Johann Joachim Winckelmann
Geschichte der Kunst des Altertums
Johann Joachim Winckelmann

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Fünftes Stück

Von der Malerei der alten Griechen

Auf dieses vierte Stück, nämlich die Betrachtung des mechanischen Teils der Kunst, folgt in dem fünften und letzten Stücke dieses Kapitels die Abhandlung von der Malerei der Alten, von welcher wir zu unseren Zeiten mit mehr Kenntnis und Unterricht, als vorher geschehen konnte, urteilen und sprechen können, nach viel hundert im alten Herculano entdeckten Gemälden. Bei dem allen müssen wir beständig außer den schriftlichen Nachrichten von dem, was dem Augenscheine nach nicht anders als mittelmäßig hat sein können, auf das Schönste schließen und uns glücklich schätzen, wie nach einem erlittenen Schiffbruch, einzelne Bretter zusammenzulesen. Ich werde zuerst von den vornehmsten entdeckten Gemälden einige Nachricht erteilen und zum zweiten von der Zeit reden, in welcher dieselben mutmaßlich gemacht sind, nebst einer Anzeige von griechischen und römischen Gemälden unter denselben; und zum dritten die Art der Malerei selbst untersuchen. 219

 
Griechische Wandmalerei

Alle diese Gemälde sind, außer vier auf Marmor gezeichneten Stücken, auf der Mauer gemalt, und obgleich Plinius sagt, daß kein berühmter Maler auf der Mauer gemalt habe, so dient eben dieses ungegründete Vorgeben desselben mit zum Beweis von der Vortrefflichkeit der besten Werke im Altertume, da einige von denen, welche übriggeblieben sind gegen so viel gerühmte Meisterstücke geringe sein würden, große Schönheiten der Zeichnung und des Pinsels haben.

Die ersten Gemälde wurden auf der Mauer gemalt, und schon bei den Chaldäern wurden die Zimmer ausgemalt, wie wir bei dem Propheten lesen, welches nicht, wie jemand meint, von aufgehängten Gemälden zu verstehen ist. Polygnotus, Onatas, Pausias und andere berühmte griechische Maler zeigten sich in Auszierung verschiedener Tempel und öffentlicher Gebäude; Apelles selbst soll zu Pergamus einen Tempel ausgemalt haben. Es gereichte zur Beförderung der Kunst, daß, weil ausgeschlagene Zimmer mit Tapeten nicht üblich waren, die Zimmer bemalt wurden: denn die Alten liebten nicht die Wände bloß anzusehen, und wo es zu kostbar war, dieselben mit Figuren anzufüllen, wurden sie in verschiedene angestrichene Felder durch ihre Leisten eingeteilt.

 
In Rom entdeckte Gemälde

Die gegenwärtigen alten Gemälde in Rom sind die sogenannte Venus und die Roma im Palaste Barberini, die Aldobrandinische Hochzeit, der vermeinte Marcus Coriolanus, sieben Stücke in der Galerie des Collegii S. Ignatii und eins, welches der Herr Kardinal Alexander Albani besitzt.

Die zwei ersten Gemälde sind in Lebensgröße: die Roma sitzt und die Venus liegt; der Kopf derselben, nebst dem Amorini und andern Nebenwerken, wurde von Carlo Maratta ergänzt. Es wurde diese Figur gefunden, da man den Grund zu dem Palaste Barberini grub, und man glaubt, daß die Roma eben daselbst gefunden worden. Bei der Kopie dieses Gemäldes, welches Kaiser Ferdinand III. machen ließ, fand sich eine schriftliche Nachricht, daß es im Jahre 1656 nahe an dem Battisterio Constantini entdeckt worden; und aus diesem Grunde hält man es für eine Arbeit aus dieser Zeit. In einem ungedruckten Briefe des 220 Commendator del Pozzo an Nic. Heinsius ersehe ich, daß dieses Gemälde ein Jahr vorher, nämlich 1655, den 7. April, gefunden worden; es wird aber nicht gemeldet, an welchem Orte: La Chausse hat dasselbe beschrieben. Ein anderes Gemälde, das triumphierende Rom genannt, welches aus vielen Figuren bestand und in eben dem Palaste war, ist nicht mehr vorhanden. Das sogenannte Nymphäum an eben dem Orte hat der Moder vertilgt, und ich mutmaße, daß es jenem ebenfalls also ergangen sei.

Die beiden letzten Gemälde bestehen aus Figuren von etwa zwei Palmen hoch. Die sogenannte Hochzeit wurde nicht weit von S. Maria Maggiore, in der Gegend, wo ehemals des Mäcenas Gärten waren, entdeckt. Das andere, nämlich der Coriolanus, ist nicht unsichtbar geworden, wie Dubos vorgibt, sondern man sieht es noch jetzt in dem Gewölbe der Bäder des Titus, wo ehemals der Laokoon stand in einer großen Nische, welche bis an dessen Bogen verschüttet ist.

Die sieben Gemälde bei den Jesuiten sind aus einem Gewölbe an dem Fuße des Palatinischen Berges, auf der Seite des Circus Maximus, abgenommen. Die besten Stücke unter denselben sind ein Satyr, welcher aus einem Horne trinkt, zwei Palme hoch, und eine kleine Landschaft mit Figuren, einen Palm groß, welche alle Landschaften zu Portici übertrifft. Das achte Gemälde bekam der Abt Franchini, damaliger Großherzoglich Toskanischer Minister in Rom; von demselben erhielt es der Kardinal Passionei und nach dessen Tode der Herr Kardinal Alexander Albani; es stellt ein Opfer von drei Figuren vor und ist in dem Anhange der alten Gemälde des Bartoli von Morghen gestochen. In der Mitte steht auf einer Base eine kleine unbekleidete männliche Figur, welche mit dem erhobenen linken Arm einen Schild hält und in der rechten einen kurzen Streitkolben mit vielen Spitzen umher besetzt, von eben der Art, wie [sie] vor alters auch in Deutschland in Gebrauch waren. Auf dem Boden neben der Base steht auf einer Seite ein kleiner Altar und auf der andern ein Gefäß, welche beide rauchen. Auf beiden Seiten steht eine weibliche bekleidete Figur mit einem Diadema, und die zur linken Hand trägt eine Schüssel mit Früchten.

Die Stücke kleiner Gemälde, welche in der Villa Farnese in den Trümmern des Palastes der Kaiser entdeckt und nach Parma gebracht wurden, 221 sind durch den Moder vertilgt. Es blieben dieselben, wie die andern Schätze der Galerie zu Parma, welche nach Neapel geschafft wurden, an zwanzig Jahre in ihren Kasten in feuchten Gewölben stehen, und da man sie hervorzog, fand man nichts als Stücke Mauer, auf welchen die Gemälde gewesen waren, und diese sieht man auf dem unvollendeten Königlichen Schlosse Capo di Monte zu Neapel. Unterdessen waren sie sehr mittelmäßig, und der Verlust ist nicht sehr groß. Eine gemalte Karyatide mit dem Gebälke, welches sie trägt, die auch in besagten Ruinen gefunden worden, hat sich erhalten und steht zu Portici unter den herkulanischen Gemälden. Diese Gemälde sind teils im Jahre 1722 in der Villa Farnese gefunden worden, teils standen sie an den Wänden eines großen Saales von vierzig Palmen in der Länge, welcher 1724 entdeckt wurde. Die Wände in demselben waren durch ein gemaltes Werk von Architektur in verschiedene Felder geteilt: in einem derselben steigt eine weibliche Figur aus einem Schiffe und wird geführt von einer jungen männlichen Figur, die außer dem Mantel, welcher hinten von der Schulter hängt, unbekleidet ist. Dieses Stück hat Turnbull in Kupfer stechen lassen.

Die Gemälde in dem Grabmale des Cestius sind verschwunden, und die Feuchtigkeit hat dieselben verzehrt, und von denen in dem Ovidischen Grabmale (welches auf der Via Flaminia anderthalb Meilen von Rom entfernt war) ist von verschiedenen Stücken nur der Ödipus nebst dem Sphinx übrig, welches Stück in der Wand eines Saales der Villa Altieri eingesetzt ist. Bellori redet noch von zwei andern Stücken in dieser Villa, welche jetzt aber nicht mehr vorhanden sind; der Vulcanus nebst der Venus auf der anderen Seite jenes Gemäldes ist eine neue Arbeit.

Im sechzehnten Jahrhunderte waren noch Gemälde in den Trümmern der Bäder des Diocletianus zu sehen. Ein Stück eines alten Gemäldes im Palaste Farnese, welches Dubos angibt, ist in Rom ganz und gar unbekannt.

 
In Herculaneum entdeckte Gemälde

Die größten herkulanischen Gemälde sind auf der Mauer hohler Nischen eines runden mäßig großen Tempels, vermutlich des Herkules, 222 gewesen, und diese sind: Theseus nach Erlegung des Minotaurs, die Geburt des Telephus, Chiron und Achilles und Pan und Olympus. Theseus gibt nicht den Begriff von der Schönheit dieses jungen Helden, welcher unbekannt zu Athen bei seiner Ankunft für eine Jungfrau gehalten wurde. Ich wünschte ihn zu sehen mit langen, fliegenden Haaren, so wie Theseus sowohl als Jason, da dieser in Athen zum erstenmal ankam, trugen. Theseus sollte dem Jason, welchen Pindarus malt, ähnlich sehen, über dessen Schönheit das ganze Volk erstaunte und glaubte, Apollo, Bacchus oder Mars wäre ihnen erschienen. Im Telephus sieht Herkules keinem griechischen Alkides ähnlich, und die übrigen Köpfe sind gemein. Achilles steht ruhig und gelassen, aber sein Gesicht gibt viel zu denken, es ist in den Zügen desselben eine viel versprechende Ankündigung des künftigen Helden, und man liest in den Augen, welche mit großer Aufmerksamkeit auf den Chiron gerichtet sind, eine vorauseilende Lehrbegierde, um den Lauf seiner jugendlichen Unterrichtung zu endigen und sein ihm kurz besetztes Ziel der Jahre mit großen Taten merkwürdig zu machen. In der Stirn erscheint eine edle Scham und ein Vorwurf der Unfähigkeit, da ihm sein Lehrer das Plectrum zum Saitenschlagen aus der Hand genommen und ihn verbessern will, wo er gefehlt. Er ist schön nach dem Sinne des Aristoteles, die Süßigkeit und der Reiz der Jugend sind mit Stolz und Empfindlichkeit vermischt. In dem Kupfer dieses Gemäldes denkt Achilles wenig und sieht in die weite Welt hinein, da er die Augen auf den Chiron gerichtet haben sollte.

Es wäre zu wünschen, daß vier Zeichnungen daselbst auf Marmor, unter welchen eine mit dem Namen des Malers und der Figuren, welche sie vorstellen, bezeichnet ist, von der Hand eines großen Meisters wären: der Künstler heißt Alexander und war von Athen. Es scheint, daß die andern drei Stücke ebenfalls von dessen Hand seien; seine Arbeit aber gibt keinen großen Begriff von ihm: die Köpfe sind gemein, und die Hände sind nicht schön gezeichnet; die sogenannten Extremitäten aber geben den Künstler zu erkennen. Diese Monochromata oder Gemälde von einer Farbe sind mit Zinnober gemalt, welcher im Feuer schwarz geworden ist, wie es pflegt zu geschehen: die Alten nahmen diese Farbe zu solchen Gemälden.

Das allerschönste unter diesen Gemälden sind die Tänzerinnen, 223 Bacchanten, sonderlich aber die Zentauren, nicht völlig eine Spanne hoch, auf schwarzem Grunde gemalt, in welchen man die Hand eines gelehrten und zuversichtlichen Künstlers erkennt. Bei dem allen wünschte man mehr ausgeführte Stücke zu finden: denn jene sind mit großer Fertigkeit, wie mit einem Pinselstriche hingesetzt, und dieser Wunsch wurde zu Ende des Jahres 1761 erfüllt.

 
Beschreibung antiker Gemälde

In einem Zimmer der alten verschütteten Stadt Stabia, etwa acht italienische Meilen von Portici, welches beinahe ganz ausgeräumt war, fühlten die Arbeiter unten an der Mauer noch festes Erdreich, und da man mit der Hacke hineinschlug, entdeckten sie vier Stücke Mauerwerk, aber zwei waren durch die Hiebe zerbrochen. Dieses waren vier anderwärts mitsamt der Mauer ausgeschnittene Gemälde, welche ich genau beschreiben werde: sie waren an der Mauer angelehnt und zwei und zwei mit der Rückseite aneinander gelegt, so daß die gemalte Seite auswärts blieb. Vermutlich waren dieselben aus Griechenland oder aus Groß-Griechenland geholt, und man wird im Begriff gewesen sein, dieselben an ihren Ort zu setzen und sie in die Mauer einzufügen. Diese vier Gemälde haben ihre gemalte Einfassung mit Leisten von verschiedener Farbe. Der äußerste ist weiß, der mittlere violett und der dritte grün, und dieser Leisten ist mit braunen Linien umzogen; alle drei Leisten zusammen sind in der Breite der Spitze des kleinen Fingers; an diesen geht ein fingerbreiter weißer Leisten umher. Die Figuren sind zwei Palme und zwei Zolle römisches Maß hoch.

Das erste Gemälde besteht aus vier weiblichen Figuren: die vornehmste ist mit dem Gesichte abwärts, und dieses Tuch ist violett, mit einem Rande von meergrüner Farbe; der Rock ist Fleischfarbe. Die linke Hand hält sie auf die Achsel eines schönen jungen Mädchens gelehnt, welche neben ihr im weißen Gewande steht und sich mit der rechten Hand das Kinn unterstützt; ihr Gesicht steht im Profil. Die Füße hat jene Figur auf einen Fußschemel, zum Zeichen ihrer Würde, gesetzt. Neben ihr steht eine schöne weibliche Figur, mit dem Gesichte vorwärts gekehrt, die sich die Haare aufsetzen läßt; die linke Hand hat sie in ihren Busen 224 gesteckt und die rechte Hand herunterhängen, mit deren Fingern sie eine Bewegung macht, als wollte jemand einen Akkord auf dem Klaviere greifen. Ihr Rock ist weiß, mit engen Ärmeln, welche bis an die Knöchel der Hand reichen; ihr Mantel ist violett, mit einem gestickten Saum, einen Daumen breit. Die Figur, welche ihr den Haarputz macht, steht höher und ist in Profil gekehrt, doch so, daß man von dem Auge des abgewandten Teils die Spitzen der Augenbrauen sieht, und an dem andern Auge sind die Härchen der Augenbrauen deutlicher als an andern Figuren angezeigt. Ihre Aufmerksamkeit liest man in ihrem Auge und auf den Lippen, welche sie zusammendrückt. Neben ihr steht ein kleiner niedriger Tisch mit drei Füßen, fünf Zolle hoch, so daß derselbe bis an die Mitte der Schenkel der nächsten Figur reicht, mit einem zierlich ausgefalzten Tischblatte, auf welchem ein kleines Kästchen ist und überher geworfene Lorbeerzweige; neben bei liegt eine violette Binde, etwa um die Haare der geputzten Figur zu legen. Unter dem Tischchen steht ein zierliches hohes Gefäß, welches nahe bis an das Blatt reicht, mit zwei Henkeln, und zwar von Glas, welches die Durchsichtigkeit und die Farbe anzeigen.

Das zweite Gemälde scheint einen tragischen Poeten vorzustellen, welcher sitzt, mit vorwärts gewandtem Gesichte und in einem langen weißen Rocke bis auf die Füße, wie ihn die Personen des Trauerspiels trugen, mit engen Ärmeln bis an die Knöchel der Hand. Es zeigt derselbe ein Alter etwa von fünfzig Jahren und ist ohne Bart. Unter der Brust liegt ihm eine gelbe Binde, von der Breite des kleinen Fingers, welches eine Deutung auf die tragische Muse haben kann, die mehrenteils einen breiteren Gürtel als andere Musen hat; wie im zweiten Stücke dieses Kapitels angezeigt worden. Mit der Rechten hält er einen stehenden langen Stab, in der Länge eines Spießes (hasta pura), woran oben ein Beschlag, einen Finger breit, mit gelb angedeutet ist, so wie ihn Homerus auf seiner Vergötterung hält. Mit der linken Hand hat er einen Degen gefaßt, welcher ihm quer über den Schenkeln liegt, die mit einem roten Tuche, aber von colore cangiante, bedeckt sind, welches zugleich über das Gefäß des Stuhls herunterfällt; das Gehäng des Degens ist grün. Der Degen kann mit demjenigen, welchen die Figur der Ilias auf der Vergötterung des Homerus hält, einerlei Bedeutung haben: denn 225 die Ilias enthält die meisten Vorstellungen zu Trauerspielen. Den Rücken wendet ihm eine weibliche Figur, welche die rechte Schulter entblößt hat und in Gelb gekleidet ist; sie kniet mit dem rechten Beine vor einer tragischen Larve, mit einem hohen Aufsatze von Haaren, ὄγκος genannt, und ist auf einem Gestelle wie auf einer Base gesetzt. Die Larve steht wie in einem nicht tiefen Kasten, dessen Seitenbretter von unten bis oben zu ausgeschnitten sind, und es ist dieser Kasten oder Futteral mit blauem Tuche behängt, und von oben hängen weiße Binden herunter, an deren Enden zwei kurze Schnüre mit einem Knoten hängen. Oben an der Base, an welche die kniende Figur ihren Schatten wirft, schreibt sie mit einem Pinsel, vermutlich den Namen einer Tragödie: man sieht aber nur angegebene Züge anstatt der Buchstaben. Ich glaube, es sei die tragische Muse Melpomene, sonderlich da die Figur als Jungfrau vorgestellt ist: denn es hat dieselbe die Haare auf dem Scheitel gebunden, welches, wie oben gesagt ist, nur allein bei unverheirateten Mädchen in Gebrauch war. Hinter dem Gestell und der Larve sieht man eine männliche Figur, welche sich mit beiden Händen an einen Spieß stützt. Der Tragicus hat sein Gesicht nach der schreibenden Muse gekehrt.

Das dritte Gemälde besteht aus zwei nackten männlichen Figuren mit einem Pferde. Die eine sitzt und ist vorwärts gekehrt, jung und voll Feuer und Kühnheit im Gesichte und voll Aufmerksamkeit auf die Rede der andern Figur; es scheint Achilles zu sein. Das Gesäß seines Stuhles ist mit blutrotem Tuche oder mit Purpur belegt, welches zugleich auf den rechten Schenkel geworfen ist, wo die rechte Hand ruht: rot ist auch der Mantel, welcher ihm hinterwärts herunterhängt. Die rote Farbe ist kriegerisch, und es war die gewöhnliche Farbe der Spartaner im Felde; es wurden auch der Alten ihre Ruhebetten mit Purpur belegt. Die Lehnen des Stuhles erheben sich auf Sphinxen, welche auf dem Gesäße liegen, wie an dem Stuhle eines Jupiters auf einer erhobenen Arbeit im Palaste Albani, und wie sie an dem Stuhle auf einem Cameo auf knienden Figuren ruhen, und folglich sind dieselben ziemlich hoch; auf einer Lehne liegt der linke Arm. An einem Fuß des Stuhles ist ein Degen in der Scheide von sechs Zoll Länge angelehnt, mit einem grünen Gehänge, wie an dem Degen des Tragici, an welchem der Degen vermittelst zweier Ringe hängt, die an dem obern Beschlage der Scheide beweglich sind. Die 226 andere stehende Figur, welche etwa Patroclus sein würde, lehnt sich auf seinen Stab, welchen er mit der linken Hand unter die rechte Achsel gesetzt hat, und der rechte Arm ist erhoben wie im Erzählen; ein Bein hat er über das andere geschlagen: an dieser Figur fehlt der Kopf, wie auch an dem Pferde.

Das vierte Gemälde ist von fünf Figuren. Die erste ist eine sitzende weibliche Figur mit einer entblößten Schulter und mit Efeu und mit Blumen gekrönt und hält in der rechten Hand eine aufgerollte Schrift. Sie ist violett gekleidet, und ihre Schuhe sind gelb wie an der Figur des ersten Gemäldes, die sich den Kopf putzen läßt. Gegen ihr über sitzt eine junge Harfenschlägerin, welche mit der linken Hand die Harfe schlägt, die fünfeinhalb Zoll hoch ist, und in der rechten Hand hält sie einen Stimmhammer, welcher oben zwei Haken hat, fast in der Gestalt eines griechischen Υ, nur daß die Haken sich krümmen, wie man deutlicher an einem solchen Stimmhammer von Erz in diesem Museo sieht, dessen Haken mit Pferdeköpfen endigen und fünf Zolle lang ist. Und vielleicht ist das Instrument, das Erato in diesem Museo in der Hand hält, kein Plectrum, sondern ein Instrument zum Stimmen: denn es hat dasselbe zwei Haken, die sich aber einwärts krümmen: das Plectrum war nicht nötig, da sie mit der linken Hand den Psalter schlägt. Die Harfe hat sieben Wirbel auf der Walze stehen, welche ἄντυξ χορδᾶν hieß, und also ebensoviel Saiten. Zwischen ihnen sitzt ein Flötenspieler, in Weiß gekleidet, welcher zwei gerade Flöten von einem halben Palm in der Länge zugleich bläst, die in den Mund durch eine Binde gehen, welche στόμιον hieß und über die Ohren hinterwärts gebunden wurde: an den Flöten sind verschiedene Einschnitte angedeutet, welche ebensoviel Stücke anzeigen. Die Stücke der Flöten aus Knochen in diesem Museo haben keine Einfügungen (hier fehlt mir das deutsche Wort), und müssen also auf ein ander Rohr oder Scheide gezogen und gesteckt werden: dieses Rohr war von Metall oder von ausgebohrtem Holze, wie es sich hier in zwei Stücken von Flöten versteinert angesetzt erhalten hat, und in dem Museo zu Cortona ist eine alte Flöte von Elfenbein, deren Stücke auf ein silbernes Rohr gezogen sind. Hinter der ersten Figur stehen zwei männliche Figuren in Mäntel eingewickelt, unter welchen der vorderste meergrün ist. Die Haare der männlichen sowohl als der 227 weiblichen Figuren sind braun. Diese Farbe der Haare aber gibt keine Regel: auf den Gemälden, welche Philostratus beschreibt, hatten Hyacinthus und Panthia schwarze Haare, wie sie auch die Liebste des Anakreon haben sollte: Narcissus hingegen und Antilochus hatten dieselben blond. Es müssen auch dem Achilles, nach dem Homerus und Pindarus, blonde Haare gegeben werden, und Menelaus heißt bei jenen allezeit der Blonde wie die Grazien bei dem letzten Dichter. Solche Haare hat Ganymedes auf dem beschriebenen alten Gemälde, ingleichen die weiblichen Figuren auf dem sogenannten Coriolano. Es ist also ein sehr ungegründetes Urteil, welches sich Athenäus [hat] einfallen lassen, zu sagen, daß ein Apollo bloß deswegen schlecht gemacht zu achten sein würde, wenn man ihm nicht schwarze, sondern blonde Haare gegeben hätte. Die griechischen Weiber färbten sogar ihre Haare blond, wenn sie es nicht waren.

Ich bin in Beschreibung dieser Gemälde nach dem Grundsatze verfahren, daß man schreiben sollte oder nicht, was wir wünschten, daß die Alten geschrieben oder nicht geschrieben hätten: denn wir würden es dem Pausanias Dank wissen, wenn er uns von vielen Werken berühmter Maler eine so umständliche Beschreibung, als von des Polygnotus Gemälden zu Delphos, gegeben hätte. In Rom selbst ist nach gemeldeten Entdeckungen in der Villa Farnese von alten Gemälden nichts Besonders zum Vorschein gekommen. Im Frühling 1760, da man in der Villa Albani zu einem gewölbten Abfluß des Wassers den Grund grub, fanden sich in der Erde verschiedene Stücke abgerissener oder abgefallener Bekleidung der Mauern, vermutlich von einem alten Grabmale, auf welchen teils Zieraten, teils Figuren auf trockenem Kalke gemalt waren. Auf den zwei besten Stücken ist auf rotem Grunde ein Amorino zu sehen, mit einem fliegenden bläulichen Gewande, welcher auf einem grünen Meertiere reitet. Auf dem andern Stücke hat sich ein schöner Leib einer kleinen weiblichen sitzenden Figur nebst der rechten Hand erhalten, an welcher der sogenannte Goldfinger einen Ring hat. Über diesen Arm und über den Unterleib ist ein rötliches Gewand geworfen. Diese beiden Stücke besitzt der Verfasser.

Von den Gemälden, welche in den Gräbern bei Corneto, unweit Civitavecchia, waren, finden sich einige in Kupfer gestochen 228 angegeben; jetzt aber ist von denselben nichts mehr zu sehen, außer einer Spur von einer weiblichen Figur in Lebensgröße, welche einen Kranz um den Kopf hat. Einige hat die Luft verzehrt, nachdem man ein Grab eröffnet, andere sind mit der Hacke abgehauen worden, in der Meinung, etwa hinter dem Gemälde einen Schatz zu finden. In dieser Gegend, die von den alten Etruriern, welche Tarquinier hießen, bewohnt wurde, sind viele tausend Hügel, welche ebensoviel Gräber sind, in Stein, welcher ein Tufo ist, gehauen: der Eingang zu denselben ist verschüttet, und es ist nicht zu zweifeln, wenn jemand die Kosten auf Eröffnung einiger derselben verwenden wollte, daß man nicht allein etrurische Inschriften, sondern auch Gemälde auf den übertragenen Mauern finden würde . . .

 
Zur Zeitbestimmung

Was zum zweiten die Zeit betrifft, in welcher die sowohl in und um Rom als im Herculano gefundenen Gemälde gemacht worden, so ist von den meisten von jenen darzutun, daß sie von der Kaiser Zeiten sind, und von andern gibt eben dieses der Augenschein: denn sie sind in den verschütteten Kammern des Palastes der Kaiser oder in den Bädern des Titus gefunden worden. Die Barberinische Roma ist augenscheinlich von späterer Zeit, und die im ovidischen Grabmale waren, sind wie dieses von der Zeit der Antoniner, welches die daselbst gefundenen Inschriften dartun. Die herkulanischen (die vier zuletzt gefundenen ausgenommen) sind vermutlich nicht älter als jene: denn erstlich stellen die meisten derselben Landschaften, Hafen, Lusthäuser, Wälder, Fischereien und Aussichten vor, und der erste, welcher diese Art Malereien anfing, war ein gewisser Ludio zu Augustus Zeiten. Die alten Griechen waren nicht für leblose Vorstellungen, welche nur das Auge belustigen, den Verstand aber müßig lassen. Zum andern zeigen die daselbst angebrachten ganz ausschweifenden Gebäude und deren ungründliche und abenteuerliche Zieraten, daß es Arbeiten von Zeiten sind, in welchen der wahre gute Geschmack nicht mehr regierte. Es beweisen auch dieses die daselbst gefundenen Inschriften, unter welchen keine einzige vor der Kaiser Zeit ist. Von den ältesten will ich hier ein paar anführen: 229

DIVAE • AVGVSTAE • L • MAMMIVS • MAXIMVS • P • S •Lucius Mammius Maximus grüßt ergebenst die göttlichen [verstorbenen] weiblichen Angehörigen des Kaiserhauses.

ANTONIAE • AVGVSTAE • MATRI • CLAVDI • CAESARIS • AVGVSTI • GERMANICI • PONTIF • MAX • L. MAMMIVS • MAXIMVS • P • S •In tiefster Verehrung gewidmet der Antonia, Schwester des Augustus, der Mutter des Claudius Cäsar Augustus Germanicus, von dem Pontifex Maximus Lucius Mammius Maximus.

Verschiedene sind von Vespasianus Zeit, wie diese:

IMP • CAESAR • VESPASIANVS • AVG • PONT • MAX • TRIB • POT • VIII • IMP • XVII • COS • VII • DESIGN • VIII • TEMPLVM • MATRIS • DEVM • TERRAE • MOTV • CONLAPSVM • RESTITVIT •Der erhabene Imperator Cäsar Vespasianus Augustus, Pontifex Maximus, achtmaliger mächtiger Militärtribun, siebzehn Jahre lang Imperator, siebenmaliger Konsul, designiert zum achten Konsulat, errichtete den Tempel der Götter wieder, der durch ein Erdbeben zerstört worden war.

Wie wir von Gemälden dieser Zeit urteilen sollen, lehrt Plinius, wenn er sagt, daß damals die Malerei schon in den letzten Zügen lag.

 
Zur Bestimmung der alten Meister

Wenn hier die Frage ist, ob die meisten alten Gemälde von griechischen oder von römischen Malern gearbeitet worden, so wäre ich geneigt, das erstere zu bejahen, weil der griechischen Künstler vorzügliche Achtung in Rom und unter den Kaisern bekannt ist; unter den herkulanischen Gemälden zeigt dieses die griechische Unterschrift der Musen. Es sind aber unter den dortigen Gemälden auch Stücke eines römischen Pinsels, wie die lateinische Schrift auf den gemalten Rollen Papier beweist, und während meines ersten Aufenthaltes daselbst im Jahre 1759 fand sich 230 eine schöne halbe weibliche Figur im kleinen, neben welcher die Buchstaben DIDV noch zu lesen sind: diese Figur ist in ihrer Art so schön als irgendeine andere daselbst. Es wird auch im zweiten Teile angeführt werden, daß Nero seinen goldenen Palast durch einen römischen Maler [hat] auszieren lassen.

 
Über die Maltechnik

Von dem dritten Punkte dieser Betrachtung, nämlich von der Art der alten Malerei, sind verschiedene besondere Anmerkungen zu machen, welche teils die Anlagen zu Gemälden oder die Bekleidung und Übertünchung der Mauer; teils die Art und Weise der Malerei selbst betreffen. Die Bekleidung der Mauer zu Gemälden ist verschieden nach den Orten, sonderlich in Absicht der Puzzolana, und es unterscheidet sich diejenige, welche in alten Gebäuden nahe um Rom und nahe um Neapel gefunden wird, von der an alten Gebäuden, entfernt von beiden Orten. Denn weil nur allein an beiden Orten diese Erde gegraben wird, so ist die erste und unmittelbare Bekleidung der Mauern von Kalk mit Puzzolana durchgeschlagen und daher gräulich: an andern Orten ist diese Bekleidung von gestoßenem Travertino oder Marmor, und es findet sich auch dieselbe anstatt anderer Steine mit gestoßenem Alabaster vermischt, welches man an der Durchsichtigkeit der kleinen Stücke erkennt. Die Gemälde in Griechenland hatten also keine Anlage von Puzzolana, welche daselbst nicht war.

Es ist diese erste Bekleidung der Mauer insgemein einen guten Finger dick. Der zweite Auftrag ist Kalk, mit Sand oder mit fein gestoßenem Marmor vermischt und durchgeschlagen, und diese Lage ist beinahe das Dritteil so dick als jene. Solche Bekleidung war gewöhnlich in ausgemalten Grabmälern, und auf diese Art Mauer stehen die herkulanischen Gemälde. Zuweilen ist die obere Lage so fein und weiß, daß es reiner feiner Kalk oder Gips scheint wie an dem Jupiter und Ganymedes und an den andern an eben dem Orte gefundenen Gemälden, und diese Lage ist einen starken Strohhalm dick. An allen Gemälden, sowohl auf trockenen als nassen Gründen, ist die äußerste Lage auf gleiche Weise auf das sorgfältigste geglättet wie ein Glas, welches in der zweiten Art Malerei, wenn 231 der Grund sehr fein war, eine sehr große Fertigkeit und geschwinde Ausführung erforderte.

Die heutige Zurichtung des Auftrages zum Fresco malen oder auf nassen Gründen ist etwas verschieden von der Art der Alten; es wird derselbe von Kalk und von Puzzolana gemacht: denn der Kalk mit fein gestoßenem Marmor durcheinander geschlagen wird zu schnell trocken und würde die Farben augenblicklich in sich ziehen. Die Fläche wird auch nicht wie bei den Alten geglättet, sondern rauh gelassen und wird mit einem Borstpinsel wie gekörnt, um die Farben besser anzunehmen: denn auf einem ganz glatten Grunde würden dieselben, wie man glaubt, ausfließen.

Zum zweiten ist die Art und Weise der Malerei selbst, die Anlage und Ausführung derselben auf nassen Gründen, welches udo tectorio pingere hieß, und die Malerei auf trockenen Gründen zu berühren: denn von der alten Art, auf Holz zu malen, ist uns nichts besonders bekannt, außer daß die Alten auf weiße Gründe malten; vielleicht aus eben dem Grunde, warum zum Purpurfärben, wie Platon sagt, die weißeste Wolle gesucht wurde.

Die alten Künstler werden ungefähr wie die neueren in Anlagen der Gemälde auf nassen Gründen verfahren sein. Jetzt nachdem der Karton in groß gezeichnet ist, und so viel feuchter Grund, als in einem Tage kann ausgeführt werden, angelegt worden, wird der Umriß der Figuren und der vornehmsten Teile derselben auf dem Karton mit einer Nadel durchlöchert. Dieses Stück der Zeichnung wird an den aufgetragenen Grund gehalten, und man stäubt fein gestoßene Kohlen durch die gestochenen Löcher, wodurch die Umrisse auf dem Grunde angedeutet werden. Dieses nennt man im Deutschen durchpausen; und ebenso verfuhr auch Raffael, wie ich an einem mit schwarzer Kreide gezeichneten Kinderkopfe desselben in der Sammlung der Zeichnung des Herrn Kardinal Alexander Albani sehe. Diesen angestäubten Umrissen fährt man mit einem spitzen Stift nach, und es werden dieselben in dem feuchten Grunde eingedrückt; und diese eingedrückten Umrisse zeigen sich deutlich auf den Werken des Michelangelo und des Raffael. In diesem letzten Punkte aber sind die alten Künstler von den neuern verschieden: denn auf den alten Gemälden findet sich der Umriß nicht eingedrückt, sondern 232 die Figuren sind wie auf Holz oder auf Leinwand mit großer Fertigkeit und Zuversicht gemalt.

Die Malerei auf nassen Gründen muß bei den Alten weniger gemein als auf trockenen Gründen gewesen sein: denn die meisten herkulanischen Gemälde sind von dieser letzten Art. Man erkennt dieselben an den verschiedenen Lagen von Farben: denn an einigen ist z. B. der Grund schwarz; auf diesem Grunde ist ein Feld von verschiedener Form oder auch ein langer Streif mit Zinnober aufgetragen, und auf diesem zweiten Grunde sind Figuren gemalt. Die Figur ist unscheinbar geworden oder abgesprungen, und der zweite rote Grund ist so rein, als wenn nichts darauf gemalt gewesen wäre. Andere aber, die von eben dieser Art scheinen, sind auf nassen Gründen gemalt, aber mit trockenen Farben zuletzt übergangen, wie der Ganymedes und andere, welche an eben dem Orte gefunden worden.

Einige glauben ein Kennzeichen der trockenen Malerei in den erhobenen Pinselstrichen zu finden; aber ohne Grund: denn auf den Gemälden des Raffael, welche auf nassen Gründen sind, bemerkt man eben dieses. Die erhobenen Pinselstriche sind hier Zeichen, daß dieser Künstler seine Werke zuletzt trocken hier und da übermalt hat, welches auch von den nachfolgenden Malern in eben dieser Art geschehen. Die Farben der alten Gemälde auf trockenen Gründen müssen mit einem besondern Leimwasser aufgetragen sein: denn sie haben sich in so vielen hundert Jahren zum Teil frisch erhalten, und man kann ohne Nachteil mit einem feuchten Schwamme oder Tuche über dieselben hinfahren. Man hat in den durch den Vesuvius verschütteten Städten Gemälde gefunden, welche mit einer zähen und harten Rinde, von Asche und Feuchtigkeit angesetzt, überzogen waren, und welche man nicht ohne große Mühe durch Feuer ablösen konnte; aber auch durch diesen Zufall haben solche Gemälde nichts gelitten. Diejenigen, welche auf nassen Gründen sind, können das Scheidewasser ausstehen, womit man den Ansatz der steinigen Unreinigkeit ablöst und die Gemälde reinigt.

Was die Ausführung betrifft, so sind die meisten alten Gemälde geschwind und wie die ersten Gedanken einer Zeichnung entworfen; und so leicht und flüchtig sind die Tänzerinnen und andere herkulanische Figuren, welche alle Kenner bewundern, auf einem schwarzen Grunde 233 ausgeführt: diese Geschwindigkeit aber war so sicher als das Schicksal durch die Wissenschaft und Fertigkeit geworden. Die Art zu malen bei den alten war geschickter als die heutige, einen hohen Grad des Lebens und des wahren Fleisches zu erreichen: denn da alle Farben in Öl verlieren, das ist dunkler werden, so bleibt die Malerei in Öl allezeit unter dem Leben. In den meisten alten Gemälden sind die Lichter und Schatten durch parallele oder gleichlaufende und zuweilen durch gekreuzte Striche gesetzt, welches im Welschen tratteggiare heißt, und an diese Art hat sich auch Raffael zuweilen gehalten. Andere, sonderlich größere Figuren der Alten, sind auf Ölfarbenart vertieft und erhoben, das ist durch ganze Massen von degradierten und anwachsenden Tinten, und diese sind in dem Ganymedes meisterhaft ineinander geschmolzen. Auf eben diesem großen Wege ist die Barberinische vermeinte Venus und die zuletzt entdeckten viel kleinen Gemälde des herkulanischen Musei gemalt, welche dennoch auch in einigen Köpfen über die Schatten mit Strichen schattiert sind.

An den herkulanischen Gemälden ist zu beklagen, daß dieselben mit einem Firnisse überzogen worden, welcher nach und nach die Farben abblättert und abspringen macht; ich habe innerhalb zweier Monate Stücke von dem Achilles abfallen sehen.

Zuletzt ist mit ein paar Worten von dem Gebrauche bei den Alten zu reden, die Gemälde vor dem Nachteile, welche sie von der Luft oder der Feuchtigkeit leiden könnten, zu verwahren. Dieses geschah mit Wachse, womit sie dieselben überzogen, wie Vitruvius und Plinius melden, und dadurch erhöhten sie zu gleicher Zeit den Glanz der Farben. Dieses hat sich in einigen Zimmern verschütteter Häuser der alten Stadt Resina, nahe bei dem alten Herculano gelegen, gezeigt. Die Wände hatten Felder von Zinnober, von solcher Schönheit, daß es Purpur schien, da man dieselben aber nahe an das Feuer brachte, um den angesetzten Tarter abzulösen, zerschmolz das Wachs, womit die Gemälde überzogen waren. Es fand sich auch eine Tafel von weißem Wachse, unter Farben liegend, in einem Zimmer des unterirdischen Herculanum; vermutlich war man beschäftigt, dasselbe auszumalen, da der unglückliche Ausbruch des Vesuvius kam und alles überschüttete. 234

 
Wesentliches zur Kunstbetrachtung

Ich habe dem Liebhaber sowohl als dem Künstler das Vergnügen nicht nehmen wollen, über die in den fünf Stücken dieses Kapitels enthaltenen Lehren und Anmerkungen einige Betrachtungen zu machen und hinzuzutun; und es wird aus jenen in Schriften der Gelehrten, die sich in dieses Feld gewagt haben, etwas zu verbessern übrig sein. Beide aber, wenn sie unter Anführung dieser Geschichte die Werke griechischer Kunst zu betrachten Gelegenheit und Zeit haben, setzen bei sich fest, daß nichts in der Kunst klein sei, und was leicht zu bemerken gewesen scheinen wird, ist es mehrenteils nur wie des Columbus Ei. Es kann auch alles, was ich angemerkt habe, obgleich mit dem Buche in der Hand, in einem Monate (die gewöhnliche Zeit des Aufenthalts der deutschen Reisenden in Rom) nicht durchgesehen und gefunden werden. Aber so wie das Wenige mehr oder weniger den Unterschied unter Künstlern macht, ebenso zeigen die vermeinten Kleinigkeiten den aufmerksamen Beobachter, und das Kleine führt zum Großen. Mit Betrachtungen über die Kunst verhält es sich auch anders als mit Untersuchungen der Gelehrsamkeit in den Altertümern. Hier ist schwer, etwas Neues zu entdecken, und was öffentlich steht, ist in dieser Absicht untersucht; aber dort ist in dem Bekanntesten etwas zu finden: denn die Kunst ist nicht erschöpft. Aber es ist das Schöne und das Nützliche nicht mit einem Blicke zu greifen, wie ein unweiser deutscher Maler nach ein paar Wochen seines Aufenthaltes in Rom meinte: denn das Wichtige und Schwere geht tief und fließt nicht auf der Fläche. Der erste Anblick schöner Statuen ist bei dem, welcher Empfindungen hat, wie die erste Aussicht auf das offene Meer, worin sich unser Blick verliert und starr wird, aber in wiederholter Betrachtung wird der Geist stiller und das Auge ruhiger und geht vom Ganzen auf das Einzelne. Man erkläre sich selbst die Werke der Kunst auf eben die Art, wie man andern einen alten Skribenten erklären sollte: denn insgemein geht es dort wie in Lesung der Bücher; man glaubt zu verstehen, was man liest, und man versteht es nicht, wenn man es deutlich auslegen soll. Ein anderes ist, den Homerus lesen, ein anderes, ihn im Lesen zugleich übersetzen. 235

 


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