Ernst Wichert
Das Duell
Ernst Wichert

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Am anderen Vormittag, bevor er noch ausgegangen war, wurde ihm Herr Chefredakteur Holm gemeldet. Er nahm ihn an.

»Ich komme, Sie zu ersuchen,« sagte Holm sehr von oben her, »sich nicht auf die Redaktion bemühen zu wollen. Zu meinem lebhaften Bedauern bin ich nicht in der Lage, Ihre Thätigkeit für die Zeitung weiter in Anspruch nehmen zu können.«

Dürenholz verneigte sich.

»Ich hätte Ihnen das auch brieflich mitteilen können,« fuhr Holm fort, indem er mit der Hand über den weißen Filz seines Hutes strich. »Da ich mich aber noch eines Auftrages meines Schwagers zu entledigen habe ...«

Dürenholz zeigte auf einen Sessel. »Ich bitte.«

»Er ließ mich gestern noch spät abends zu sich rufen. Er war in einer Aufregung, die ich begreiflich fand nach dem, was ich aus seinem Munde erfuhr. Ihn empörte nicht so sehr die Untreue der Frau, für die er sogar eine Art von Entschuldigung aus den besonderen Verhältnissen dieser Ehe herauszusuchen bemüht war, als der Vertrauensmißbrauch des Freundes. Hier schien ihm die Kränkung unverzeihlich. Es gelang mir nicht, ihn milder zu stimmen oder zu überzeugen, daß die Veröffentlichung des Skandals nicht in seinem praktischen Interesse sei. Er antwortete, daß für ihn ein praktisches Interesse gar nicht existiere. Nicht einmal die Herstellung seiner verletzten Ehre vor der Welt oder bei sich selbst komme in Frage. Aber es sei ihm undenkbar, daß zwei Männer leben, die Freunde gewesen seien, und von denen der eine dem anderen das angethan habe. Ich bin deshalb beauftragt, Ihnen eine Pistolenforderung unter den schärfsten Bedingungen zu überbringen.«

»Eine Pistolenforderung –« wiederholte Dürenholz mehr verwundert als überrascht oder wohl gar erschreckt. »Unmöglich!«

»Und weshalb unmöglich, mein Herr?«

»Weil Glauberg schwer krank ist, sich gar nicht auf den Füßen halten kann –«

»Er behauptet, sich stark genug zu fühlen, so lange stehen zu können, bis die Schüsse gewechselt sind, wenn ihm gestattet wird, sich mit der linken Hand auf den Stock zu stützen. Ich zweifle nicht –«

»O – oh! das ... Aber es muß ihm jede Sicherheit in der Handhabung der Waffe fehlen. Ich kann einen so ungleichen Kampf nicht zugeben.«

Holm zuckte die Achseln. »Vergessen Sie nicht, daß er der Beleidigte ist und ihn so will. Wir waren auf diese Einrede vorbereitet. Ich habe darauf zu erklären, daß eine Weigerung aus diesem Grunde nicht als eine großmütige Rücksicht aufgefaßt, sondern nur als ein elender Vorwand charakterisiert werden könne, die einzige Genugthuung zu versagen, die Sie in diesem Falle überhaupt zu gewahren imstande seien.«

Dürenholz erbleichte. »Die einzige Genugthuung –« »Ich denke, er hat recht. Oder wissen Sie eine andere? Er muß verlangen, daß Sie Ihre Brust seiner Kugel bieten.«

»Und dennoch – nein! Das Duell ist unmöglich.« Holm hielt eine Weile die Augen gesenkt. Dann blickte er entschlossen auf. »Herr von Dürenholz,« sagte er, »es ist mir bekannt, daß Sie ein prinzipieller Gegner des Duells sind und mit viel Energie diesen Standpunkt behauptet haben. Sollten Sie auch in diesem Fall . ..«

»Und wenn – ?«

»Herr von Dürenholz – mein Schwager würde das nicht verstehen können. Er wäre genötigt, Sie für den verächtlichsten Menschen zu erklären, der in –«

Dürenholz sprang auf. »Mein Herr –!«

»Es sind Glaubergs eigene Worte, die ich beauftragt bin, zu wiederholen, falls Sie mir dazu Anlaß geben sollten. Und ich denke, Sie haben mir Anlaß gegeben, diesen Punkt zu berühren. Ich habe übrigens nur eine Folge bezeichnet, die meines Erachtens gar nicht eintreten kann, da die Voraussetzung undenkbar ist.«

Nun sank Dürenholz wieder in seinen Sessel zurück. »Und über Ort und Zeit können Sie ...« fragte er matt.

»Morgen früh sechs Uhr und in Glaubergs Garten hinter den Linden. Wir werden da ganz ungestört sein. Die Rücksicht auf den Zustand Ihres Gegners –«

»Gewiß, gewiß! Ich hätte dagegen nichts einzuwenden. Im übrigen – ich kann mich im Augenblick nicht endgültig erklären. Erwarten Sie aber meine Entscheidung noch im Laufe des Vormittags.«

Holm stand auf und verneigte sich. »Ich werde jedenfalls zu Hause anzutreffen sein.«

Nachdem er gegangen war, schlug Dürenholz sich mit der Faust gegen die Stirn und ächzte aus tiefster Brust. Da stand er nun wieder bei dem Ausgangspunkt und hatte die Frage zu revidieren: Giebt es einen kategorischen Imperativ gegen den Zweikampf mit tödlichen Waffen?

Bisher war ihm unrecht geschehen, und er hatte es mit heroischem Sinn ertragen als das kleinere von zwei Übeln: es war besser, der Rechtszustand wurde unsühnbar in dem einzelnen verletzt als in der Gesamtheit. Er war der Beleidigte gewesen, und er hatte nicht Rache zu nehmen versucht, nicht anerkannt, daß seine Ehre durch Unrecht und Gewaltthat geschädigt werden könnte. Und jetzt? Er selbst hatte sich schwer vergangen, den Frieden eines anderen gestört, göttliches und weltliches Gesetz nicht geachtet. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib! Und er hatte es begehrt, das leidenschaftliche Verlangen nicht erstickt, die Frucht der Sünde gepflückt. Er hatte beleidigt, den heiligsten Anspruch auf Unverletzlichkeit angetastet.

Und mehr noch, viel mehr. Der Gekränkte war sein Freund, ein Mann, der ihm Gutes gethan, der ihm vollstes Vertrauen geschenkt. In ihm hatte er den Glauben an allen Menschenwert vernichtet. So tief hatte er ihn verletzt, daß es für ihn keine Möglichkeit gab, ihm gerecht werden zu können.

Dieser beleidigte Gatte und Freund, ein Ehrenmann durch und durch, forderte ihn vor die Pistole! Wie er selbst in solchem Fall gehandelt hätte, war gleichgültig, und er wagte nicht einmal, sich zuzutrauen, daß er anders gehandelt hätte. Durfte er ihm antworten: Ich erkenne das Duell nicht als eine Sühne geschehenen Unrechts an – ich schlage mich nicht? Wenn er eine andere Sühne gar nicht bieten konnte! Unmöglich – für sein Gefühl unmöglich.

Gab's wirklich keine andere Sühne der Schuld? Oh! es leuchtete da ein Gedanke in seinem gemarterten Hirn auf. Wenn er sich das Leben nahm ... Konnte er schwerer als mit dem Tode büßen? Und er belastete das Gewissen des Freundes nicht, wurde sich selbst nicht untreu – und alle Not des doch ewig unbefriedigten Daseins hätte ein Ende!

Aber hieß das dem Gekränkten gerecht werden? Sich der Verantwortlichkeit durch feige Flucht entziehen, hieß es. War sein Vergehen, wie er es selbst verurteilen mußte, todeswürdig? Hatte er an sich eine Strafe zu vollstrecken, seinem Gerechtigkeitsgefühl angemessen? Adelheid war seine Braut – er hatte nur das Weib wiedergefunden, das er liebte, nicht eine sündhafte Leidenschaft in sein unbewachtes Herz eingelassen. Und wenn der Freund alles wüßte, vielleicht urteilte auch er dann milder in des Freundes Seele hinein. Nein! so konnte die Rechnung nimmer stimmen. Aber Glauberg war er sein Leben schuldig. Er selbst würde in die Luft schießen, das war außer Frage – Glauberg aber mußte die Pistole auf ihn abdrücken können. Das hätte er als sein Recht gefordert, und es war sein Recht.

Er suchte Doktor Haring auf, den einzigen Bekannten, den er um solchen Dienst angehen konnte. Er sagte ihm so wenig als möglich. Nur, daß sein Verhältnis zu Glaubergs Frau der Grund der Forderung sei und jede Hoffnung auf eine Aussöhnung unter den besonderen Umständen wegfalle. Er bat ihn, das Weitere mit Holm zu verabreden. Jede Bedingung, die von der anderen Seite gestellt würde, wäre zu acceptieren.

»Ich hab's so kommen sehen,« sagte der Doktor. »Der kranke Mann und die schöne Frau –«

»Lassen wir das,« brach Dürenholz sehr ernst ab.

»Verstehe, verstehe. Aber daß Sie nun doch ein Duell –«

»Der besondere Fall verlangt es.«

»Verstehe. Eigentlich immer die alte Geschichte: wo eine Frau im Spiel ist, gehen alle Grundsätze in die Brüche.«

Darauf antwortete Dürenholz nicht weiter. Er machte einen weiten Spaziergang vor die Stadt hinaus und aß in einer Gartenwirtschaft, die im Sommer viel besucht, aber auch im Winter, zumal bei gutem Schlittenwege, auf Gäste zur Not vorbereitet war. In der Dämmerung ging er nach Hause und schrieb einen kurzen Abschiedsbrief an Glauberg. »Ich versuche nicht, mich zu rechtfertigen,« lautete er, »oder auch nur mein Vergehen gegen dich in milderem Lichte erscheinen zu lassen. Die Thatsache bleibt bestehen, daß ich Adelheid liebe, und daß sie deine Frau ist. Ich unterwerfe mich deinem Willen und gebe dem Ehrenmann Macht über den Beleidiger. So hoffe ich, den Freund um Verzeihung bitten zu dürfen, wenn ich die Schuld, deren ich mir gegen ihn voll bewußt bin, mit dem Leben bezahlt habe.«

Er gab den Brief nicht zur Post, sondern beförderte ihn durch den Sohn seiner Hauswirtin nach der Villa hinaus.

Glauberg wußte schon durch Holm, daß Dürenholz die Forderung angenommen hatte, und war nun ruhiger und gefaßter. Die Nacht war nicht schlecht gewesen; der Schlaf nach den Krämpfen, vielleicht wegen der durch Idas Mitteilungen angeregten Träume, weniger fest als gewöhnlich und in unerklärlicher Weise durch die Einwirkung des Geflüsters der beiden Liebenden unterbrochen, schien nachgeholt werden zu müssen. Er hatte sich nicht nach dem Schlafzimmer bringen, sondern in seiner Arbeitsstube auf einer Chaiselongue betten lassen und war erst gegen Morgen mit sehr schweren Gliedern erwacht. Ein neuer Krampfanfall stellte sich ein, ging aber rasch vorüber. Er schlief dann wieder einige Stunden und war nun eine Weile auffallend frisch. Er ließ sich von Friedrich im Zimmer auf- und abführen, versuchte auch allein zu gehen und an seinem Krückstock aufrecht zu stehen. Dabei hatte er einen Gegenstand in die rechte Hand genommen und hielt ihn vor sich hin, wie darüber weg nach einem Bilde an der Wand zielend, die Beine standen ziemlich fest, aber mitunter knickte das Kreuz unwillkürlich ein, so daß die Hand mit dem Stock ins Schwanken geriet. Minutenlang konnte er sich aber doch halten und schien mit dem Erfolg seiner Bemühungen nicht unzufrieden. Gegen Mittag wurde er wieder sehr ungeduldig, da Holm nicht so bald kam, als er ihn erwartete. Er besaß noch die Pistolen, die bei dem unglücklichen Duell in Gebrauch gewesen waren, und gab sie seinem Schwager aus einem geheimen Fach des Schreibtisches heraus, damit er sie in Ordnung bringen lasse. Ein Arzt sollte ins Vertrauen gezogen und am nächsten Morgen mitgebracht werden. Er händigte Holm auch einen Schlüssel zur seitlichen Gartenpforte ein; niemand von den Beteiligten sollte genötigt sein, durch das Haus zu gehen.

Einige Stunden des Nachmittags brachte er an seinem Schreibtisch zu. Er schloß seine Bücher ab, sah alte Briefschaften und sonstige Papiere durch, die sich in den Schiebladen und Fächern aufgehäuft hatten, sonderte das meiste aus, um es von Friedrich im Kamin verbrennen zu lassen, und ordnete den Rest. Sein Testaments-Niederlegeschein kam ihm in die Hände. Er hatte seine Frau zur Haupterbin eingesetzt und mochte nun überlegen, ob er die letztwillige Verfügung aufheben solle. Er saß eine Weile zurückgelehnt, das Blatt in der Hand und grübelte in sich hinein. Er legte dann auch einen Bogen weißes Papier auf und brach ihn zur Hälfte wie zu einer amtlichen Eingabe. Der finstere Schatten auf seinem wächsernen Gesicht schwand aber wieder, und er legte die Feder fort, ohne sie eingetaucht zu haben. »Das hat ja keinen Zusammenhang,« murmelte er vor sich hin. Der Schein blieb in der Mappe mit allerhand Dokumenten obenauf.

Er ließ sich wieder auf den Rollstuhl schaffen und las bei der Lampe in einem Buche philosophischen Inhalts, das ihn schon seit längerer Zeit beschäftigte. Er liebte die schwerere Lektüre, die zu denken gab. Jetzt wendete er die Blätter sehr langsam um, und manchmal lag das Buch eine Weile auf der Decke. Eine tiefe Traurigkeit überkam ihn, das Atmen schien ihm schwer zu werden, bis er sich durch ein schmerzliches Seufzen Luft machte.

Dann wurde ihm Walthers Brief überbracht. Er erkannte sogleich die Handschrift und gab ihn unwillig zurück. »Wird nicht angenommen,« sagte er, und – als Friedrich bemerkte, der junge Mensch hatte sich gleich entfernt –: »In den Kamin!« Ehe dieser Befehl aber ausgeführt war, rief er den Diener zurück. »Geben Sie nur. Es ist gut.«

Er las die wenigen Zeilen wieder und wieder. Erst brannten seine Blicke haßerfüllt darauf, bald wurden ihm die Augen feucht. »Ihn so zu verlieren!«

Noch eine Stunde verging, dann wurde leise an die Thür geklopft, die nach dem Salon führte. Er erschrak heftig. Es war ihm sofort gewiß, daß Adelheid klopfte.

Er schwieg. Doch stützte er sich auf den Ellenbogen und horchte gespannt. Erst als sich das Klopfen zaghaft wiederholte, rief er: »Wer da?«

Die Thür öffnete sich ein wenig. »Darf ich bei dir eintreten, Veit?« fragte eine zitternde Stimme. Er erkannte sie.

Wieder dauerte es eine Weile, bis er sich zur Antwort entschloß. Dann sagte er, überraschend milde: »Du darfst.«

Adelheid trat ein. Sie ging mit gefalteten Händen auf ihn zu und sank neben ihm nieder. »Ich wußte es,« rief sie, »du bist gut.«

»Steh auf,« bat er, »wir wollen einander keine Szene machen. Es wird gut sein, wenn wir ruhig besprechen, was deinetwegen jetzt geschehen soll. Deshalb kommst du wohl auch.«

Sie schüttelte den Kopf und sah aus den vergrämten Augen zu ihm auf. »Ich werde meine Pflicht thun,« antwortete sie, »solange du sie annehmen willst. Von mir aus ändert sich nichts.«

»Du willst – bei mir bleiben?« fragte er verwundert.

»Wie, ich dir's gelobt habe. Wenn du mich nicht fortschicken willst! Es ist nichts geschehen, was mich in deiner Gegenwart mir selbst verächtlich machen müßte.«

»Adelheid –!«

Sie legte die Hand aufs Herz.

»Nichts – so sehr ich mich dir verschuldet habe.«

»Hast du – Walther – heute gesprochen?« preßte er heraus.

»Nein.«

»Und keinen Brief von ihm erhalten?«

»Nein – wahrhaftig nicht.«

»So warte – bis morgen. Es kann sich dann manches – aufgeklärt haben.«

»Nicht das, was du nur durch ihn oder mich erfahren kannst. Wie du ihn gestern abgewiesen hast, muß ich zweifeln, daß du ihn später hast hören wollen. Deshalb komme ich nun zu dir, nachdem die Sturmwellen des Zornes sich gelegt haben, und ich bitte dich, verdamme uns nicht, bevor du die ganze Wahrheit hast.«

»Ich verdamme dich nicht, Adelheid,« antwortete er nach einer Weile stillen Nachsinnens. »Aus Mitleid gabst du mir deine Hand, nicht aus Liebe, und meine Gattin warst du, nicht mein Weib. Wendete sich dein Herz dem Manne zu, den ich selbst von allen Männern am liebenswürdigsten und achtungswertesten hielt – wie konnte ich dir das zum Verbrechen rechnen? Nur so weit hättest du es nicht kommen lassen dürfen, daß ich ... Doch es ist dir verziehen – auch das. Es ist des Weibes schönes Vorrecht, schwach sein zu dürfen, wenn es liebt. Er aber – er – der Freund –!« Er hob die Stimme und deckte die Hand über die Augen, aus denen die Thränen vorschossen.

»Ich bin schuldiger als er,« sagte sie, ihm die andere Hand küssend. »Denn ich verleitete ihn zu bleiben, als er gehen wollte, nachdem er – seine Braut wiedergefunden hatte.«

»Seine Braut!« schrie Glauberg auf. »So ist das – wahr? Du warst – die Braut, die er verlor – weil er mannhaft ... O – o – oh!«

Sie erzählte, was geschehen war, früher und seit Walthers Rückkehr. Sie klagte sich der unbegreiflichsten Kurzsichtigkeit an und der bedauerlichsten Feigheit. »Den armen Kranken zu schonen, hatte ich im Sinn,« rief sie, »und bedachte nicht, daß ich ihm so viel weher thun müßte. Als ich Walther, mir ganz überraschend, wiedersah – es war ja längst aus zwischen uns, und ich war deine Frau. Warum dich beunruhigen, wenn er gleich wieder abreiste, wie ich als gewiß ansah – wie es auch geschah. Und als du dann so unglücklich darüber warst – ich meinte dir helfen zu können, indem ich ihm und mir ein Übermaß von Charakterfestigkeit zumutete. Das war Aberwitz, ich weiß es jetzt. Und dann kam, was kommen mußte – weil Menschen Menschen sind.«

Glauberg hatte ihr, unbeweglich den Kopf in die Hand gestützt, zugehört. Erst nach einer langen Pause sagte er leise: »Es ist, wie es ist. – Aber ich danke dir. Ich fühl's doch als eine große Erleichterung, zu wissen ... Ich danke dir!«

Er zog die Hand von der Wange fort und reichte sie ihr. Es war, als ob er noch etwas auf den Lippen hatte, aber Worte wurden nicht hörbar. Adelheid blieb, nun ebenfalls schweigend, noch kurze Zeit, sagte dann »gute Nacht« und ging. Sie ahnte nicht, was morgen früh geschehen sollte, nicht einmal mit einem ganz unbestimmten bangen Vorgefühl. Alles andere war ihr denkbarer als ein Duell zwischen diesen beiden Menschen.

Glauberg blieb bis gegen zehn Uhr mit sich allein. Dann läutete er dem Diener und befahl ihm, sich im Vorraum ein Lager zu bereiten, ihn aber morgen früh um fünf Uhr zu wecken. »Wahrscheinlich kommt Herr Holm wenig später,« sagte er. »Lassen Sie ihn dann sogleich zu mir. Was weiter geschieht, geht Sie nichts an. Ich hoffe, Sie bis dahin ruhig schlafen lassen zu können.«

»Erlauben Sie nicht, daß ich hier, gnädiger Herr –«

»Es ist nicht nötig. Sie pflegen ja sofort aufzuwachen, wenn ich schelle.«

»Jawohl, gnädiger Herr.«

»Also gute Nacht.«

Als Friedrich pünktlich fünf Uhr eintrat, seinen Herrn zu wecken, fand er ihn fest schlafend. Er rief ihn wiederholt an, erhielt aber keine Antwort. Er zupfte an der Decke, auf welcher ein aufgeschlagenes Buch lag, und legte dann leise die Hand auf seinen Arm. Er fühlte sich kalt an. Es war dem Diener nun auch auffallend, daß das rasselnde Atmen nicht vernehmbar war. Er schob den Schirm von der auf dem Tische brennenden Lampe zur Seite und sah Glauberg ins Gesicht.

Er war tot.

Nachdem der erste Schreck überwunden war, eilte Friedrich durch den Salon und das Eßzimmer nach den Schlafräumen der Villa und klopfte die Jungfer aus dem Bett. Sie sollte der gnädigen Frau melden, was geschehen sei.

Es dauerte denn auch keine Viertelstunde, bis Adelheid, in flüchtiger Morgentoilette, im Zimmer ihres Mannes erschien und sich von seinem Hinscheiden überzeugte. Er lag wie ein Schlafender, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, die Augen fast ganz geschlossen. Der Ausdruck des Gesichts war ein friedlicher. Die Arme streckten sich straff aus, die Finger krümmten sich gegen die Handflächen hin. Adelheid stand lange neben ihm und betete still. Über ihre Wangen liefen die Thränen. »Und ich konnte nicht bei dir sein!«

Den Schirm an der Lampe mußte er herumgezogen haben, als er schlafen wollte. Auf einem Aschbecher lag eine zur Hälfte gerauchte Zigarre. Das Buch schien eben aus der Hand gelegt zu sein, es befand sich kein Zeichen zwischen die aufgeschlagenen Seiten eingefügt. Wahrscheinlich hatte der Kranke abwarten wollen, ob er einschlafen könne. In dem Glase auf dem Tische war ein Rest des Tränkchens geblieben, das zur Erleichterung des Hustens jeden Abend bereitet wurde. Der Löffel steckte darin. Irgend eine Medizin konnte er nicht eingenommen haben, auch kein Pulver; jedenfalls ließ sich eine Flasche oder eine Papierhülle nicht bemerken. Ein Schächtelchen mit Streichhölzern zeigte sich halb geöffnet, der Inhalt zum kleinen Teil ausgestreut, als hätte er die Hölzchen rascher zur Hand haben wollen, wenn die Zigarre ausgegangen war. In dem mit Asche angefüllten Becher fanden sich auch mehrere halb abgebrannte. Irgend etwas Auffälliges war in seiner Nähe nicht zu entdecken. Uhr und Schlüssel hatten ihren gewöhnlichen Platz unter der Lampe. Adelheid wollte sogleich zu Holm schicken, aber Friedrich meinte, das sei nicht nötig, denn der Herr habe ihn noch vor sechs Uhr erwartet. Das konnte sie sich nicht erklären. Aber Holm kam wirklich sehr bald und war nicht wenig überrascht, sie im Zimmer zu treffen. Die Nachricht von Glaubergs Tode erschütterte ihn tief. Er ging hinaus und holte den Arzt herbei, der aber nur bestätigen konnte, daß die Katastrophe schon vor Stunden eingetreten sein mußte. Und die Todesursache – ? Er zuckte die Achseln. »Bei solchen Kranken kann man jeden Augenblick auf eine plötzliche Veränderung gefaßt sein. Von Krämpfen ist er wohl in der letzten Stunde nicht gequält worden, oder sie hatten wieder aufgehört. Ein Herz- oder Lungenschlag hat seinem Leben ein rasches Ende gemacht.«

Es war Adelheid unbegreiflich, was Holm so früh in die Villa führte, und wie der Arzt so schnell zur Stelle sein konnte. Sie stieß einen leisen Schrei aus, als nun auch Dürenholz durch den Salon, also vom Garten her, eintrat. »Mein Gott,« rief sie, »was sollte denn geschehen?«

»Was durch seinen Tod – für ihn glücklich – abgewendet ist,« antwortete Holm, sie stützend. »Ein Duell –«

Adelheid brach ohnmächtig zusammen, während Walther bei dem Toten niedersank und bitterlich weinend seine kalte Hand küßte.


 << zurück weiter >>