter über das bekannte Madrider Selbstporträt von 1498 zum Oswald Krell (München) und zu den kleinen Tucherporträts (Kassel und Weimar), denen sich dann noch der sogenannte Hans Dürer (München) mit dem Datum 1500 anreiht.Dem jungen Mann aus Darmstadt, der auf der Düsseldorfer Ausstellung 1904 als Jugendarbeit Dürers zu sehen war, fehlt das unmittelbar überzeugende Dürersche Leben. Auch die durchgehende Horizontale in der Landschaft des Hintergrundes paßt nicht recht hierher. Neuerdings ist der Dargestellte aber auf Friedrich II. von der Pfalz bestimmt worden, den Dürer viermal porträtiert haben soll (Peltzer, Albrecht Dürer und Friedrich II. von der Pfalz, 1905). Alle diese auf Holz gemalten Bilder haben einen einheitlichen Stil, der nur variiert in der größeren oder geringeren Ausführlichkeit des Verfahrens. Je abgekürzter der Ausdruck ist, um so mehr scheint Dürer die Neigung zu haben, die Wirkung in der holzschnittmäßig stilisierten Zeichnung zu suchen. So hat die stürmisch-drängende, temperamentvoll übertreibende Linie des Brausekopfs Oswald Krell einen fast aggressiven Charakter.

Die folgenden Jahre sind eine Zeit der Beruhigung und des ausgebildeten Feinstils. Das frauliche kleine Marienköpfchen in Wien (1503) ist ein charakteristisches Beispiel. Im Porträt sind wir auf bloße Zeichnungen angewiesen. Darf man darnach ein allgemeines Urteil fällen, so möchte man sagen, daß Dürer immer mehr den augenblicklichen Ausdruck und sogar die überraschende Ansicht zu fassen versucht. Er bemüht sich um die Formen des Lächelns und um das Sprechende im wörtlichen Sinn und entwickelt in raschen Kohle- und spielend durchführten Federzeichnungen schon eine ganz erstaunliche 115 Leichtigkeit, doch erscheint seine Psychologie, neben den meisterhaften Analysen der spätern Jahre noch etwas oberflächlich. Der Körperzeichnung, wie man sie im großen Glück findet, entspricht keine ebenso vollkommene gleichzeitige Seelenzeichnung.Es gehören hieher aus dem Jahr 1503: die Kohlezeichnungen Pirkheimers und der sog. Schwägerin (Berlin, L. 5, 376) und eines achtzehnjährigen Burschen (Wiener Akademie, L. 426), sowie die Federzeichnung eines jungen Mannes mit leichtgeöffnetem Mund (London, Sammlung Locker, L. 99) aus dem Jahr 1504: eine muntere Silberstiftzeichnung der Frau Agnes (Bremen, L. 133) aus dem Jahr 1505: ein schmunzelnder, knollig-gemeiner Weiberkopf in Kreide (Braunschweig, Sammlung Vieweg, L. 180) und, offenbar schon auf der Reise gemacht, die »Villana Windisch«, eine slavische Bäuerin mit offenem Hals und lachend entblößten Zähnen (London, Sammlung Seymour, L. 408, Federzeichnung).

Pirkheimer (Berlin)

Dafür entstanden damals die zwei lieblichsten Kirchenbilder, auf denen der ganze Zauber der Jugend liegt, der Paumgärtnersche Altar mit der Geburt Christi in München und die Anbetung der Könige in Florenz. Die letztere datiert 1504, die andere unmittelbar vorangehend.Der Jabachsche Altar (München, Frankfurt, Köln) kann nur in einem Werkstattzusammenhang mit Dürer genannt werden. Die Datierung auf 1500 ist sicher zu früh, er weist in allen Motiven auf die Zeit von 1503/5, verliert aber sehr bei der Konfrontation mit den gesicherten Werken. – Über die Beweinungen in München und Nürnberg s. oben im Kapitel »Die große Passion«.

Stifterfigur vom Paumgärtner-Altar
(Hl. Georg)

Das Geburtsbild ist im Räumlichen ähnlich behandelt wie der Weihnachtskupferstich (1504): ein Hof mit großem Bogendurchblick im Hintergrund, nur sind die Figuren hier natürlich nicht bloß Staffage, sondern haben das erste Wort. Joseph und Maria knieen, diagonal gestellt, ein Häuflein von Kinderkörperchen (Christus und helfende Engel) zwischen sich, und dieses freundliche Gewimmel verklingt vorn nach den Ecken zu in den Reihen der kleinen Stifterfiguren. Es ist ein großer Gewinn der neuerlich vollzogenen Restauration des Bildes, daß durch die Aufdeckung dieser Stifterfiguren der alte Bewegungsrhythmus wiederhergestellt wurde, das Kleinteilig-Prickelnde 116 der ursprünglichen Flächenbesetzung. Auch in den Lüften ist viel neues farbiges Leben gewonnen worden.

Stifterfigur vom Paumgärtner-Altar
(Hl. Eustachius)

Bekanntlich sind bei Gelegenheit dieser Restauration auch die großen Ritterfiguren der Flügel ihrer Helme entkleidet worden, statt des Schildes erschien der überwundene Drache in der Hand des Georg, die Pferde verschwanden und an Stelle des landschaftlichen Grundes sehen wir jetzt eine einfache schwarze Folie (viel schmäler übrigens als vordem), auf der die Männer mit weiß flatternden Fahnen in ungeahnter Monumentalität sich darstellen. Es bedeutet eine neue Gesinnung, als man zum erstenmal anfing, die alten in Felder abgeteilten Flügel als eine Fläche aufzufassen und diese Fläche mit fast lebensgroßer Figur zu füllen, und für unsere Empfindung ist es kaum verständlich dabei, wie solche Figuren Porträtfiguren, Stifterfiguren in der Maske von Heiligen sein durften, – das Selbstbewußtsein, was darin liegt, verlangte jedenfalls nach dem größten Stil in der Präsentation der Person. Und nun ist es interessant, vor diesem Paumgärtnerschen Altar zu erfahren, wie man sich den großen Stil des Lebens am Anfang des neuen Jahrhunderts in Nürnberg gedacht hat. Das Dastehen der beiden ist modern. Der eine (mit dem Tritt des Adam im Kupferstich) posiert auf italienische Weise, der andere ist origineller, deutscher: er steht sehr fest mit beiden Sohlen am Boden, etwas vorgebeugt, das eine Knie durchgedrückt – liegt nicht die ganze Schwere des nordischen Lebens in dieser Haltung?Cranach wiederholt die Figur im großen Holzschnitt eines hl. Georg von 1506 (L. 5). – Die Außenbilder der Flügel enthielten eine unbedeutende Verkündigung. Der Engel ist zerstört. –

Anbetung der Könige (Florenz)

Wie ein Juwel leuchtet die köstliche Anbetung der Könige in der Tribuna der Uffizien von der Wand, besonders hell, weil sie zwei dunkelgründige Gemälde neben sich hat. Das Bild, das aus der Wittenberger Schloßkirche stammt, muß 117 mit der größten Hingebung gemalt worden sein. Mutter und Kind im Motiv glückselig leicht erfunden, das Fleisch strahlend, die Gewänder tief und prächtig und bis in den Hintergrund alles erfüllt mit Heiterkeit.

Sage ich zu viel, wenn ich diese Anbetung das erste vollkommen klare Gemälde der deutschen Kunst nenne? Man sollte es nur einmal sehen im Zusammenhang zeitgenössischer Kunst: wie es seinen Inhalt gleich vollkommen ausspricht, wie selbstverständlich die Motive aufeinanderfolgen und jedes sich vor dem Auge ohne weiteres auseinanderlegt. Das geht noch ein gutes Stück über die Zeichnung des Marienlebens hinaus. Der Hintergrund, so unterhaltend er an sich ist, steht doch bereits in einer notwendigen Verbindung mit den Figuren, er folgt dem Bewegungszug der Gruppe und gibt jeder einzelnen Figur ihre wirksame Folie.Den weitern Fortschritt in der Bildgestaltung repräsentiert dann die Anbetung des H. v. Kulmbach von 1511 (Berlin), wo, ohne Schaden der Klarheit, der Reichtum des figuralen Themas unvergleichlich gesteigert ist und durch das große Architekturmotiv von vornherein ein Zug ins Bild gebracht wird, neben dem dieses Frühwerk schüchtern und flächenhaft befangen erscheinen muß.

Wie in der Zeichnung, so würde man jetzt auch in der Farbe eine neue Ökonomie feststellen können, basierend auf Vereinfachung und dem Sprechenlassen von Kontrasten. Es »sprechen« nur drei Farben: das Blau der Maria, das Rot des knieenden Königs, das Grün des stehenden – der Mohr hat nur einen schiefergrauen Mantel und seine Hosen geben das Rot ins Kalte gebrochen. Der bestimmende Farbendreiklang ist auf einen einheitlich-neutralen Grund abgesetzt: Boden und Gemäuer sind beide von demselben lichten Braun.

Überall schwarze Konturlinien. Eine naturalistische Färbung ist nicht angestrebt. Es mag scheinen, das brauche nicht besonders gesagt zu werden, allein es ist gar nicht selbstverständlich. Zugunsten der dekorativen Wirkung hat sich Dürer innerhalb dieser Schranken gehalten, seine Naturskizzen aber beweisen, daß 118 er von der farbigen Erscheinung der Welt schon ganz andere Erfahrungen besaß und über die Möglichkeit einer natürlichen Farbweise nicht im Zweifel sein konnte.

 

3.

Die Landschaft mit dem Weiherhäuschen, die im Kupferstich der Maria mit der Meerkatze verwendet wurde, ist eine solche malerische Naturaufnahme (London, L. 220). Nach dem bloßen Maßstab der Gemälde müßte man sie für die Zeit um 1500 einfach als unmöglich ablehnen. Ein Wasserspiegel zwischen sandigen Ufern, mit dem Widerschein des gelbgrünen Abendhimmels. Aus grünen Weiden hebt sich das rote Dach des Häuschens empor, oben in der einen Ecke violettes Gewölk, dem unten in der gegenüberliegenden Ecke ein dunkler Kahn antwortet. Das höchste Licht ist ein Chromgelb, das ganz tief am Horizont aus den grünlichen Dünsten sich herausdrängt. Das Wasser als ganzes soll aber heller wirken als der Himmel.

Noch merkwürdiger ist der Sonnenaufgang am Weiher mit den Kiefern (London, L. 219). Wahrscheinlich aus dem bloßen Gedächtnis versuchte Dürer hier das Schauspiel wiederzugeben, wie die ersten Strahlen der Sonne das Gewölk durchblitzen. Ein heftiges Orangegelb, das sich mit den blauvioletten Wolkenballen trifft. Der Himmel am Aufgang ist rot gefärbt. Der baumumstandene Weiher erglänzt in der Mitte in intensiver Bläue, vorn liegt er noch in tiefem Schatten. Die Malerei ist unvollendet geblieben, leider ist Dürer auch späterhin nicht mehr auf solche malerischen Phantasien zurückgekommen. Es ist Altdorfer, der den Faden weiterspann: wer kennt nicht jenen märchenhaften Sonnenuntergang der Alexanderschlacht in München?

Die Drahtziehmühle (Berlin)

Was hier in Abbildung beigegeben ist, die Drahtziehmühle (Berlin, L. 4), enthält kein außerordentliches Naturphänomen. Es ist zwar dieses Stück Nürnberger Landschaft auch farbig gesehen, aber der Hauptreiz liegt in dem Umfassenden und Verweilenden des Blickes. Wie viel Leben ist hier mit einem Male gegeben! Und das Netz, das Dürer auswirft, ist so eng geflochten, daß gar nichts durch die Maschen geht. Alles Einzelne ist mit gleicher Wertschätzung aufgefaßt. Man sagt sich wohl, das Blatt würde gewinnen, wenn er die Szene mehr im ganzen nähme – er hat das später getan, allein (ich weiß, es ist unkünstlerisch, so zu urteilen) den Reiz kontemplativer Stimmung haben diese altertümlichen Zeichnungen vor allen anderen voraus.Eben dahin gehört der Johanniskirchhof von Nürnberg (Bremen, L. 104), während die Ansicht der Stadt mit der Vesten (ebendort, L. 104) später zu setzen sein möchte. Sicher erst aus der mittleren Periode das Dorf Kalkreuth (ebendort, L. 105).

119 Dürer war unendlich beschaulich und liebevoll damals. Er steigt hinunter bis zu den unscheinbaren Gewächsen der Wiese und das arme Leben eines Rasenstückes wird ihm zu einer ganzen Welt. Gräser, Schafgarbe, Wegerich und Löwenzahn, wie sie durcheinanderstehen in der Zufälligkeit ihres Wachstums, bildet er nach in natürlicher Größe, mit einer Andacht, die sich scheut, das geringste auszulassen oder zu verändern. Alles ist grün, er muß mit ganz feinen Nuancen unterscheiden; nirgends eine große zusammenfassende Form, lauter kleine Sonderexistenzen, die dargestellt sein wollen – und doch das Ganze klar und schaubar gemacht. Das sogenannte große Rasenstück der Albertina (L. 472) trägt die Jahrzahl 1503. Man wird an den Lederriemenbündel des großen Glückes denken angesichts dieser seltsamen, ganz unitalienischen Aufgabe.

Das bekanntere Prunkstück derselben Sammlung ist der Feldhase von 1502 (L. 468, wo man schwören möchte, es fehle kein Härchen. Das Wunderbare 120 ist aber nicht der Fleiß, sondern das künstlerische Gefühl, das das tausendfache Einzelne immer noch einem Gesamteindruck unterzuordnen imstande ist. Und wie ist die stoffliche Qualität empfunden!Vgl. dazu den Hirschkopf von 1504 (Paris, Nationalbibliothek, L. 330: Federzeichnung mit Wasserfarben annähernd zum natürlichen Kolorit getönt) und den Hirschkäfer von 1505 (London, Sammlg. Heseltine, L. 169, in sorgfältiger Deckfarbenmalerei). Sonderbar, daß Dürer so etwas zu malen das Bedürfnis hatte; eigentlich war es doch wesentlich ein Linienschauspiel für ihn; und so reflektiert der Kupferstich die Stimmung solcher Naturzeichnungen stärker als die Tafelmalerei. Die Katze von »Adam und Eva« ist einzig und nie hat er als Maler im großen eine ähnliche Charakteristik menschlicher Haut versucht wie auf eben diesem Stich. Man spricht von einer »stoffbezeichnenden Manier« in der Graphik, aber nicht in der Malerei. Zu dem Wappen des Todes (Kupferstich von 1503, B. 101), wo das Mürbe des Schädelknochens und das klingend Harte des metallenen Helmes so wunderbar nebeneinander gesetzt sind, wüßte ich kein Bild als Gegenstück zu nennen.

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der germanischen Kunst, daß sie ein starkes Stoffgefühl hat, daß sie weiß, wie es der Materie zumute ist, daß ihr keine Art von Dasein verschlossen ist, sondern alles seine besondere Stimmung hat, der 121 Tropfen Wasser im Glas und der Stein am Wege. Das Stilleben ist ein nordisches Produkt, der Südländer sieht darin mehr nur das Illusionskunststück. Es gibt keinen großen nordischen Maler, der nicht diese Ader des Stillebenmalers gehabt hätte.

Die Eycks hatten einst der Welt die Augen geöffnet für den Reichtum in der Erscheinung der Oberflächen, aber es dauerte lange, bis sie in Deutschland recht verstanden wurden. Man malte die reichen Kleiderstoffe und Glas und Wasserspiegelungen, man charakterisierte Holz und Rinden, man ließ Gräser aus den Fugen sprießen und Käfer auf den Steinen herumlaufen, aber im ganzen ist es doch ein armer Reichtum gewesen, weil die Empfindung nicht stark war. Es hat vor Dürer deutsche Maler gegeben, die für das Farbige viel begabter gewesen sind als er, aber er besaß die größere Liebe. Nie mehr so wie in jenen Jahren des Marienlebens ist Dürers Welt reich und vielfärbig gewesen. Die große italienische Reise bedeutete für ihn eine Verarmung und erst nach 1512 fand er sich wieder. Das Stillebengefühl erwachte noch einmal und aus dieser Stimmung heraus ist dann ein Kunstwerk wie der Hieronymus im Gehäus möglich geworden. 122

 

 


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