Johann Joachim Winckelmann
Geschichte der Kunst des Altertums
Johann Joachim Winckelmann

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Zweiter Teil

Nach den äußeren Umständen der Zeit unter den Griechen betrachtet

Der zweite Teil dieser Geschichte ist, was wir im engeren Verstande Geschichte nennen, und zwar der Schicksale der Kunst unter den Griechen, in Absicht der äußeren Umstände von Griechenland betrachtet, welche den größten Einfluß in die Kunst haben. Denn die Wissenschaften, ja die Weisheit selbst, hängen von der Zeit und ihren Veränderungen ab, noch mehr aber die Kunst, welche durch den Überfluß und vielmals durch die Eitelkeit genährt und unterhalten wird. Es war also nötig, die Umstände anzuzeigen, in welchen sich die Griechen von Zeit zu Zeit befunden haben, welches kürzlich und bloß in Absicht auf unser Vorhaben geschehen wird; und aus dieser ganzen Geschichte erhellt, daß es die Freiheit gewesen, durch welche die Kunst emporgebracht wurde. Da ich nun eine Geschichte der Kunst und nicht der Künstler [habe] geben wollen, so haben die Leben von diesen, welche von vielen andern beschrieben sind, hier keinen Platz; aber ihre vornehmsten Werke sind angegeben, und einige sind nach der Kunst betrachtet. Aus angezeigtem Grunde habe ich auch nicht alle Künstler, deren Plinius und andere Skribenten gedenken, namhaft gemacht, zumal wenn die bloße Anzeige ihrer Namen und Werke, ohne andere Nachrichten, nichts lehren konnte. Von den ältesten griechischen Künstlern aber ist ein genaues Verzeichnis, nach der Folge der Zeit, beigebracht; teils weil diese von den neueren bloß historischen Skribenten der alten Künstler meistenteils übergangen sind, teils weil sich in der Anzeige ihrer Werke einigermaßen das Wachstum der ältesten Kunst offenbart. Mit diesem Verzeichnisse, als mit den ältesten Nachrichten, fange ich diese Geschichte an.

 

Die älteste Zeit bis auf Phidias

Die Kunst wurde von dem Dädalus an schon in den ältesten Zeiten geübt, und von dieses berühmten Künstlers Hand waren noch zu des Pausanias Zeiten Bildnisse in Holz geschnitzt übrig, und er sagt, daß ihr Anblick bei aller ihrer Unförmlichkeit etwas Göttliches gehabt 255 habe. Zu gleicher Zeit lebte Smilis, des Eukles Sohn, aus der Insel Ägina, welcher eine Juno zu Argos und eine andere zu Samos machte; und vermutlich ist Skelmis beim Kallimachus eben derselbe. Denn er war einer der ältesten Künstler, und dieser Dichter redet von einer hölzernen Statue der Juno von seiner Hand: man wird also anstatt Skelmis lesen müssen Smilis. Einer von den Schülern des Dädalus war Endoeus, welcher jenem nach Kreta gefolgt sein soll. Nach dieser Fabelzeit ist eine große Lücke in der Geschichte der Künstler, und bis auf die achtzehnte Olympias findet sich von keinem derselben Nachricht. Damals machte sich der Maler Bularchus berühmt, unter dessen Gemälden eine Schlacht mit Gold aufgewogen wurde. Fast um eben die Zeit muß Aristokles von Kydonia, aus Kreta, gelebt haben: denn man setzt ihn, ehe die Stadt Messina in Sizilien ihren alten Namen Zancle änderte, welches vor der neunundzwanzigsten Olympias geschah. Von demselben war zu Elis ein Herkules, welcher mit der Amazone Antiope zu Pferde um ihren Gürtel stritt. Nachher machten sich Malas aus der Insel Chio, dessen Sohn Mikkiades und Enkel Anthermus berühmt: die Söhne dieses letztern waren Bupalus und Anthermus in der sechzigsten Olympias, welche Künstler unter ihren Voreltern bis zur ersten Olympias zählten. Damals blühten auch Dipoenus und Skyllis, welche Pausanias sehr irrig für Schüler des Dädalus angibt; es müßte denn derselbe ein jüngerer Dädalus sein, so wie nach dem Phidias ein Bildhauer dieses Namens aus Sikyon bekannt ist. Ihre Schüler waren Learchus von Rhegium in Großgriechenland, Doryklidas und Dontas, beide Lazedämonier, und Tectäus und Angelio, die einen Apollo zu Delos machten, welches vielleicht derjenige ist, von welchem viele Stücke nebst der Base mit der berühmten Inschrift noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts auf der Insel Delos waren. In eben diese Zeit wird Aristodemon von Argos, Pythodorus von Theben nebst dem Damophon von Messene zu setzen sein, dieser machte zu Ägium in Achaja eine Juno Lucina von Holz mit den äußeren Teilen von Marmor. Von ebendemselben war auch ein hölzerner Mercurius und eine Venus zu Megalopolis in Arkadien. Laphaes, dessen Apollo im alten Stile zu Ägira in Achaja war, muß ungefähr 256 dieser Zeit nahe sein. Bald nachher tat sich Demeas hervor, von welchem eine Statue des Milo von Kroton zu Elis gearbeitet wurde; und dieses muß nach der sechzigsten Olympias geschehen sein, wie man aus den Zeiten des Pythagoras schließen kann, und sonderlich, weil vor der sechzigsten Olympias den Ringern, wie Milo war, zu Elis keine Statuen gesetzt wurden. Auf ihn folgten Stomius und Somis, welche vor der Schlacht bei Marathon blühten, und Kalon, der Schüler des Tectäus. Von diesem waren fünfunddreißig Statuen junger Leute von Erz zu Elis, als Bildnisse von ebensoviel jungen Messeniern aus Sizilien: die gelegentliche Begebenheit zu diesen Statuen erzählt Pausanias. Zu gleicher Zeit mit dem Kalon lebten Menächmus und Soidas von Naupaktus; dieser machte eine Diana von Elfenbein und Gold in ihrem Tempel zu Paträ. Ferner blühten Hegias und Ageladas, der Meister des Polycletus, welcher unter andern den Kleosthenes, der in der sechsundsechzigsten Olympias den Sieg erhielt, auf einem Wagen zu Elis vorstellte. Einer von dessen Schülern, Ascarus, machte einen Jupiter zu Elis mit einem Kranze von Blumen. In diese Zeit wäre etwa Iphion von Ägina zu setzen, welcher eine Statue der Angelio, des Mercurii Tochter, gebildet hatte.

Vor dem Feldzuge des Xerxes wider die Griechen waren folgende Bildhauer berühmt: Simon und Anaxagoras, beide von Ägina, von dessen Hand der Jupiter war, welchen die Griechen nach der Schlacht bei Platää zu Elis setzten. Onatas, ebenfalls von Ägina, welcher außer vielen andern Werken diejenigen acht Helden, die sich zum Lose über den Kampf mit dem Hektor angaben, zu Elis gearbeitet hatte. Dionysius von Rhegium und Glaucus von Messene in Sizilien, welche zur Zeit des Tyrannen zu Rhegium Anaxilas lebten, das ist zwischen der einundsiebzigsten und sechundsiebzigsten Olympias: auf einem Pferde des Dionysius stand auf dessen Rippen die Inschrift. Aristomedes und Sokrates, deren Werk eine Kybele war, welche Pindarus in ihrem Tempel zu Theben machen ließ. Mandäus von Päon, dessen Victoria zu Elis war. Glaukias von Ägina, welcher den König Hiero, auf einem Wagen stehend, zu Elis machte. Endlich Eladas von Argos, der Meister des Phidias. 257

Athletenstatue
Römische Kopie nach dem Apoxyomenes des Lysipp

Von diesen Künstlern wurden besondere Schulen gestiftet, und es haben die berühmtesten Schulen der Kunst in Griechenland zu Ägina, Korinth und zu Sikyon, dem Vaterlande der Werke der Kunst, ein großes Altertum. Die letzte Schule ist vielleicht von den berühmten Bildhauern Dipoenus und Skyllis, welche sich in Sikyon niederließen, gestiftet, und ich habe kurz zuvor einige von ihren Schülern angegeben. Aristokles, des Canachus Bruder, ein Bildhauer aus eben dieser Stadt, wurde noch nach sieben Menschenaltern als das Haupt einer Schule angesehen, welche in Sikyon eine lange Zeit gedauert hatte. Von Democritus, einem andern Bildhauer aus Sikyon, werden seine Meister, bis auf den fünften von ihm zurück, namhaft gemacht. Polemon schrieb eine Abhandlung von den Gemälden zu Sikyon und von einem Porticus daselbst, wo viele Werke der Kunst waren. Eupompus, der Meister des Pamphilus, dessen Schüler Apelles war, brachte es durch sein Ansehen dahin, daß sich die seit einiger Zeit unter dem Namen der helladischen vereinigten Schulen in Griechenland von neuem teilten, also daß nebst der ionischen Schule, unter den asiatischen Griechen, der zu Athen und zu Sikyon, eine jede besonderes für sich bestand. Pamphilus und Polycletus, Lysippus und Apelles, welcher nach Sikyon zu dem Pamphilus ging, sich in seiner Kunst vollkommener zu machen, gaben dieser Schule ihren letzten Glanz, und zur Zeit des Königs Ptolemäus Philadelphus in Ägypten scheint die berühmsteste und beste Schule der Malerei in dieser Stadt gewesen zu sein. Denn es werden in dem prächtigen Aufzuge, welchen dieser König anstellte, vornehmlich und allein Gemälde der Künstler von Sikyon namhaft gemacht.

Korinth war wegen der herrlichen Lage schon in den ältesten Zeiten eine der mächtigsten Städte in Griechenland, und diese Stadt wird daher von den ersten Dichtern die wohlhabende genannt. Kleanthes soll daselbst der erste gewesen sein, welcher außer dem bloßen Umrisse einer Figur einige Teile in derselben andeutete. Strabo aber redet schon von Gemälden des Kleanthes mit vielen Figuren, die noch zu seiner Zeit übrig waren. Kleophantus von Korinth kam mit dem Tarquinius Priscus vor der vierzigsten Olympias nach Italien und zeigte den Römern zuerst die griechische Kunst in Gemälden, und es war von demselben 258 noch zu Plinius Zeit eine schön gezeichnete Atalanta und Helena zu Lanuvium.

Wenn man auf das Alter der äginetischen Schule von dem berühmten Smilis aus dieser Insel schließen dürfte, so würde sie ihre Stiftung von den Zeiten des Dädalus herführen. Daß sich aber schon in ganz alten Zeiten eine Schule der Kunst in dieser Insel angefangen habe, bezeugen die Nachrichten von so vielen alten Statuen in Griechenland, im äginetischen Stile gearbeitet. Ein gewisser äginetischer Bildhauer ist nicht dem Namen nach, sondern durch die Benennung des äginetischen Bilders bekannt. Die Einwohner dieser Insel, welche Dorier waren, trieben großen Handel und Schiffahrt, wodurch sich die Künste daselbst emporbrachten: Pausanias redet von der Schiffahrt derselben schon in den ältesten Zeiten, und sie waren den Atheniensern zur See überlegen, welche so wie jene vor dem persischen Kriege nur Schiffe von fünfzig Rudern und ohne Verdeck hatten. Die Eifersucht zwischen ihnen brach endlich in einen Krieg aus, welcher beigelegt war, da Xerxes nach Griechenland kam. Ägina, welches viel Anteil an dem Siege des Themistokles über die Perser hatte, zog viele Vorteile aus demselben: denn die reiche persische Beute wurde dahin gebracht und verkauft, wodurch diese Insel, wie Herodotus meldet, zu großem Reichtum gelangte. In diesem Flore erhielt sich diese Insel bis zur achtundachtzigsten Olympias, da die Einwohner von den Atheniensern, weil es jene mit den Lazedämoniern gehalten, verjagt wurden. Die Athenienser besetzten diese Insel mit ihren Kolonien, und die Ägineter begaben sich nach Thyräa in der argolischen Landschaft. Sie kamen zwar von neuem zum Besitze ihres Vaterlandes, konnten aber nicht zur ehemaligen Macht wieder gelangen.

Nach der fünfzigsten Olympias kam eine betrübte Zeit für Griechenland: es wurde von verschiedenen Tyrannen überwältigt, und diese Zeit dauerte an siebzig Jahre. Polykrates machte sich zum Herrn von Samos, Pisistratus von Athen, Cypselus brachte die Herrschaft von Korinth auf seinen Sohn Periander und hatte seine Macht durch Bündnisse und Vermählungen mit anderen Feinden der Freiheit ihres Vaterlandes zu Ambracia, Epidaurus und Lesbus befestigt. Melanchrus und Pittacus waren Tyrannen zu Lesbus, und ganz Euböa war dem Timondas 259 untertänig, und Lygdamis wurde durch des Pisistratus Beistand Herr von Naxus. Die meisten aber von ihnen hatten nicht mit Gewalt oder gewaffneter Hand die Herrschaft an sich gebracht; sondern sie waren durch Beredsamkeit zu ihrem Zwecke gelangt, und durch Herunterlassung gegen das Volk hatten sie sich erhoben: sie erkannten wie Pisistratus die Gesetze ihrer Bürger auch über sich. Tyrann war auch ein Ehrenwort. Aristodemus, der Tyrann von Megalopolis in Arkadien, erlangte den Zunamen Χρηστός eines rechtschaffenen Mannes. Die Statuen der Sieger in den großen Spielen, mit welchen Elis auch schon vor dem Flore der Künste angefüllt war, stellten so viel Verteidiger der Freiheit vor: die Tyrannen mußten dem Verdienste das erkannte Recht widerfahren lassen, und der Künstler konnte zu allen Zeiten sein Werk vor den Augen des ganzen Volkes aufstellen.

Eine erhobene Arbeit von zwei Figuren, welche sich in England befindet und einen jungen Sieger in den Spielen, mit Namen Mantho, wie die furchenweis geführte Inschrift auf diesem Stücke anzeigt, und einen sitzenden Jupiter vorstellt, müßte aus dieser Zeit, aber vor der fünfzigsten Olympias nicht gemacht sein, weil man damals allererst anfing, in Marmor zu arbeiten, wie im ersten Teile gemeldet ist. Es werden auch damals wenig marmorne Säulen in Griechenland gewesen sein: die Säulen um einen Tempel der Diana auf dem Vorgebirge Sunium waren zu Themistokles Zeiten von einem weißen Steine. Aus einem Kupfer aber kann man sich nicht wagen, über besagte erhobene Arbeit zu urteilen. Ein vorgegebener Grabstein des spartanischen Dichters Alkman aber, welcher in der dreißigsten Olympias geblüht, kann aus der nicht verstandenen und sehr willkürlich erklärten Überschrift bei weitem nicht so alt sein: dieser Grabstein befindet sich in dem Hause Giustiniani zu Venedig.

Die älteste übriggebliebene Münze in Gold, wie man glaubt von Kyrene in Afrika, würde nach der Auslegung derselben ebenfalls aus dieser Zeit sein. Demonax von Mantinea, Regent von Kyrene während der Minderjährigkeit Battus IV., welcher mit dem Pisistratus zu gleicher Zeit lebte, soll dieselbe haben prägen lassen. Demonax ist stehend vorgestellt, mit einer Binde um den Kopf, aus welcher Strahlen hervorgehen, und ein Widderhorn über das Ohr: in der rechten Hand 260 hält er eine Victoria und in der linken ein Zepter. Es ist aber glaublicher, daß diese Münze in späterer Zeit zum Andenken des Demonax geprägt worden.

 


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