Heinrich Wölfflin
Die Kunst Albrecht Dürers
Heinrich Wölfflin

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Das Marienleben

1.

Wir treten ein in die gewöhnliche Welt. Die ungeheuerlichen Gestaltungen der Apokalypse bleiben zurück, die hohe Spannung der Passion löst sich. Das »Marienleben«, wenn es auch das Tragische nicht ganz übergeht, ist eine freundlich-anmutige Geschichte, breit erzählt, mit behaglichem Verweilen und mit offenbarer Freude an der Schilderung als solcher. Die Wirklichkeit machte ihr Recht geltend, Dürer wollte einmal in der Breite der Welt sich ergehen. Nicht einzelne Helden erscheinen auf der Bühne, sondern das Volk, in der Mannigfaltigkeit seiner Typen. Vielerlei Bauwerk: fremdländische Hallen, der Tempelvorhof, Hütten und Burghöfe, ruinenhaftes Gewölbwerk und merkwürdige Binnenräume. Dann Landschaften mit dem Reichtum der nahen Dinge und heiteren Fernen; Heimisches und Phantastisch-Fremdes nebeneinander. Und im Kostüm dieselbe Vermischung.

Es ist die gleiche Art von unkonsequentem Naturalismus, die auch das italienische Quattrocento beherrscht. Man will nicht das Alltägliche sehen, sondern etwas, was darüber hinausgeht in Pracht und Merkwürdigkeit. Die berühmte Stube mit dem Wochenbett der Maria ist in allem einzelnen echt und doch als Ganzes nicht der Wirklichkeit entsprechend. Man würde sich sehr täuschen, wenn man meinte, Dürer habe hier einmal das Marienleben deutsch erzählen wollen. Im Gegenteil, er ausländert viel mehr als seine Vorgänger. Die Verkündigung spielt in einer Halle, die absichtlich jeden Gedanken an heimatliche Räume fernhalten soll. Der Engel ist ein italienischer Engel, nicht der altvertraute Diakonenknabe. Die Stadt im »Abschied von der Mutter« ist ein kurioses Gebilde, das die Phantasie weit, weit wegführen soll. Und trotzdem – wenn er die Vermählung zeichnet und die Brautjungfern der Maria, so greift er wieder zum Allernächsten und bringt modernste Nürnberger Toiletten.

Der Formgeschmack hat sich nach dem Feinen und Zierlichen hin entwickelt. Will man den Unterschied gegen früher klar sehen, so muß man die Bäume hier mit denen der Passion vergleichen: wie er jetzt die Silhouetten durchbildet, den Ästchen bis in die letzte Linie nachgeht und auch noch am geknickten und verdorrt herunterhängenden Zweige sein Vergnügen hat. Das gilt 68 gleicherweise für die Zeichnung von Kostüm und Gefält, für architektonische und ornamentale Motive, für Engelflügel, Lattenwerk, geflochtene Körbe u. s. w.

Der alte, großzügige Holzschnitt nimmt eine Wendung zum Feinschnitt. Die Linie wird zarter, die Intervalle enger, die Strichlagen gehen gegen das Lichte in Punkten aus.

Die Technik hält sich an die der Federzeichnung, die gleichzeitig kristallhell und perlend wird, mit allerzierlichsten Linien die Flächen überrieselt.Vgl. z. B. die 1503 datierte Venus auf dem Fisch, Albertina, L. 469. Es ist sonst ein Vorwurf, wenn man eine Zeichnung kalligraphisch nennt, hier muß man das Wort im lobenden Sinne gebrauchen. Die Striche sind voll Formempfindung und haben doch ihre dekorative Schönheit für sich.

Absicht und Ausführung decken sich freilich noch lange nicht, noch immer muß man viel von der Wirkung dazu denken, aber doch spürt man das Neue: mit einem Mal ist der deutsche Holzschnitt reich und fein und zierlich geworden.

Und das geht zusammen mit einer mehr malerischen Haltung. Es entsteht eine Empfindung für Tonstufen. Wenn der Hintergrund nach der Tiefe zu geöffnet ist und ein Einblick in einen zweiten Raum sich auftut, so geschieht das bereits mit malerischem Bewußtsein: man weiß, daß in den Verhältnissen von hell und dunkel eine Welt von Reizen verborgen liegt. Der Einblick in ein dunkles Kircheninterieur, in den verdämmernden Waldgrund sind Probleme, die Dürer hier schon beschäftigen. Die Kompositionen samt und sonders aber haben in der bewußten Ausbildung von Licht und Schatten einen neuen Charakter gegenüber den älteren Folgen.

Dazu kommt im allgemeinen eine mannigfaltigere Art der Figurenkombination und der Kombination von Räumlichkeiten. Der Mittelgrund bildet sich aus. Große Figuren treten mit perspektivisch kleinen zusammen. Die Art, ein Bild vom Vordergrund her gleich mit einer Überschneidung anzufangen, ist neu. Die Ansichten der Einzelfigur sind reichere, doch enthält die gezeichnete Passion von 1504 immerhin mehr Verkürzungen.

Der Übermut, mit dem sich Dürer in solchen Versuchen tummelt, kommt von der Sicherheit, die ihm sein neues Verhältnis zur linearen Perspektive gibt. Von dem einen Verschwindungspunkt hat er schon um 1496 gewußt; der Innenraum des Frauenbades (Bremen, L. 101) ist sicher darnach konstruiert.Man sieht auch im Oberarm der stehenden Frau den Zentralpunkt der Konstruktion angegeben. Allein das Resultat war doch ein unbefriedigendes. Ob er merkte, wo der Fehler lag? daß die Figuren mit dem Raum nicht zusammengingen? 69 Er scheint der Botschaft nicht ganz getraut zu haben und überläßt sich später wieder mehr einem gefühlsmäßigen Herumraten. Erst um 1503/04 befestigt sich das perspektivische Sehen. Ob Jacobo dei Barbari ihm dabei geholfen hat, wissen wir nicht. Sicher ist dagegen, daß ihm die perspektivischen Zeichnungen des Franzosen Viator (Jean Pélerin) vom Jahre 1505 bekannt gewesen sind. Er hat diesem Werk das Interieur der »Darstellung im Tempel« entlehnt.Lichtwark, Ornamentik der Frührenaissance, S. 129. Nach der zweiten französischen Ausgabe von 1509 erschien im gleichen Jahr eine deutsche in Nürnberg. Eine Neuausgabe mit historischem Bericht wurde 1860 in Paris veranstaltet.

Auch im Marienleben kreuzen sich inhaltliche und formale Interessen, ohne sich überall zu durchdringen. Es scheint mir nicht angebracht, ein Lied auf die unvergleichliche Innigkeit dieser Schöpfung zu singen: manche Blätter sind wirklich sehr gleichgültig (wie der Tempelgang, die Beschneidung, die Darstellung) und überall ist der Anlaß ergriffen, mit Nebenfiguren und andern Zutaten über den Rahmen der Geschichte hinauszugehen, aber das Ganze macht ein freundliches Gesicht, ja es glänzt vor Bildlust, und an einem Ort hat Dürer auch den Stimmungston so hoch gegriffen, wie in den großartigsten Szenen der Frühwerke: im Abschied Christi von seiner Mutter.

Das Datum 1504, das sich auf dem Blatt der »Begegnung« findet, ist weder als Anfangs- noch als Schlußtermin anzusehen, sondern als eine mittlere Zahl. Es ist sicher, daß 1505 noch an der Folge gearbeitet wurde und anderseits kann jenes datierte Blatt seinem Stil nach unmöglich den Beginn bezeichnen. Erst viel später aber, 1511, kamen der »Tod der Marias und die »Krönung im Himmel« dazu, und so zum Cyklus vervollständigt und auch mit einem Bildtitel versehen, wurde das Marienleben 1511 – wie die Passion – als Buch ausgegeben.Einzelne Blätter waren natürlich schon lange vor der Buchausgabe auf dem Markt zu haben, so gut wie von der Passion die fertigen Stücke schon im Umlauf waren. Ein Augustinermönch, Schwalbe (Chelidonius), begleitete die einzelnen Bilder mit langweiligen lateinischen Versen, wie er auch zur Passion den poetischen Text besorgte.

Wie Joachims Opfer zurückgewiesen wird. – Das erste Blatt ist gleich durchaus bezeichnend für den Geist der Erzählung: wie der Vorgang eingebettet wird in ein reiches Milieu, wie neben den Hauptpersonen ein Publikum auftritt, ein vielköpfiges, und neben dem Vorgang der Schauplatz das Auge fast eben so stark beschäftigt. Man soll nicht so rasch fertig sein mit der Betrachtung. In den Figuren ist viel individuell charakteristisches Leben, ein Überfluß, der gar nicht ganz zur Geltung kommen kann. Der kinderlose Joachim, dem sein Schäfchen vom Priester wieder zugeschoben wird, sieht in der hastigen Bewegung mit der eigentümlich spätgotischen Stellung 70 der Beine sehr kümmerlich aus; als Gegensatz ist ihm der stiermäßig starke und stiermäßig dumpfe Mitopferer gegenübergestellt. Echt Dürerisch die Frau, die bei der peinlichen Szene die Hände zusammenpreßt und der Reflex des Mitleides bei dem Nachbarn. Die Mauer des Grundes öffnet sich in einem hohen Bogen, man sieht in dunklere Binnenräume und in ausgesprochen malerischem Sinne sind die Motive der Überschneidung – durch den herabhängenden Leuchter –, der teilweisen Verdeckung – durch die Vorhänge – verwertet. Auch das Mauerwerk ist in malerischer Verwitterung gezeichnet.

Wie Joachim die Verheißung empfängt. – Joachim ist traurig in die Einsamkeit hinausgegangen zu seinen Hirten und dort bringt ihm ein Engel die gute Botschaft, daß ihm ein Kind geboren werden solle.

Das Blatt hat etwas besonders Munteres in den lebhaften Licht- und Schattengegensätzen: als helle Figur vor dem dunklen Waldrand kommt der Engel mit seinem Pergament herabgeflogen und wieder mit lebhaftem Wechsel von hell und dunkel kommt ihm Joachim entgegen, Blick und Hände emporgehoben und im Begriff ins Knie zu sinken. Dazu ein hell aufleuchtender Mittelgrund und die staunenden Hirten in springender Perspektive als kleine Figuren den großen zur Seite gesetzt. Auch die Linie in Gewändern und Bäumen ist hier ganz besonders nach dem Zierlichen und Heitern hin ausgebildet.

Die Begegnung

Die Begegnung (datiert 1504). – Wie dann die zwei Gatten, die beide die gleiche Verheißung empfangen haben, bei der Begegnung am Tor sich umarmen, ist von einer wirklich großen, milden Schönheit. Sie legt den Kopf an seine Brust und in der Umarmung ist noch das eilige Entgegenkommen spürbar. Die Gruppe steht ganz am Rand des Bildes. Ein Bauer, der, den Hut in der Hand, mit raschem Schritt dem Herrn folgt, gibt die Richtung an, wie die Bewegung Joachims zu ergänzen ist. Auch hier fehlt nicht das Publikum, das seine Glossen macht. Die kleinen Figuren verbinden die großen und die Folge hat hier einen solchen Fluß, daß man den umrahmenden Bogen fast als eine künstlerische Konsequenz, als letzten Ausdruck des Zusammenfassens empfindet.Merkwürdig, wie unarchitektonisch Dürer noch denkt: wie hat er die Verdünnung des Bogenstreifens an den Seiten verantworten können? Später, beim Wochenbett, ist es – ebenso unarchitektonisch – der alte Bogen ohne (sichtbare) Stütze. Die relativ dunkle Einrahmung aber steigert die Helligkeit des Bildes und gibt ihm etwas Sonniges. Der feine Mittelton im Gemäuer des Hintergrundes will besonders bemerkt sein.

Die Wochenstube

Die Wochenstube (Geburt der Maria). – Aus dem ursprünglichen Motiv der Wöchnerin im Bett, neben der das Kind sein erstes Bad bekommt, 71 (L. 7), hat sich eine reiche Komposition mit drei Figurengruppen entwickelt, die mit den vielen Vorsprüngen und Einsprüngen des Zimmers, den Truhen, Bänken, Treppen, Fensterlucken usw. ein höchst bewegtes Gewimmel ausmachen, das durch das Auf und Ab des Lichtes noch einen höheren Reiz für das Auge erhält.

Entwurf zur Wochenstube

Man muß ältere Beispiele vergleichen, um zu empfinden, wie viel Richtungsreichtum hier zusammengeschlossen ist und wie die Raumvorstellung sich entwickelt hat. Die plastisch uninteressanteren Momente, wie das Bett mit der Wöchnerin darin, sind zurückgeschoben, der ganze Vordergrund dafür gefüllt mit sitzenden, stehenden, trinkenden, redenden Weibern, die in der Vielfältigkeit ihrer Kopfneigungen und Körperwendungen dem Beschauer einen lustigen Lärm vormachen. Da ist zunächst die reizende Figur der Badefrau, die das Kind auf die Arme genommen hat; die Wöchnerin, in Kissen gebettet, folgt der Bewegung mit dem Blick; eine Gevatterin zur Seite reicht ihr eine Stärkung und gibt indessen der Magd, die mit dem Krug und der Wiege unter dem Arm dasteht und wartet, neue Weisungen. Daran schließt sich eine weitere Gruppe von drei Frauen mit einem Kinde: es möchte noch einmal die heilige Anna sein, die ihre kleine Maria auf den Schoß hebt, während ihr Gegenüber den mächtigen Bierkrug mit beiden Händen zum Munde führt und eine mittlere dritte auf hohem Sitz in vergnügter Beschaulichkeit assistiert. Die Gruppe ist in reiner Dreiecksform gebildet und die drei Themata ganz eng zusammengebunden. Andrea del Sarto, der als Florentiner des 16. Jahrhunderts immerhin auch etwas von plastischem Reichtum verstand, hat das eine davon (die Frau mit dem Kind) als große Freskofigur wiederholt.

Oben schwebt mit ausgebreiteten Flügeln ein Engel, weihrauchspendend. Ein merkwürdiges Hereinziehen des Überirdischen in die so ganz alltäglich 72 gegebene Szene. Für den Fortschritt im malerischen Stil sei auf die neue Zeichnung des Gewölks verwiesen, im Gegensatz zu dem rein linearen Ausdruck dieser Dinge in der Apokalypse.

Der Tempelgang. – Daß der Vorgang mit großer Gleichgültigkeit erzählt ist, sieht jedermann. Es ist dieselbe Gleichgültigkeit, mit der ein italienischer Quattrocentist wie Ghirlandajo eine solche Geschichte behandelt. Das Kind, das die Treppe hinaufstürmt, aber nicht recht sichtbar gemacht ist; die Eltern, die unten stehen, ohne eigentlichen Anteil zu nehmen; Nebenpersonen mit überwuchernder Bedeutung; Schaustellung von Baulichkeiten um ihrer selbst willen. Die Nebenpersonen sind hier ein Händler mit seiner Frau, vorzügliche Charakterfiguren, Beispiele jener sittenbildlichen Darstellung, wie sie Dürer auch in frühen Stichen, aber mit weniger Unbefangenheit, versucht hat. Wichtiger für ihn war jedenfalls das Architektonische hier: ein Stück italienisch-antiker Baukunst, Bogen auf Säulen und Tore mit horizontalem Abschluß! Es ist kaum möglich, den Phantasieeindruck zu bemessen, den solche Dinge auf gotische Augen machten. Wir sehen nur das Unverstandene der Bildungen, und es geht uns durch Mark und Bein, wenn Dürer mit dem Geländer in den Säulenstamm hineinsticht, wie man in eine Wurst sticht, damals aber hing an diesen Formen von jenseits der Berge der Zauber der Ferne und einer großen Vergangenheit.

Um das Blatt als Ganzes zu würdigen, muß man die analoge Aufgabe des Ecce homo in der Passion betrachten:Joseph wiederholt sogar (mit charakteristischer Korrektur) die Rückfigur des Juden dort. wie Dürer den Raum nun zu gliedern weiß, wie er anfängt mit erhöhtem Vordergrund und die Hauptmasse in die Tiefe der Bühne hineinschiebt, wie ruhig der Blick an den verkürzten Wänden hin ins Weite geführt wird.

Die Perspektive der Stufen wirkt falsch, ist aber in Wirklichkeit richtig. Dürer wußte noch nicht, daß es Fälle gibt, wo die starre Anwendung des Gesetzes zu falschen optischen Resultaten führt.

Die Vermählung. –Unsere Vorstellung von der Vermählung ist mehr als billig von jenem Jugendbild Raffaels beherrscht, das jeder Italienreisende in Mailand gesehen hat und das in unzähligen Häusern als Stich an der Wand hängt. Es ist ganz gleichzeitig mit dem Holzschnitt Dürers entstanden. Bürgerlich-unscheinbar wirkt dieser daneben, in der Gebärde und in den Typen, und im Vergleich zu der eleganten Arbeit eines Linienstichs im alten Sinn mag Dürers Holzschnitt recht rauh und holperig aussehen, aber wie rein ist der Vorgang empfunden, mit wie feinen Mitteln ist die Braut in ihrer Befangenheit charakterisiert und dem Joseph gegenüber als Kontrast wirksam gemacht, 73 und wie ist dieser Priester, der vor sich hinblickt, indem er die Hände der Brautleute zusammenfügt, so ganz erfüllt von der Bedeutung des Sakramentes. Bei Raffael denkt er an die Zeremonie. Wie schön mag die Originalzeichnung gewesen sein! Wir können das nur noch kontrollieren an einer einzigen Figur, der Brautjungfer mit der großen Haube, die einer Folge von Nürnberger Trachtenzeichnungen entnommen ist, wie sie unabhängig vom Marienleben ein paar Jahre vorher angelegt wurde und jetzt in der Albertina aufbewahrt wird. Das Blatt (L. 464) hat in der leichten Federführung und zarten Aquarellfärbung einen Reiz, den der Holzschnitt nicht ahnen läßt.

In dichtem Kreis umgibt die Menge das Paar. Von plastischer Isolierung keine Spur, ja, Dürer sucht auf alle Weise den Eindruck zu erwecken, daß das Bild nur einen zufälligen Ausschnitt der Wirklichkeit gebe. So sind die Überschneidungen der Randfiguren zu erklären und so das merkwürdige Motiv, daß der Mann hinter Joseph sehr auffällig vom Vorgang wegschaut.

Der Hintergrund: eine spätgotische Bogentüre mit Einblick in das Kircheninnere, wo Säulen und Gewölbe, alle unter einen Dämmerungston gebracht, malerisch effektvoll erscheinen. Die Orientierung ist aber unklar.

Die Verkündigung. – Es kann kein Zufall sein, daß Dürer hier den festlich-heitern Eindruck der großen Bogenfolgen italienischer Architektur aus der Erinnerung herangerufen hat. Die Italiener selber haben um diese Zeit den Gruß des Engels gern in Säulenhallen erklingen lassen. Dürers Raum ist nun freilich etwas unbehaglich und frostig geworden, und mit der Komplikation der Deckenform, den Rundlöchern und den Brettern auf den Kämpfergesimsen hat er die Sache nicht besser gemacht, sondern nur schlechterDie kolorierte Vorzeichnung in Berlin (L. 442) ist in diesen Dingen noch einfacher. Die Bretter sind auch erst nachträglich hinzugekommen, um den allzustarken Vertikalismus des Bildes zu brechen., aber neben der Enge älterer Verkündigungsräume muß die grandiose Weite dieser Bogen doch sehr feierlich gewirkt haben. Die Figuren sind hier besonders klein im Raum.

Nach älterer Tradition – und es ist Schongauer, der wohl am feinsten die Verkündigung durchempfunden hat – hebt nun der Engel leise den Vorhang, wo Maria betet, und beugt das Knie und sagt, ohne nahe zu kommen, seinen Vers, während Maria den Kopf wendet und mit gesenktem Auge hört; regelmäßig kommt ihr der Engel vom Rücken her. Dürer läßt den Engel eilig heranlaufen, wie die Italiener das machten, und zwar von der Seite her; er kleidet ihn antik und läßt die Beine unter dem leichten Rock spüren, und nur in den hochgestellten, kolossalen Flügeln ist er wieder deutsch. Maria erhebt sich 74 mit gekreuzten Armen dem Engel entgegen. Sie sitzt auch hier hinter einem Vorhang, allein die gesammelte feine Stimmung der Schongauerschen Darstellung hat sich ganz verflüchtigt.

Erst später (in der kleinen Holzschnittpassion) hat er der Geschichte ihre Stille und Weihe zurückgegeben und ganz spät in einer Zeichnung vom Jahre 1526 (Chantilly, L. 344) nach einem großen Ausdruck für die Verkündigung gesucht.

Die Heimsuchung. – Maria stieg ins Gebirge, heißt es. Und wir bekommen eine richtige Berglandschaft mit einem überraschenden Sonneneffekt. Eingefaßt von dunkeln Coulissen sieht man den Hang gegenüber in vollem Lichte schimmern. Selbst die Schatten darin sind heller als der Himmel und durch den Gegensatz zu der kräftigen Zeichnung des Vordergrundes ist eine Wirkung erreicht, als ob in der Tat die Mittagssonne auf dem fernen Gelände läge. So war die Absicht auch in der Apokalypse, wo Michael über der hellen Erde in dunklen Wetterwolken kämpft, allein dort muß man erraten, was man hier sieht.Zu der Landschaft gibt es eine Zeichnung in Erlangen (L. 431), die aber sicher nicht als Naturaufnahme anzusehen ist und überhaupt verdächtig aussieht. Dagegen haben ihm hier gewiß bestimmte Erinnerungen von seinen Reisen her vorgeschwebt. In der Wiener Zeichnung zum Ganzen (L. 473) findet sich auch ein deutliches bayerisch-tirolisches Gebirgshaus, das der Holzschnitt ausgelassen hat.

Die Frauen beide mit hohem Leib, ein Naturalismus, den die Italiener vermieden haben. Das Umfassen ist übrigens nicht ganz klar, man merkt nur, daß Dürer in der Maria etwas Besonderes sagen wollte. Während Elisabeth starr bleibt (im Widerspruch mit dem Herkömmlichen), ist ihr ein großer Schwung mitgeteilt, als sollte im Rhythmus ihrer Bewegung der Lobgesang austönen: magnificat anima mea dominum.

Geburt und Anbetung der Hirten. – Eine Hütte, in die man der Länge nach hineinsieht, und darin das Kind, angebetet von der Mutter und bestaunt von Engeln. Türen rechts und links: dort drängen die Hirten herein, hier kommt Joseph mit Stock und Laterne. Der große Wurf in der Adoration der Maria wird leider beeinträchtigt durch die perspektivische Haltung, die Dürer der Komposition gegeben hat: der Augenpunkt liegt ganz am Rand, draußen vor der Hütte, so daß die Szene von Mutter und Kind, die etwas ganz Beschlossenes und in sich Ruhendes haben sollte, in eine unbehagliche Strömung hineingezogen wird, als ob sie einer starken Zugluft ausgesetzt wäre. Joseph aber wirkt ganz zusammenhanglos.

Es kommen solche Widersprüche zwischen Form und Inhalt in jedem Zeitalter vor, das die Mittel der Darstellung erst entdecken muß. Italien bot selbst die verführerischen Vorbilder. Um ein Beispiel zu nennen: Crivelli hat 75 in einem Bilde der Verkündigung (London) in ganz gleicher Weise die Szene zerrissen, indem er den Augenpunkt weit weglegte und zwischen dem Engel und Maria eine Mauer zog und so (trotz der Tür) die natürliche Beziehung durchschnitt.

Die Behandlung der Hütte, in ihrer Absicht auf malerischen Reichtum, hat fast etwas Kindliches. Ein Motiv, wie die verkürzt gesehene, abgebrochene Mauer mit ungleich vorstehenden Quadern wird man zu dieser Zeit gleichmäßig im Norden und im Süden finden. Was der nordische Künstler allein hat, sind die reicheren Tonverhältnisse.

Die Beschneidung. – Das ist eine krause Szene. Man wird gut tun, sich erst einmal das Sachliche einer Beschneidung zu vergegenwärtigen.

Einer muß das Kind halten und einer muß die Operation ausführen, und wenn das deutlich gemacht werden soll, so wird man die Figuren in eine Linie parallel zum Beschauer bringen. Hier sind sie bildeinwärts entwickelt und der Anblick kompliziert sich zudem dadurch, daß sie sitzen. Mit offenbarem Vergnügen läßt nun Dürer auch noch seine Faltenkünste spielen, so daß das Auge gerade genug gereizt wäre, aber nein! – nun kommen erst die Nebenfiguren: aus einem dichten Knäuel von Menschen muß die Hauptgruppe herausgelesen werden.

Nicht mehr die gleichmäßige Füllung des Raumes: die Hauptmasse liegt rechts, und links hält eine einzelne Stehfigur das Gegengewicht. Sie zieht natürlich den Blick stark an, es ist aber eine ganz gleichgültige Person. Die Eltern, die man sucht, Maria, die hier einen ihrer sieben Schmerzen erduldet, bleiben unbemerkt im Gedränge.

Man mag sich vorstellen, was so ein Figurenhaufen in Italien für einen Eindruck machte. Auch dort verlangte man die reichen Zusammenstellungen, aber ein Filippino sieht immer dürftig aus daneben und ein Carpaccio geradezu leer. Freilich sind es nicht die plastischen Motive allein, die die Wirkung machen, sondern das ornamentale Leben der Linie und das gotische Astgeflecht über der Tür im Hintergrund ist just der passende Schlußschnörkel zu diesem Kapitel.

Die Anbetung der Könige

Die Anbetung der Könige. – Der Schnitt gehört nicht zu den brillanten, aber die Zeichnung ist eine der wertvollsten. Das was als selbstverständlich wirkt, ist die Hauptleistung. Es gibt keine ältere Anbetung, wo alles so klar spricht – das Sitzen und das Knieen und das Herankommen – und wo jedes Motiv so mühelos auf andere sich anschließt.

Noch bei Schongauer (B. 6) – was für ein klebriges Ineinander der Figuren, und in den Einzelmotiven wie selten die vollkommene Deutlichkeit! Es ist eine seiner meist wiederholten Kompositionen, aber dem Knieenden fehlen noch die Linien, die die Bewegung gleich auf den ersten Blick angeben, von den Stehenden 76 ist der eine ganz unsicher in der Haltung und wenn man den andern im großen gelten lassen will, so bleibt man doch an einer Einzelheit hängen: die Hand, die den Deckel hebt, wirkt ungenügend, sie ist nicht gesehen.

Kopf der Maria (Berlin)

Dagegen nun bei Dürer der glücklichste Fluß im ganzen und eine fast vollkommene Klarheit der einzelnen Figur. Und dazu wie viel neues Leben! Die Neigung der Maria fraulich-süß und zart;Er hat hier die Zeichnung des Berliner Kabinetts, L. 6, benutzt. Sie trägt das Datum 1503. Ephrussi (S 54) ist in der Beschreibung merkwürdig ausgeglitten: une tête de Vierge... pleine de manièrisme et exprimant désagréablement le sentiment de piété que l'artiste a voulu rendre. der alte König edel und streng, die rituelle Betfigur; Joseph ein guter Kontrast dazu; und dann die andern Könige wieder stark differenziert. Der Mohr wird erst herangewunken: ein beliebtes Motiv, hier mit leiser Komik behandelt. Er rennt mit dem Hut in der Hand herbei und der Hund hinten drein. Unnötig; es eilt doch nicht so.

Ruinenphantasien im HintergrundDie Vorzeichnung (Sammlung Bonnat, L. 348) differiert hierin am meisten. Die Bogen noch mit offenem Durchblick.. Ohne daß eigentlich an eine Verwendung der Architektur zugunsten der Figuren gedacht wäre, merkt man doch, wie für die einzelnen Köpfe die Folien hergerichtet sind, und damit ist auf neue Art jene Schaubarkeit gesichert, auf die Dürer bei diesem Blatt besonders hingearbeitet zu haben scheint.

Die Darstellung im Tempel. – Der Eindruck ist zunächst bedingt durch das Architektonische, jene Säulenstellungen mit offenem Gebälk darüber, die in ihrer Kolossalität und Sinnlosigkeit als etwas Ungeheuerliches wirken. Man weiß jetzt, woher das Motiv stammt: es findet sich in dem Perspektivbuch des Viator (1505), nur hat es Dürer ins Unverständliche übersetzt. Er wollte wohl einen phantastischen Eindruck hervorbringen, indem er die Decke durchbrach, aber überall, wo er von der Vorlage abgeht, ersetzt er die ruhige 77 und sichere Wirkung mit einer unreinen und peinigenden. Er übergeht Stützen, wo sie das Gefühl unweigerlich verlangt, wie die zweite im Vordergrund,Sie ist natürlich als existierend gedacht, aber sie ist nicht sichtbar gemacht, vielleicht nach dem Grundsatz, daß man mit Überschneidungen die Illusion des Räumlichen verstärke. Dürer hat später diesen Mangel an tektonischem Empfinden überwunden (vgl. den Holzschnitt der Anbetung der Könige von 1511 im Kapitel »Neuer graphischer Stil – Die kleineren Passionen«). Im Marienleben wiederholt sich der Fehler nochmal bei dem Tor auf dem Bilde des Abschieds Christi. das Einsetzen der Decke ist unklar und die Verkürzung der Deckenquadrate in ihrem Fortgang unrichtig. Es sind Fehler, über die man bei dem Anfänger nicht ungeduldig werden darf; man wird höchstens lächeln, wenn man Dürer die eben gewonnene Schulweisheit so naiv vorbringen sieht.

Nachdenklicher macht die Art, wie er hier wieder zu erzählen versucht als Maler, der die Szene von weitem sieht; der nicht nur die Hauptspieler hervorholt, sondern das ganze Bild der Wirklichkeit geben will; der den Helden der Geschichte nicht gleich im Vordergrund präsentiert, sondern mit ganz gleichgültigen Personen groß anfängtDer Mann vorn an der Säule ist offenbar eine Erinnerung an Mantegna, der in der Eremitanikapelle, im Fresko der Himmelfahrt Mariä, einen der Apostel den Randpfeiler so umklammern ließ. Abbildung bei Kristeller, Mantegna. S. 91. und dann erst drinnen im Raum die Hauptsache bringt. Und dabei immer Menschen und Schauplatz zusammengesehen: der Eindruck einer Menge, die sich im dämmrigen Tempelraum verliert. Es ist eine malerische Auffassung, die unmittelbar zu Rembrandt hinüberführt.

Die Flucht nach Ägypten

Die Flucht nach Ägypten. – Nach dem Thema des Tempelinnern das Thema des Waldinnern. Die malerisch noch höher stehende Aufgabe. Man pflegt Schongauers Stich der Flucht als Vorbild zu nennen, aber die Ähnlichkeit geht kaum über das Äußerliche des gleichen Stoffes hinaus. Vor allem sind es bei Schongauer nur einzelne Bäume, die licht dastehen, während Dürer den ernsthaften Versuch macht, den Eindruck des geschlossenen Waldes zu geben. Mit starken Überschneidungen fängt er an, man sieht gar nichts vom Himmel, die Stämme verlieren sich nach hinten im Dunkel und nur in der Mitte läßt er noch einmal ein junges Bäumchen hell aufleuchten. Weiß liegt dann auch eine Wolke in den Wipfeln drin mit der Schar von Cherubim, die den Wanderern als Begleiter folgen. Der malerischeren Wolkenzeichnung entsprechend hat auch der Baumschlag schon ausgesprochen malerischen Charakter.

Der Zug ist in ganzer Längsrichtung, ohne Verkürzung, gegeben. Reizend die Silhouette der Reiterin mit dem Schattenhut im Rücken. Vom Kind freilich sieht man kaum noch eine Spur. Auch das ist neuer Stil.

Der Aufenthalt in Ägypten. – Die Mutter tritt die Wiege und spinnt dazu und drei große Engel stehen bewundernd um sie herum. Daneben arbeitet 78 Joseph als Zimmermann mit der Axt und geflügelte kleine Putten kehren die Späne zusammen und füllen sie in den großen Tragkorb. Andere machen indes ein Spielchen. Und all das geschieht an der lieben Sonne, der Brunnen plätschert, und aus den Höhen sieht Gottvater segnend herab.

Das hört sich so idyllisch an, daß der Unvorbereitete von Dürers Darstellung wahrscheinlich zunächst enttäuscht sein wird. Die Gruppe der Maria ist keck an den äußersten Rand hinausgeschoben, Joseph allein wäre nicht imstande, ihr das Gegengewicht zu halten, dafür baut sich hinter ihm eine hohe Häuser- und Ruinenreihe auf, die in jäher Verkürzung nach der Tiefe zu abschnurrt. Es ist unwohnliches Gemäuer, große schwarze Löcher, das Gegenteil von dem, was wir erwarten, und dazu die Aufdringlichkeit der Perspektive! Erst jenseits des öden Hofraumes kommen die traulichern Motive. Und doch hat das Blatt die Stimmung, die es haben soll, sobald man sich nur entschließen will, das Linien- und Tonensemble als das Wesentliche zu nehmen und nicht die einzelnen Gegenstände. Wie die Fläche übersponnen ist mit Linienwerk verschiedenster Art und durchsetzt mit lustig polternden Schattentiefen, das macht ihr besonderes Leben aus und auf solche Wirkungen einzugehen, war den Alten selbstverständlich. Dabei kann man immerhin zugeben, daß die Architekturperspektive sich etwas selbstgefällig präsentiert. Das malerisch Mannigfaltige in sicherer Erscheinung vorgetragen, das war es, was man damals bewunderte und was dann wohl auch einzeln herausgenommen und in anderm Zusammenhang von dritten wieder verwendet wurde.Gerade diese Architekturvedute ist öfters (auch plastisch im Relief) wiederholt worden. Die Einzelbetrachtung des Figürlichen wird freilich jeden über solche Unreinheiten unseres Blattes trösten. Vor allem muß man sagen, daß Dürer nie mehr mit dieser Unmittelbarkeit Kinderszenen gefaßt hat. Wie viel leerer sind die Motive in dem großen Holzschnitt der Maria von 1518!

Christus unter den Schriftgelehrten. – Das Blatt leidet unter einer widrigen Zerstreuung der Figuren. Es ist ein Versuch, den reich besetzten Binnenraum zu geben, aber erst in dem (später entstandenen) Blatt der Mariengeburt ist der Versuch wirklich gelungen. Viel originelle Bewegung in den Gelehrten, die sich da herumräckeln, die Disputation selbst aber ist dabei fast verloren gegangen. Christus ist ein nichtssagendes Püppchen auf dem Katheder. Man war freilich nichts Besseres gewöhnt. Erst in Italien hat Dürer das Thema von der psychologischen Seite angefaßt. Der häßliche Raum im »modernen« Stil vollendet die unbehagliche Wirkung dieses Blattes.

Der Abschied von der Mutter. – Christus bricht auf zur letzten Reise nach Jerusalem. Die Frauen haben ihm das Geleite gegeben bis über das 81 große Gartentor hinaus, da macht die Mutter noch einmal den verzweifelten Versuch ihn zum Bleiben zu bewegen: mit gerungenen Händen wirft sie sich vor ihm auf die Kniee. Dieser Moment ist dargestellt. Es geht über allen Ausdruck der ältern Kunst hinaus, wie die Mutter zum Sohne emporsieht, wie die Gefährtin sie vom Boden emporheben will und es doch nicht tut, und wie in die Gebärde so eine Doppelbewegung hineinkommt als bedeutete der gesenkte Arm ein Nachlassen im Verlangen, ein Zurücktreten von der Bitte, unter dem Eindruck des ernsten Blickes, mit dem Christus auf die Knieende herabsieht. Er segnet sie, aber er bleibt zum Gehen gewandt.

Die Maria mit Heiligen hat uns darnach nichts mehr zu sagen. Wir könnten ganz darüber hinweggehen, wenn es nicht noch einer stilistischen Anmerkung bedürfte, um diesem Blatt seine richtige Stelle zu geben. Vielerorts gilt es nämlich noch immer als spätere Zutat und doch scheint es fast unmöglich in der bis zum Unleidlichen gedrängten und unklaren Komposition mit der völligen Zerklüftung des Grundes die charakteristischen Merkmale des Frühstils zu übersehen.

 

3.

Wie der Inbegriff alles Freundlichen, Gutmütigen und Sonnigen, was das Marienleben enthält, erscheint mir die kolorierte Zeichnung der Albertina: Maria mit den vielen Tieren, L. 460. (Vorstudium dazu in Braunschweig, Sammlung Blasius L. 134). Das alte beschlossene Gärtlein der Maria ist hier zum weiten offenen Gelände geworden, mit Bergen und Meeresküsten und großen Wolken darüber. Der Hauptton ist ein lichtes Gelbgrün, in dem die Figur als eine schimmernde Helligkeit darin sitzt, ganz weiß. Nicht das Festliche ist die Absicht, wie seinerzeit bei der Maria mit den Hasen, sondern die lächelnde Anmut. In muntern Falten bricht sich das Gewand (ganz ähnlich wie auf dem kleinen Kupferstich von 1503), die Lilien und Päonien kräuseln sich nochmal so zierlich, und wohin man blickt, regt sich's von kleinem Leben. Der Pintscher sonnt sich am Boden und starrt einen Hirschkäfer an, der auf ihn losgeht; das interessiert den Fuchs, der an seiner Leine herankommt; im dunklen Loch haust das Käuzchen und der Uhu; ein Papagei hockt auf dem Pfahl der Rasenbank, Rotkehlchen und Specht treiben sich herum: ein großes Singen und Summen füllt die Sommerluft.

Maria mit den vielen Tieren
Wien, Albertina

Mit dem Marienleben ist aber die Holzschnittproduktion der Zeit nicht erschöpft. Es gibt eine ganze Anzahl von Blättern gleichen Stils. Soll man das Beste nennen, so wäre es die Entrückung der hl. Magdalena (B. 121) und der Besuch des Antonius bei Paulus (B. 107). Das eine ist eine 82 Mönchsgeschichte: das Paar der alten Einsiedler, die am Waldrand zusammensitzen und denen heute, aus Anlaß des Besuches, der Rabe wunderbar ein Doppelbrot bringt; sehr anregend in dem Nebeneinander der zwei Figuren und gleichmäßig durchrieselt von raschen, kurzen Linienwellen (der Entwurf der Sammlung Blasius, L. 141, noch wesentlich abweichend). Die Magdalena vor weitem Meereshintergrund gibt dazu den Gegensatz der Schönheit und der ganz entlassenen Schwere. Dürer hat nichts Vollkommeneres gezeichnet als die Gestalt dieser Frau, die in Engelsbegleitung betend über der Erde schwebt. Sie soll dann die himmlischen Harmonien gehört haben, und man glaubt es, so ganz ist die Bewegung in rhythmischem Wohlklang ausgelöst. Die Technik weist auf die Zeit um 1504. 83

 

 


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