Heinrich Wölfflin
Die Kunst Albrecht Dürers
Heinrich Wölfflin

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Apokalypse

1.

Man muß linienempfindlich sein, um den jungen Dürer zu verstehen. Er hat auf den bloßen Linienausdruck des Holzschnitts sich beschränken können, weil alles Wesentliche seiner Formempfindung vollkommen damit sich sagen ließ. Die ganze Sichtbarkeit setzte sich ihm in Linienbewegung um. Da gibt es kein Ruhendes und gleichgültig Stilles. Der Baumstamm windet sich empor, die Rinde umschließt ihn wie mit Polypenarmen, das Gras schießt aus dem Boden, das saftige Blatt rollt sich und die Erdwelle wölbt sich sichtbar in stets erneuerter Bewegung; selbst in dem toten Stein scheinen die einst wirkenden und bauenden Kräfte anschaulich zu werden, und was soll man nun erst erwarten von der Zeichnung der lebendigen menschlichen Form! Es ist gar nicht nötig, daß es bewegte Körper sind: immer wird diese neue Kunst eine höhere Aktivität zu besitzen scheinen, weil auch die ruhende Form als Funktion begriffen ist. Verständlich aber, daß sie gerne nach der wirklichen Bewegung greift. Männerkämpfe, Simson als Löwenwürger, der rasende Lauf der Rosse – das sind ihr die erwünschten Aufgaben.

Manchmal möchte man sagen, die Zeichnung koche. So sehr sind alle Linien in Wallung geraten, daß gar nichts still bleibt und bis auf die Blätter im Buche sich alles krümmt und kräuselt. Es ist eine Manier, die man nirgends als im Holzschnitt findet. Nicht daß Dürers Formgefühl sonst anders geartet erschiene, aber nur im Holzschnitt erlaubt er sich die starken Übertreibungen. Er war der Meinung, die derbe Linie des Holzstockes bedürfe dieser Stilisierung. Selbstverständlich ist damit von vornherein ein großer dekorativer Reichtum gesichert, allein das ist nicht das Wesentliche: wäre nicht ein neues und höchst intensives Erleben der Form vorangegangen, so hätte er seine Linien nicht gefunden. Wie beim jungen Goethe jedes Wort einen sinnlicheren Klang erhält, so kann man bei Dürer von einer neuen Sinnlichkeit der Linie sprechen, eben weil für sein Auge die Form überall und unmittelbar eine lebendigere Bedeutung gewann.

Bei Schongauer haben wir die Anfänge, hier steht die Erfüllung. Schongauer zeichnete bloß mit dem Stichel, Dürer hat sich auch die ungefüge Linie des 42 Holzstockes dienstbar gemacht und er ist nirgends großartiger als da, wo er sich ganz primitiv ausdrücken muß.

Dem älteren Nürnberger Holzschnitt gegenüber bedeutet seine Kunst zunächst eine Vereinfachung, insofern er alle Erscheinung auf rein linearen Ausdruck zurückführt. Die Holzschnitte des Schatzbehalters und der Weltchronik geben ein Feuer, ein Gebüsch, eine Wolkenmasse nicht streng zeichnerisch; so beschränkt die Mittel sind, sucht man der Erscheinung doch gewissermaßen von der malerischen Seite her beizukommen; der einzelne Strich bedeutet wenig oder nichts, erst der Gesamteffekt der gehäuften Striche soll das ungefähre Bild der Sache ergeben. Bei Dürer dagegen hat schon die einzelne Linie ihre charakteristische Form, jede ist durchgeprüft auf ihren Ausdruckswert und es sind die brillanten Entdeckungen seiner Jugend, den linearen Ausdruck auch für die vorübergehenden und plastisch-unfaßbaren Dinge gefunden zu haben: für die schlagende Flamme, für blitzende Sterne, für quellende Wolken, jene großen stolzen Wolken, mit denen die junge Generation so prächtig einherfährt.

Der Holzschnitt hatte immer im Umriß seine Kraft. Es ist dann (vielleicht schon unter Schongauers Einfluß) die Binnenzeichnung im weiteren Umfang als formerklärend hinzugenommen worden, in dem Sinne, daß die Schatten nicht nur eine Dunkelheit angeben, sondern durch Verlauf und Richtung die Form mit erklären sollten. Aber was so geschah, geschah unentschieden und unökonomisch und man ging kaum über ein Schattieren in kurzen Lagen hinaus. Jetzt erst, bei Dürer, tritt die Binnenzeichnung in ganzer Bedeutung hervor: breitströmend, in langen Linien geben die Schatten der Figur erst Nachdruck und Energie.

Und nun kommt auch Zusammenhang in die Lagen. Er wechselt nicht beständig und grundlos die Richtung, sondern hält das Zusammengehörige zusammen, er achtet auf eine reinere Harmonie in der Gesamtbewegung: die Linien wirken als dekoratives Ensemble, ja, jede einzelne Linie ist nach ihrem dekorativen Werte durchempfunden.

Damit ist jene neue Art von Zeichnung begründet, wo alles Linienwerk Form angibt, und doch zugleich als Arabeske genossen werden kann.

Ursprünglich war die Farbe die obligate Begleitung, auf die der Holzschnitt rechnete. Sie setzt aber leere Flächen voraus. Je mehr die Umrißzeichnung mit Linienwerk sich füllte, um so weniger war sie am Platz. Schon vor Dürer war die Herrschaft der Farbe erschüttert, allein Dürer hat zuerst in der Verwendung von Weiß und Schwarz eine ausgesprochen malerische Wirkung erreicht, die den Wunsch nach etwas anderem gar nicht mehr aufkommen läßt. Und dabei verzichtete er auch von Anfang an auf das zum Flecken ausgebreitete Schwarz, das die Älteren als bereicherndes Motiv gern 43 in die Komposition aufgenommen hatten, indem sie etwa beim Laub oder bei ornamentalen Mustern, am häufigsten bei den Schuhen die Form ganz schwarz ließen. Er faßte den Holzschnitt als reine Zeichnung, die in allen Teilen homogen sein müsse und so löst er diese schwarzen Klumpen im Element der Linie auf. Auch die größte Dunkelheit ist immer noch durchsichtig.

Seine Skala von Hell und Dunkel ist sehr viel reicher und er ersetzt die altertümliche, gleichmäßig helle Haltung der Holzschnitte durch die Kraft starker Tongegensätze. Wolken stehen licht vor schwarzem Grund, über einer hellen Landschaft hängt ein dunkler Himmel. Es sind die malerischen Effekte, mit denen Schongauer einen bescheidenen Anfang gemacht hatte.

Nun beklagt man sich aber noch immer über die schwere Schaubarkeit dieser Dürerschen Schnitte, daß die Figuren nicht deutlich herausträten und daß man sich nur ganz allmählich darin zurechtfinde. Das ist wohl wahr und erklärt sich auch zum Teil als archaische Befangenheit, andrerseits aber ist der moderne Betrachter darauf aufmerksam zu machen, daß man bei diesen Zeichnungen von den einzelnen Figuren nicht ausgehen darf. Das Maßgebende ist der Linien- und Tonzusammenhang des Ganzen, nicht das einzelne Motiv. Aus der allgemeinen Linienbewegung und dem Rhythmus in der Verteilung von Hell und Dunkel ziehen diese Blätter ihre Stimmung. Sie wollen als eine dekorative Einheit gefaßt sein. Wie ein Relief des Adam Krafft seine Schönheit nicht in dieser oder jener Gestalt besitzt, sondern in der Art der Flächendurchwühlung im ganzen, so ist ein Blatt der Apokalypse neben allem Sachinteresse immer auch als Liniendekoration bedeutend, wobei grundsätzlich die Fläche in allen Teilen gleichmäßig gefüllt sein soll. Unseren Augen mag dabei wohl des öfteren eine Aufgabe zugemutet werden, der sie nicht gewachsen sind. Die Fähigkeit, komplizierte Dinge aufzufassen, ist ehemals größer gewesen. Schon in ihrer Architektur besaß diese Generation der späten Gotik eine Schule für das Sehen, wie sie uns fehlt.

 

2.

Ich leb und weiß nit wie lang,
Ich stirb und weiß nit wann,
Ich fahr und weiß nit wohin,
Mich wundert, daß ich fröhlich bin.
                          Spruch von 1498.

Das Buch der Apokalypse, trübe und schwer, ist der erste große Stoff gewesen, an dem Dürer seine Kraft erprobte. Das Buch hatte damals eine ungeheure Bedeutung. Die Empfindung, daß man dem Ende nahe gekommen sei, war überall vorhanden; jeder bereit, in den Erscheinungen der 44 Natur Dinge von geheimnisvoller Vorbedeutung zu sehen; allgemein ein nervöses Aufhorchen auf Zeichen und Wunder. Von Dürer selbst wissen wir Derartiges. Auch Luther hat bekanntlich bis zuletzt daran geglaubt, daß die Jahre der Welt erfüllt seien.

Und nun hatte man in der Apokalypse die Beschreibung der furchtbaren Dinge, denen die Menschheit entgegenging und das Bedürfnis war fast unstillbar, den schwierigen Text in Bildern sich anschaulich zu machen. »Selig ist, der da lieset und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darinnen geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe« (Apok. 1, 3). Der Stoff ist in Bilderhandschriften oft behandelt worden. Die Darstellung existierte als Blockbuch. Die deutsche Bibel, die in Köln um 1480 herauskam, ist in der Illustration dieses Abschnittes ganz besonders ausführlich und später in der ersten Bibelausgabe Luthers, September 1522, ist er sogar der einzige illustrierte Teil.

Dürer knüpfte also an eine Tradition an. Die Holzschnitte der Kölner Bibel waren ihm von Jugend an bekannt: der Verleger Koburger, Dürers Pate, hatte 1493 eine Nürnberger Bilderbibel herausgegeben und darin die gleichen Stöcke benutzt. Aber er läßt seinen Vorgänger weit hinter sich. Man wird da und dort in den neunziger Jahren finden, daß man sich besinnt auf das Ernsthafte und Bedeutende, hier aber treffen wir plötzlich auf eine Stimmung von so hoher Art, daß man wohl glauben kann, diese Zeichnungen zur Offenbarung hätten wie ein Sturmwind die Gemüter ergriffen. Dürer wußte sich im Besitz neuer Ausdrucksmittel, aber er hatte auch Neues zu sagen. Und er wollte eindringlich reden, wie man noch nie hatte reden hören. Schon das Format sollte ein ungewöhnliches sein: er schließt sich an an die größten Stöcke des Prachtwerks der Schedelschen Weltchronik.

So entstanden die 14 Folioblätter, die als Buch gebunden 1498 in erster und 1511 in zweiter Auflage herausgegeben wurden. Der Text ist immer den Rückseiten aufgedruckt, zunächst in deutscher, später (1511) auch in lateinischer Sprache. Für die zweite Auflage zeichnete Dürer noch einen (unbedeutenden) figurierten Titel: Johannes schreibend.

Wer nun unmittelbar vom Lesen der biblischen Worte herkommt, wird vielleicht seine Erwartungen bei Dürer nicht erfüllt finden und es ist auch begreiflich, wenn die Schrift stärker auf die Phantasie wirkt als das Bild. Sie arbeitet mit einer Reihe von Mitteln, die nicht übertragbar sind. Es wogt und rauscht und dampft und flammt im Texte der Offenbarung. Was gesprochen wird, wird gesprochen »mit Donnerstimme«, »wie ein Löwe brüllet«, oder es heißt: »seine Stimme war wie ein großes Wasserrauschen«; das Bild ist stumm. Farben spielen eine wichtige Rolle; im Holzschnitt 45 verschwinden auch sie. Dann widersetzt sich das Übergroße und Unvorstellbare der jüdischen Phantasie überhaupt aller Bildgestaltung. Aber auch abgesehen davon, wird den meisten Modernen Dürer zu trocken, zu linear, zu wenig visionär vorkommen und sie werden meinen, ein G. Doré würde so was besser gemacht haben. Malerische Phantastik darf man allerdings nicht erwarten. Man muß sich entschließen, auf seine Wirkungsmittel einzugehen, wenn man die Phantasiearbeit in Dürers Apokalypse beurteilen will, und vielleicht gehört auch das dazu, daß man das echte alte Buch in alter niedriger Stube einmal gesehen hat, um zu ahnen, wie die gewaltigen Linien von Dürers Griffel einst wie in Flammenschrift aufgeleuchtet haben müssen.

Nürnberger Bilderbibel vom 1493
Die Vision der sieben Leuchter
(nach einem kolorierten Exemplar)

Die erste Vision. – Eine große Stimme spricht und Johannes wendet sich um, zu sehen, wer mit ihm redet. »Und als ich mich wandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den sieben Leuchtern einen, der . . . war angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel . . . und seine Augen waren wie eine Feuerflamme . . . und hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand; und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert; und sein Angesicht leuchtete wie die helle Sonne. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen als ein Toter.«

Dieser Text ist in dem Holzschnitte der Köln-Nürnberger Bilderbibel schlecht und recht verbildlicht: ein sitzender Mann (Christus) im herkömmlichen Gewande, die eine Hand (es ist hier in der Umkehrung des Druckes die linke geworden) mit Redegestus gehoben und von Sternen umgeben, in der Richtung vom Munde nach unten schwebt ein Schwert. Das Buch in der anderen Hand, von dem der Text nichts sagt, ist dem üblichen Schema des sitzenden Christus in majestate entnommen. Eine symmetrische Einrahmung der Leuchter, der siebente hinter dem Kopf, das Ganze eingefaßt von den Krausen, die in der alten Kunst Wolken bedeuten. Johannes knieend, nicht wie ein Toter, zu Füßen der Erscheinung.

Was hat Dürer daraus gemacht?

Die Vision der sieben Leuchter

Jedermann ist getroffen von der Wucht der neuen Darstellung. 46 Empordampfende Wolken; sieben kolossale Leuchter (sie dürfen kolossal sein, denn Johannes sieht sie zuerst), nicht bloß ornamental auf der Fläche verteilt, sondern in wirklich räumlichem Hintereinander; auf dem zwischengespannten Bogen sitzend der Mann, mit dem Buch und den Sternen. Aber was für eine andere Bedeutung in dieser Sternenhand! Alle Finger, der ganze Arm in jähem Ruck ausgestreckt, eine Bewegung, die so stark wirkt, daß man das Aufblitzen der Sterne wie eine notwendige Begleiterscheinung der Aktion hinnimmt. Mächtig sprechen die Vertikalen der Ärmelfalten, denen von der Mitte her ein anderes großes Linienthema antwortet. Im einzelnen ist alles durchdrungen von einer quirlenden Bewegung: der Gürtel, die krausen Buchblätter geben das Maß dieser Bewegung an. Ein Prachtbeispiel sind die Falten des Ärmelumschlages. In der Darstellung des Monströsen ist Dürer viel wörtlicher: das Schwert geht wirklich vom Munde aus und die Augen leuchten wie Feuerflammen, aber das Temperament im ganzen ist so groß, daß man nicht darüber stolpert. Der Kopf an sich scheint auf einen Schongauerschen Typus zurückzugehen,Vgl. die Zeichnung in Basel, die von D. Burckhardt im Rep. 1890, S. 443, veröffentlicht worden ist. ebenso wie die Leuchter zum Teil an Schongauersche Kunst anknüpfen, die spätgotischen Motive dann allerdings mit neumodisch-italienischen durchsetzen.Vgl. den Leuchter auf Schongauers Marientod. Modern (im damaligen Sinn) sind namentlich die balusterförmigen Schwellungen und jenes Durchsetzen des Stammes mit durchgreifenden Gelenken, die der Gotik gegenüber eine prinzipiell neue Auffassung der Form bedeuten.

Johannes ist auch hier nur eine knieende Beterfigur. Daß ihn der Schreck zu Boden warf, kommt nicht zum Ausdruck: es lag nicht im Geiste des 15. Jahrhunderts, den momentanen Affekt zu geben. Ein Holbein hat sich später die heftigere Darstellung selbstverständlich nicht entgehen lassen, ebenso wie Christus nicht mehr sitzend, sondern zuschreitend auf den Evangelisten dargestellt wird.

Das zweite Blatt gibt die Vision, wie eine Türe sich auftut im Himmel und man drinnen einen Mann sitzen sieht in der Mitte und um ihn herum auf 24 Stühlen die 24 Ältesten in weißen Kleidern. Dürer breitet zu Füßen dieser himmlischen Szene eine weite stille Landschaft aus. Es ist eine Vorahnung dessen, was er später in dem Allerheiligenbilde bringt, wo dann freilich das Feierliche einen ganz anderen Charakter gewonnen hat. Die Gesellschaft im Himmel sitzt eng und unübersichtlich, dagegen hat die Landschaft schon merkwürdige Eigenschaften, den Eindruck der Raumtiefe zu geben.

Die vier Reiter. – Aus den vier Reitern, denen Macht gegeben ist, 47 den vierten Teil der Menschheit zu töten, mit dem Schwert und durch Hunger und andern Tod, hat Dürer das berühmte Bild der Vernichtung gemacht, die mit Windesflügeln über die Erde hingeht. Die deutsche Kunst bis dahin hat keinen Bewegungseindruck aufzuweisen, der diesem vergleichbar wäre. Er nimmt die vier Figuren, die der Text einzeln auftreten läßt und die auch früher in der Darstellung nie als einheitliche Gruppe behandelt worden waren, eng zusammen, hebt sie in die Luft und gewinnt so eine Summe gleichlautender, phantastischer Bewegung. Er beherrschte damals das Pferd noch nicht, geschweige das bewegte Pferd (es gibt Zeichnungen, die das ganze Ungenügen verraten: L. 209 z. B.), aber er hat hier mit suggestiven Wirkungen der Linie gearbeitet, die eine vollkommenere Zeichnung entbehrlich machen. Sie laufen nicht gleichmäßig gut die Pferde, und in dem keuchenden, dürren Gaul des Todes ist sogar absichtlich die lahme Bewegung gewollt, aber das Hauptmotiv ist von vorzüglicher Bewegungskraft: der Reiter, der im Sattel sich vorlegt und in der hochgehobenen Hand seine Wage schwingt, wie man eine Hetzpeitsche schwingt. Die Tiere greifen galoppierend aus, wobei die Hinterbeine sehr zum Vorteil des Eindrucks verdeckt bleiben.

Die vier Reiter

Alle vier Reiter sehen ins Weite, keiner auf das nächste Ziel. Sie bilden eine Kette, die durch das Bild ganz durchgeht und alles, was am Boden liegt, völlig erdrückt. Auch das ist neu. In älteren Darstellungen pflegt man nur dem Tod ein Häuflein Menschen vor die Füße zu legen.v. Oechelhäuser, Dürers apokalyptische Reiter. 1885.

Mit mächtigem Flügelschlag begleitet ein Engel den Zug (es ist der Engel, der ursprünglich als Kronenbringer über dem ersten Reiter schwebt); eine weiße Wolke geht steil empor wie eine von starkem Hufschlag emporgewirbelte Staubsäule; entscheidend aber für die Stimmung des Blattes ist die heftige Begegnung der Licht- und Schattenmassen und der allgemeine Linienaufruhr in den Wolkenrändern, den emporflatternden Satteldecken, Gewändern, Mähnen und Pferdeschweifen: es zittert und dröhnt in der Luft.

Der Sternenfall. – Es folgt der Augenblick, wo die Erde erbebt und die Sterne vom Himmel fallen und die Menschen sich verkriechen in den Klüften und Felsen und zu den Bergen sprechen: »Fallet auf uns und verberget uns, denn es ist gekommen der große Tag des Zornes!« Als Einleitung dazu gibt der Text ein schauerliches Vorspiel im Himmel: wie die Seelen der Märtyrer unter dem Altar hervor nach Rache schreien, und wie man ihnen dann weiße Kleider gibt und sie vertröstet, sie sollten noch eine Weile harren, bis alle beisammen seien.

Dürer hat die zwei Szenen zusammengenommen. Aber das Blatt hat 48 nicht den erwarteten großen Charakter. Die kleinfigurig erzählte Geschichte der Märtyrer ist in den Motiven auffallend lahm, und für das Ganze glaubte sich Dürer zur Symmetrie eines Jüngsten Gerichtes verpflichtet und damit nimmt er der untern Szene die Wirkung des elementaren Ereignisses, so bedeutend er hier in der Einzelerfindung ist.

Zwei Gruppen von Menschen nach den Ecken hin. Kaiser, Papst und Kardinal mit Angst und Stöhnen übereinander auf der einen Seite, auf der andern als Hauptfigur eine hockende, sich duckende Frau, die ihr Kind vor sich hält und mit gellendem Schrei den Raum durchdringt: der verzweifelnde Notruf, der nicht weiß, wohin er sich wenden soll. Das ist der beste Teil im Bild.

Die fallenden Sterne sind leckende, züngelnde Flämmchen, die bald auf hellem, bald auf dunkelm Grund erscheinen und so tatsächlich den Eindruck der Bewegung erzeugen.Wer das Nürnberger Prachtwerk der Schedelschen Weltchronik (1493) kennt, weiß, eine wie große Rolle die Erzählung von Feuer, Blut und dergl. Dingen spielt. die da und dort vom Himmel gefallen sein sollen, und wie gut das Publikum vorbereitet war, solche Darstellungen nach ihrer zeichnerischen Qualität zu beurteilen.

Und nun ein Gegensatz der höchsten Ruhe: die vier Engel, die die Winde halten sollen, daß sie nicht blasen, während die 144 000 Auserwählten versiegelt werden.

Die vier Engel mit den Winden

Man sieht beide, die Wächter und die Versiegelten. In den älteren Darstellungen haben die Engel ihren Platz außen an den Ecken um die Gemeinde der Versiegelten herum. Dürer nimmt sie alle zusammen und stellt sie kühn und herb als eine Masse den andern gegenüber. So zwiespaltig wird dadurch das Ganze, so ungleichartig sind die Hälften, daß das Bild fast aus den Fugen geht. Und dabei ist erst noch sehr schlecht für die sachliche Deutlichkeit gesorgt: in den zwei Hauptfiguren fehlt durchaus eine verständliche Beziehung zu den Winden oder dem Engel, der den Auftrag übermittelt. Woher diese Unklarheit der Motive und der Anordnung? Offenbar ist es dem jungen Dürer eine Lust gewesen, mit dem alten Prinzip der gleichmäßigen Flächenbesetzung zu brechen und seine Pointen, zu Massenaccenten gesteigert, assymmetrisch zu setzen. Allein mit dieser Erklärung wird man doch nicht ganz auskommen. Zu deutlich gibt sich das Blatt als eine Komposition zu erkennen, in die fertige Motive, aus anderen Zusammenhängen genommen, verbaut worden sind. Wenigstens möchte ich mit aller Bestimmtheit behaupten, daß für den Hauptengel die Zeichnung schon bereitlag, bevor Dürer an diese apokalyptische Szene dachte. Er wollte sie verwenden unter allen Umständen: 49 ob sie gerade das gab, was die Geschichte erheischte, war Nebensache. Man kennt analoge Fälle.

Diese Hauptfigur, ein Jüngling-Engel mit großen Zügen und mächtigem Flügelpaar, sieht aus wie eine Erinnerung an Mantegna. Was hier vor allem spricht, ist nicht die mächtige Form des Hauptes und das gewaltige Paar der zottigen Flügel, es ist der wundervolle langsame Rhythmus der Bewegung, wie er den Körper erfüllt, das große gehaltene Pathos im Ausblick und in der Gebärde. So eine Gestalt bedeutet eine völlig neue Humanität. Peter Vischer hat am Sebaldusgrab versucht, das gleiche Motiv für den Apostel Paulus zu verwerten.

Die langförmig geführte Idealgewandung tut das ihrige zu der freien und feierlichen Wirkung und bildet einen merkwürdigen Gegensatz zu der ganz anders behandelten geistlichen Tracht des Begleiters, der in seiner verkrümmten Bewegung wie der Geist einer befangenen, dem Untergang bestimmten Vergangenheit anmutet.

Wie Dürer auf diese italienische Figur gekommen ist, läßt sich nur im allgemeinen sagen. Ein genaues Vorbild habe ich wenigstens bisher nicht gefunden, doch ist der mantegneske Charakter offenbar. Mantegna hat namentlich weibliche Figuren, die der dürerischen in der Stimmung ganz verwandt sind, z. B. die Magdalena auf dem Londoner Dreifigurenbild, aber auch schon früher. Es ist nicht ausgeschlossen, daß jenes Londoner Bild gerade zur Zeit von Dürers Reise fertig wurde.Vgl. Kristeller, Andrea Mantegna S. 335. Auch die dünnen langen Röhren des Gefälts haben bei Mantegna ihre Analogie, so daß man nicht erst venezianische Beispiele anzuziehen braucht.Auffallend ist die ganz lange Steilfalte in der Mitte, und wenn der enge Anschluß des Gewandes an den Unterschenkel des Spielbeins den Gedanken an ein plastisches Vorbild nahelegt, so könnte eine Figur in der Art der bekleideten Venus des Louvre (der sogen. Venus genetrix) in Betracht kommen. Nun gibt es merkwürdigerweise eine Zeichnung von diesem Typus (Gazette des beaux-arts 1896, XVI., 326 ff.), die um 1500 entstanden sein muß und venezianisches Gepräge hat. Berenson hat sie sogar unbedenklich als von der Hand des Jacobo de' Barbari erklärt, ohne dabei an den Zusammenhang mit Dürer zu denken. Ich unterlasse es, aus den angedeuteten möglichen Beziehungen die weiteren Schlüsse zu ziehen. Man muß abwarten, ob sie sich zu Tatsächlichkeiten verdichten. Für den Ausblick und die Verkürzung des Kopfes kann auf den kranzempfangenden Jüngling in Mantegnas »Bacchanal mit der Kufe« verwiesen werden.

Die Märtyrer mit Palmen sind eines von den wirkungsloseren Blättern. Der Zug, der aus der Tiefe hervorkommt, hat eine rechte Flüssigkeit nicht 50 gewinnen können und die Reihung der vierundzwanzig Ältesten in ihrer räumlichen Unklarheit wirkt noch ganz altertümlich.Dürer hat das Blatt an späterer Stelle eingeordnet als Illustration zu Kap. 19, nicht wie jetzt zu Kap. 7. Die Umstellung stammt von Bartsch, dem die unleugbar vorliegende Beziehung zu Kap. 7, 9 entscheidend schien.

Der Text bekommt jetzt eine große Spannung. Es gab eine Stille im Himmel und dann wurden den sieben Engeln, die vor Gott stehen, sieben Posaunen gegeben, und ein anderer Engel kam und füllte das Rauchfaß mit Feuer vom Altar und schüttete es auf die Erde, und Donner und Blitz und Erdbeben brechen los. Doch das ist nur die Ankündigung der furchtbareren Verwüstungen, die kommen sollen, wenn die Posaunen das Zeichen geben. »Und die sieben Engel mit den sieben Posaunen hatten sich gerüstet, zu posaunen.« Wie einen Chor von Rachegeistern sieht man sie dastehen. Und der erste posaunete, und es ward ein Hagel und Feuer und fiel auf die Erde, und der dritte Teil der Bäume verbrannte und alles grüne Gras. Und der zweite posaunete und es fiel wie ein großer Berg mit Feuer brennend ins Meer, und so geht es fort, und als der vierte posaunet hatte und das Maß des Schreckens voll scheint, da hört man eine Stimme durch den Himmel ein dreifaches Wehe rufen über die Unseligen, die erleben müssen, was die drei letzten Posaunen bringen werden.

Dürers Blatt gibt die Spannung der Erzählung nicht wieder, schon darum nicht, weil ihm das Nacheinander fehlt. Die Verwüstungen machen keinen rechten Eindruck; den Engeln fehlt das Dämonische; sie treten auch nicht als geschlossene Masse auf, sondern verstreut, in lockrer Symmetrie, und es ist noch dafür gesorgt, daß jeder in Flügelzeichnung und Gewandung etwas verschieden sei, eine Abwechslung, die man entbehren könnte. Die Formen flatternder Gewänder, ein Thema, das Dürer später noch öfter und wunderbar behandelt hat, sind dagegen schon hier von bedeutender Erfindung und wenn man dann weiter geht zu dem Schwung der großen Flügel und den merkwürdig sich windenden Wolken und das Ganze übersieht, wie sichs drängt mit Hellem und Dunklem und mächtig durcheinander fahrendem Linienschuß, so wird man doch gepackt und muß dem Blatt eine Stimmung des Ungeheuerlichen zugestehen. Sie liegt nur nicht da, wo man sie zuerst sucht, in der einzelnen Figur, sondern in dem Formenensemble. Verkleinerte Nachbildungen aber können den Eindruck so wie so nicht übermitteln.

Das dreifache Wehe ruft ein großer Raubvogel, während der lutherische Text (weniger richtig) einen Engel verlangt. Ein schönes Beispiel von Flugbewegung.

Die Engel vom Euphrat. – Hier wird es dem Künstler wohler, wo 51 die Vernichtung durch menschlich geformte Wesen ausgeführt wird und nicht das Gestaltlose bloßer Naturvorgänge dargestellt werden mußte. Es sind die Engel vom Euphrat, die aufgerufen sind, den dritten Teil der Menschheit zu töten. Die sechste Posaune hat sie gerufen. (Die Wirkung der fünften ist klein in den Wolken angedeutet.) Die Stimmung des Seekampfes von Mantegna kommt wieder herauf in dem wuchtigen Dreinschlagen der vier Gestalten. Nicht in einer Linie, sondern nach rechts und links auseinandergehend, füllen sie – in schneidend harten Begegnungen – den Raum und verbreiten das Verderben um sich. In voller Gestalt sieht man nur einen, diese Hauptfigur aber, die mit der Gier eines Raubtieres sich auf ihr Opfer stürzt, überbietet an Energie der Aktion wohl alles, was man aus der vorangehenden Kunst kannte. Man kann die Steigerung der Dynamik messen, indem die Kölner Holzschnittbibel eine ganz ähnlich entworfene Figur bringt, die aber mit ihrem gestreckt vorgeschobenen Bein mehr auf den Eindruck der raschen leichten Bewegung hinarbeitet als auf den Eindruck der Kraft. Mantegnesk ist der schreiend aufgerissene Mund, und der Ausdruck schmerzlichen Ernstes im ganzen kommt dort her.Einen ganz verwandten Typus zeigt die düster großartige Figur eines lautenschlagenden Mannes mit mächtigen Flügeln auf der Berliner Zeichnung L. 73 (ehemals Sammlung Mitchell), datiert 1497.

Die himmlische Oberszene enttäuscht etwas Der posaunenblasende Engel sieht doch gar zu sehr wie ein unschuldiger kleiner Page aus.

Der Mann mit den Säulensüßen. – Dürer ringt mit dem Unmöglichen. Es soll ein starker Engel sein, der mit einer Wolke bekleidet und mit Feuerpfeilern als Füßen vom Himmel herabkommt und dem Johannes ein Büchlein zu verschlingen gibt. Und er schrie mit großer Stimme, heißt es, wie ein Löwe brüllet, und da er schrie, redeten sieben Donner ihre Stimmen. Dürer greift zum größten Maßstab; er gibt der himmlischen Erscheinung nicht bloß (nach Art der älteren Darstellungen) ein Kleid aus Wolkenkrausen, sondern läßt sie im Gestaltlosen der Himmelswolken verfließen; Johannes ergreift mit leidenschaftlicher Erregung das hingehaltene Buch; aber so ernst Dürer die Aufgabe genommen hat, und so frei er ausgreift mit der Linie, um das Außerordentliche zu geben, er hat das Monströse des Themas doch nicht überwinden können.

Nun wird die Geschichte immer ungeheuerlicher und verworrener. Der Böse tritt auf in Tiergestalt, als ein Drache mit sieben Köpfen, sein Schwanz reißt den dritten Teil der Sterne an sich und wirft sie zur Erde. Ihm ist ein Weib gegenübergestellt, die auf der Mondsichel steht, eine Sternenkrone 52 auf dem Haupt und umgeben von strahlendem Licht; sie hat ein Knäblein geboren, das von Engeln zu Gott emporgetragen wird, und ist niemand anders, als die jungfräuliche Gestalt der Maria. Früheres und Späteres sind verbunden in der Darstellung: der Drache wendet sich gegen die Jungfrau und schießt einen Strom Wassers gegen sie, daß er sie ersäufe, aber die Erde verschlingt das Wasser und der Jungfrau werden Flügel gegeben, damit sie hinwegflöge.

Es ist eine der prachtvollsten Phantasien Dürers das ungebärdige Tier mit seiner vielfältigen Bewegung, die doch als Einheit wirkt; die Köpfe alle in verschiedener Form durchgebildet, keiner das Wirkliche berührend, aber jeder überzeugend und alle erfüllt von einem gemeinsamen Charakter des Bösen.

Auf drei Blättern erscheint der Drache, aber hier ist er am bedeutendsten. Man muß die Darstellungen zusammennehmen, um die Entwicklung der Dürerschen Gestaltungskraft zu übersehen. Die babylonische Hure auf dem Drachen ist offenbar das älteste Blatt der Reihe, vielleicht liegt überhaupt hier der Anfang der ganzen Arbeit. Das würde dann wohl heißen, daß den Künstler dieser Stoff besonders lockte. Das Tier ist da noch zahm, weniger ausdrucksvoll und im ganzen gleicharmiger, aber in den Köpfen schon durchaus differenziert. Für die Hure, das schöne lockende Weib, hat Dürer bekanntlich die Zeichnung nach einer Venezianerin benutzt, die er an Ort und Stelle gemacht hatte (L. 459). Seine Phantasie lieferte ihm keinen Typus, der verführerischer wirken konnte. Wie oft seitdem, bis auf Gabriele d'Annunzio, ist Venedig als die Stadt der Wollust besungen worden! – Die staunend-befangene Menge, der die Verführung gilt, ist nach einzelnen Charakteren durchgebildet. Man denkt an Signorellis gleichzeitige Darstellung vom Auftreten des Antichrists in Orvieto. Ein Mönch ist der einzige, der gleich fromm vor der Hure in die Kniee gefallen ist.

Im allgemeinen aber leidet das Blatt, nach Art eines Erstlings, unter der Zerstreuung durch das Zuviel. Besser in dieser Beziehung, obwohl sonst gleichgültiger, ist das mittlere Drachenblatt, wo das Tier mit den Lammshörnern hinter dem Berge hervorkommt.

Michaels Kampf mit dem Drachen

Michaels Kampf mit dem Bösen. – Wir haben die historische Folge verlassen. Gleich nach dem ersten Erscheinen des Drachens findet ein Kampf im Himmel statt: »Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen, und der Drache stritt und seine Engel, und siegeten nicht, auch ward ihre Stätte nicht mehr gefunden im Himmel.« Ein Streit in den Lüften. Unten eine sonnig stille Landschaft, oben vor schwarzem Grund ein unruhiges Hin und Her von Lichtern, schlangenhaft sich windendes Wolkengekröse, schreckhaftes Gewürm da und dort auftauchend, mitten drin aber ganz einfach die langgewandete 53 weiße Gestalt Michaels. Die mächtigen Flügel weit ausgestellt, hat er seine Lanze mit beiden Händen hoch oben gefaßt und stößt sie nun mit gebeugtem Knie dem Gegner in die Kehle. Es ist ein gewaltiger Ernst in diesem Michael. Man fühlt, wie er sich zusammennehmen muß. Die Bewegung hat nichts Vehementes, aber sie ist außerordentlich eindringlich und übertönt durchaus die Aktion der helfenden Begleiter. Wie spielerisch erscheint Schongauers Michael neben einer solchen Figur. Nicht ganz unähnlich ist dagegen der Typus, den die Bilderbibel verwendet hat, doch hat auch da Dürer, wie bei dem Euphratengel, das Motiv dynamisch gesteigert.

Denkt man aber andrerseits an die Michaelbilder der Italiener, wie sie von Raffael und Guido Reni gemalt worden sind: der mit leichtem Fuß einhereilende Überwinder, so kommt noch eine andere Seite hervor, die Dürers Blatt für unser Gefühl bedeutsam macht: daß der Kampf mit dem Bösen, auch wenn es ein Erzengel ist, der ihn führt, als ein schwerer empfunden worden ist.

Und nun kommt das Ende. Der Böse wird ergriffen, gebunden und in den Abgrund geworfen für tausend Jahre. Ein Engel besorgt das »mit bedächtiger Schnelle«. Es liegt etwas Feines und Leises in seinem Tritt, wie er den Drachen an die Versenkung geführt hat, in der er nun mit unwilligem Zischen verschwindet. Der Abgrund ist nämlich, ganz nach Bühnenart, nichts als ein rundes Loch im Boden, mit einem Deckel verschließbar.

Auf dem Hügel oben steht Johannes und ein Engel zeigt ihm das neue Jerusalem. Auch das geschieht ohne Pathos. Wie ein Wegweiser steht der Engel da mit seinem ausgestreckten Arm. Eben das war damals das Neue: die einfache starke Bewegung. Die Horizontale des Armes abgesetzt von den drei durchgehenden Steilfalten des Rockes. Johannes außerordentlich reizvoll mit vorgebeugtem Körper und gotisch schleichendem Schritt dazu komponiert.

Den Szenen der Offenbarung hat Dürer in herkömmlicher Weise noch das Martyrium des Apostels im Ölkessel beigegeben; es eröffnet die Folge und ist eines der prachtvollsten Blätter. Mantegnesk-großartig die nackte Figur des leidenden Beters mit den langen Locken und von rauschender Pracht der Gewalthaber auf dem Thron, wo in Bart und Turban, Gewand und Schmuck fast alle Register der Linienzeichnung gezogen sind.

Obwohl es an erster Stelle steht, gehört das Stück seiner Entstehung nach sicher zu den allerletzten. Man kann es direkt als das eine Ende dem Blatt mit der babylonischen Hure als dem andern Ende gegenüberstellen, und diese Grenzen umschließen ein so großes Stück Entwicklung, daß man mit der Datierung der frühen Blätter jedenfalls um mehr als ein Jahr vor das Publikationsjahr 1498 zurückgehen muß. Einen bündigen Anschluß an den ersten bekannten Holzschnitt, den Basler Hieronymus, gewinnt man freilich auch so 54 noch nicht. Möglich, daß in der Masse der anonymen Nürnberger Drucke die Zwischenstufen sich doch noch einmal nachweisen lassen.Die Untersuchung über die verschiedenen Hände, denen Dürer die Holzschnittausführung anvertraute, ist noch nicht gemacht. Daß er selbst in Holz schnitt, scheint niemand mehr anzunehmen.

 

3.

Neben der Apokalypse gibt es noch ein paar Einzelblätter vom gleichen großen Format, wo Dürer, ohne alle Mühsal eines widerspenstigen Stoffes, ganz frei die Glieder reckt. Sie sind im Stil den entwickelteren apokalyptischen Zeichnungen verwandt. Ein Teil davon behandelt die große physische Bewegung, ein anderer (und es ist nicht der geringere) gibt nur das ruhige Dasein, das sich in diesem Stil der strömenden Linie zu einer merkwürdigen Pracht verklärt.Es sind sieben: Die heilige Familie mit den Hasen, der Simson, Herkules, der Reiter mit dem Landsknecht, die Enthauptung der Katharina, die Marter der Zehntausend, das Männerbad. Die Beschießung des Sebastian, die Passavant hinzufügen wollte (P. 180), überzeugt mich nicht recht.

Nichts wirkt festlicher als eine Maria wie die mit den Hasen (B. 102), nur muß man den Strich in seiner ganzen originalen Größe sehen und in der saftigen Schwärze eines guten Druckes. Sie sitzt glücklich und still im Freien und das stehende Kind auf ihrem Schoß spielt mit einem Buch und dahinter erscheint Joseph, ehrerbietig mit abgenommenem Hut – gar nichts Besonderes im Motiv, aber alles strahlt in diesem Blatte. Das ist die ganze große satte Pracht der Dürerschen Jugendlinie. Der Körper als plastische Form ist zwar noch unentwickelt, aber was tut das? Das Auge wird mitgerissen von dem Reichtum des Gefälts, das in plätscherndem Formenüberschwang am Boden sich staut. Die Pflanzen mit den gerollten Blättern führen die Bewegung weiter, alles atmet Fülle des Lebens, und was für ein entzückendes Allegro in jenem fliegenden Puttenpaar mit der Krone, das die Komposition nach oben abschließt!

Ein anderes Blatt, Simson, der dem Löwen den Fuß auf den Nacken setzt und den Rachen auseinanderreißt (B. 2), vergleicht sich in der nervigen Energie mit den Würgengeln vom Euphrat. Es ist ein oft behandelter Bildstoff, aber alles, was Kraft ist daran, war als Ausdruck neu zu entdecken. Dürer geht auch hier von einem Linienbild aus (keinem bloßen Konturbild), das eine gewisse suggestive Macht hat, ohne das Motiv zu plastischer Deutlichkeit durchgebildet zu enthalten. Im Sinne der bildnerischen Klarheit bleibt es ein Fehler, daß der den Löwen niedertretende Fuß, der Träger der 55 größten Energie, nicht auch der sichtbarste Teil im ganzen ist. Das Bein wird fast völlig überschnitten.

In dieser Beziehung wirkt der unscheinbarere »Ercules« mit den zwei Gewappneten am Boden (B. 127) wie eine Korrektur. Man muß ihn mit der rein profilmäßig entwickelten Figur des bogenschießenden Herkules vom Jahre 1500 (Leinwandbild in Nürnberg) zusammenstellen.

Das Männerbad

Die vollständigste Auskunft über Dürers Zeichnung des Nackten gibt das Männerbad (B. 128). Michelangelo hat im gleichen Lebensalter seinen Karton badender Soldaten gezeichnet, lebensgroße Akte in reicher Bewegung und Verkürzung. Derartiges darf man natürlich hier nicht suchen. Es sind stehende, lehnende, sitzende Männer, alle in einfacher Erscheinung, vorn zwei Halbfiguren: eine Rückenansicht und eine Brustansicht. Aber gerade diese Einfachheit ist so verblüffend. Als ob sie Hans von Marées zusammengeordnet hätte, stehen diese Körper im Bilde, vollkommen klar ausgesprochen, Form mit Form zu ruhiger Gegenwirkung gebracht. Man bemerkt, wie die Zentralfiguren zum Dreieck sich fügen und wie die Strenge des Tektonischen im weitern zur Freiheit gemildert ist. Hier liegt eine ganz große Absicht zugrunde.

Und dazu diese merkwürdige Energie der Formauffassung. Wie der Rückenakt gegeben ist! Uebertreibend im Umriß, übertreibend in der Modellierung, im Wogen der Flächen – aber diese Uebertreibung war Notwendigkeit, wenn die Zeichnung die ganze Kraft der sinnlichen Anschauung, des Formerlebnisses ausdrücken sollte.

Eine Fortsetzung hat die Gattung nicht gefunden. Nach Dürers Urteil sollte das Nackte dem Kupferstich vorbehalten bleiben. 56

 

 


 << zurück weiter >>