Johann Joachim Winckelmann
Geschichte der Kunst des Altertums
Johann Joachim Winckelmann

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Die Zeit nach dem Commodus

Unter und nach dem Commodus, dem Sohne und Nachfolger des Marcus Aurelius, ging die letzte Schule der Kunst, die gleichsam von Hadrian gestiftet war, und die Kunst selbst, so zu reden, zugrunde. Derjenige Künstler, von dessen Hand der wunderschöne Kopf dieses Kaisers in seiner Jugend, im Campidoglio ist, macht der Kunst Ehre; es scheint derselbe etwa um eben die Zeit, in welcher Commodus den Thron bestieg, das ist im neunzehnten Jahre seines Alters, gemacht zu sein; der Kopf aber kann zum Beweise dienen, daß dieser Künstler nicht viel seinesgleichen gehabt: denn alle Köpfe der folgenden Kaiser sind jenem nicht zu vergleichen. Die Münzen dieses Kaisers sind in der Zeichnung sowohl als in der Arbeit unter die schönsten kaiserlichen Münzen zu rechnen: zu einigen derselben sind die Stempel mit so großer Feinheit geschnitten, daß man an der Göttin Roma, die auf einer Rüstung sitzt und dem Commodus eine Kugel überreicht, an den Füßen die kleinen Köpfe von den Tieren, aus deren Fellen man Schuhe trug, ausgeführt sieht. Man kann aber von einer Arbeit im kleinen auf die Ausführung eines Werkes im großen nicht sicher schließen; derjenige, 327 welcher ein kleines Modell eines Schiffes zu machen weiß, ist dadurch nicht geschickt zum Bau eines Schiffes, welches im tobenden Meer bestehen kann: denn viele Figuren auf Rückseiten der Münzen folgender Kaiser, die nicht übel gezeichnet sind, würden sonst einen irrigen Schluß auf das Allgemeine der Kunst veranlassen. Ein erträglicher Achilles, klein gezeichnet, wird von eben der Hand groß wie die Natur ausgeführt, vielmals als ein Thersites erscheinen. Es ist auch glaublich, wenn auf Münzen des 3. Jahrhunderts die Rückseiten über den Begriff selbiger Zeiten gearbeitet sind, daß man sich alter Stempel bedient habe.

Des Commodus Andenken beschloß der Senat zu Rom zu vertilgen, und dieses ging vornehmlich auf dessen Bildnisse; dieses fand sich an vielen Brustbildern und Köpfen desselben, die der Herr Kardinal Alexander Albani entdeckte, da er den Grund zu seinem prächtigen Lusthause zu Nettuno am Meere graben ließ. Von allen Köpfen ist das Gesicht mit dem Meißel abgeschlagen, und man erkennt dieselben nur an einigen anderen Zeichen, so wie man auf einem zerbrochenen Steine den Kopf des Antinous an dem Kinne und Munde erkennt. In der Villa Altieri ist ein Kopf eben dieses jungen Menschen, nach Anzeige des Mundes, welcher nur allein von demselben erhalten war, als ein Antinous ergänzt.

Es ist kein Wunder, daß die Kunst anfing, sich merklich gegen ihren Fall zu neigen, wenn man bedenkt, daß auch die Schulen der Sophisten in Griechenland mit dem Commodus aufhörten. Ja den Griechen wurde sogar ihre eigene Sprache unbekannt: denn es waren wenige unter ihnen, die ihre besten Schriften mit dem wahren Verständnisse derselben lesen konnten, und wir wissen, daß Oppianus in seinen Gedichten durch die Nachahmung des Homerus und durch dessen Ausdrücke und Worte, deren er sich bedient, sowie Homerus selbst, den Griechen dunkel war. Daher hatten die Griechen Wörterbücher in ihrer eigenen Sprache nötig, und Phynichus suchte die Athenienser zu lehren, wie ihre Voreltern geredet hatten: aber von vielen Worten war keine bestimmte Bedeutung mehr zu geben, und ihre Herleitung wurde durch verlorne Stammwörter auf Mutmaßungen gegründet.

Wie sehr die Kunst nach dem Commodus gefallen, beweisen die öffentlichen Werke, welche Septimius Severus einige Zeit nachher 328 aufführen ließ. Er folgte dem Commodus ein Jahr nachher in der Regierung, nachdem Pertinax, Didius Julianus, Clodius Albinus und Pescennius Niger in kurzer Zeit regiert hatten und ermordet worden. Die Athenienser ließ Severus sogleich seinen Zorn empfinden wegen einer Beleidigung, welche ihm auf einer Reise nach Syrien zu Athen in voriger Zeit widerfahren war: er nahm der Stadt alle ihre Vorrechte und Freiheiten, die ihr von den vorigen Kaisern erteilt waren. Die erhobenen Arbeiten an seinem Bogen und an einem andern Bogen, welchen die Silberschmiede ihm zu Ehren [hatten] aufführen lassen, sind so schlecht, daß es erstaunend scheint, wie die Kunst in zwölf Jahren, seit dem Tode des Marcus Aurelius, so ganz und gar herunterkommen können. Die erhobene Figur des Fechters Bato in der Villa Pamfili, in Lebensgröße, ist ebenfalls ein Zeugnis hiervon: denn wenn dieses der Fechter dieses Namens ist, welchen Caracalla prächtig [hatte] beerdigen lassen, so wird nicht der schlechteste Bildhauer dazu gebraucht sein. Philostratus gedenkt eines Malers Aristodemus, welcher sich um diese Zeit hervortat: er war ein Schüler eines Eumelus.

In Betrachtung gedachter Arbeiten sollte man kaum glauben, daß sich noch ein Künstler gefunden, welcher des Severus Statue von Erz in dem Palaste Barberini [hatte] machen können, ob sie gleich nicht für schön kann gehalten werden. Die vermeinte Statue des Pescennius Niger im Palaste Altieri, welcher sich wider vorgedachter Kaiser aufwarf und von ihm geschlagen wurde, wäre noch weit seltener als jene und als alle dessen Münzen, wenn dieselbe diesen Kaiser vorstellen könnte; der Kopf aber ist dem Septimius Severus ähnlicher. Die einzige Statue des Macrinus, welcher dem Caracalla folgte, befindet sich in dem Weinberge Borioni.

Von den Zeiten des Heliogabalus wird eine weibliche Statue in Lebensgröße in der Villa Albani gehalten. Es stellt dieselbe eine betagte Frau vor mit einem so männlichen Gesichte, daß nur die Kleidung das Geschlecht derselben anzeigt: die Haare sind ganz schlecht über den Kopf gekämmt und hinterwärts hinaufgenommen und untergesteckt. In der linken Hand hält dieselbe eine gerollte Schrift, welches an weiblichen Figuren etwas Außerordentliches ist, und man glaubt daher, daß es die Mutter besagten Kaisers sein könne, welche im 329 geheimen Rate erschien, und welcher zu Ehren ein Senat von Weibern in Rom angeordnet wurde.

Alexander Severus, welcher dem Heliogabalus folgte, ließ die Statuen vieler berühmter Männer von allen Orten zusammenholen und auf dem Foro des Kaisers Trajanus setzen. Von dessen Zeit ist die sitzende Statue des H. Hippolytus in Lebensgröße in der Vatikanischen Bibliothek, welches ohne Zweifel die älteste christliche Figur in Stein ist: denn damals fingen die Christen an, mehr Ansehen als vorher zu gewinnen, und gedachter Kaiser erlaubte ihnen den öffentlichen Gottesdienst an dem Orte, wo jetzt St. Maria in Trastevere ist. Diese Statue ist in Vergleichung mit der Arbeit an dem Bogen des Septimius Severus über den Begriff dieser Zeit: eben dieses gilt von der großen Begräbnisurne des Alexander Severus und der Julia Mammäa, welche liegend in Lebensgröße auf dem Deckel derselben gearbeitet sind. Der Künstler derselben muß einer von denjenigen sein, welche durch Nachahmung der Alten aus dem Verderbnisse ihrer Zeit das Haupt erhoben.

Von einem solchen Künstler ist die Statue des Kaisers Pupienus, welche im Palaste Verospi stand, und vor kurzer Zeit verkauft worden. Es ist dieselbe zehn Palme hoch und ohne alle Beschädigung erhalten bis auf den rechten Arm, welcher bis an den Ellenbogen mangelt: es hat dieselbe sogar die feine lettige Rinde behalten, mit welcher die Werke der Alten unter der Erde überzogen wurden. Mit der linken Hand hält die Figur das Parazonium gefaßt, und an dem Stamme, woran das rechte Bein zur Befestigung steht, ist ein großes Horn des Überflusses stehend gearbeitet. Dem ersten Anblicke gibt diese Statue einen Begriff, welcher sich nicht mit ihrer Zeit zu reimen scheint: denn sie zeigt eine Großheit und Pracht der Teile; in der Fülle ihrer Teile aber entdeckt sich nicht das Wissen älterer Künstler; es sind die Hauptfarben da, aber die Mitteltinten fehlen, und die Figur erscheint dadurch schwer und hat für ihre Größe einen zu völligen Umfang. Es irrt also Montfaucon, wenn er vorgibt, daß die Bildhauerkunst um diese Zeit gänzlich verloren gegangen. Die Base von einer Statue [des] Kaisers Gordianus, welche im Palaste Farnese war, ist nicht mehr vorhanden.

Die eigentliche bestimmte Zeit, in welcher der gänzliche Fall der Kunst erfolgte, war vor dem Constantin, zur Zeit der großen 330 Verwirrung durch die dreißig Tyrannen, welche sich unter dem Gallienus aufwarfen, das ist zu Anfang der letzten Hälfte des dritten Jahrhunderts. Die Münzverständigen bemerken, daß nach dem Gallienus in Griechenland nicht einmal mehr Münzen geprägt worden; je schlechter aber die Münzen dieser Zeit an Gehalt und Gepräge sind, desto öfter findet sich die Göttin Moneta auf denselben; so wie die Ehre ein häufiges Wort in dem Munde einer Person ist, an deren Ehre man zu zweifeln hat. Der Kopf des Gallienus von Erz mit einem Lorbeerkranze, in der Villa Mattei, ist wegen der Seltenheit zu schätzen.

Es findet sich Nachricht von einer Statue der Calpurnia, der Gemahlin des Titus, welcher einer von gedachten Afterkaisern oder Tyrannen war; es wird dieselbe aber so schlecht gewesen sein, daß ein dunkles Wort, dessen Erklärung den Gelehrten viel Mühe macht, keinen merkwürdigen Umstand zur Kunst, wie man hier gesucht hat, enthalten kann.

Wie es hernach unter Constantin dem Großen mit der Kunst ausgesehen, zeigen dessen Statuen, eine unter dem Portale der Kirche zu St. Johann Lateran, zwei andere auf dem Campidoglio, und einige erhobene Arbeiten an dessen Bogen, an welchem alles, was gut ist, von einem Bogen [des] Kaisers Trajanus genommen worden. Es ist also kaum glaublich, daß das alte Gemälde der Göttin Roma im Palaste Barberini zu Constantins Zeiten gemacht worden. Es findet sich Nachricht von andern entdeckten Gemälden, welche Hafen und Aussichten auf das Meer vorstellen, die, nach der Unterschrift derselben, aus dieser Zeit möchten gewesen sein; sie sind aber nicht mehr vorhanden: die Zeichnungen mit Farbe ausgeführt finden sich in der Bibliothek des Herrn Kardinal Alexander Albani. Aber die Gemälde in dem einen und ältesten Vatikanischen Virgilio sind nicht zu gut für Constantinus Zeiten, wie jemand meint, welcher, da er geschrieben, nicht das frische Gedächtnis davon gehabt, und nach Kupfern des Bartoli, welcher alles Mittelmäßige wie von guter Zeit scheinen gemacht, geurteilt hat. Es hat derselbe nicht gewußt, daß man aus einer schriftlichen Nachricht von gleichem Alter in diesem Buche beweisen kann, daß die Abschrift zu Constantinus Zeiten gemacht worden. Von eben der Zeit scheint der alte gemalte Terentius in dieser Bibliothek zu sein, und der berühmte Peiresc gedenkt in einem seiner ungedruckten 331 Briefe in der Bibliothek des Herrn Kardinals Alexander Albani einer anderen alten Handschrift des Terentius von den Zeiten [des] Kaisers Constantinus, Constantinus des Großen Sohn, dessen gemalte Figuren von eben dem Stil mit jenen gewesen,

Man erinnere sich, daß, wenn ich von dem Falle der Kunst im Altertum rede, dieses vornehmlich von der Bildhauerei und Malerei zu verstehen ist: denn da diese abnahmen und sich ihrem Untergange näherten, blühte die Baukunst in gewissem Maße, und es wurden Werke in Rom aufgeführt, dergleichen an Größe und Pracht Griechenland in seinen besten Zeiten nicht gesehen, und da es wenige Künstler gab, die eine erträgliche Figur zeichnen konnten, baute Caracalla die erstaunenden Bäder, deren Trümmer selbst noch wunderbar scheinen. Diocletianus führte seine Bäder auf, in welchen er jene noch zu übertreffen suchte, und man muß gestehen, daß dasjenige, was sich von denselben erhalten hat, uns mit Erstaunen erfüllen kann. Die Gebälke der Säulen aber werden unter dem gehäuften Schnitzwerke, wie die Zuschauer in den Schauspielen dieses Kaisers unter einer Überschwemmung von Blumen, welche man auf sie werfen ließ, erstickt. Eine jede Seite von seinem Palaste zu Spalatro in Illyrien ist siebenhundert und fünf englische Fuß lang, nach der neuesten Ausmessung Herrn Adams. Dieses erstaunende Gebäude hatte vier Hauptgassen von fünfunddreißig Fuß Breite, und die Gasse von dem Eingange bis zum Platze in der Mitte ist zweihundertsechsundvierzig Fuß lang; die Gasse, welche diese durchschneidet, ist vierhundertvierundzwanzig Fuß lang. Auf beiden Seiten dieser Gassen waren bedeckte Bogen von zwölf Fuß Breite, und einige von denselben sind noch ganz erhalten. Nicht lange vorher sind die großen Paläste und Tempel zu Palmyra aufgeführt, die an Pracht alle übriggebliebenen Gebäude in der Welt übertreffen, an welchen man das Schnitzwerk und die Verzierungen bewundern muß. Es wäre also nicht widersprechend, wie Nardini meint, daß die zwei erstaunenden Stücke eines schön geschnitzten Gebälks in dem Garten des Palastes Colonna von einem Tempel der Sonne sein könnten, welchen Kaiser Aurelianus in dieser Gegend gebaut. Dieses zu begreifen, muß man bedenken, daß die Baukunst, welche vornehmlich mit Maß und Regel zu tun hat, in welcher alles nach denselben bestimmt werden 332 kann, eine angewiesenere Vorschrift, als die Kunst der Zeichnung insbesondere, hat, und also nicht so leicht abweichen noch verfallen konnte. Unterdessen bekennt Platon, daß selbst in Griechenland ein guter Baumeister eine Seltenheit gewesen. Bei dem allen ist fast unbegreiflich, daß an dem Portal des fälschlich sogenannten Tempels der Concordia, welchen Constantin, nach Anzeige einer nicht mehr vorhandenen Inschrift, wieder herstellen lassen, das oberste und verjüngte Ende von zwei Säulen umgekehrt auf die untere Hälfte derselben gesetzt worden.

Constantin der Große suchte nach bestätigtem Frieden im Reiche den Wissenschaften aufzuhelfen, und in Athen, wo die Lehrer der Redekunst ihre Schulen von neuem mit großem Zulaufe öffneten, wurde der Sammelplatz der Studierenden, die aus dem ganzen Reiche dahin gingen. Hätte die Welt durch Ausrottung der Abgötterei nicht eine andere Gestalt bekommen, so sieht man an vier großen Kirchenvätern, dem H. Gregorius Nazianzenus und Nyssenus, dem H. Basilius und Johann Chrysostomus, daß es der griechischen Nation auch nach dem Constantin nicht an außerordentlichen Talenten, auch in Kappadozien, gefehlt. Und da gedachte H. Väter die Beredsamkeit und die Schönheit der Sprache nach einem großen Verfall wiederum in die Höhe gebracht, so daß sie dem Platon und dem Demosthenes zur Seite stehen können und alle heidnischen Skribenten ihrer Zeit gegen sich verdunkeln, so wäre es nicht unmöglich gewesen, daß in der Kunst ein gleiches geschehen könne. Es war aber mit der Kunst so weit gekommen, daß man aus Ungeschicklichkeit und Mangel eigener Kräfte, wenn Statuen oder Köpfe verordnet und bestellt wurden, Figuren alter Meister nahm und dieselben nach dem, was sie vorstellen sollten, zurichtete, so wie alte römische Inschriften auf christlichen Gräbern gebraucht wurden, auf deren Rückseite die christliche Inschrift steht. Flaminio Vacca redet von sieben unbekleideten Statuen, welche zu seiner Zeit gefunden worden und von einer barbarischen Hand überarbeitet worden waren. An einem im Jahre 1757 gefundenen Kopfe unter den Trümmern alter Sachen in der Villa Albani, von welchem nur die Hälfte übrig ist, sieht man zugleich die Hand eines alten und eines barbarischen Meisters: diesem hat es vielleicht nicht gelingen wollen, und er hat seine Arbeit nicht geendigt; das Ohr und der Hals zeugen von dem Stile des alten Künstlers. 333

Von der Kunst findet sich nach Constantins Zeiten weiter nicht viel Nachricht; es ist hingegen zu vermuten, daß, da man bald nachher in Konstantinopel anfing, die Statuen der Götter zu zerschlagen, die Werke der Kunst in Griechenland ein gleiches Schicksal gehabt haben werden. In Rom wurde, diesen Unfug zu verhindern, ein Aufseher über die Statuen bestellt, welcher Centurio nitentium rerum hieß und über Soldaten gesetzt war, die des Nachts umhergehen und Achtung geben müssen, daß keine Statuen verstümmelt und zerschlagen wurden. Denn da die christliche Religion anfing, mächtig zu werden, wurden die heidnischen Tempel ausgeplündert, und die Verschnittenen, welche an der Constantiner Höfe anstatt ihrer Herren regierten, zierten mit dem Marmor der Tempel ihre Paläste aus. Diesem Unfug suchte Kaiser Honorius in Rom zu steuern durch ein Gesetz, in welchem die Opfer untersagt, aber die Tempel selbst zu erhalten befohlen wurden. Berühmten Männern aber wurden noch damals Statuen aufgerichtet, wie dem Stilico und dem Dichter Claudianus unter dem Kaiser Honorius diese Ehre widerfuhr: von jener Statue fand sich vor zweihundert Jahren noch die Base. Zu Konstantinopel haben sich noch zwei Säulen, nach Art der trajanischen in Rom, erhalten, welche unter der Regierung des Arcadius gearbeitet und aufgerichtet worden sind. Die erhobenen Arbeiten an der einen sind nach den Zeichnungen in Kupfer gestochen, welche der venetianische Maler Bellino, den Mohammed II. nach Konstantinopel kommen ließ, verfertigt, und es scheint, daß der Künstler die Arbeit an derselben nach seiner Vorstellung verschönert habe. Denn das wenige, was von der andern Säule gezeichnet ist, gibt einen sehr schlechten Begriff und ist unendlich weit von jener Arbeit verschieden.

Athen war, wie Synesius berichtet, etliche sechzig Jahre, nachdem Byzanz der Sitz des römischen Reichs geworden war, aller seiner Herrlichkeit beraubt, und es war nichts Merkwürdiges mehr daselbst, als die Namen von den alten Trümmern. Denn obgleich Kaiser Valerianus, vor dem Constantin, den Atheniensern erlaubt, die Mauern der Stadt, welche seit der Zeit des Sylla einige hundert Jahre umgerissen gelegen, wieder aufzubauen, so konnte die Stadt dennoch den Goten, die unter dem Kaiser Gallienus Griechenland überschwemmten, nicht 334 widerstehen. Sie wurde geplündert, und Cedrenus berichtet, daß die Goten eine Menge von Büchern zusammengeschleppt, um sie zu verbrennen; da sie aber bedacht, daß es besser für sie sei, die Athenienser mit Büchern zu beschäftigen, hätten sie ihnen dieselben wiedergegeben. Eben so ein betrübtes Verhängnis betraf die Werke der Kunst in Rom; und durch die Barbaren in so vielen Eroberungen und Plünderungen dieser Stadt, ja durch die Römer selbst, wurden Schätze, dergleichen keine Zeit und die Hände aller jetzigen und künftigen Künstler nicht hervorzubringen vermögend sind, mit wilder Wut vernichtet. Der prächtige Tempel des olympischen Jupiter war schon zur Zeit des H. Hieronymus dem Erdboden gleich gemacht. Da unter der Regierung des Kaisers Justinianus, im Jahre 537, der König der Goten Theodatus unter Anführung des Vitiges Rom belagern ließ, und die Moles Hadriani bestürmt wurde, verteidigten sich die Belagerten mit Statuen, die sie auf die Feinde herunterwarfen. Der berühmte schlafende Faunus in der Galerie Barberini ist vermutlich unter diesen Statuen gewesen: denn er wurde ohne Schenkel und Beine und ohne den linken Arm, in Räumung des Grabens um besagtes Kastell, unter Papst Urban VIII. nebst der Statue des Septimius Severus in Erz gefunden; nicht aber in dem Graben von Castell Gandolfo außer Rom, wie Breval irrig vorgibt.

Man gibt eine fast kolossalische Statue in der Villa Giustiniani in vielen Büchern für eine Statue [des] Kaisers Justinianus an, und das Haus Giustiniani, welches sich von diesem Kaiser herschreibt, hat dieses Vorgeben in einer Inschrift, die vor wenig Jahren gesetzt worden ist, von neuem zu behaupten gesucht; aber ohne den allergeringsten Grund. Die Statue, welche mittelmäßig ist, würde als ein Wunder der Kunst aus dieser Zeit müssen angesehen werden, und der Kopf ist neu und nach einem jungen Marcus Aurelius gemacht.

Eine sitzende Statue unter Lebensgröße in der Villa Borghese, welche man irrig für einen bettelnden Belisarius hält, hat zu diesem Namen durch die rechte Hand, welche auf dem Knie liegt, Gelegenheit gegeben. Es ist dieselbe hohl, gleichsam etwas in derselben zu empfangen, und hierinnen kann eine geheime Bedeutung liegen. Wir wissen, daß Augustus alle Jahre einen Tag den Bettler machte und eine hohle Hand 335 (Cavam manum) hinreichte, um ein Almosen zu empfangen. Dieses geschah zur Versöhnung der Nemesis, welche die Hohen in der Welt, wie man glaubte, erniedrigte. Aus eben dieser Ursache wurden an dem Triumphwagen die Geißel und die Schellen, mit welchen Nemesis vorgestellt wird (wie an einer schönen sitzenden Statue derselben in den Vatikanischen Gärten zu sehen ist), angehängt, um die Sieger zu erinnern, daß ihre Herrlichkeit vergänglich sei, und daß die Rache der Götter, in Überhebung in ihrem Glücke, über sie kommen könne. Es wird also jener Statue in besagter Betrachtung die Hand wie zum Almosen offengemacht sein.

Was man sich von der Statue des Justinianus zu Pferde und seiner Gemahlin Theodora, beide von Erz, ehemals zu Konstantinopel, für einen Begriff zu machen habe, kann man sich ungefähr aus beider Figuren in Musaico, zu Ravenna, zu derselben Zeit gemacht, vorstellen. Jene Statue war wie Achilles gekleidet, das ist, wie Procopius sagt, mit untergebundenen Sohlen und mit bloßen Beinen, ohne Beinrüstung; wir würden sagen heroisch, oder nach Art der Menschen aus der Heldenzeit vorgestellt.

Endlich kam der griechische Kaiser Constantinus, ein Enkel [des] Kaisers Heraclius, im Jahre 663 nach Rom und führte nach einem Aufenthalt von zwölf Tagen alle übriggebliebenen Werke von Erz, sogar die Ziegel von Erz, womit das Pantheon gedeckt war, mit sich hinweg nach Syrakus in Sizilien, und dieser Schatz kam bald nach dessen Tode in der Sarazenen Hände, die alles nach Alexandrien führten.

In Konstantinopel, und daselbst allein, waren einige Werke der Kunst nach ihrer allgemeinen Vernichtung in Griechenland und Rom noch verschont geblieben. Denn was sich noch in Griechenland erhalten hatte, war dahin geführt, auch sogar die Statue des Eseltreibers mit seinem Esel von Erz, welchen Augustus zu Neapolis nach der Schlacht wider den Antonius und die Cleopatra setzen ließ. In Konstantinopel stand noch bis in das elfte Jahrhundert die Pallas aus der Insel Lindus, von Skyllis und Dipoenus, Bildhauern vor Cyrus Zeiten: es war um diese Zeit daselbst das Wunder der Kunst, der olympische Jupiter des Phidias, die schönste Venus aus Cnidus von der Hand des Praxiteles, die Statue der Gelegenheit des Lysippus und eine Juno aus Samos von 336 demselben. Alle diese Werke aber wurden vermutlich vernichtet in der Eroberung dieser Stadt unter Balduino zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts: denn wir wissen, daß die Statuen von Erz zerschmolzen und zu Münzen verprägt wurden, und ein Geschichtschreiber dieser Zeit tut hier sonderlich der samischen Juno Meldung. Ich halte es für eine Hyperbole, wenn derselbe sagt, daß der bloße Kopf der Statue, nachdem er zerschlagen worden, auf vier Wagen habe müssen weggeführt werden; aber es bleibt für die Wahrscheinlichkeit ein Begriff von einem sehr großen Werke übrig.

Marmorbüste des Kaisers Marc Aurel

Ich bin in der Geschichte der Kunst schon über ihre Grenzen gegangen, und ungeachtet mir bei Betrachtung des Untergangs derselben fast zumute gewesen ist wie demjenigen, der in Beschreibung der Geschichte seines Vaterlandes die Zerstörung desselben, die er selbst erlebt hat, berühren müßte, so konnte ich mich dennoch nicht enthalten, dem Schicksale der Werke der Kunst, so weit mein Auge ging, nachzusehen. So wie eine Liebste an dem Ufer des Meeres ihren abfahrenden Liebhaber, ohne Hoffnung, ihn wiederzusehen, mit betränten Augen verfolgt und selbst in dem entfernten Segel das Bild des Geliebten zu sehen glaubt. Wir haben, wie die Geliebte, gleichsam nur einen Schattenriß von dem Vorwurfe unserer Wünsche übrig; aber desto größere Sehnsucht nach dem Verlorenen erweckt derselbe, und wir betrachten die Kopien der Urbilder mit größerer Aufmerksamkeit, als wie wir in dem völligen Besitze von diesen nicht würden getan haben. Es geht uns hier vielmals wie Leuten, die Gespenster kennen wollen und zu sehen glauben, wo nichts ist: der Name des Altertums ist zum Vorurteil geworden; aber auch dieses Vorurteil ist nicht ohne Nutzen. Man stelle sich allezeit vor, viel zu finden, damit man viele suche, um etwas zu erblicken. Wären die Alten ärmer gewesen, so hätten sie besser von der Kunst geschrieben; wir sind gegen sie wie schlecht abgefundene Erben; aber wir kehren jeden Stein um, und durch Schlüsse von vielen einzelnen gelangen wir wenigstens zu einer mutmaßlichen Versicherung, die lehrreicher werden kann als die uns von den Alten hinterlassenen Nachrichten, die, außer einigen Anzeigen von Einsicht, bloß historisch sind. Man muß sich nicht scheuen, die Wahrheit auch zum Nachteile seiner Achtung zu suchen, und einige müssen irren, damit viele richtig gehen.

 


 

J. J. Winckelmann

Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Altertums

Dresden 1767

Auszüge

 

Vorrede

Diese Anmerkungen waren nicht bestimmt, besonders zu erscheinen, sondern ich würde vermittelst derselben eine vermehrte und verbesserte Ausgabe der Geschichte der Kunst haben liefern können; aber die starke Auflage derselben und die französische Übersetzung haben mich bewogen, meine Bemerkungen, die ich bei Gelegenheit angezeichnet hatte, zu sammeln. Denn auf der einen Seite würde ich noch lange haben anstehen müssen, was ich nötig fand, zu erinnern, auf der anderen Seite aber, da die Geschichte der Kunst in fremder Tracht, obgleich ungeschickt und unwissend eingekleidet, sich allgemeiner gemacht, erachte ich es [für] meine Schuldigkeit, diese Arbeit durch gegenwärtige Zusätze vollständiger zu machen.

Ich entsehe mich nicht, die Mängel der Geschichte der Kunst zu bekennen; so wie es aber keine Schande ist, auf der Jagd in einem Walde nicht alles Wild zu fangen oder Fehlschüsse zu tun, so hoffe ich Entschuldigung zu verdienen über das, was von mir übergangen oder nicht bemerkt worden, und wenn ich nicht allezeit den rechten Fleck getroffen habe. Ich kann hingegen auch versichern, daß manches sowohl dort als hier mit Fleiß nicht berührt worden, teils weil aus Mangel der Kupfer die Anzeige undeutlich oder mangelhaft gewesen sein würde, teils weil ich mich in gelehrte Untersuchungen hätte einlassen müssen, die zu weit von meinem Zwecke abgegangen wären. Denn die Gelehrsamkeit soll in Abhandlungen über die Kunst der geringste Teil sein, wie denn dieselbe, wo sie nichts Wesentliches lehrt, für nichts zu achten ist und alsdann wie bei seichten Rednern oder bei schlechten Saitenschlägern (um mit den Alten zu reden) das Husten zu sein pflegt, nämlich ein Zeichen des Mangels. Ich gestehe auch gerne, daß ich zuweilen einige Kleinigkeiten nicht völlig richtig angegeben gehabt, weil man oft dem Gedächtnis zu sehr traut, oder Gänge an entlegene Orte ersparen will, und dieser Vorwurf würde weniger bedeutend sein als derjenige, den man mit Recht dem Prideaux macht, welcher die 340 Arundelischen Marmor[-Statuen], da er zu Oxford war, wo dieselben an einem Orte beisammen stehen, in dunkelen Stellen nicht selbst untersucht hat.

Der Leser wird hoffentlich nicht ungeneigt deuten, wenn ich in diesem Vorberichte, da mir vielleicht künftig die Gelegenheit fehlen möchte, zu dessen Unterricht den Weg anzeige, den ich in Untersuchung der Altertümer und der Werke der Kunst genommen habe.

Ich ging nach Rom nicht auf Kosten eines Hofes, wie man sich vorstellt, noch weniger mit einem Vorschuß des Herrn, dem ich in Sachsen gedient, welches ein unwissender Schmierer kühnlich vorgibt, sondern von einem würdigen Freunde unterstützt, dem ich öffentlich meine Dankbarkeit bezeigt habe; ich ging hierher mit dem Vorsatze, im Lernen zugleich auf den Unterricht zu denken, und da ich glaubte, daß von Werken der alten Kunst vielleicht wenig, mit philosophischer Betrachtung und mit gründlicher Anzeige des wahren Schönen in Schriften abgehandelt, bekannt worden, so hoffte ich, es würde meine Reise nicht ohne Nutzen sein. Ich hatte, so viel mir die sehr wenige Zeit, über die ich Herr war, erlaubte, mich zu diesen Absichten vorher zubereitet, und aus meinen damaligen Betrachtungen erwuchs die Schrift von der Nachahmung der Alten in der Malerei und Bildhauerkunst. Diese meine Absicht zu erreichen, schlug ich alles aus, was mir sowohl vor meiner Reise von Rom aus als auch nach meiner Ankunft in Rom von zwei wohlbekannten Kardinälen angetragen wurde; denn ohne Unabhänglichkeit würde ich meinen Zweck verfehlt haben.

Das ganze erste Jahr sah ich und betrachtete, ohne einen bestimmten Plan zu machen: denn ob ich gleich das Wesentliche allezeit zum Augenmerke hatte, wurde es mir schwer, auf dem von mir betretenen und ungebahnten Wege mit gewünschtem Erfolg fortzugehen, ja ich wurde vielmals irre gemacht durch das Urteil der Künstler, welches meiner Empfindung und Kenntnis widersprach. Da aber der Satz unumstößlich fest in mir war, daß das Gute und das Schöne nur Eins ist und daß nur ein einziger Weg zu demselben führt, anstatt daß zum Bösen und Schlechten viele Wege gehen, suchte ich durch eine systematische Kenntnis meine Bemerkungen zu prüfen und zu befestigen.

Mein vorläufiger Entschluß war, anfänglich weniger aufmerksam zu 341 sein auf die Altertümer der Orte, der Lagen, Gegenden und auf alte Überbleibsel der Gebäude, weil vieles ungewiß ist und weil das, was man wissen und nicht wissen kann, von mehr als einem Skribenten hinlänglich gründlich abgehandelt worden. Ich konnte mich auch nicht einlassen, alles aufzusuchen, weil diejenigen, die mich hätten führen können, mir zu kostbar waren. Da nun diese Kenntnis auch ohne alles Genie erlangt werden kann, nahm ich nur so viel auf meinem Wege mit, als ich selbst finden und untersuchen konnte. Denn ich verglich diese Wissenschaft mit der Bücherkenntnis, welche nicht selten diejenigen, die Gelegenheit gehabt haben, dieselbe zu erlangen, verhindert hat, den Kern der Bücher zu kennen. Derjenige, welcher in das Wesen des Wissens zu dringen sucht, hat sich nicht weniger vor der Begierde, ein Literator zu werden, als vor dem, was man insgemein unter dem Wort Antiquarius versteht, zu hüten. Denn das eine sowohl als das andere ist sehr reizend, weil es Beschäftigungen sind, die dem Müßiggange und der uns angeborenen Trägheit zum eigenen Denken schmeicheln. Es ist z. E. angenehm zu wissen, wo im alten Rom die Carinä waren, und ungefähr den Ort anzugeben, wo Pompejus gewohnt hat, und ein Führer der Reisenden, der ihnen dieses zu zeigen weiß, pflegt es mit einer gewissen Genugsamkeit zu tun; was weiß man aber mehr, wenn man diesen Ort, wo nicht die geringste Spur von einem alten Gebäude ist, gesehen hat?

Aus eben dem Grunde war ich nicht sehr um römische Münzen bekümmert, teils weil es schwer ist, noch jetzt neue Entdeckungen in denselben zu machen, teils auch, weil ich sah, daß Menschen ohne alle Wissenschaft eine große Kenntnis in diesem Fache erlangt haben. Die seltensten römischen Münzen (die Medaglioni wegen der Schönheit ihres Gepräges ausgenommen) sind den seltenen Büchern zu vergleichen, die sich einzeln gemacht haben, weil ein Buchhändler durch den Nachdruck derselben nichts gewinnen würde, und ein seltener Pertinax oder Pescennius in Silber oder Golde sollte nicht mehr als eins von Giordano Brunos Büchern geschätzt werden. Ich suchte hingegen Münzen griechischer Länder und Städte zu sehen, die von Münzkrämern, weil in denselben nicht leicht, wie in den römischen, eine Folge zu machen ist, nicht sonderlich gesucht werden. Auch in diesem 342 Studio wird man sich nicht in Kleinigkeiten verlieren, wenn die Altertümer betrachtet werden als Werke von Menschen gemacht, die höher und männlicher dachten als wir, und diese Einsicht kann uns bei Untersuchung dieser Werke über uns und über unsere Zeit erheben. Eine denkende Seele kann am Strande des weiten Meeres sich nicht mit niedrigen Ideen beschäftigen; der unermeßliche Blick erweitert auch die Schranken des Geistes, welcher sich anfänglich zu verlieren scheint, aber größer wiederum in uns zurückkommt.

Nachdem ich ferner bald einsah, daß sehr viele Werke alter Kunst entweder nicht bekannt oder nicht verstanden noch erklärt worden, so suchte ich die Gelehrsamkeit mit der Kunst zu verbinden. Die größte Schwierigkeit in Sachen, die auf Gelehrsamkeit bestehen, pflegt zu sein, zu wissen, was andere vorgebracht haben, damit man nicht vergebene Arbeit mache, oder etwas sage, was bereits mehrmal wiederholt ist. Diese Besorgung wurde behoben, da ich die Bücher von alten Denkmalen der Kunst von neuem durchsah, und versichert sein konnte, daß dasjenige, was nicht in Rom selbst erklärt worden, schwerlich mit Richtigkeit außerhalb geschehen könne. Der freie Gebrauch der großen Bibliothek des Kardinals Passionei gab mir die Bequemlichkeit zu diesem Studio, bis ich die Aufsicht der Bibliothek und des Musei des Herrn Kardinal Alexander Albani bekam, und nachher als Professor der griechischen Sprache in der Vatikanischen Bibliothek die zu meinem Vorhaben dienenden Schätze in denselben durchzusuchen, Freiheit gehabt habe.

Die Untersuchung der Kunst aber blieb beständig meine vornehmste Beschäftigung, und diese mußte anfangen mit der Kenntnis, das Neue von dem Alten, und das Wahre von den Zusätzen zu unterscheiden. Ich fand bald die allgemeine Regel, daß frei abstehende Teile der Statuen, sonderlich die Arme und Hände mehrenteils für neu zu achten sind, und folglich auch die beigefügten Zeichen; es fiel mir aber anfänglich schwer, über einige Köpfe aus mir selbst zu entscheiden. Da ich in dieser Absicht den Kopf einer weiblichen Statue in der Nähe betrachten wollte, fiel dieselbe um, und es fehlte wenig, daß ich nicht unter derselben zerquetscht und begraben worden. Hier muß ich bekennen, daß ich allererst vor wenig Jahren einen erhoben gearbeiteten 343 Apollo in dem Palast Giustiniani, welcher durchgehends für alt gehalten und von einem gereisten Skribenten als das schönste Stück in gedachtem Hause angegeben wird, als eine neue Arbeit erkannt habe.

Da das Schlechte aber, welches der neue Zusatz zu sein pflegt, leichter als das Gute gefunden wird, so wurde es mir weit schwerer, das Schöne zu entdecken, wo es über meine Kenntnis ging. Ich sah die Werke der Kunst an, nicht als jemand, der zuerst das Meer sah und sagte, es wäre artig anzusehen: die Athaumastie oder die Nicht-Verwunderung, die von Strabo angepriesen wird, weil sie die Apathie hervorbringt, schätze ich in der Moral, aber nicht in der Kunst, weil hier die Gleichgültigkeit schädlich ist. In dieser Untersuchung ist mir zuweilen das Vorurteil eines allgemeinen Rufs, den einige Werke haben, zustatten gekommen und trieb mich, wenigstens etwas Schönes in denselben zu erkennen und mich davon zu überzeugen. Der von mir beschriebene Sturz eines Herkules von der Hand des Apollonius aus Athen kann hier zum Beispiele dienen. Über dieses Werk blieb ich bei dem ersten Anblicke unerbaut, und ich konnte die gemäßigte Andeutung der Teile desselben, mit deren starken Erhobenheit in anderen Statuen des Herkules, sonderlich des Farnesischen, nicht reimen. Ich stellte mir hingegen die große Achtung des Michelangelo für dieses Stück und aller folgenden Künstler vor Augen, welche mir gleichsam ein Glaubensartikel sein mußte, doch dergestalt, daß ich ohne Gründe demselben meinen Beifall nicht geben konnte. Ich wurde in meinem Zweifel irre durch die Stellung, die Bernini und der ganze Haufe der Künstler diesem verstümmelten Bilde gegeben, als welche sich in demselben einen spinnenden Herkules vorstellen. Endlich nach vielfältiger Betrachtung, und nachdem ich mich überzeugt hatte, daß gedachte Stellung an demselben irre gedacht sei und daß hier vielmehr ein ruhender Herkules, mit dem rechten Arme auf seinem Haupte gelegt und wie mit Betrachtung seiner vollendeten Taten beschäftigt, vorgestellt worden, glaubte ich den Grund des Unterschieds zwischen diesem Herkules und anderen Statuen desselben gefunden zu haben. Denn Stellung und Bildung zeigten mir in demselben einen Herkules, welcher unter die Götter aufgenommen worden und dort von seinen Arbeiten geruht, so wie er auf dem Olympus ruhend mit dem Beiworte des Ruhenden {ΑΝΑΠΑΥΟΜΕΝΟΣ) 344 auf einer erhobenen Arbeit in der Villa des Herrn Kardinal Alexander Albani, abgebildet ist, und folglich erscheint in dem berühmten Sturze kein menschlicher Herkules, sondern der Göttliche. Da es mir nun gelungen war, in einer oder der anderen Statue die vermeinten Gründe ihrer Achtung und ihrer Schönheit zu finden, fuhr ich fort, die übrigen allezeit dergestalt zu betrachten, daß ich mich in der Stelle setzte, dessen welcher vor einer Versammlung von Kennern Rechenschaft davon geben sollte, und ich legte mir selbst die Notwendigkeit auf, nicht den Rücken zu wenden, bevor ich etwas von Schönheit mit dessen Gründen gefunden hatte.

Nach einiger Erleuchtung, die ich erlangt [hatte], bemühte ich mich, den Stil der Künstler der Ägypter und der Hetrurier, wie nicht weniger den Unterschied zwischen diesem letzten Volke und der Kunst der Griechen zu bestimmen. Die Kennzeichen ägyptischer Arbeiten schienen sich von selbst anzubieten; mit dem Stil der Hetrurier aber gelang es mir nicht auf gleiche Weise, und ich unterstehe mich noch jetzt nicht, unwidersprechlich zu behaupten, daß einige erhobene Arbeiten, die hetrurisch scheinen, nicht von dem ältesten Stil der Griechen sein können. Mit mehr scheinbarer Gewißheit entdeckte ich verschiedene Zeiten in griechischen Werken; aber es gingen einige Jahre vorbei, ehe sich von dem hohen Alter einer Muse im Palaste Barberini einige Beweise darboten.

Die Betrachtung der Kunst hatte mich die zwei ersten Jahre meines hiesigen Aufenthalts dergestalt beschäftigt, daß ich nur im Vorbeigehen an das bloß gelehrte Altertum gedenken konnte. In dieses Gleis aber brachte mich die Arbeit der Beschreibung der tief geschnittenen Steine des damals bereits verstorbenen Herrn von Stosch, die ich binnen neun Monaten meines Aufenthaltes zu Florenz aus dem gröbsten entwarf und hernach zu Rom endigte. Hier lernte ich, in Absicht der geschnittenen Steine, daß allezeit, je schöner die Arbeit ist, desto natürlicher die Vorstellung und folglich die Erklärung leicht sei, so daß die Steine mit Namen der Künstler von jedermann verstanden werden. Ferner bestimmte die Erfahrung bei mir, daß die griechischen Arbeiten in dieser Art weniger dunkele Bilder als die hetrurischen haben, und daß die ältesten insgemein die schwersten sind, so wie die Mythologie der ältesten griechischen Dichter, des Pamphos und des Orpheus, 345 dunkler war als diejenige, welche ihre Nachfolger lehren. Ich kam hier zuerst auf die Spur einer Wahrheit, die mir nachher in Erklärung der schwersten Denkmale von großem Nutzen gewesen; und diese besteht in dem Satze, daß auf geschnittenen Steinen sowohl als in erhobenen Arbeiten die Bilder sehr selten von Begebenheiten genommen sind, die nach dem Trojanischen Kriege oder nach der Rückkehr des Ulysses in Ithaka vorgefallen, wenn man etwa die Herakliden oder Abkömmlinge des Herkules ausnimmt: denn die Geschichte derselben grenzt noch mit der Fabel, die der Künstler eigener Vorwurf war. Es ist mir jedoch nur ein einziges Bild der Geschichte der Herakliden bekannt . . . Die Wahrheit gedachten Satzes wurde bei mir bestätigt sonderlich in der öfteren Untersuchung von achtundzwanzigtausend Abdrücken in Schwefel, die der Herr von Stosch von allen und jeden alten Steinen, die ihm vorgekommen waren, oder von welchen er Nachricht erhalten, hatte machen lassen. Ich machte vermöge dieser Erfahrung einen Schluß wider das Altertum aller Steine, wo römische Geschichten gebildet sind, welches an diesen durch die Arbeit selbst den Kennern in die Augen fallen kann. Dieses zeigt sich unwidersprechlich an zwei Kameen in dem Museo Strozzi zu Rom, auf welchen Quintus Curtius geschnitten, wie er sich zu Pferde in den Abgrund stürzt. Die schön ausgeführten neuen Steine sind von Gori als alt bekannt gemacht und beschrieben. Was ich hier von der römischen Geschichte anmerke, muß nicht auf Werke in Marmor gedeutet werden, die in Rom gemacht und öffentliche Denkmale waren: denn es findet sich eben der Curtius auf einer kleinen erhobenen Arbeit im Campidoglio und in Lebensgröße in der Villa Borghese.

Als ich hierauf nach geendigter gedachten Beschreibung und nach Vollendung der Geschichte der Kunst an die Erläuterung derjenigen Denkmale des Altertums ging, die noch nicht bekannt gemacht worden, war vorerwähnter Satz mein Führer, und obgleich derselbe an und für sich nichts erklärt, so wird jedoch dadurch die Aufmerksamkeit in einem engeren Umfange von Bildern eingeschränkt, und die Einbildung schweift nicht in Geschichten über den mythischen Zirkel hinaus.

In dieser Arbeit setze ich eine andere nicht weniger nützliche Erfahrung fest, nämlich daß die alten Künstler sonderlich auf erhobenen 346 Werken von mehr Figuren kleine bloß idealischen Bilder entworfen, das ist solche, die keine bekannte Geschichte vorstellen, sondern daß in allen entweder die Mythologie der Götter oder der Helden zu suchen sei. Ich nehme allezeit Bacchanale, Tänze u. s. f. aus. Wenn diejenigen, die sich mit Erklärung alter Denkmale abgegeben haben, diesen Satz zum Grunde gelegt hätten, würde die Wissenschaft der Altertümer weit gründlicher und gelehrter geworden sein. Dieses können folgende Beispiele erklären. Bellori bezeichnet ein von Bartoli gestochenes erhobenes Werk mit dem Titel: Epithalamium; er hätte aber untersuchen sollen, ob es nicht vielmehr die Vermählung des Cadmus mit der Harmonia oder des Peleus mit der Thetis sein könne, so wie diese letztere nach meiner Meinung auf der sogenannten Aldobrandinischen Hochzeit vorgestellt worden. Was bei eben demselben Feralis pompa heißt, und an dem Deckel einer Begräbnisurne im Palaste Barberini gearbeitet ist, bildet das Leichenbegängnis des Meleager und dessen Ehegenossin Cleopatra, die sich das Leben nimmt. Ebenso sind die Bilder auf einer andern Begräbnisurne in gedachtem Palaste nicht mit einer allgemeinen Benennung des Übergangs in die Elysäischen Felder und des Leidtragens zu fassen, sondern man sieht ganz deutlich die ganze Geschichte des Protesilaus, wie dieselbe beim Homerus und von anderen Fabelschreibern erklärt wird. Ein anderes mehrmal wiederholtes Werk, wo Bellori mit dem Titel einer grausamen Tat den Leser abfertigt, ist der Tod des Agamemnon. Ich bin auch überzeugt worden, daß dasjenige, was oft ein unauflösliches Rätsel geschienen, keine dunkele und weitgesuchte Allegorie, nach des Lykophrons Weise, gewesen. Dem ohnerachtet aber ist nicht ohne Vorteil, wenn andere Spuren fehlen, dergleichen Allegorien vorauszusetzen, und dieselben zu verfolgen, so weit sie reichen, weil man oft unerwartete Dinge findet, und ich habe zuweilen dergleichen Mutmaßungen nicht verworfen, sondern dem Leser mitgeteilt, wenn dieselben seltene Nachrichten lehren.

Der erste Anschlag zu dieser Arbeit war bloß auf diejenigen Denkmale gerichtet, die am schwersten zu erklären sind, und auf diese war der ganze neue Lauf meines Lesens alter Skribenten gerichtet. Nach und nach erweiterte sich mein Plan durch andere merkwürdige und zum Teil dunkele Stücke, die ich nachher fand, und auf welche ich im Lesen 347 nicht gedacht hatte, wodurch die Arbeit mühsam und verdoppelt wurde. Es ist daher geschehen, daß ich die meisten Skribenten, sonderlich diejenigen, die mir einige Nachricht versprachen, von neuem und mehrmals durchlesen mußte. Wie leicht ist nicht ein einziges Wort übersehen, worauf alles ankommt? Durch das einzige Wort Ἀροτρεύων, in dem Scholiasten des Pindarus, fand ich die wahre Bedeutung der irrig sogenannten Statue des Q. Cincinnatus, und in derselben den Jason . . . Sollte jemand nach mir eine Nachlese von alten Denkmalen machen, die ich zurückgelassen habe, oder die nachher entdeckt worden, so suche derselbe zu verbessern, was ich aus Mangel der Kräfte und des Vermögens versehen habe. Er verfahre nicht wie ich, und wie diejenigen, die ein Gebäude stückweise und wie es nicht vorher entworfen gewesen, aufführen, sondern wenn Mittel da sind, ein großes Werk auf eigene Kosten zu umfassen, so bestimme man vorher genau alle Stücke, die an das Licht treten sollen, und wenn dieselben dem Gedächtnisse völlig gegenwärtig sind, alsdann fange man an, alle alten Skribenten, keinen ausgenommen, zu lesen. Von neueren Skribenten, die unmittelbar zur Erklärung alter Denkmale nützlich sein könnten, weiß ich keinen, als den gelehrten Buonarroti vorzuschlagen; der Gebrauch seiner Schriften aber geht nur auf versteckte Gelehrsamkeit, und es erklärt derselbe nur Münzen, die nicht schwer sind. In der dunkeln Mythologie und in der Helden-Geschichte muß man sich an die Alten halten: denn Banier hat nicht aus Quellen geschöpft; sein vornehmster Skribent bei dessen Arbeit ist, wie man gewahr wird, der evangelische Beweis des Huet, und er hat nach dessen Anleitung, alles aus der Bibel herzuleiten und zu derselben hinzuführen, gesucht. Damit ich aber nicht scheine alle anderen neuen Skribenten wegzuwerfen, so preise ich zu einer Arbeit, von welcher die Rede ist, Hennings Genealogischen Schauplatz an. Dieses wenig bekannte [und] noch weniger gelesene und seltene Werk, sonderlich in Italien, lehrt mehr als alle Schriften aller anderen Nationen zusammengenommen; ich verstehe diejenigen, die von der Fabel und von der griechischen Helden-Geschichte handeln. Ich will auch nicht behaupten, daß keine kritischen Schriften über alte Skribenten und Abhandlungen über Altertümer Licht geben können, sondern diese müssen, so viel möglich ist, nachgesehen werden. 348

Mein größtes Vergnügen in Erläuterung der Werke alter Kunst ist gewesen, wenn ich durch dieselbe einen alten Skribenten [habe] erläutern oder verbessern können. Entdeckungen dieser Art haben sich mir mehrenteils ungesucht, wie alle Entdeckungen, gezeigt und können also ungezwungener sein als viele andere Versuche der Gelehrten, die sich hier verdient gemacht haben. Ich kann nicht leugnen, daß sich ehemals die Eitelkeit bei mir gemeldet, auf diesem Wege meine Kräfte zu prüfen; da es mir nun in dem Werke der erklärten unbekannten Denkmale des Altertums, welches jetzt unter der Presse ist, gelungen, durch eben diese Denkmale mein Verlangen zu erfüllen, so bin ich um so vielmehr zufrieden, daß ich die wenige Zeit meines Lebens nicht verloren in alten abgegriffenen Handschriften, wozu ich alle erwünschte Gelegenheit gehabt hätte. Ich habe mir allezeit, diesen Kitzel zu unterdrücken, den berühmten Orville vorgestellt, welcher ein paar Jahre in Rom angewendet, alle Morgen nach der Vatikanischen Bibliothek zu gehen, um den Heidelbergischen Codex der griechischen Anthologie teils mit dem gedruckten zu vergleichen, teils diesen aus jenem zu verbessern und zu ergänzen. Denn ich halte diese Zeit um so vielmehr schlecht angewendet, weil ich anfänglich eben diese Arbeit unternahm, aber beizeiten aufhörte, da ich sah, daß dasjenige, was in dem Gedruckten fehlt, nicht wert ist, an das Licht zu treten. Wo auch irgend in solchen Sinnschriften noch Salz zu finden wäre, sind dieselben voller Häßlichkeiten, und es kann demjenigen, welcher einige derselben aus Orvilles Handschriften, in Holland bekannt gemacht, nicht zur Ehre gereichen, da diese Sinnschriften über Geilheiten wider die Natur scherzen . . . 349

 


 


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