Ernst Wichert
Das Duell
Ernst Wichert

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Am nächsten Morgen vor der Zeit, in welcher Dürenholz aufs Gericht zu gehen pflegte, ließ sich in seiner Wohnung Herr Premier-Leutnant von Encke-Siebenstern melden und wurde willkommen geheißen.

Herr von Encke war einer der liebenswürdigsten und beliebtesten Offiziere der Garnison, bei allen gesellschaftlichen Vergnüglichkeiten an der Spitze, den Damen ein unentbehrlicher Ratgeber in Tanzangelegenheiten, den Herren am Spieltisch und bei Jagden stets erwünscht, heiter und doch gesetzt, sehr belesen, ein vorzüglicher Plauderer, aber keinem ernsten Gespräch ausweichend. Dürenholz hatte ihn sehr gern.

»Sie können sich ungefähr denken, weshalb ich zu Ihnen komme,« begann der Leutnant, nachdem sie einander die Hände geschüttelt und Platz genommen hatten. »Graf Stieren, mit dem Sie ja gestern etwas vorgehabt haben, hat mich um die Vermittelung ersucht, und ich habe mich bereit erklärt, weil ich Sie hochschätze und der vielleicht unbescheidenen Meinung bin, daß ich besser als ein anderer Mittel und Wege finde, die leidige Sache zu beider Teile Frommen zu applanieren.«

»Kein Vermittler könnte mir genehmer sein,« antwortete Dürenholz, ihm nochmals die Hand reichend; »ich muß jedoch von vornherein bemerken, daß ich persönlich mit dem Herrn Grafen Stieren gar nichts vorgehabt habe, um mir Ihren Ausdruck anzueignen.«

»Nu – wir wollen uns nicht auf Worte steifen,« sagte Herr von Encke lächelnd. »Allerdings steckten Sie ja in der Amtsrobe und hatten es als Richter mit der Vernehmung eines Zeugen zu thun. Aber der Richter war Herr von Dürenholz und der Zeuge Herr Graf Stieren. Da wird sich das Persönliche von dem Geschäftlichen nicht ganz loslösen lassen. Wenigstens empfindet der Herr Graf so.«

»Er kann doch unmöglich der Meinung sein,« rief Dürenholz, »daß ich gegen seine Person irgendwie voreingenommen gewesen bin, oder mein Amt mißbraucht habe, ihm eine Kränkung zuzufügen.«

»So weit geht er durchaus nicht,« versicherte Herr von Encke; »dafür würde ja auch jeder Schatten eines Verdachts fehlen. Er meint nur, er sei nun doch einmal auch als Zeuge in einer Gerichtsverhandlung der Graf Stieren und dürfe erwarten, vor dem Publikum nicht bloßgestellt zu werden.«

»Wenn er aber selbst –«

»Ja, ja! Ganz unter uns, mein bester Herr von Dürenholz, ich glaube gern, daß der Graf sich stark verlaufen hat. Nach dem, was ich aus seinem eigenen Munde weiß ... Und ich kenne ja auch seine leichte Erregbarkeit und polternde Manier. Etwas Schlimmes hat er sich dabei sicher nicht gedacht. Er ist nun einmal so. Sie müssen doch auch zugeben, daß es nicht gerade ein Vergnügen ist, vor Gericht als Zeuge erscheinen zu müssen und mit Krethi und Plethi zusammengeworfen zu werden. Dazu kam, daß ihn der Mensch, der Förster, schwer geärgert hatte. Es läßt sich ja das im einzelnen gar nicht nachweisen. Alle die kleinen Verdrießlichkeiten und Unpünktlichkeiten und Dienstvernachlässigungen jeder Art und dummen Antworten ... darüber führt doch niemand Buch. Zuletzt ist aber der Zündstoff so aufgehäuft, daß der Schuß von selbst losgeht. Dann knallt's, und dafür sind Zeugen da. Der Graf war der Ansicht – der sicher unrichtigen Ansicht –, daß diese Dinge gar nicht verhandelt werden dürften, leicht abgeschnitten werden könnten, daß er als Dienstherr die Vermutung für sich haben müsse, den Umständen gemäß richtig eingeschritten zu sein. Das erklärt seine große Erregtheit, die ihn vielleicht zu sonst unverständlichen Ausschreitungen führte. Ich denke, das ist zu verzeihen.«

»Ich bin auch keinen Augenblick versucht gewesen, die Absicht einer persönlichen Kränkung oder Mißachtung des Gerichts anzunehmen,« entgegnete Dürenholz, »und kann den Herrn Grafen versichern lassen, daß ich ihm nicht das mindeste nachtrage. Ich bin nur in der sehr unerfreulichen Lage gewesen, ein gesetzliches Mittel anwenden zu müssen, um eine die Würde des Gerichts verletzende Ungehörigkeit zu rügen. Der Herr Graf hat die kleine Ordnungsstrafe gezahlt, die durchaus nichts Ehrenrühriges hat, und damit ist der Zwischenfall erledigt.«

Der Leutnant hob die Schultern. »Ich weiß doch nicht. Auch wenn Sie als Richter ganz korrekt gehandelt haben – was ich vorläufig gar nicht bestreite –, so haben Sie nach unserer Auffassung doch immer nur korrekt gehandelt. Es kann sein, daß Ihrer Amtsthätigkeit nichts vorzuwerfen ist; bestehen bleibt doch aber immer, daß der Graf Stieren in eine Strafe wegen Ungebühr genommen ist und nun in hundert Zeitungen wird lesen können, wie schwer er sich vergangen hat. Denn das druckt die eine der anderen, wie Sie sich denken können, mit Wonne nach, und es wird sogar an fulminanten Leitartikeln nicht fehlen mit dem Refrain: so hält sich ein Junker für berechtigt, den Anstand vor Gericht zu verletzen, aber – es giebt noch Richter! Gleichheit vor dem Gesetz ist in solchem Fall ein Unding. Wenn Sie das bedacht hätten – was im Augenblick schwierig gewesen sein mag –, vielleicht hätten Sie als der Kavalier, der doch immer im Richter steckte, eine andere Form der Abwehr gefunden. Ich wende mich an den Kavalier, bei dem ich das Verständnis dafür voraussetzen darf, daß hier eine Sühne durchaus erforderlich ist.«

»Und wie stellen Sie sich die vor?« fragte Dürenholz nach kurzem Nachdenken. »Ich bin gern bereit, vor Zeugen oder in einem Schreiben an Sie mein Bedauern über den Vorfall auszudrücken und die Versicherung abzugeben, daß mir jede Absicht persönlicher Kränkung ferngelegen hat.«

»Das wird doch nicht genügen,« entgegnete Herr von Encke. »Graf Stieren fordert eine Art von – von Entschuldigung –«

»Entschuldigung?«

»Über die Form wird man sich einigen können. Die Hauptsache ist ein öffentliches Anerkenntnis, daß Sie geirrt haben, als Sie annahmen, der Graf habe die Würde des Gerichts verletzen wollen, und daß Sie in der vermeintlich schuldigen Wahrung derselben mit Rücksicht auf die beteiligte Persönlichkeit etwas zu weit gegangen sind.«

»Das heißt, ich soll öffentlich anerkennen, ein untauglicher und ungerechter Richter gewesen zu sein,« rief Dürenholz entrüstet.

»Einer solchen Auslegung würde durch die Form der Erklärung vorgebeugt werden können,« meinte der Leutnant.

»Nimmermehr! Ich habe nichts zu entschuldigen und werde nichts entschuldigen. Ich wäre ein pflichtvergessener Richter, wenn ich das Rechtsgefühl verleugnete, das mich bei meiner amtlichen Thätigkeit geleitet hat.«

Herr von Encke gab sich alle Mühe, ihn zu überzeugen, daß der Richter gar nicht betroffen werde, was ja durch eine Gegenerklärung des Grafen auch ausdrücklich festgestellt werden könne. Da ihm dies nicht gelang, sagte er endlich: »Unter solchen Umständen bedaure ich, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Graf Stieren auf einer entschuldigenden Erklärung besteht, und daß ich, wenn sie in irgend einer Form verweigert wird, nicht mehr in der Lage sein werde, vermittelnd einzugreifen.«

»Sie ist verweigert,« erwiderte der Amtsrichter mit Entschiedenheit.

»So bin ich beauftragt, Ihnen eine Pistolenforderung zu überbringen, und ersuche Sie, mir Ihren Sekundanten zuzuschicken.«

Dürenholz stand auf und ging ein paarmal im Zimmer auf und ab. Er hatte diesen Ausgang schon erwartet, wollte nun aber nicht ohne reifliche Erwägung das letzte Wort sprechen. »Und wenn ich die Forderung nicht annehme?« fragte er dann.

»Herr von Dürenholz, das ist unmöglich,« antwortete der Leutnant im Tone vollster Überzeugung.

»Ich werde sie nicht annehmen,« sagte der Amtsrichter, sich wieder setzend, mit großer Ruhe.

»Aber aus welchem Grunde in aller Welt?«

»Ich hoffe, der eine wird Ihnen genügen, daß ich lediglich in amtlicher Eigenschaft gehandelt habe und es im staatlichen Interesse nicht für zulässig erachten kann, meine amtlichen Handlungen dem Betroffenen gegenüber mit der Pistole in der Hand zu vertreten. Alle staatliche Ordnung müßte zu Grunde gehen, wenn dies Sitte würde.«

»Aber in einem so außerordentlichen Fall, in dem die Ehre und das gesellschaftliche Ansehen eines vornehmen Mannes geschädigt ist, der sich nur durch ein Duell herstellen kann –«

»Ich werde nicht zugeben, daß der Fall ein außerordentlicher ist – und auch dann könnte ich jenem Grundsatz nicht untreu werden.«

Nun erhob sich der Leutnant. »Ich sehe meine Mission dann mit schwerem Herzen als beendigt an,« sagte er. »Sie geben sich wohl darüber keiner Täuschung hin, daß die Meinungen über Ihre Ablehnung sehr geteilt sein werden. Sie sind von Adel und Offizier.«

»Ich bin Richter.«

Herr von Encke verneigte sich und ging, ohne ihm die Hand gereicht zu haben.


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