Johann Joachim Winckelmann
Geschichte der Kunst des Altertums
Johann Joachim Winckelmann

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Der Aufstieg Athens

Nachdem nun die Tyrannen in Griechenland bis auf diejenigen, welche Sikyon gütig und nach ihren Gesetzen regierten, vertilgt und die Söhne des Pisistratus verjagt und ermordet waren, welches in der siebenundsechzigsten Olympias und also ungefähr um eben die Zeit geschah, da Brutus sein Vaterland befreite, erhoben die Griechen ihr Haupt mehr als jemals, und es kam ein neuer Geist in diese Nation. Die nachher so berühmten Republiken waren bisher unbeträchtliche kleine Staaten gewesen, bis auf die Zeit, da die Perser die Griechen in Ionien beunruhigten, Miletus zerstörten und die Einwohner wegführten. Die Griechen, sonderlich die Athenienser, wurden hierüber auf das empfindlichste gerührt; ja noch einige Jahre nachher, da Phrynichus die Eroberung von Miletus in einem Trauerspiele vorstellte, zerfloß das ganze Volk in Tränen. Die Athenienser sammelten alle ihre Kräfte, und in Gesellschaft der Eretrier kamen sie ihren Brüdern in dem ionischen Asien zu Hilfe: sie faßten sogar den außerordentlichen Entschluß, den König in Persien in seinen Staaten selbst anzugreifen. Sie drangen hinein bis nach Sardes und eroberten und verbrannten diese Stadt, in welcher die Häuser teils von Rohr waren oder doch Dächer von Rohr hatten, in der neunundsechzigsten Olympias, und erfochten in der zweiundsiebzigsten Olympias, das ist zwanzig Jahre nachher, da Hipparchus, der Tyrann von Athen, ermordet und sein Bruder Hippias verjagt worden, den erstaunenden Sieg bei Marathon, welcher wunderbar in allen Geschichten bleibt.

Die Athenienser erhoben sich durch diesen Sieg über alle anderen Städte, und so wie sie unter den Griechen zuerst gesitteter wurden und die Waffen ablegten, ohne welche in den ältesten Zeiten kein Grieche auch im Frieden öffentlich erschien, so machte das Ansehen und die zunehmende Macht diese Stadt zu dem vornehmsten Sitze der Künste und Wissenschaften in Griechenland. Daher sagte jemand, daß die 261 Griechen das meiste miteinander gemein hätten, aber den Weg zur Unsterblichkeit wüßten nur allein die Athenienser. Zu Kroton und zu Kyrene blühte die Arzneiwissenschaft und zu Argos die Musik, aber in Athen waren alle Künste und Wissenschaften vereinigt. Themistokles und Pausanias demütigten zehn Jahre nachher bei Salamis und Platää die Perser dergestalt, daß sie Schrecken und Verzweiflung bis in das Herz ihres Reiches verfolgte, und damit sich die Griechen allezeit der Perser erinnerten, blieben die von diesen zerstörten Tempel als Denkmale der Gefahr, worin sich ihre Freiheit befunden, ohne Ausbesserung in ihren Trümmern. Hier fangen die merkwürdigsten fünfzig Jahre von Griechenland an.

Von dieser Zeit an schienen alle Kräfte von Griechenland in Bewegung zu kommen, und die großen Gaben dieser Nation fingen an, sich mehr als jemals zu zeigen. Die außerordentlichen Menschen und großen Geister, welche sich von Anfang der großen Bewegung in Griechenland gebildet hatten, kamen jetzt alle mit einem Male hervor. Herodotus kam in der siebenundsiebzigsten Olympias aus Karien nach Elis und las seine Geschichte allen Griechen vor, welche daselbst versammelt waren; nicht lange vorher hatte Pherecydes zuerst in Prosa geschrieben. Äschylus trat mit den ersten regelmäßigen Tragödien im erhabenen Stile ans Licht, nachdem dieselben seit ihrer Erfindung von der einundsechzigsten Olympias an nur Tänze singender Personen gewesen waren, und erhielt zum ersten Male den Preis in der dreiundsiebzigsten Olympias. Auch um diese Zeit fing man an, die Gedichte des Homerus abzusingen, und Cynäthus war zu Syrakus der erste Rhapsodist in der neunundsechzigsten Olympias. Die ersten Komödien wurden ebenfalls jetzt durch den Epicharmus aufgeführt, und Simonides, der erste Dichter in Elegien, gehört unter die Erfinder dieser großen Zeit. Die Redekunst wurde damals allererst eine Wissenschaft, und Gorgias von Leontium aus Sizilien gab ihr diese Gestalt; auch in Athen wurden zur Zeit des Sokrates die ersten gerichtlichen Reden schriftlich von Antiphon aufgesetzt. Ja die Weisheit selbst wurde jetzt zuerst öffentlich zu Athen durch den Athenagoras gelehrt, welcher seine Schule in der fünfundsiebzigsten Olympias eröffnete. Das griechische Alphabet war auch wenige Jahre vorher durch den Simonides und Epicharmus 262 vollständig geworden, und die von ihnen erfundenen Buchstaben wurden zu Athen in öffentlichen Sachen zuerst in der vierundneunzigsten Olympias, nach geendigtem Regimente der dreißig Tyrannen, gebraucht. Dieses waren gleichsam die großen Vorbereitungen zur Vollkommenheit der Kunst, zu welcher sie nunmehr mit mächtigen Schritten ging.

Das Unglück selbst, welches Griechenland betroffen hatte, mußte zur Beförderung derselben dienen: denn die Verheerung, welche die Perser anrichteten, und die Zerstörung der Stadt Athen war nach dem Siege des Themistokles Ursache zu Wiederaufbauung der Tempel und öffentlichen Gebäude. Die Griechen fingen an, mit vermehrter Liebe gegen ihr Vaterland, welches soviel tapfern Männern Leib und Leben gekostet hatte und nunmehr gegen alle menschliche Macht gesichert scheinen konnte, eine jede Stadt auf Auszierung derselben und auf prächtigere Gebäude und Tempel zu denken. Diese großen Anstalten machten die Künstler notwendig und gaben ihnen Gelegenheit, sich gleich andern großen Männern zu zeigen. Unter so vielen Statuen der Götter wurden auch die verdienten Männer, die für ihr Vaterland bis in den Tod gefochten, nicht vergessen; sogar diejenigen Weiber, die aus Athen mit ihren Kindern nach Trözene geflüchtet waren, hatten an dieser Unsterblichkeit teil: denn ihre Statuen standen in einer Halle in besagter Stadt.

Die herühmtesten Bildhauer dieser Zeit waren Ageladas von Argos, der Meister des Polycletus; Onatas aus Regina, welcher die Statue [des] Königs Gelo von Syrakus, auf einem Wagen mit Pferden, von Kalamis gearbeitet, machte; und Agenor ist unsterblich geworden durch die Statuen ewiger Freunde und Befreier ihres Vaterlandes, des Harmodius und Aristogiton, die in dem ersten Jahre der siebenundsiebzigsten Olympias gesetzt wurden, nachdem ihre Statuen von Erz, die man ihnen vier Jahre nach Ermordung des Tyrannen aufrichtete, von den Persern waren weggeführt worden. Glaukias von Ägina machte die Statue des berühmten Theagenes von Thasus, welcher tausendunddreihundert Kränze über ebensoviel Siege in den Spielen in Griechenland erlangt hatte. Von der Kunst aus dieser Zeit zeugen die Münzen [des] Königs Gelo zu Syrakus, und eine in Gold ist eine der ältesten gegenwärtigen Münzen in diesem Metalle. Das Alter der 263 ältesten atheniensischen Münzen ist nicht zu bestimmen, aber der Stil der Arbeit kann den P. Hardouin widerlegen, welcher vorgibt, daß keine von denselben vor dem Könige Philippus in Mazedonien geprägt worden: denn es finden sich Münzen von einem sehr unförmlichen Gepräge. Die schönste Münze von Athen, welche ich gesehen, ist ein sogenannter Quinarius in Gold in dem Königlichen Farnesischen Museo des Königs von Sizilien. Boze gibt vor, daß sich gar keine atheniensische Münze in Gold findet, welches durch die angeführte Münze widerlegt wird. Der Name ΙΕΡΩΝ auf der Brust eines Kopfes im Campidoglio, welcher daher für das Bildnis des Hiero von Syrakus ausgegeben wird, ist unzweifelhaft neu.

Damals war ein Grund zur Größe von Griechenland gelegt, auf welchem ein dauerhaftes und prächtiges Gebäude konnte aufgeführt werden: die Weisen und Dichter legten die erste Hand an dasselbe, die Künstler endigten es, und die Geschichte führt uns durch ein prächtiges Portal zu demselben. Es muß die Griechen dieser Zeit nicht weniger als einige wenige, die noch ihre Dichter kennen, in Erstaunen gesetzt haben, nach einem vermutlich vollkommenen Trauerspiele des Äschylus wenig Jahre hernach einen Sophokles auftreten zu sehen, welcher nicht stufenweise, sondern durch einen unbegreiflichen Flug das höchste Ziel menschlicher Kräfte erreicht hat. Er führte die Antigone, sein erstes Trauerspiel, im dritten Jahre der siebenundsiebzigsten Olympias auf. Ebenso einen Sprung wird die Kunst von dem Meister bis auf den Schüler, von Ageladas bis auf den Polycletus gemacht haben, und es ist zu glauben, wenn uns die Zeit über beide Werke zu urteilen nicht beraubt hätte, daß der Unterschied von dem Herkules des Eladas auf den Jupiter des Phidias, und von dem Jupiter des Ageladas auf die Juno des Polycletus, wie von dem Prometheus des Äschylus auf den Ödipus des Sophokles sein würde. Jener ist durch hohe Gedanken und durch einen prächtigen Ausdruck mehr erstaunlich als rührend, und in dem Entwurfe seiner Fabel, die mehr Wirkliches als Mögliches hat, weniger ein Dichter als ein Erzähler: dieser aber rührt das Herz durch innere Empfindungen, die nicht durch Worte, sondern durch empfindliche Bilder bis zur Seele dringen; und durch die höchste Möglichkeit, welche er gesucht hat, durch die wunderbare Entwicklung und 264 Auflösung seiner Fabel erfüllt er uns mit beständiger Erwartung und führt [er] uns über unsern Wunsch hinaus.

 
Die Perikleische Epoche

Die glückseligsten Zeiten für die Kunst in Griechenland, und sonderlich in Athen, waren die vierzig Jahre, in welchen Perikles, so zu reden, die Republik regierte, und während des hartnäckigen Krieges, welcher vor dem Peloponnesischen Kriege, der in der siebenundachtzigsten Olympias seinen Anfang nahm, vorherging. Dieser Krieg ist vielleicht der einzige, der in der Welt geführt worden, in welchem die Kunst, welche sehr empfindlich ist, nicht allein nichts gelitten, sondern sich mehr als jemals hervorgetan hat. In demselben haben sich die Kräfte von Griechenland vollends und gänzlich ausgewickelt; und da Athen und Sparta alle ersinnlichen Mittel ausforschten und ins Werk setzten, ein entscheidendes Übergewicht auf eine oder die andere Seite zu lenken, so offenbarte sich ein jedes Talent, und aller Menschen Sinne und Hände waren beschäftigt. Die Künstler hatten allezeit während des Krieges den großen Tag vor sich, wo ihre Werke vor aller Griechen Augen aufgestellt wurden. Denn wenn nach vier Jahren sich die Zeit der olympischen, und nach drei Jahren der Isthmischen Spiele näherte, so hörten alle Feindseligkeiten auf, und die wider einander erbitterten Griechen kamen zur allgemeinen Freude zu Elis oder zu Korinth zusammen und vergaßen über dem Anblick der Blüte der Nation, die sich hervorzutun suchte, auf einige Tage, was vorgegangen war und was geschehen sollte. Ebenso findet sich, daß die Lazedämonier einen Stillstand der Waffen von vierzig Tagen machten, weil ein Fest einfiel, welches dem Hyacinthus zu Ehren gefeiert wurde. Die Nemeäischen Spiele wurden in dem Kriege der Ätolier und Achäer, in welchen sich die Römer mischten, einige Zeit nicht gefeiert. Die Freiheit der Sitten in diesen Spielen verhüllte keinen Teil des Körpers an den Ringern, zum allgemeinen Unterrichte der Künstler: denn der Schurz um den Unterleib war schon lange vor dieser Zeit abgeschafft, und Acanthus hieß der erste, welcher in der fünfzehnten Olympias ohne Schurz zu Elis lief; es hat also keinen Grund, wenn jemand behauptet, daß 265 diese gänzliche Entblößung in den Spielen zwischen der dreiundsiebzigsten und sechsundsiebzigsten Olympias in Gebrauch gekommen sei.

Sonderlich sind acht Jahre in diesem Kriege merkwürdig, und es ist eine Periode, welche für die Kunst heilig gehalten werden kann: denn es ist glaublich, daß die Tempel, Gebäude und Werke der Kunst, mit welchen Perikles sein Vaterland auszierte, vornehmlich innerhalb dieser Zeit aufgeführt und gearbeitet worden. In diese Zeit fällt auch die dreiundachtzigste Olympias, in welcher Phidias blühte.

Es wurde nach einem dreijährigen Einhalte der Feindseligkeiten, welcher durch den Kimon vermittelt und von beiden Teilen, wiewohl stillschweigend, beobachtet wurde, ein förmlicher Stillstand der Waffen geschlossen, welcher sich anhob im zweiten Jahre der zweiundachtzigsten Olympias. Um eben die Zeit schickten die Römer Abgeordnete nach Athen und in andere griechische Städte, um ihre Gesetze zu haben. Ein Jahr hernach starb Kimon, und sein Tod gab dem Perikles freiere Hand, seine großen Absichten auszuführen. Er suchte Reichtum und Überfluß in Athen herrschen zu machen durch eine allgemeine Beschäftigung aller Menschen: er baute Tempel, Schauplätze, Wasserleitungen und Häfen, und in Auszierung derselben ging er bis zur Verschwendung: das Parthenion, Odeum und viele andere Gebäude, sonderlich aber die doppelte Mauer, durch welche er den piraeischen Hafen mit der Stadt vereinigte, sind aller Welt bekannt. Damals fing die Kunst an, gleichsam Leben zu bekommen, und Plinius sagt, daß die Bildhauerei sowohl als die Malerei jetzt angefangen.

Das Wachstum der Kunst unter dem Perikles erfolgte wie die Herstellung derselben unter Julius II. und Leo X. Griechenland war damals und Italien nachher wie ein fruchtbarer, nicht erschöpfter, aber auch nicht vernachlässigter Boden, welcher durch eine besondere Bearbeitung den verschlossen gewesenen Reichtum seiner Fruchtbarkeit ausläßt. Die Kunst vor dem Phidias und Michelangelo und Raffael ist zwar in keine völlige Vergleichung zu stellen; aber sie hatte dort wie hier eine Einfalt und Reinigkeit, die desto mehr zur Verbesserung geschickt ist, je ungekünstelter und unverdorbener sie sich erhalten hat.

Die beiden größten Künstler in Athen waren Phidias und 266 Parrhasius: der erste führte, außer seiner Kunst, nebst dem Mnesikles, den großen Bau des Perikles, und der andere legte mit Hand an die Werke des Phidias; er zeichnete die Schlacht der Lapither mit den Zentauren auf dem Schilde der Pallas, welche vom Mys in Elfenbein geschnitten wurde. Dieses war das goldene Alter der Kunst, wo die Eintracht arbeiten half, und wo das öffentlich erkannte und entschiedene Verdienst eines jeden die Eifersucht entkräftete: dieses Glück genoß die Kunst vorher und noch eine geraume Zeit hernach. Unter den älteren Künstlern arbeiteten Thylacus und sein Bruder Onathus, nebst deren Söhnen, an einem Jupiter zu Elis: vom Onatas von Ägina und vom Kalliteles war an eben dem Orte ein Mercurius, welcher einen Widder trug. Unter ihren Nachfolgern arbeiteten Xenocritus und Eubius an einem Herkules; Timokles und Timarchides an einem Äsculapius; Menächmus und Soidas an einer Diana; Dionysius und Polykles (welcher wegen seiner Musen in Erz berühmt war) an einer Juno; und von dergleichen Werken, die mehr als einen Vater gehabt, könnte man ein langes Verzeichnis machen. In der Insel Delos war eine Isis, an welcher drei Künstler von Athen, Dionysodorus, Moschion und Ladamas, des Adamas Söhne, gearbeitet hatten, wie die Inschrift zu dieser Statue, welche zu Venedig ist, beweist. Zu Rom war im sechzehnten Jahrhunderte ein Herkules von zwei Meistern gearbeitet, wie eine Inschrift, welche an dieser Statue stand, anzeigt: ich fand dieselbe in einem Plinius, Basler Ausgabe von 1525 mit geschriebenen Anmerkungen von Fulvius Ursinus und Barthol. Ägius, in der Bibliothek des Herrn von Stosch zu Florenz. Die Inschrift ist folgende:

Μηνοδοτος και
Διοδοτος οἱ βοηϑου
Νικομηδεις
ἐποιουνMenodotos und Diodotos, die Helfer (= Nothelfer). Nikomedes hat [dies Denkmal] geschaffen. 267

In der dreiundachtzigsten Olympias scheint Phidias die Statue des olympischen Jupiter geendigt zu haben, und Plinius hat glaublich die Zeit seines Flors, welche er in diese Olympias setzt, in Absicht der Vollendung dieses großen Werks bestimmt. Es hatte derselbe seine Kunst vornehmlich den Göttern und den Helden gewidmet, und es fand sich zu Elis unter den Statuen der Sieger nur eine einzige von ihm gearbeitet; sie stellt den schönen Pantarces vor, in welchen der Künstler verliebt war, wie er sich die Binde, welche den Siegern der Spiele um die Stirne gelegt wurde, selbst binden wollte.

In eben dieser Olympias ging der fünfjährige Stillstand zu Ende, und der Krieg brach von neuem aus, aber der Bau in Athen wurde fortgeführt und die Arbeit im geringsten nicht unterbrochen. Denn in der siebenundachtzigsten oder wie Dodwell will, in der fünfundachtzigsten Olympias, hatte Phidias die weltberühmte Pallas geendigt, welche von dem Perikles in ihrem Tempel geweiht wurde. Von den Statuen und andern Werken in diesem Tempel hatte Polemon, Periegetes zubenannt, vier Bücher geschrieben. Ein Jahr vor Einweihung des Tempels der Pallas führte Sophokles seinen Ödipus, das Meisterstück aller Tragödien auf, so daß gemeldete Olympias den Künstlern wegen eins der vollkommensten Werke der Kunst, wie den Gelehrten, merkwürdig sein kann.

 
Der Peloponnesische Krieg

Endlich aber ging, fünfzig Jahre nach dem Feldzuge des Xerxes wider die Griechen, aus den bisherigen Feindseligkeiten das Feuer des Peloponnesischen Krieges auf durch die Gelegenheit, welche Sizilien gab, an welchem alle griechischen Städte Anteil hatten: den Atheniensern gab ein einziges unglückliches Seegefecht einen Stoß, welchen sie nicht verwinden konnten. Es wurde zwar in der neunundachtzigsten Olympias ein Stillstand von fünfzig Jahren geschlossen, aber ein Jahr nachher auch wiederum aufgehoben, und die Erbitterung der Gemüter dauerte bis zur gänzlichen Entkräftung der Nation. Wie reich Athen noch um diese Zeit war, sieht man aus der Schatzung, welche in dem ganzen Gebiete dieser Stadt zu dem Kriege wider die Lazedämonier 268 ausgeschrieben wurde, da Athen wider diese mit den Thebanern vereinigt war: die ganze Schatzung betrug 6250 Talente.

In diesem Kriege scheinen die Poesie und die Kunst nicht gleiches Schicksal wie vorher gehabt zu haben. Denn da sonderlich die Athenienser aus eigenen Kosten diesem Kriege nicht gewachsen waren, so konnte nicht viel auf Werke der Kunst verwendet werden. Allein die Schauspiele ließ das Volk nicht eingehen; sie wurden bei ihnen gleichsam unter die Notwendigkeiten des Lebens gerechnet, und als die Stadt nachher unter dem Regimente des mazedonischen Lachares von dem Demetrius Poliorcetes belagert wurde, dienten die Schauspiele in der Hungersnot, den Magen zu befriedigen. Wir finden Nachricht, daß, nach besagtem sogenannten Peloponnesischen Kriege in der größten Armut, worin sich Athen befand, ein gewisses Geld unter die Bürger, um die Schauspiele sehen zu können, und zwar ein Drachme auf den Mann, ausgeteilt wurde. Denn sie hielten dieselben in gewissem Maße, so wie die öffentlichen Spiele, für heilig, wie sie denn auch mehrenteils an großen Festen aufgeführt wurden, und das Theater zu Athen ist das erste Jahr dieses Krieges durch den Wettstreit des Euripides mit dem Sophokles und Euphorion über die Tragödie Medea, welche für das beste Stück von jenem gehalten wurde, ebenso bekannt, als es die nächstfolgenden olympischen Spiele sind durch den Doriäus aus Rhodus, den Sohn des berühmten Diagoras, welcher den Sieg und Preis erhielt. Das dritte Jahr nach Aufführung der Medea trat Eupolis mit seinen Komödien hervor, und in eben dieser Olympias Aristophanes mit seinen Wespen. In der folgenden, nämlich der achtundachtzigsten Olympias, führte er seine zwei Stücke, die Wolken und die Acharnenser betitelt, auf. Aus angeführtem Grunde sollte man glauben, die Künstler würden sich die achtundzwanzig Jahre hindurch, welche dieser Krieg gedauert, nicht wohl befunden haben: es starb auch ihr großer Beförderer, Perikles, im zweiten oder dritten Jahr dieses Krieges; ob ihn Phidias überlebt, ist nicht bekannt. Gleichwohl wird die erste Olympias, in welcher der Peloponnesische Krieg seinen Anfang nahm, für die Zeit angegeben, in welcher die andern großen Künstler, nebst dem Phidias, Polycletus, Myron, Skopas, Pythagoras und Alkamenes, geblüht haben. Das größte und berühmteste Werk des Polycletus war die kolossalische 269 Statue der Juno zu Argos von Elfenbein und Gold, und das edelste in der Kunst waren zwei Statuen jugendlich-männlicher Figuren: die eine bekam den Namen Doryphorus, vermutlich von dem Spieße, welchen sie führte, und sie war allen folgenden Künstlern eine Regel in der Proportion, und nach derselben übte sich Lysippus; die andere ist unter dem Namen Diadumenus bekannt, der sich ein Band umbindet, wie des Phidias Pantarces zu Elis war. Man gibt vor, daß zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts eine Statue mit dem Namen dieses Künstlers soll zu Florenz gewesen sein. Die Söhne des Polycletus kamen ihrem Vater in der Kunst nicht bei. Myron aus Athen oder von Eleutheris im attischen Gebiete war mit dem Polycletus aus ebenderselben Schule, und seine meisten Werke waren in Erz, unter welchen sein Discobolus oder einer, welcher mit dem Discus wirft, noch mehr aber seine Kuh, berühmt ist. Derjenige Myron, welcher die Statue des Ladas, eines Läufers Alexanders des Großen, gearbeitet, kann also nicht Myron, der Schüler des Ageladas, sein. Skopas war von der Insel Paros; eine unbekleidete Venus von ihm, welche zu Rom war, wurde des Praxiteles Statue dieser Göttin vorgezogen. Ihm wurde auch von einigen die Niobe zu Rom, von anderen aber dem Praxiteles zugeschrieben, wie Plinius und eine Sinnschrift auf dieselbe anzeigen.

 
Niobe

Wenn man annimmt, daß das bekannte Gruppo in der Villa Medicis eben die Niobe ist, von welcher Plinius redet, so würde aus der Idee der hohen Schönheit in den Köpfen, von welcher ich im ersten Teile einen Begriff gegeben, und aus der reinen Einfalt in Gewändern, sonderlich der beiden jüngern Töchter, die Wahrscheinlichkeit für den Skopas stärker als für den Praxiteles sein; da jener fast hundert Jahre älter ist als dieser. Wollte jemand, welcher nicht Kenntnis genug hat, zweifeln, ob die Niobe ein Original oder eine Kopie ist, da ein paar Figuren dieser Gruppe nicht von eben der Hand und in der Tat geringer zu achten sind, so würde dieses dennoch den vornehmsten Kenntnissen der Kunst, welche aus diesem Werke zu ziehen sind, nichts nehmen, und 270 dieser Zweifel machte das Urteil über die Arbeit des Skopas nicht grundlos. Denn da ein so großes und aus vielen Figuren bestehendes Werk dieses Künstlers alle Zeit das erste wird geblieben sein unter denen, welche sich eben diese Vorstellung gewählt haben, so wird auch dasselbe von andern auf das genaueste nachgeahmt sein, und wir könnten aus der Kopie alle Zeit von dem Stil des ersten Meisters urteilen. Es sind in der Tat Wiederholungen einiger Figuren in eben dieser Villa und im Campidoglio; hier eine von den Töchtern und dort eine Tochter und ein Sohn: auch zu Dresden ist unter den acht Statuen einer von den Söhnen der Niobe, welche demjenigen, der in der Villa Medicis gestreckt liegt, ähnlich ist und wie dieser eine Wunde unter der Brust hat. In den Trümmern der ehemaligen Sallustischen Gärten in Rom fanden sich einige Figuren in erhobener Arbeit und in Lebensgröße, welche eben diese Fabel vorstellten: Pirro Ligorio, welcher dieses in seinen Handschriften in der Vatikanischen Bibliothek angemerkt hat, versichert, daß sie von sehr schöner Arbeit gewesen; und vielleicht ist dieses erhoben gearbeitete Werk von eben der Fabel in der Galerie des Grafen Pembroke zu Wilton in England. Es scheint, man wolle in dem Verzeichnisse dieser Galerie dessen Wert nach dem Gewichte angeben: denn man sagt, daß es an dreitausend englische Pfund schwer sei. Es enthält dasselbe zwanzig Figuren, unter welchen sieben Töchter und ebensoviel Söhne sind; jene stehen und liegen, und einige von diesen sitzen zu Pferde, welche so hoch gearbeitet sind, daß der Kopf und der Hals derselben ganz vom Grunde hervorstehen: Apollo und Diana befinden sich nicht unter den Figuren. In dem Museo der Zeichnungen Sr. Eminenz des Herrn Kardinal Alexander Albani, und zwar unter denjenigen, welche der berühmte Commendator del Pozzo gesammelt hat, befindet sich eine Zeichnung des erhobenen Werkes von dieser Fabel, ebenfalls aus zwanzig Figuren, die Pferde nicht mitgerechnet, welche Zeichnung ich nach jenem Werke genommen glaube, ehe es aus Rom gegangen ist. Es sind sieben Söhne und ebensoviel Töchter, nach dem Apollodorus, vorgestellt, vor welchen die Niobe stehend, die zwei jüngsten in ihrem Schoße verbergen will, welches Amykle und Meliböa sein würden, die wie einige wollen, dem Tode entgangen sind. Fünf Söhne sind zu Pferde, und außer denselben 271 sind drei alte männliche Figuren, welche ihre Hofmeister vorstellen. In eben dieser Sammlung stellt eine andere Zeichnung ein Stück einer erhabenen Arbeit von eben dieser Fabel mit drei Figuren vor; einen von den Söhnen mit einer Wunde in der Seite und zwei Töchter, von denen die eine so gestellt ist, daß ihr Gesicht und also ihr Schmerz durch den erhobenen Arm verdeckt ist. Eben diese Fabel war erhoben gearbeitet auf der Türe von Elfenbein an dem Tempel des Apollo, welchen Augustus auf dem Palatino baute.

Pythagoras, der vierte unter den oben namhaft gemachten Künstlern, wurde unter die ersten seiner Zeit gezählt, wie der Preis, welchen er zu Delphos durch die Statue eines Pankratiasten über den Myron erhalten, beweist. Alkamenes wurde für den nächsten nach dem größten Künstler seiner Zeit gehalten: eines von seinen berühmtesten Werken war seine Venus mit dem Zunamen im Garten zu Athen. Dieses waren die berühmtesten Künstler des hohen Stils der Kunst.

 
Die Vergötterung des Homerus

Ein gelehrter Engländer behauptet, daß die bekannte Vergötterung des Homerus in dem Palaste Colonna zu Rom zwischen der zweiundsiebzigsten und vierundneunzigsten Olympias gemacht worden, und dieses aus Gründen, welche ihm die vermeinte Schreibart eines Wortes auf diesem Marmor, welches die Zeit bedeutet, gibt. Wenn dieses Vorgeben seine Richtigkeit hätte und mit dem Augenscheine bestehen könnte, so würde dieses Werk eines der ältesten Überbleibsel aus dem Altertume und aus dem hohen Stile der Kunst sein. Es war nicht zu fordern, daß er aus der Arbeit der Kunst [hätte] urteilen sollen, weil er das Stück vermutlich nicht gesehen; also hat er sich auf die soviel und weitläufig abgehandelte Schreibart gedachten Wortes verlassen. Es hat derselbe aber nicht gewußt, daß Fabretti die Vergehung aller Gelehrten, die über dieses Werk geschrieben, in Absicht des besagten Wortes bereits vor mir bemerkt und hier angezeigt: es steht dieses Wort gesetzt, wie es sollte gewöhnlich geschrieben werden, nämlich ΧΡΟΝΟΣ. Es wird folglich alle Mutmaßung nichtig, welche aus einer übel bemerkten Schreihart auf die Bestimmung der Zeit dieses 272 Werkes gemacht worden. Es ist hingegen so wenig gedachter Zeit gemäß, daß es vielmehr offenbar von späterer und von der Kaiser Zeiten sein muß. Die Figuren sind keine Spanne lang, folglich zu klein, um eine schöne Zeichnung anzubringen; es sind auch erhabene Werke übrig, welche in größeren Figuren vielmehr geendigt und fleißiger ausgearbeitet sind. Der auf demselben gesetzte Name des Künstlers, Apollonius von Priene, gibt dem Werke keinen Schein von Vorzüglichkeit der Kunst: denn es finden sich auf sehr schlechten Arbeiten der letzten Zeit der Kunst die Namen des Meisters gesetzt, wie ich unten anführen werde. Es ist dieses Werk auf der Via Appia, unweit Albano, an einem Orte gefunden, welcher ehemals ad Bovillas, jetzt alle Fratocchie heißt und dem Hause Collona gehört, wo ehemals eine Villa [des] Kaisers Claudius war, und es ist zu glauben, daß es zu dieses Kaisers Zeiten gemacht worden. An eben dem Orte ist die sogenannte Tabula Iliaca gefunden, welche nach Absterben des letzten aus dem Hause Spagna in Rom in das Museum des Campidoglio versetzt ist; desgleichen die sogenannte Aussöhnung des Herkules, welche in der Kleiderkammer des Palastes Farnese war und durch einen besonderen Zufall Sr. Eminenz dem Herrn Kardinal Alexander Albani zuteil geworden ist, welcher dieselbe in seiner Villa [hat] aufstellen lassen.

 
Die Zeit nach dem Peloponnesischen Kriege

Ich kehre wiederum zur Geschichte und zu dem unglücklichen Peloponnesischen Kriege zurück, welcher sich im ersten Jahre der vierundneunzigsten Olympias endigte, aber mit Verlust der Freiheit von Athen und zugleich, wie es scheint, mit großem Nachteile der Kunst. Die Stadt wurde von Lysander belagert und mußte sich nach der Übergabe unter den schweren Arm der Spartaner und ihres Heerführers demütigen, welcher ihren Hafen einreißen, die Mauern unter währender Musik schleifen ließ und die ganze Form der Regierung änderte. Der Rat von dreißig Personen, welchen er setzte, suchte, wenn es möglich gewesen wäre, durch Hinrichtung der edelsten Bürger auch den Samen der Freiheit zu vertilgen. In diesen Drangsalen trat Thrasybulus hervor und 273 wurde ein Erretter seines Vaterlandes. Die Tyrannen wurden nach acht Monaten teils verjagt, teils ermordet, und ein Jahr hernach durch eine öffentliche Verordnung der Vergessenheit alles dessen, was vorangegangen war, die Ruhe in Athen wieder hergestellt. Ja, diese Stadt hob sich wiederum empor, da Konon die Macht der Perser wider Sparta aufbrachte, an der Spitze einer persischen Flotte die spartanische schlug, nach Athen ging und die Mauern wieder anfing aufzubauen.

Die Kunst erwachte damals von neuem, und die Schüler der vorigen großen Meister, Canachus, Naukydes, Diomedes und Patrochus zeigten sich in der folgenden fünfundneunzigsten Olympias. Wir sehen aus Angebung dieser Zeit, in welcher der Flor dieser Meister gesetzt wird, daß die Kunst mit Athen immer einerlei Schicksal gehabt, und daß ihr Aufnehmen vorzüglich von dem Wohlstande dieser Stadt abgehangen. Canachus ist vornehmlich durch eine Statue des Apollo Philesius, d. i. des Küssenden oder Geküßten, bekannt; Naukydes arbeitete für die Stadt Korinth eine Hebe von Gold und Elfenbein; aber sie haben den Ruhm ihrer Vorfahren nicht erreicht. Nach diesen Künstlern kam Bryaxis, Leochares und Timotheus in der hundertundzweiten Olympias. Von den ersten war ein berühmter Apollo zu Daphne bei Antiochia und zu Rhodus fünf kolossalische Statuen von Göttern: der andere machte den schönen Ganymedes, welchen der Adler auf das zärtlichste gefaßt hatte und sich zu fürchten schien, ihm auch durch die Kleider wehe zu tun. Von dem letzten war eine Diana in dem Palaste der Kaiser zu Rom.

 
Praxiteles und Lysippus

In der hundertsten Olympias bekamen die Sachen in Griechenland eine andere Gestalt, und es veränderte sich das System der Staaten durch den Epaminondas, den größten Mann aller Griechen, der sein Vaterland Theben, welches vorher geringe schien, groß und mächtig über Athen und Sparta machte. Diese beiden Städte trieb sogleich die Furcht zur Eintracht; sie machten Friede in der hundertundzweiten Olympias, und Athen war in Ruhe, da Epaminondas die berühmten Siege über die Lazedämonier bei Leuctra und bei Mantinea erfocht. 274

Mit dieser Zeit fängt das letzte Alter der großen Leute in Griechenland an; die Zeit ihrer letzten Helden und Weisen, ihrer feinsten Skribenten und größten Redner, Xenophon und Platon waren in ihren besten Jahren, und Demosthenes trat nach ihnen auf und redete unüberwindlich für sein Vaterland. Eben diese Zeit ist es, in welcher an hundert Jahren nach dem Phidias Praxiteles geblüht hat. Alle Welt redet von seinem gepriesenen (περιβόητος) Satyr, von seinem Cupido zu Thespis und von der Venus zu Cnidus. Viele von seinen Statuen waren den Alten schon durch ihre Beinamen bekannt, und wenn jemand den Sauroktonon, das ist, der eine Eidechse tötet, nannte, so wußte man, daß ein Apollo des Praxiteles gemeint war. Diese Figur ist sehr oft kopiert, und in der Villa Borghese befindet sie sich zweimal in der Größe eines jungen Knaben, an einem Baume stehend, an welchem eine Eidechse kriecht, auf welche die Figur zu lauern scheint: eben diese Stellung hat eine kleine Figur von Erz, fünf Palme hoch, in der Villa Albani. Es hat sich also das Bild von jener Statue nicht bloß allein auf einem geschnittenen Steine erhalten, wie der Herr von Stosch meint, und es war dieselbe nicht von Erz, wie eben derselbe angibt, sondern von Marmor, und eine von den borghesischen Figuren wäre würdig, das Original zu sein. Einige Skribenten haben vorgegeben, Praxiteles sei aus Großgriechenland gewesen und habe das römische Bürgerrecht erhalten: man hat aber den Pasiteles, aus großer Unwissenheit der Umstände der Zeit, mit jenem verwechselt; Riccoboni irrte, wie ich glaube, zuerst, und diesem sind andere gefolgt. Pasiteles lebte zu den Zeiten des Cicero, und er stellte den berühmten Roscius in Silber geschnitzt vor, wie ihn seine Amme in der Wiege von einer Schlange umwunden sah; es muß also am angezogenen Orte anstatt Praxiteles, wie in gedruckten Büchern zu lesen, Pasiteles gesetzt werden. Ein anderer Bildschnitzer war derjenige Praxiteles, welchen Theocritus anführt. Die Söhne des berühmten Praxiteles folgten ihrem Vater in der Kunst, und es wird einer Statue der Göttin Enyo und eines Cadmus bei Pausanias gedacht, welchen sie gemeinschaftlich gearbeitet: einer von ihnen hieß Cephissodorus, und von ihm war das Symplegma oder ein Paar, welche miteinander rangen, zu Ephesus. Die beiden Ringer in der Tribuna der 275 Großherzoglichen Galerie zu Florenz verdienen für eine Arbeit entweder des Cephissodorus oder des Heliodorus, welcher das andere berühmte Paar solcher Ringer machte, gehalten zu werden. Ein anderer von des Praxiteles Söhnen hieß Pamphilus.

Einige Zeit nach dem Praxiteles erschien Lysippus, welcher auf der Bahn, die alle Zeit die größten Menschen in ihrer Art betreten haben, zur Vollkommenheit in seiner Kunst ging: dieser Weg ist, selbst die Quelle zu suchen und zu dem Ursprunge zurückzukehren, um die Wahrheit rein und unvermischt zu finden. Die Quelle und der Ursprung in der Kunst ist die Natur selbst, die, wie in allen Dingen, also auch hier, unter Regeln, Sätzen und Vorschriften sich verlieren und unkenntlich werden kann. Was Cicero sagt, daß die Kunst ein richtigerer Führer als die Natur sei, kann auf einer Seite als richtig, auf der andern als falsch betrachtet werden. Nichts entfernt mehr von der Natur als ein Lehrgebäude und eine strenge Folge nach demselben, und dieses war zum Teil mit die Ursache von einiger Härte, welche in den meisten Werken der Kunst vor dem Lysippus geblieben war. Dieser Künstler suchte die Natur selbst nachzuahmen und folgte seinen Vorgängern nur, insoweit sie dieselbe erreicht oder sich weislich über dieselbe erhoben hatten. Er lebte zu einer Zeit, in welcher die Griechen die Süßigkeit der Freiheit ohne Bitterkeit schmeckten, in einiger Erniedrigung, aber in Eintracht; und die fast erloschene Eifersucht, welche sie entkräftet hatte, ließ ihnen, wie wenn ihre Wut in der Liebe aufhört, eine stolze Erinnerung der vormaligen Größe und die Ruhe übrig, da die Mazedonier, die Feinde ihrer Freiheit, aus welchem Lande man ehemals nicht einmal einen nützlichen Leibeigenen haben konnte, sich über sie erhoben hatten, die sich aber noch begnügten, der Freiheit nur die Waffen genommen zu haben, und ferne von ihnen Abenteuer und andere Reiche suchten. Alexander in Persien und Antipater in Mazedonien waren vergnügt, die Griechen ruhig zu sehen, und man gab ihnen nach der Zerstörung der Stadt Theben keine Ursache zum Mißvergnügen.

In dieser Ruhe überließen sich die Griechen ihrer natürlichen Neigung zum Müßiggange und zu Lustbarkeiten; und Sparta selbst ging von seiner Strenge ab: der Müßiggang füllte die Schulen der 276 Philosophen, die sich vervielfältigten und sich ein größeres Ansehen gaben; die Lustbarkeiten beschäftigten Dichter und Künstler, und diese suchten nach dem Geschmacke ihrer Zeit das Sanfte und Gefällige, da die Nation in der Weichlichkeit ihren Sinnen zu schmeicheln suchte. Die besten Dichter und Künstler aber, die sich in dieser Zeit berühmt gemacht haben, waren noch von dem Stamme, welcher in dem Grunde der stolzen Freiheit gepflanzt war, entsprossen, und die Sitten des Volkes beförderten die letzte Feinheit und den auf das Höchste getriebenen Geist in den Werken des Witzes und der Kunst. Menander trat mit den ausgesuchtesten Worten, mit dem abgemessensten und wohlklingendsten Maße, mit gereinigten Sitten, in Absicht, zugleich zu belustigen und zu lehren und zu tadeln, mit einem feinen attischen Salze auf die Schaubühne, als der erste, dem sich die komische Grazie in ihrer lieblichsten Schönheit gezeigt hat. Die unschätzbaren Stücke, welche uns die Zeit von mehr als hundert verlornen Komödien desselben erhalten hat, können uns, in Absicht der unstreitigen Gemeinschaft der Poesie und Kunst und des Einflusses einer in die andere, außer dem Zeugnisse der Skribenten ein Bild geben auch von den Schönheiten der Werke der Kunst, welche Apelles und Lysippus in die Grazie einkleideten. Ihre besten Werke sind zu bekannt, als daß ich dieselben hier anführen darf: ein Herkules aber in Marmor zu Florenz mit dem Namen des Lysippus verdiente nicht erwähnt zu werden, wenn die Statue nicht als ein wahres Werk desselben gepriesen wäre. Es ist bereits von andern bemerkt, daß dieser Name untergeschoben sei, und es ist nicht bekannt, daß dieser Künstler in Marmor gearbeitet habe: siehe, was ich im ersten Teile bei Gelegenheit dieser und anderer solcher Inschriften angemerkt habe.

 
Laokoon

Das gütige Schicksal aber, welches auch über die Künste bei ihrer Vertilgung noch gewacht, hat aller Welt zum Wunder ein Werk aus dieser Zeit der Kunst erhalten, zum Beweis von der Wahrheit der Geschichte von der Herrlichkeit so vieler vernichteter Meisterstücke. Laokoon nebst seinen beiden Söhnen, von Agesander, 277 Apollodorus und Athanodorus aus Rhodus gearbeitet, ist nach aller Wahrscheinlichkeit aus dieser Zeit, ob man gleich dieselbe nicht bestimmen und, wie einige getan haben, die Olympias, in welcher diese Künstler geblüht haben, angeben kann. Wir wissen, daß man dieses Werk schon im Altertume allen Gemälden und Statuen vorziehen wollte, und also verdient es bei der niedrigen Nachwelt, die nichts in der Kunst demselben zu vergleichen hervorgebracht hat, um desto größere Aufmerksamkeit und Bewunderung. Der Weise findet darinnen zu forschen und der Künstler unaufhörlich zu lernen, und beide können überzeugt werden, daß mehr in demselben verborgen liegt, als was das Auge entdeckt, und daß der Verstand des Meisters viel höher noch als sein Werk gewesen.

Laokoon ist eine Natur im höchsten Schmerze, nach dem Bilde eines Mannes gemacht, der die bewußte Stärke des Geistes gegen denselben zu sammeln sucht; und indem sein Leiden die Muskeln aufschwellt und die Nerven anzieht, tritt der mit Stärke bewaffnete Geist in der aufgetriebenen Stirn hervor, und die Brust erhebt sich durch den beklemmten Atem und durch Zurückhaltung des Ausbruchs der Empfindung, um den Schmerz in sich zu fassen und zu verschließen. Das bange Seufzen, welches er in sich und den Atem an sich zieht, erschöpft den Unterleib und macht die Seiten hohl, welches uns gleichsam von der Bewegung seiner Eingeweide urteilen läßt. Sein eigenes Leiden aber scheint ihn weniger zu beängstigen als die Pein seiner Kinder, die ihr Angesicht zu ihrem Vater wenden und um Hilfe schreien: denn das väterliche Herz offenbart sich in den wehmütigen Augen, und das Mitleiden scheint in einem trüben Dufte auf denselben zu schwimmen. Sein Gesicht ist klagend, aber nicht schreiend, seine Augen sind nach der höheren Hilfe gewandt. Der Mund ist voll Wehmut und die gesenkte Unterlippe schwer von derselben; in der überwärts gezogenen Oberlippe aber ist dieselbe mit Schmerz vermischt, welcher mit einer Regung von Unmut, wie über ein unverdientes unwürdiges Leiden, in die Nase hinauftritt, dieselbe schwülstig macht und sich in den erweiterten und aufwärts gezogenen Nüstern offenbart. Unter der Stirn ist der Streit zwischen Schmerz und Widerstand, wie in einem Punkte vereinigt, mit großer Weisheit gebildet: denn indem der Schmerz die Augenbrauen 278 in die Höhe treibt, so drückt das Sträuben wider denselben das obere Augenfleisch niederwärts und gegen das obere Augenlid zu, so daß dasselbe durch das übergetretene Fleisch beinahe ganz bedeckt wird. Die Natur, welche der Künstler nicht verschönern konnte, hat er ausgewickelter, angestrengter und mächtiger zu zeigen gesucht: da, wohin der größte Schmerz gelegt ist, zeigt sich auch die größte Schönheit. Die linke Seite, in welche die Schlange mit wütenden Bisse ihr Gift ausgießt, ist diejenige, welche durch die nächste Empfindung zum Herzen am heftigsten zu leiden scheint, und dieser Teil des Körpers kann als ein Wunder der Kunst genannt werden. Seine Beine wollen sich erheben, um seinem Übel zu entrinnen; kein Teil ist in Ruhe: ja die Meißelstreiche selbst helfen zur Bedeutung einer erstarrten Haut.

Es haben einige wider dieses Werk Zweifel aufgeworfen, und weil es nicht aus einem einzigen Stücke besteht, welches Plinius von dem Laokoon in den Bädern des Titus versichert, sondern aus zwei Stücken zusammengesetzt ist, will man behaupten, es sei der gegenwärtige Laokoon nicht der alte so berühmte. Pirro Ligorio ist einer von denselben, und er will aus Stücken von Füßen und Schlangen, die größer als die Natur waren und sich zu dessen Zeit fanden, glauben machen, der wahre alte Laokoon sei viel größer als der jetzige gewesen, und dieses vorausgesetzt, will er angezeigte Stücke viel schöner als die Statue im Belvedere gefunden haben; dieses schreibt derselbe in seinen Handschriften in der Vatikanischen Bibliothek. Den unerheblichen Zweifel über die zwei Stücke haben auch andere angeführt, ohne zu bedenken, daß die Fuge ehemals nicht wie jetzt sichtbar gewesen sein wird. Das Vorgeben des Ligorio aber ist nur zu merken wegen eines verstümmelten Kopfes über Lebensgröße unter den Trümmern hinter dem Farnesischen Palaste, an welchem man noch eine Ähnlichkeit mit dem Kopfe des Laokoon bemerkt, und der vielleicht zu den obigen Füßen und Schlangen gehört; jetzt ist dieser verstümmelte Kopf nebst andern Trümmern nach Neapel geführt worden. Ich kann nicht unangemerkt lassen, daß sich zu St. Ildefonse, dem Lustschlosse des Königs von Spanien, ein erhoben gearbeitetes Werk findet, welches den Laokoon nebst seinen beiden Söhnen vorstellt, über welchen ein fliegender Cupido schwebt, als wenn er ihnen zu Hilfe kommen wollte. 279

 


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