Heinrich Wölfflin
Die Kunst Albrecht Dürers
Heinrich Wölfflin

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Lebensgeschichte

Was zufällig als erste künstlerische Äußerung Dürers erhalten blieb, ist ein Selbstbildnis: der Knabe im Alter von dreizehn Jahren; mit dem Silberstift gezeichnet, in feinen, vorsichtigen Linien. Alles, was feste Form ist, enthält bereits die Bildung, die wir aus den späteren Bildnissen kennen, und das Individuelle spricht schon mit merkwürdiger Bestimmtheit. Nur das Auge hat einen unwahren Blick. Im Ganzen aber des fein organisierten Kopfes liegt eine eigentümliche Spannung und man mag leicht versucht sein, mehr darin zu sehen als die Spannung des Modells vor dem Spiegel: etwas von jenem staunenden Erwarten, mit dem das Genie den Eindrücken der Welt entgegengeht.

Dieser Knabe ist am 21. Mai 1471 in Nürnberg zur Welt gekommen, in einem Hinterhaus als Kind eines armen Goldschmieds. Zwei Kinder waren schon da und fünfzehn sollten noch folgen. Der Vater war seiner Zeit aus Ungarn eingewandert und hatte als Vierziger die Tochter seines ehemaligen Meisters, ein blutjunges Nürnberger Mädchen, zur Frau bekommen.

Wir kennen ihn. Der junge Dürer hat ihn zweimal gemalt und dazu in seiner Familienchronik noch einen Text geschrieben: wie er ein Mann von wenig Worten gewesen sei, streng rechtlich und tüchtig in seinem Handwerk, ein Mann, der sich zeitlebens schwer habe plagen müssen und wo die Kinder aufwuchsen in harter christlicher Zucht. Albrecht war sein besonderer Liebling.

Die Mutter, die einst ein liebliches Mädchen war (eine »hübsche gerade Jungfrau« nennt sie Dürer), ist uns nur durch eine Zeichnung aus ihrer spätesten Lebenszeit bekannt, jene unvergleichliche große Kohlezeichnung, die der Sohn kurz vor ihrem Tode machte, 1514. Er hatte sie, nachdem sie Witwe geworden, zu sich genommen. Sie ging kaum mehr aus, nur in die Kirche. Auch die andern ermahnte sie dazu und ihre ständige Rede war: »Geh im Namen Jesu Christi.« Jene Zeichnung ist das Bild eines Weibes, das von vielen Geburten erschöpft, in Not und Arbeit sich völlig aufgezehrt hat und das verschrumpfte Gesicht mit den schielenden vortretenden Augen hat etwas Dumpfes und Hoffnungsloses, das fast erschreckend wirkt. 2

Selbstbildnis vom Jahre 1484Die Zeichnung gehört zum Besitz der Albertina und ist nun auch im Lippmannschen Dürerwerk publiziert. (L. 448.) Es muß aber bemerkt werden, daß auf der abgewendeten Seite die Haare roh ergänzt worden sind.

Das sind die Eltern. Pathe war Anton Koburger, der berühmte Buchdrucker und Verleger.

Nachdem der Knabe in der Schule das Lesen und Schreiben gelernt hatte, war es selbstverständlich, daß er beim Vater in die Lehre ging und er war schon fast ein ausgelernter Goldschmied, als er inne wurde, er müsse Maler werden. Ohne Kampf ging es nicht – Dürer berichtet darüber in der Familienchronik –, den Vater »reute die verlorene Zeit«, aber schließlich ließ er ihn gewähren und gab ihn zu Michael Wohlgemut in die Werkstatt. Er war fünfzehneinhalb Jahr alt damals. Die Lehrzeit sollte drei Jahre dauern. »In der Zeit verlieh mir Gott Fleiß, daß ich wohl lernte.« Aber von den Gesellen in der Werkstatt habe er viel leiden müssen, fügt er hinzu. Mit neunzehn Jahren, im Frühling 1490, zog er aus auf die Wanderschaft: »und da ich ausgedient hatte, schickte mich mein Vater hinweg und ich blieb vier Jahre außen, bis daß mich mein Vater wieder forderte«. Wo er war, sagt er uns nicht. Wir wissen aber aus anderen Berichten, daß Kolmar und die Werkstätte Martin Schongauers ein Hauptziel der Wanderschaft waren. Indessen scheint er weite Umwege gemacht zu haben 3 und als er nach Kolmar kam, kam er zu spät: unvermutet war Meister Martin 1491 gestorben. So blieb er eine Weile bei den Brüdern, ging dann nach Basel – dort finden wir ihn im Dienste des Holzschnitts – und eine weitere Nachricht scheint noch einen Aufenthalt in Straßburg für 1494 anzuzeigen.

Seit Pfingsten dieses Jahres aber, wie gesagt, ist er wieder in Nürnberg. Gleich nach der Heimkehr gründet er den eignen Herd, indem er die Frau heiratet, die ihm der Vater nach üblicher Weise ausgesucht hatte. Sie hieß Agnes Frei, war aus wohlhabendem Haus, eine nüchterne Person mit stumpfen Zügen, von der man wohl begreift, daß böse Zungen sie als ein Kreuz für den Maler bezeichnen konnten. Ich brauche hier in Bezug auf sein eheliches Glück keine Rechnung abzustellen und begnüge mich zu konstatieren, daß er mit der Frau – in kinderloser Ehe – bis zu seinem Tode schlecht und recht zusammengelebt hat.

Die künstlerische Persönlichkeit Dürers kennzeichnet sich von Anfang an durch eine ungewöhnliche Feinfühligkeit der plastischen Form gegenüber. Man merkt, daß die Dinge der Sichtbarkeit ihm mehr sagten als den andern und daß er früh einen neuen Begriff von der Darstellungswürdigkeit und der Darstellungsfähigkeit der Natur sich gebildet haben muß. Nicht als Fortführer einer Nürnberger Lokaltradition läßt er sich begreifen, sondern gleich tritt er als der Erbe der gesamten oberdeutschen Kunst uns entgegen und diese besaß damals ihre bedeutendste Potenz in Martin Schongauer. Neben dem Eindruck Schongauers bleibt alles im Hintergrund, was etwa auf die Unterweisung durch Wohlgemut und seine Genossen zurückgeführt werden kann.

Und nun war also Dürer in der Heimat Schongauers gewesen und hatte in den oberrheinischen Gegenden sich vollgesogen mit der feinen, beweglichen und ausdrucksvollen Art dieser Kunst und was soll man anderes erwarten als daß er jetzt, zurückgekehrt nach Nürnberg, der Fortsetzer, der Vollender des frühverstorbenen Meisters würde?

Allein da geschieht das Unerwartete: Dürer kommt unter den Eindruck Italiens. Die Wirkung Schongauers kreuzt sich mit der Wirkung Mantegnas. Deutsche Spätgotik begegnet sich mit italienischer Renaissance.

Wann die ersten italienischen Bilder an Dürer herankamen, ist nicht bestimmt zu sagen, bald nach der Rückkehr aber nach Nürnberg, im Jahre 1494 und 1495 mehren sich die Zeichen der Berührung so sehr und sind von solcher Stärke, daß eine Reise über die Alpen angenommen werden müßte, auch wenn wir nicht durch sonstige Hinweise darauf gedrängt würden. Mag sein, daß einzelne Stiche italienischer Meister von Dürer schon im Norden kopiert wurden, 1495 aber hat er sicher auf italienischem Boden gestanden. Mit diesem Datum stimmt es, wenn Dürer später auf der großen italienischen 4 Reise 1506 von einem Eindruck spricht, den er elf Jahre früher an Ort und Stelle d. h. in Venedig gehabt habe.Brief an Pirkheimer vom 7. Februar 1506. Er lobt Giovanni Bellini und fährt dann fort: »– und das Ding, das mir vor elf Jahren so wohl hat gefallen, das gefällt mir jetzt nicht mehr. Und wenn ichs nicht selbst säh, so hätt ichs keinem andern geglaubt.« Es ist kaum anders denkbar, als daß es sich um eine Kunstangelegenheit handelt, »Ding« läßt sich ungefähr mit »Zeug« übersetzen (ohne verächtliche Bedeutung). Dürer konstatiert eine Geschmackswandlung angesichts einer Sache, die offenbar in Venedig festlag.

Vieles hat er damals gesehen, was eine mächtige Gährung in ihm hervorrufen mußte: große Landschaft, die Berge und Täler Tirols; Venedig und seine Maler; der Haupteindruck scheint aber Mantegna gewesen zu sein. Der Abstand war ein ungeheurer, ja, in ganz Italien hätte er kaum einen stärkeren Gegensatz zu Schongauer finden können als den heroischen, strengen, antik gesinnten Meister von Padua. In großer sicherer Erscheinung gewahrte er da eine ganz andere Welt von Schönheit, andere Körper, andere Bewegungen, und eine Gesinnung, die ihn in ihrer Art ebenso fremd berühren mußte: dem grandiosen Pathos Mantegnas – was hatte die nordische Kunst dem irgend Vergleichbares entgegenzusetzen!

Selbstverständlich, daß Dürer nicht eine Kunst an die andere hingab; auch wenn er gewollt hätte, er hätte nicht mit einem Male Italiener werden können. Er vermittelt und kommt dadurch in Nachteil gegen Schongauer. Altes und Neues stehen unausgeglichen nebeneinander. Es ist die Trübung des Stilgefühls, wie sie jeden Übergang bezeichnet. Aber es glühte eine Feuerseele in dem jungen Künstler und man sieht mit Spannung dem Moment entgegen, wo er die Kraft seiner Jugend in eine große Aufgabe ausströmen lassen würde.

Das geschah im Holzschnitt. Es ist sehr charakteristisch: der Linienkunst hat er zuerst sich anvertraut. Er griff nach dem aktuellsten Stoff der Zeit, nach der Offenbarung des Johannes. Die Zeichen, die man damals erwartete als die letzten vor dem Untergang der Welt, dort standen sie geschrieben und sie wollte er in neuen Linien gestalten, mit einer noch nie gesehenen Macht des Ausdrucks, auf großen, großen Blättern; als Holzschnitte, so daß er sicher war, zu vielen zu reden. Das Buch erschien 1498. Für die Geschichte des Holzschnittes bedeutet die Apokalypse eine neue Epoche; durch die kühne Genialität der Jugend, die sie vor andern Arbeiten Dürers auszeichnet, hat sie aber immer, namentlich auf produktive Geister, einen besonderen Eindruck gedacht.

Gleichzeitig fing Dürer an, das Thema zu gestalten, das ihn zu allen Zeiten seines Lebens beschäftigt hat, die Passion des Herrn. Auch hier sind 5 es Holzschnitte größten Formats. Der Zyklus ist erst später abgeschlossen worden, aber gerade in den früheren Blättern lebt ein auf das Heroische gerichteter Wille, der sie sehr wesentlich von der sentimentalen Haltung der hergebrachten Passionskunst unterscheidet.

Das dritte Holzschnittwerk, das in der Hauptmasse noch der Frühzeit angehört, ist das »Marienleben«, ein paar Jahre später gezeichnet als die ersten Zyklen und von anderer Stimmung. Dürer ist hier beschaulich, beschreibend, schildernd. Etwas davon liegt in der Natur des Themas, aber es ist auch die allgemeine Tendenz der Entwicklung. Die Beobachtungen werden feiner und ausgedehnter, die Darstellungsmittel reicher und präziser; Licht und Schatten spielen eine wichtige Rolle; die Linienführung nimmt eine Wendung zum Zierlichen. Der Sturm und Drang ist vorbei.

Aber darf man überhaupt diesen Begriff bei Dürer anwenden? Auch früher, da wo man den heftigen Pulsschlag des jungen Künstlers spürt, überwiegt das Temperament nie den künstlerischen Verstand. Das Verblüffend-Originelle, die geistreichen Extravaganzen findet man nicht bei ihm. Ein Zeitgenosse, wie der junge Cranach, ist viel weiter vom Weg des Gewohnten abgegangen und hat auf einen Augenblick vielleicht manche mehr geblendet: nachher ist er gründlich stecken geblieben. Dürers Kunst hat von Anfang an eine charakteristische Eigenschaft, die vollkommene Sachlichkeit: ich meine, daß ihm die erschöpfende Darstellung der Dinge Hauptsache gewesen ist. Durch ihn zuerst wird dann die Darstellung an sich ein anerkanntes Problem der bildenden Kunst.

Wo aber die Absicht auf erschöpfende Darstellung ging, da konnte der Holzschnitt unmöglich genügen. Es ist die subtile Technik des Kupferstichs, in der Dürer seine feinsten Dinge gibt, wo er für sich arbeitet, wo er die Form nachbildet um ihrer selbst willen. Die Malerei blieb einstweilen noch zurück.

Die Stiche umfassen alles: Heiliges und Weltliches; Landschaften, Tiere und menschliche Figur; das Hauptthema aber ist der nackte Mensch. In Italien war es ihm aufgegangen, daß es daran fehle bei den Deutschen. Daß man mit dem natürlichen Gewächs des Körpers anfangen müsse und daß die menschliche Form zugleich die letzte Aufgabe der Kunst sein möchte. Alle Gewandfigur war doch nur Phrase, solange man den Körper nicht besaß, und das (wenige) Nackte, was da war, so ein Schongauerscher Sebastian etwa, erschien ungenügend nicht nur wegen mangelnder Kraft, sondern weil der Sinn des körperlichen Baues nicht richtig erfaßt war. Aber nun erleben wir eine große Enttäuschung: wir erwarten Naturstudien und bekommen Nachzeichnungen fremder fertiger Vorlagen. Dürer kopiert italienische Muster. Der Mann, der die Mittel hatte, der deutschen Kunst vom 6 Wirklichen einen ganz neuen Begriff zu geben, begnügt sich in einer ganzen Reihe von Arbeiten mit einer Kunst aus zweiter Hand. Er kopiert und setzt die Elemente zu gelehrten Kompositionen zusammen und es macht ihm gar kein Unbehagen, daß diese Körper doch alle eine andere Natur als die deutsche voraussetzen. Und bald bemerkt man etwas noch Merkwürdigeres: daß ihm das Wirkliche überhaupt nicht genügt.

Vom Naturalismus, der sich in der Darstellung des Gegebenen erschöpft, drängte es ihn weiter zu einer Kunst, die das Typisch-Abschließende gibt. Er wollte den Menschen bilden, so wie er nach der Absicht des Schöpfers sein sollte. Verwirrt und beunruhigt durch die Unendlichkeit der individuellen Erscheinungsformen sucht er nach dem letzten Bilde der Schönheit, das doch in bestimmten Maßverhältnissen beschlossen sein muß: wie könnten wir sonst sagen, der eine Mensch sei schöner als der andere? Er findet eine solche Formel, mit der er sich vorderhand zufrieden gibt, und so entsteht der Stich von »Adam und Eva« mit dem Datum 1504, ein Blatt, das kunstgeschichtlich unendlich viel mehr bedeutet als das beste gleichzeitige Gemälde, wie etwa die »Anbetung der Könige« (Florenz).

Die vollkommene Darstellung ist hier zugleich eine Darstellung des Vollkommenen und Dürer ist der erste Nordländer, der das Problem so gestellt hat.

Es ist von Wichtigkeit für ihn geworden, daß damals ein venezianischer Maler in Deutschland war, Jacobo de' Barbari, mit dem er in näheren Verkehr trat.Jacobo de' Barbari (Jakob Walch) war 1500 nach Nürnberg gekommen, 1503 wurde er vom Kurfürsten an den Hof nach Wittenberg gezogen, wo er aber mit Dürer wieder zusammenkam. (Gurlitt, Rep. 1895, und Bruck, Kurfürst Friedrich der Weise, S. 144 ff.) Ist es aber wirklich so sicher, daß der in den Akten mehrfach genannte »Albrecht Maler« mit Dürer identisch ist? Es ist doch kaum glaublich, daß er schon 1494/95 in Wittenberg war, um für eine geringe Summe »eine Ausladung« zu malen. Künstlerisch nur ein Talent dritten Ranges und überhaupt keine selbstständige Natur, besaß dieser Mann aus seiner italienischen Schule doch Kenntnisse, die ihn schätzenswert machten, und er scheint es verstanden zu haben, sich als Verwalter tiefer Geheimnisse zu geben. Der Anstoß, nach den gesetzmäßigen Proportionen zu suchen, kam zugestandenermaßen von dieser Seite.Jedenfalls erst bei einer Begegnung in Nürnberg und nicht etwa früher in Venedig. Sonst würde Dürer nicht sagen: Jakob von Venedig geboren. LF. 340. 342. Dürer klagt aber, daß er ihm keine rechte Aufklärung habe geben wollen. Tatsache ist, daß der Begriff von italienischer Bewegungsschönheit sich gleichzeitig mit den neuen Maßproblemen deutlicher für ihn bestimmt. Es müssen Zeichnungen berühmter Antiken in seinen Gesichtskreis gekommen sein. Der Stich von »Adam und Eva«, 1504, ist auch dafür das bezeichnende Beispiel.

7 Ein Jahr später ging Dürer zum zweiten Mal über die Alpen. Was immer für seinen Entschluß bestimmend war, wir dürfen sagen: Italien fiel ihm als reife Frucht in den Schoß.

Und trotzdem. So ruhig und gleichmäßig hat der Kompaß seiner künstlerischen Entwicklung nicht nach einem Punkt gezeigt. Er war nicht der Romanist, für den es nichts anderes gab als italienische Figur; die Jahre vor 1505 sind ebensosehr eine Vertiefung ins Heimatlich-Nahe, als eine Ausschau nach dem Fremden und Neuen. Wie hätte sonst das »Marienleben« damals entstehen können? Und unmittelbar neben dem Stich von »Adam und Eva« finden wir den weiblichen Akt des »großen Glückes« mit seiner unendlichen Individualisierung eines nordischen Modells und andrerseits jenes allerliebste Blatt der Geburt Christi im Hof, das unter dem Namen »Weihnachten« bekannt ist und in seiner malerischen Anlage, wo die Figuren neben dem Reiz des Raumes ganz zur Nebensache werden, bereits auf eine spätere Stufe der germanischen Kunst hinweist. Gerade damals kommt bei Dürer ein Gefühl für das Intime zum Vorschein, für das Malerische der deutschen Kleinlandschaft, er bleibt so beschaulich-verweilend vor den Dingen stehen, daß man eigentlich eine ganz andere Entwicklung erwartet, als die nächsten Jahre sie bringen. Es ist vielleicht der interessanteste Moment in seinem Leben. Zwei Richtungen kämpfen miteinander. Mit den Begriffen malerisch und plastisch ist der Gegensatz nur unvollkommen bezeichnet, es handelt sich in letzter Linie um germanische und romanische Kunstanschauung.

Daß die nationalen Elemente zunächst nicht weiter ausgebildet wurden, wird man als eine Folge der großen italienischen Reise auffassen müssen. Freunde der »Heimatkunst« mögen beklagen, daß sie gemacht wurde, und doch hätte die Entwicklung der Dinge in Deutschland, wie sie kam, auch durch Dürer nicht aufgehalten werden können. Von allen Punkten aus haben die Deutschen dem Süden zugedrängt und die nordische Kunst, bevor sie zum Eignen kommen durfte, hat erst einmal eine Schule des plastischen Denkens und der tektonischen Form bei den Italienern durchmachen müssen.

In männlichen Jahren (Herbst 1505) betritt also Dürer Italien zum zweitenmal. Er wußte jetzt, was er zu erwarten hatte, und wußte, was er wollte. Er brachte etwas mit, was nur auf Ergänzung und Ausbildung wartete, und ein Aufenthalt von kaum anderthalb Jahren hat genügt, seiner künstlerischen Physiognomie ein wesentlich neues Gepräge zu geben.

Es ist denkbar, daß geschäftliche Rücksichten ihn nach Venedig zogen, man muß sich aber wundern, daß er nicht weiter ging. Wir hören einmal von einem Ausflug nach Bologna, wahrscheinlich ist er auch in Mailand gewesen, aber von Florenz kein Wort. Und doch mußte er wissen, daß 8 dort Dinge für ihn zu sehen waren, die seiner Kunst viel näher standen als alles Venezianische. Wie viel gäbe man darum, zu erfahren, wie Lionardos »Reiterschlacht« und Michelangelos »Badende Soldaten« auf ihn gewirkt hätten!

Was Dürer äußerlich damals in Venedig erlebte, ersehen wir einigermaßen aus seinen Briefen an Freund Pirkheimer, aus denen, trotz mancher Widerwärtigkeiten, das Glücksgefühl des Aufenthalts an der Sonne doch je länger desto mächtiger heraustönt. Das Leben bei einem Volke von so entwickelter Sinnlichkeit, wo alle dem Künstler eine natürliche Verehrung entgegenbrachten, ist ihm als etwas sehr Wohltuendes vorgekommen, und im Gedanken an die Rückkehr seufzt er: »Wie wird mich nach der Sonne frieren, hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer.«Der Ausdruck »nach der Sonne frieren«, der für uns im Zeitalter der Italien- und Sonnen-Sehnsucht auffallend modern klingt, ist keine individuelle Wendung Dürers, sondern wurde sprichwörtlich gebraucht und hatte einen ganz allgemeinen Sinn.

Wenig sagt er dagegen darüber, was ihm die italienische Kunst für Gedanken machte. Vereinzelt steht das Urteil über Giovanni Bellini, er sei sehr alt und doch noch der beste. Wir müssen uns an seine Werke halten, um seine innere Entwicklung kennen zu lernen.

Ein großes Kirchengemälde für die deutsche Kaufmannschaft in Venedig ist der Mittelpunkt seiner Arbeit gewesen. Bestellt bald nach seiner Ankunft, nimmt es ihn bis zum Herbst 1506 in Beschlag. Da war also Gelegenheit, von dem Eindruck großer italienischer Malerei Rechenschaft abzulegen: das Bild ist ganz in italienische Form gegossen.

Wir sind gegen diese Assimilation der deutschen Kunst an die italienische, die sich seither so oft wiederholt hat, außerordentlich mißtrauisch geworden. Wie konnte Dürer unter Venezianern als Venezianer auftreten wollen, ohne sich selbst zu verlieren? Es ist hier nicht der Ort, ihm im einzelnen nachzurechnen, wo er original geblieben ist und wo er imitiert hat, wo er befangen gewesen ist bei der Nachahmung und wo nicht, im allgemeinen kann man sagen: Italien bedeutet für ihn ein Sehen in größeren Formen; ein Durchbilden der Figur im Sinne der organischen Klarheit und eine Steigerung des plastischen Reichtums; er ergreift mit Begierde die monumental wirkenden Konfigurationen und das Formale der Erscheinung gewinnt sogar ein Übergewicht, daß man bedenklich werden kann. Die Gefahr der Veräußerlichung war da, unleugbar. Aber gleichzeitig spürt man auch eine Erhöhung der Empfindung in der Richtung auf das Großmenschliche, daß die italienische Form doch wieder nicht als entlehnt erscheint.

9 Venedig hat Dürer aber überhaupt erst zum Maler gemacht. Jetzt erst tritt das Gemälde im Rang vor den Kupferstich und während er bisher im allgemeinen der Gewohnheit folgte, daß auf ein Kirchenbild nicht die höchste Kunst verwendet zu werden brauchte, scheint ihm hier die Superiorität der Bildtafel vor dem Blatt Papier zum Bewußtsein gekommen zu sein. Monumentale Wirkungen aber, wie sie ihm jetzt vorschwebten, ließen sich ja überhaupt nur auf diesem Felde erreichen.

Heimgekehrt ist Dürer ein anderer als der er war. Er stand jetzt auf der Höhe des Lebens.Ein äußerer Ausdruck seiner neuen Stellung zur Welt. daß er sich damals das große Haus am Tiergärtnertor kaufte, das wir als das Dürer-Haus kennen. Er übersah, was getan war, und was zu leisten übrig blieb. Es war seine Überzeugung, daß die Kunst für den Norden neu gewonnen werden müsse, während die Italiener seit zwei Jahrhunderten schon daran arbeiteten, den Besitz der Alten wieder zu erlangen. Sogar der Begriff »Renaissance« ist ihm schon geläufig: er sagt Wiedererwachsung. Die Praxis muß auf dem Boden der Theorie ruhen. Mit der bloßen Übung der Hand kommt man nicht weiter. Wie Lionardo die Malerei eine Wissenschaft nannte, so verlangte Dürer eine vollkommene theoretische Einsicht vom Maler. Das ist die andere Seite der Nachwirkung Italiens.

Er nimmt sich vor, ein Lehrbuch der Malerei zu schreiben, in dem von Perspektive, von Licht und Schatten, von Farbe und Komposition gehandelt werden sollte, vor allem aber von den Maßen der menschlichen und tierischen Form. Der Plan ist nur teilweise verwirklicht worden, es gehört aber diese wissenschaftliche Arbeit ganz wesentlich zum Charakter der nachitalienischen Zeit.

Künstlerisch beginnt jetzt die Epoche der großen Gemälde. Plastisch große Motive in bedeutenden Verbindungen vorzubringen, war sein Gedanke. Wenn die Aufgaben vorhanden gewesen wären, hätte damals vielleicht eine neue Monumentalmalerei entstehen können. Allein es sind wenige Möglichkeiten an Dürer herangetreten und dann war es seine Art, in die einzelne Arbeit mit einer solchen Zähigkeit sich zu verbeißen, daß die große Bewegung bald wieder ins Stocken kam.

Mit einem lebensgroßen Doppelbild von »Adam und Eva« fing er an (1597), vermutlich auf eigene Rechnung. Es war die notwendige Konsequenz und Korrektur des Kupferstiches von 1504.

Dann kam ein fürstlicher Auftrag von Wittenberg: »Die Marter der zehntausend Christen unter König Sapor«. Ein unangenehmer Stoff, aber doch Nacktes und Bewegung. Wenn es nur wenigstens ein großes Bild hätte sein dürfen! So aber waren auf kleinen Raum eine Menge von Figürchen 10 zusammenzukomponieren: ein Tropfen auf einen heißen Stein für Dürers bildnerische Wünsche (1508).

Darauf entsteht das Hauptbild »Die Krönung der Maria mit den Aposteln am Graben, eine Bestellung des Kaufmanns Heller für Frankfurt a. M. (1509). Hier hatte er nun freie Bahn, einen inhaltsvollen Stoff ins Bedeutende zu steigern. Die Komposition ist im italienischen Sinn tektonisch angelegt und die Krönungsgebärde Christi ebensosehr wie die Haltung der führenden Apostel mit einem neuen Gefühl für das Starke und Großartige erfunden. Aber zu einer völligen Harmonie von Form und Inhalt ist es nicht gekommen. Man sieht das Gerüste und die Natur dieser Apostel ist doch nicht groß und lebendig genug, um das Schema zu füllen.

Das Allerheiligenbild, das den Abschluß macht (1511), ist eine bescheidenere Tafel, ohne statuarisch wirkende Einzelgestalten, aber eben darum flüssiger, einheitlicher. Originell in dem Motiv der großen Lufterscheinung über der Erde, und unvergeßlich in der kindlich-fröhlichen Buntheit der Farbe, wohlerhalten und leicht zugänglich, ist es jetzt das populärste Bild dieser Gruppe. Ursprünglich war es von dem Kupferschmied Landauer für ein von ihm gestiftetes Altmännerhaus in Nürnberg bestellt worden.

Das ist die kurze Folge der »großen Gemälde«. Wie lückenhaft und ungleich, wenn man bedenkt, um was es sich damals handelte für Dürer: daß er den Deutschen den Begriff von großer Kunst überhaupt an typischen Aufgaben erschließen wollte, daß er die Formen einer neuen und gewaltigeren Art menschlichen Seins gestalten wollte, daß er die Anschauung von aller hergebrachten Kleinlichkeit befreien und der Empfindung und Gebärde die Größe geben wollte, die ihn in Italien als Ahnung übernommen hatte. Sind das nun wirklich die Bilder, die, in der Seele ruhend, dem Deutschen als bleibender Besitz gehören? Wie wenig ist davon übergegangen in die allgemeine Vorstellung, wie bedingt mußte die Wirkung der zerstreuten Bilder von Anfang an erscheinen!

Ich wiederhole, der Anlauf, eine große Malerei zu schaffen, führte nicht weit. Wir kennen Äußerungen der Entmutigung bei Dürer, wo er die Umstände anklagt und wo er über sich selbst seufzt. Es schien ihm geratener, auf dem Gebiet der bloßen Zeichnung weiterzuarbeiten.

Die alten Folgen der »Passion« und des »Marienlebens« werden vorgenommen und bekommen ihre Ergänzungen, so daß sie 1511 als vollständige Bücher erscheinen konnten. Man erkennt sie leicht diese Ergänzungen: sie sind nach dem großen Formenschema der Gemälde komponiert, tektonisch, mit bestimmten Rechnungen des Sich-Entsprechens oder Auseinandergehens einzelner Figuren; jeder Teil im Ganzen hat seine 11 Notwendigkeit; der Vortrag ist breit und tonig geworden; hell und dunkel werden in großen Massen zusammengenommen und einander entgegengesetzt; der Gesamteffekt ist viel reicher, die Zeichnung aber hat sich vereinfacht und die Linien sind so gewählt, wie sie dem Holzschneider am bequemsten liegen. Insofern kann man sengen, Dürer habe damals den klassischen Stil für den Holzschnitt gefunden. Er ist nicht mehr davon abgegangen.

Kurz nachher wird dann auch der Kupferstich seiner typischen Form entgegengeführt und die besonderen Vorzüge, die er jeder andern Technik gegenüber hat, ökonomisch ausgebeutet. Kupferstich und Holzschnitt treten definitiv auseinander, auch in der Fragestellung. Man sieht es am deutlichsten da, wo parallele Stoffreihen behandelt werden. Zur selben Zeit, als die große alte Holzschnittpassion zu Ende kam, bearbeitete Dürer mit größter Hingebung das Passionsthema in zwei neuen Redaktionen: im Holzschnitt in einer Folge von 37 Blättern und im Kupferstich in 16 Blättern. Es sind die sogenannten kleinen Passionen. Die höheren Probleme der Zeichnung bleiben durchweg dem Kupferstich reserviert. Während der Holzschnitt immer einfacher wird und eine abgekürzte elementare Ausdrucksweise sucht, gibt jener dem Auge des Kenners die durchgebildete Form, den Reiz der Verkürzungen, die stoffliche Behandlung der Oberflächen, die feineren Lichtnuancierungen. Und damit deckt sich ein Gegensatz der Auffassung: der Holzschnitt sorgt für die volkstümliche Empfindung, geht dem Erbaulichen und Rührenden nach, während der Kupferstich, der offenbar ein anderes Publikum besaß, auf diese Wirkungen sich nur mit Reserve einließ.

Kupferstiche sind nun auch die zwei eigentümlichsten Dinge, die Dürer gemacht hat, der »Hieronymus im Gehäuse und die »Melancholie«, beide von 1514. Sie erscheinen an ihrer Stelle wie etwas ganz Neues, weil sie so innerlich wirken, so ganz und gar nicht formalistisch: man denkt nicht an das Verhältnis von Form und Inhalt. Und jetzt wird einem erst klar, wie sehr doch Dürers Empfindung seit der Reise nach Italien an Wärme und Unmittelbarkeit verloren hatte. Er war formalistisch geworden. Die formalen Rechnungen stehen überall kenntlich im Vordergrund. Die italienische Epoche ist eine vortreffliche Schule gewesen, aber eben doch eine Schule und Schule bedeutet Unfreiheit. Die italienisch-komponierten Blätter des Marienlebens und der großen Passion sind inhaltlich die gleichgültigsten der Folge. Und alle die andern Keime der Jugend sind unausgebildet geblieben: die Stillebenempfindung, das Landschaftliche, das »Malerische« im besonderen Sinne. Dürer war arm geworden bei der großen Figurenkunst.

Aber jetzt kommt es auf einmal wieder in warmen vollen Wellen. Sein Verhältnis zur Natur wird wieder umfassender und inniger (man sieht das 12 am besten in den Zeichnungen), er besinnt sich auf das Wirklich-Wertvolle und gerät auf eine Darstellung seelischer Stimmungen, bei der er ganz unbedingt ist von ausländischen Vorbildern. Der »Hieronymus« und die »Melancholie« sind denn auch mehr als irgend ein anderes Bild Dürers lebendiger Besitz des deutschen Volkes geblieben. Es ist kein Zufall, daß aus demselben Jahre 1514 auch das seelenvollste Bildnis stammt: die schon erwähnte Zeichnung der Mutter.

Von hier geht dann die Linie weiter zu den Apostelköpfen von Florenz, in denen derselbe ergreifende Ton des schmerzlichen Suchens weiterklingt. Dürer ringt nach dem großen Charakterkopf. Was er im Heller-Altar vorgebracht hat, bei den Aposteln am Grabe der Maria, muß ihm jetzt als gewöhnlich und ungenügend vorgekommen sein.Daß bei Dürer die Schätzung der eigenen Arbeit oft nur kurz vorhielt, wissen wir durch Melanchthon. Manlius, loc. comm. collectio Bas. 1563. VI, 22 und 301.

Dürers Kunst ist zeitlebens von Bestellern verhältnismäßig unabhängig gewesen. Er hat nicht viel Aufträge bekommen und klagt wohl auch darüber. Andrerseits war es ein Vorteil, und gerade in dieser Periode der Verinnerlichung und Vertiefung möchte man ihn ganz besonders sich selbst allein gehörig wissen, um ruhig und langsam die noch namenlosen Inhalte seiner Seele herausbilden zu können. Man empfindet es wie einen Eingriff, daß der Kaiser, Max, sich seiner Person bemächtigt. Dürer sollte mithelfen bei den großen Holzschnittunternehmungen, denen der Fürst die Verkündigung seines Ruhmes übergab. Ich kann nicht finden, daß dem Künstler ein Leides damit geschah, und für uns ist es höchst interessant, gerade in diesem Moment Dürers Meinung über deutsche Dekoration zu hören, nur hätte er mehr freie Hand haben sollen. Bei dem Dreinreden von Oben und der Notwendigkeit, mit anderen Künstlern sich zu arrangieren, ist natürlich etwas Frostiges herausgekommen. Wo er allein war, wie bei den Randzeichnungen zum Gebetbuch des Kaisers, regt sich alles gleich mit ganz anderer Lebendigkeit.

Die Beziehung zum Kaiser hatte übrigens das Gute, daß der Künstler von 1515 an über eine feste Einnahme verfügen konnte, indem er eine jährliche Pension von 100 Rheinischen Gulden zugewiesen bekam.Etwa 2000 Mark nach heutigem Wert.

Das schönste Denkmal des persönlichen Verhältnisses zwischen Fürst und Künstler ist die geistreiche und liebenswürdige Porträtzeichnung, die Dürer 1518 während des Reichstags in Augsburg machte. Sie ist eine Leistung, die einen vorsichtig machen muß gegen das oft wiederholte Urteil, daß Dürer müde geworden sei gegen Ausgang des zweiten Jahrzehnts. Es ist wahr, 13 daß er hie und da leer wirkt, daß die Farbe kalt und dissonierend wird, daß er mit seiner peinlichen Ausführlichkeit manchmal einen archaisierenden Eindruck macht, allein es ist doch dieselbe Zeit, wo er als Dekorator sehr flott in die breitere und vollere Geschmacksweise hineingeht, der die Zukunft gehörte, und wenn die bildliche Produktion im ganzen mühsamer geworden sein sollte, so ging eine heimliche Entwicklung doch immer weiter.

Es bereitet sich das zusammenfassende Sehen des letzten Stiles vor und es bleibt nur zweifelhaft, ob das Naturgefühl ausreichen werde, die Form lebendig zu erhalten.

Da kommt wie ein Akt der Vorsehung die niederländische Reise (1520/21). Sie hatte einen bestimmten geschäftlichen Zweck, vom Nachfolger des Kaisers Max, dem jungen Karl V., das Jahresgehalt neu bestätigen zu lassen, allein Dürer muß wohl selbst gefühlt haben, wie wohltätig auf seine Sinnlichkeit ein nochmaliger völliger Wechsel der Umgebung wirken würde. Als sein Geschäft erledigt war, ist er denn auch noch lange da unten geblieben.

Er war ein Fünfziger, aber noch immer eindrucksfähig. In der Anschauung niederländischer Kunst wird er wieder zum Maler. Mehr noch als der Eindruck einzelner Bilder mag aber das ganze Reich der Dinge in dem fremden Lande erfrischend auf ihn gewirkt haben. Es ist, als ob ihm neue Organe entstünden, feinere Fühler, mit denen er das Neue zu fassen und sich anzueignen versucht. Nie so wie damals ist die Freude des Sehens und Nachbildens bei ihm laut und offenkundig. Er scheint zur Natur noch einmal in ein frisches Verhältnis zu kommen, jeder Einzelfall, jedes Individuum, jeder Kopf interessiert ihn und er geht ihm nach – nicht mit einer bestimmten Formel der Zeichnung, sondern jetzt, als reifer Mann, fängt er an, seine Manier von Grund aus zu revidieren und wird so präzis und pietätvoll, als ob er zum erstenmal der Welt gegenüberstünde.

Noch ist sein Taschenzeichenbuch teilweise erhalten und ein ziemlich mitteilsames Tagebuch, das uns ebenfalls zur Verfügung steht, vermehrt das Behagen, mit dem wir Dürer in diesen Jahren begleiten. Es finden sich aber auch Äußerungen darin, die zum Menschlich-Tiefsten gehören, was wir von Dürer wissen. Er ist doch nicht nur der schaulustige Reisende gewesen, und die Niederlande brachten ihm Dinge vor Augen, die ihn noch ganz anders in Erregung setzten als der Walfisch, der in Seeland ans Land geschwemmt worden war, oder die Goldsachen aus Amerika: ich spreche von der Reformation. Dürer betrat in den Niederlanden einen vulkanischen Boden. Die Spannung der Geister drohte hier in gewaltsamen Ausbrüchen sich entladen zu wollen und einen Augenblick schien es, als ob Erasmus sich an die Spitze der Bewegung stellen würde. Dürer verkehrte in seinen 14 Kreisen und die hochpathetische Stelle des Tagebuches, wo er ihn anruft, hervorzutreten als Streiter Christi, ist nicht bloß der Erguß eines weltfremden Träumers gewesen.Kalkoff, Repertorium 1897, S. 443 ff. und Repertorium 1904, S. 346 ff. Mit Augen und Ohren verfolgte er die Entwicklung der Dinge. Man hat sogar gemeint, seine Heimreise sei als Flucht vor der Inquisition nötig geworden. –

Als ein ernster Mann ist Dürer nach Nürnberg zurückgekommen. Sein Stil wird nun ganz einfach und sachlich und groß. Er klagte gelegentlich Melanchthon, daß er sich früher zu sehr vom Reiz des Bloß-Sonderbaren und der bunten Mannigfaltigkeit habe gefangen nehmen lassen und daß er jetzt erst seine Schwachheit erkenne.

Das große Publikum kennt aus dieser klassischen Epoche nur die vier Apostel in München, die allerdings alles überragend dastehen, die Persönlichkeit Dürers würde aber wohl wesentlich anders wirken, wenn auch noch die anderen wohlvorbereiteten Bilder ausgeführt worden wären, ein Kreuzigungsbild und eine große santa conversazione, Kirchenbilder von feierlichster Art, wie die deutsche Renaissance so wenige hat.

Und auch ein letzter Passionszyklus in großen Holzschnitten ist nicht zustande gekommen, der schönste von allen, weil Dürer jetzt so ganz in der Sache aufgeht, ohne doch von den Mitteln der entwickelten Kunst irgend etwas aufzugeben. (Nur das Abendmahl ist geschnitten worden, die anderen Szenen existieren bloß in der Zeichnung und vollständig ist die Folge offenbar nie gewesen.)

Porträts gibt es dagegen viele, mehr als aus der mittleren Periode. Die Aufgabe hatte eine neue Bedeutung für ihn bekommen. Es sind Meisterstücke großer Anschauung, die sich mit der vollständigsten Einzeldurchbildung verbindet.

Als Dürer einst von der italienischen Reise zurückkam, nahm er als erste Aufgabe das Problem des schönen Menschen vor und malte die Figuren von Adam und Eva; was dieser letzten Periode die Signatur gibt, sind die vier Apostel. Auch sie hat er ohne Bestellung gemacht, um sie nachher mit bedeutungsvollen Beischriften dem Rat der Stadt zu widmen. Er sah das Ende der Tage vor sich, er warnt vor den falschen Propheten und vor den Schriftgelehrten, die der Witwen Häuser fressen. Das Bleibende ist das göttliche Wort, von dem nichts genommen und zu dem nichts hinzugetan werden darf. Darum sollen die Regenten hören auf diese Männer, die er als große ethische Charakterfiguren, wie Bildsäulen, aufrichtet.

Daß Dürer im Herzen auf seiten der Reformation stand, ist mit vielen Zeugnissen zu erhärten. Für Luther hatte er schon 1520 in einem Brief an Spalatin das gewichtige Wort, daß dieser christliche Mann ihm aus 15 großen Ängsten geholfen, und das niederländische Tagebuch enthält eine ergreifende Äußerung der Klage und Verzweiflung, als das Gerücht von Luthers Verschwinden nach dem Reichstag von Worms ihn erreichte. Es liegt nicht in unserer Aufgabe, die Beziehungen zu reformatorischen Persönlichkeiten und zur Sache der Reformation näher zu verfolgen; aber man muß wissen, daß die Gedanken an die andere Welt Dürer zeitlebens stark und mit dem Alter immer mehr beschäftigt haben. Er ist von sehr schwerem Geblüt gewesen. In den ausführlichen Worten, mit denen er den Tod des Vaters und dann der Mutter verzeichnet,Aufzeichnung in seinem Gedenkbuch LF. 11 ff. fühlt man den ganzen furchtbaren Druck, unter dem er und wohl die meisten ernsthaften Gemüter damals lebten. Mit Schauer hält er die Erinnerung an einen wunderbaren Regen von Kreuzen fest, den er im Jahre 1503 miterlebte,Aufzeichnung in seinem Gedenkbuch LF. 14 f. und der Bericht eines qualvollen Traums aus dem Jahre 1525, wo ungeheure Wasserfluten vom Himmel herabbrachen, liest sich wie ein Stück Apokalypse.Aufzeichnung in seinem Gedenkbuch LF., S. 16 f. Text und Zeichnung L. 423. Blitzartig erhellen diese Geständnisse die Angst der Zeit.

Aber solche Gedanken fanden bei ihm ihren Ausgleich in der unermüdlichen Wissens- und Sehfreudigkeit, die für den Gesamteindruck Dürers denn doch die entscheidenden Eigenschaften sind.

Seine Hauptangelegenheit in dieser Spätzeit ist gewesen, mit den theoretischen Arbeiten unter Dach zu kommen.

Aus dem allgemeinen »Unterricht der Malerei«, wie er einst als Lehrbuch geplant war, hatte sich das Kapitel von den Proportionen des Menschen als Hauptstück herausgebildet und war schließlich allein zur Publikation bestimmt worden. Den einen vollkommenen Typus zu finden, hatte Dürer aufgegeben, es schien ihm mit menschlicher Beschränktheit für immer verbunden, daß der Geschmack ein schwankender bleibe, und das einzige, was vernünftigerweise erstrebt werden könne, sei das, die Formenharmonie innerhalb bestimmter Typen zu erkennen. In diesem Sinne stellte er die Maße für verschiedene menschliche Bildungen auf, gewonnen aus sehr vielen Naturmessungen und durchgeführt bis ins kleinste Einzelglied, offenbar ein gewaltiges Stück Arbeit, das Dürer um keinen Preis verloren gehen lassen wollte, da er, selbst wenn die Resultate keine abschließenden sein sollten, doch von der Methode sehr hoch dachte und einen Fortschritt der deutschen Kunst ohne dieses Studium der sämtlichen Maße einer Gestalt für unmöglich hielt. Um ganz sicher zu sein, verstanden zu werden, ließ er aber dem 16 Proportionswerk ein besonderes Lehrbuch der darstellenden Geometrie vorangehen (1525), ein originelles Werk, in dem der Mathematiker Dürer sich ein Genüge tat. Und diese mathematische Phantasie führte ihn auch auf das Gebiet der Befestigungskunst und ein Traktat über diesen Gegenstand schien ihm von so großer Zeitbedeutung, daß die Proportionen nochmals zurückgeschoben wurden, und so verzögerte sich die Drucklegung dieses Hauptwerks bis in das Todesjahr Dürers (1528). Er hat das Buch nicht mehr fertig gesehen.

Seine hohe Schätzung der theoretischen Arbeiten wurde von den Zeitgenossen geteilt. Schon die ersten Würdigungen Dürers heben übereinstimmend hervor, daß er Theorie und Praxis verbunden und damit der deutschen Kunst einen neuen Rang gegeben habe. Es sind Gelehrte, die das sagten, Pirckheimer und Camerarius. Für uns beruht der Wert Dürers nicht in seinen Büchern und es mag sogar die Frage gestellt werden, ob der Theoretiker in ihm dem Künstler mehr genützt oder mehr geschadet habe, allein zunächst ist die Tatsache wichtig, daß Dürer eine Bildung vertrat, die ihn mit den Kultiviertesten seiner Zeit auf eine Linie brachte – erst durch Dürer ist der bildende Künstler wieder eine anerkannte Macht in der deutschen Kulturwelt geworden –, und dann ist zu sagen, daß jene Spekulationen über menschliche Proportion nicht eine persönliche Liebhaberei gewesen sind, sondern eine große Zeitangelegenheit betrafen. Sie ruhen auf dem Grundbegriff der natürlichen Vollkommenheit des Geschöpfes, und wer dieses Wort ausspricht, nennt das zentrale Wort der Renaissance. –

Er starb am 6. April 1528, kaum 57jährig. Ein Leiden, das in seinen Anfängen vielleicht auf die Unregelmäßigkeiten der niederländischen Reise zurückgeht, untergrub seit Jahren seine Kraft und entstellte sein Aussehen. Jetzt brach er plötzlich zusammen.

Wir besitzen kein zuverlässiges Bildnis aus dieser letzten Zeit. Kein Altersporträt antwortet den mannigfachen Selbstporträts der Jugend. Die Gestalt, in der er bei uns lebt, ist der Idealkopf der Münchener Pinakothek: nicht ein Bildnis im wörtlichen Sinn, aber ein Selbstbekenntnis, in dem die wesentlichen Züge seiner Natur alle enthalten sind.

Ein hoher Kopf mit denkermäßig entwickelter Stirn, die Lippen von sinnlicher Fülle, aber bedeutend und geistreich in der Bewegung, die Augen mehr schauend als beschaulich.

Glühend und streng – so sagte Peter Cornelius von Dürers Art. 17

 

 


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